„O Buchenwald“ (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel „O Buchenwald“
Autor Freund, Julius (1890-?)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Klagenfurt
Titel „O Buchenwald“
Untertitel Tatsachenbericht

Erscheinungsort Klagenfurt
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1

Verlegt von Selbstverlag

Publiziert von Freund, Julius (1890-?)
Umschlaggestaltung von Freund, Julius (1890-?)
Illustriert von Gerö, Rolly, Schwalbe, N.

Umfang 201 Seiten
Abbildungen Mit 10 ganzseitigen Abbildungen und Originalzeichnungen von Ing. N. Schwalbe (Rijeka) und Rolly Gerö (Berlin). 1 Lageplan des KZ Buchenwald, 1 Abdruck eines Auszugs aus der Lagerordnung des Konzentrationslagers Weimar-Buchenwald, 1 Porträtfoto von Adolf Hitler, 2 Porträtfotos des Autoren

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In kurzen Kapiteln berichtet Julius Freund im Spätsommer 1939 aus dem Exil von den Erlebnissen seiner Haft im Konzentrationslager Buchenwald von 1938 bis 1939. Der Bericht beginnt mit dem Tag des Einmarsches der Deutschen in Wien im März 1938. Als österreichischer jüdischer Sozialist fürchtet Freund um sein eigenes Leben und das seiner Familie. Ein Fluchtversuch in die Tschechoslowakei misslingt und nach kurzer Haft im Polizeigefangenenhaus ‚Liesl‘ in Wien gelangt er nach Buchenwald, wo er in der Baracke der Wiener Polizeihäftlinge untergebracht wird. Er verbringt etwa ein dreiviertel Jahr in Buchenwald.

Über die Schilderung seiner eigenen Konzentrationslagerhaft hinaus ordnet er die Geschehnisse in Österreich und Wien auch geschichtlich und politisch ein und widmet sich dabei nationalsozialistischen Größen wie Heinrich Himmler, Ernst Röhm und Rudolf Heß. Zu Adolf Hitler verfasst er eine Kurzbiografie mit Porträtfoto. Den Alltag des Lagerlebens beschreibt Freund detailliert und anhand vieler Zahlen und Fakten. Er vermittelt dabei weniger das eigene Erleben und Empfinden, sondern möchte dem Leser einen umfassenden und detaillierten Blick auf die Lagerhaft ermöglichen. Dabei nennt er immer wieder exemplarische Schicksale seiner (umgekommenen) Mithäftlinge und das grausame Gebaren der SS-Wachmannschaften. So widmet er dem jungen Dichter Jura Soyfer, der am 16. Februar 1939 im Alter von 25 Jahren im Konzentrationslager stirbt, ein ganzes Kapitel und fügt seinem Text zwei Gedichte von Soyfer – „Das Lied von der Erde“ und „Dachau“ – bei. Ebenso ist ein in Buchenwald entstandenes Lied von Hermann Leopoldi und Dr. Fritz Lohner-Beda samt Partitur im Text enthalten.

Bisweilen wendet sich Freund mit direkten Ansprachen an den Leser und fordert ihn auf, sich in die Situation der Häftlinge einzufühlen und sich das erlittene Leid vorzustellen: „Du, Leser, wenn du einmal im Leben großen Durst leidest und in der Nähe von Wasser bist, trinke einige Sekunden nicht und denke an die zehntausend unschuldigen Häftlinge, um nur einige Sekunden ihr Leiden zu verstehen!“ (S. 49) Den Kapiteln gibt er teilweise provokante und plakative Überschriften wie „Juda Verrecke“ (S. 36), „Die Baracke des Todes“ (S. 38) oder „Der Jude ist schuld!“ (S. 157) Ausführlich geht Freund in dem Kapitel „Laßt Farben sprechen“ auf die verschiedenen Häftlingskategorien in Buchenwald ein und erklärt die einzelnen Stoffwinkel, die die Häftlinge aufgenäht auf dem Hemd tragen müssen: „Die Massen von zehntausend mußten gezeichnet werden. Das muß man ihnen lassen, in solchen Fällen konnten sie organisieren, die Nazi!“ (S. 99) Schnell entwickelt sich im Lager der „Kampf zwischen Grün und Rot“ (S. 103), zwischen politischen Häftlingen und den sogenannten ‚Berufsverbrechern‘. Von den „grünen Häftlinge[n]“ (S. 103), wie Freund sie wegen ihrer grünen Winkel nennt, grenzt er sich stark ab: „Sie waren sozusagen die verlängerte Hand der Henkersknechte. Die Armschleife mit dem Wort ‚Kapo‘ am Arm, den Prügel in der Hand, dazu das Wohlwollen der Lagerleitung und ihre Protektion hinter sich, so konnten sie schalten und walten nach Herzenslust“ (S. 103f). Freund selbst trägt als politischer Häftling einen roten Winkel auf grün gestreifter Häftlingskleidung. Dies ist auch das Motiv des Buchcovers. In besonderem Maße und sehr ausführlich widmet er sich dem Schicksal der jüdischen Häftlinge. Seine eigene jüdische Identität erwähnt er jedoch nicht, sondern grenzt sich teilweise sprachlich von dieser Gruppe sogar ab, indem er von ‚den Juden‘ spricht. Sich selbst ordnet er der Gruppe der politischen Häftlinge zu, wie er auch durch das Zugehörigkeit ausdrückende ‚wir‘ immer wieder deutlich macht. Dennoch ist seine Haltung den jüdischen Häftlingen gegenüber in besonderer Weise durch Mitleid und Entsetzen geprägt. Das Schicksal der Juden, das betont er wiederholt, ist das noch deutlich Schlimmere. Sie sind zur Vernichtung bestimmt und haben kaum Überlebenschancen. Ihre Passivität und geringe ‚Kampfbereitschaft‘ sieht er dabei durchaus als eine Ursache für ihr Schicksal: „Wären die Juden immer stark gewesen im Umgehen mit Werkzeugen und Austeilen von Kinnhaken, so gäbe es in Deutschland heute keine Judenfrage. Wenn wir uns als Pfleger dieser 10.000 Juden ansahen, hatten wir leider das Empfinden, daß sie alle die großen kämpferischen Fähigkeiten, wie sie einst das Volk der Juden vor tausend Jahren besaß, verloren hatten und entnervt waren“ (S. 38). Er rät ihnen: „Jetzt, Juden, heißt es: Fort mit dem Kriechen und Bücken! Diese furchtbare Not soll eure Reihen stärken und der Jugend die Muskeln stählen zum künftigen Schlag gegen die Unterdrücker, damit Juda nicht verreckt! Genug der Tränen!“ (ebd.) Freund beschreibt die zahlreichen perfiden und grausamen Foltermethoden, die sich die SS zur ‚Bestrafung‘ der Häftlinge ausdenkt, wie stundenlange Zählappelle, Wasserentzug, Stockschläge, das ‚Anbinden am Baum‘, den ‚Bock‘ sowie die Einweisung in den Strafblock und die Bunkerhaft.

Ausführlich stellt Freund den Tag seiner Befreiung im Kapitel „Der schönste Tag meines Lebens“ dar. Er fügt zwei Fotos von sich in den Bericht ein, die ihn vor und nach dem Aufenthalt im Konzentrationslager zeigen und die dramatische äußerliche Veränderung belegen. Nach seiner Entlassung kehrt Freund zunächst nach Wien zu seiner Familie zurück. Seine Heimatstadt erkennt er nicht wieder, er fühlt sich fremd: „Der Straßenbahnverkehr war vom Links- auf Rechtsfahren umgestellt worden. Auch meine Freunde fand ich ganz verändert vor. Waren auch sie von ‚links auf rechts‘ umgestellt? Sie waren wortkarg und in hoffnungsloser Stimmung“ (S. 188f.). Er flieht ins Exil, den Ort nennt er nicht. Auch hier befürchtet er eine neue Knechtschaft und sorgt sich um seine Familie, die „noch vor einem Abgrund“ (S. 190) steht. Starke und mutige Männer müssten den Kampf gegen die Nationalsozialisten aufnehmen, so fordert er. Sein Bericht solle, so Freund, zu diesem Kampf beitragen. Er habe die Hoffnung, dass die deutschen Soldaten und Arbeiter der Kriegsindustrie „das große Unglück, das über die ganze Welt hereinzubrechen droht, noch verhindern“ (S. 192) werden. Das letzte Kapitel fügt er sechs Jahre später hinzu. Es ist ein Originalbericht vom 11. April 1945 über die letzten Stunden des KZ Buchenwald, den Freund nach eigenen Angaben im Juni 1945 von ehemaligen Häftlingen – den Brüdern Kollmann – erhielt. Er schließt mit einer Gedenktafel in Form eines Kreuzes für die im Konzentrationslager Buchenwald umgekommenen Häftlinge. Sie enthält unter anderem die Information, dass insgesamt etwa 32.705 Häftlinge umgekommen seien. Der Bericht beinhaltet zudem Karten und zahlreiche Skizzen des Autors aus Buchenwald.


Biografie

Julius Freund (geb. 29.03.1890 in Wien) war ein österreichischer Sozialist jüdischer Herkunft. Er war Sportlehrer und gehörte bis 1933 der SPÖ an. Wie Franz Theodor Csokor in seinem Vorwort von 1939 schreibt, sollte Freund schon einmal im Jahre 1935 verhaftet werden. Dokumente aus dem ITS Bad Arolsen belegen, dass er vom 2. August 1938 bis 24. September 1938 in 'Schutzhafthaft' in Wien war. Am 25. September 1938 wurde er als politischer Jude als ‚Polizeihäftling‘ nach Buchenwald überführt. Dies geht aus der Liste der als Sondertransport eingelieferten Häftlinge hervor. Eine Veränderungsmeldung zur „Haftartänderung“ datiert vom 6. Dezember 1938. Ursprünglich war Freund als Polizeihäftling Nr. 20.151 registriert, später trug er die Häftlingsnummer 126. Am 17. Mai 1939 wurde er entlassen.

Quellen:

  • Freund, Julius: O Buchenwald. Klagenfurt 1945.
  • „Häftlingspersonalbogen Julius Freund, Buchenwald“, 1.1.5.3/5889879/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.
  • „Schreibstubenkarte Julius Freund, Buchenwald“, 1.1.5.3/5889880/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.
  • „Effektenkarte Julius Freund, Buchenwald“, 1.1.5.3/5889881/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.


Werkgeschichte

Julis Freund schrieb seinen Bericht 1939, also noch unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Aus dem Vorwort von Franz Theodor Csokor geht hervor, dass Freund beim Schreiben des Berichts so krank war, dass er glaubte, das Material nicht vollenden zu können und daher zu jedem Themenbereich jeweils nur kurze Abschnitte erstellte.

Quelle:

  • Freund, Julius: O Buchenwald. Klagenfurt 1945.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger