Als sozialdemokratischer Arbeiter im Konzentrationslager Papenburg (1935)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Als sozialdemokratischer Arbeiter im Konzentrationslager Papenburg
Autor Anonym
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1935, Leningrad,Moskau
Titel Als sozialdemokratischer Arbeiter im Konzentrationslager Papenburg

Erscheinungsort Leningrad,Moskau
Erscheinungsjahr 1935

Verlegt von Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR
Gedruckt von Iskra Revoluzii
Publiziert von Anonym
Umschlaggestaltung von Kürzel „KV34“

Umfang 73 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

1935 legt ein „einfacher, aber klassenbewußter sozialdemokratischer Arbeiter“ (S. 6) anonym einen chronologischen Bericht über seine sechsmonatige Haft im Konzentrationslager Börgermoor vor. Er ist 1933 mit einem der ersten Häftlingstransporte in das Lager bei Papenburg gebracht worden und schildert nach seiner Freilassung vor allem die Solidarität zwischen Kommunisten und Sozialisten im Lager.

In einer deutlichen und direkten Erzählweise berichtet der Autor zunächst von seiner Verhaftung und seiner Ankunft mit 564 weiteren Häftlingen im KZ Börgermoor. Auf dem Marsch in das Lager weigern sich die politischen Häftlinge, die Nationalhymne zu singen. Damit nennt der Verfasser erstmals einen Topos, der sich durch den ganzen Bericht zieht: der Zusammenhalt der sozialdemokratischen und kommunistischen Häftlinge gegen die Nationalsozialisten. Bereits in der ersten Nacht ergreift ein kommunistischer Häftling das Wort und beschwört die Einheit: „Laßt uns wie Genossen zusammenhalten und Schulter an Schulter kämpfen“ (S. 12). Der Autor ist, wie alle Zuhörer, ergriffen: „Die Tränen traten mir in die Augen. […] Und ich kann nicht anders als mit der größten Bewunderung über die Haltung der Kommunisten sprechen“ (ebd.). In den folgenden Monaten kommt es zu vielen Aktionen, in denen die beiden politischen Gegner – die das gemeinsame Ziel der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Herrschaft verbindet – zusammen gegen die Wachen agieren, sich gegenseitig helfen und unterstützen. Der Verrat an einem Genossen führt zu sofortigem Ausschluss aus der Gruppe. Die Solidarität endet jedoch bei ehemaligen hohen SPD-Funktionären wie dem Reichstagsabgeordneten Ernst Heilmann, der besonders unwürdigen Schikanen der SS unterzogen wird. Ihm wird vorgeworfen, dass Politiker wie er den Aufstieg der Nationalsozialisten nicht verhindert haben und er nur sein eigenes Leben retten wolle: „Wir SPD-Arbeiter schlugen vor Scham die Augen nieder. Solch einen Führer hatten wir gehabt. […] Es gibt doch schließlich eine Grenze. Hier gilt nicht länger das eigene Leben. Hier ging es darum, die Ehre unserer Internationale, wenn es sein muß, mit dem Leben zu verteidigen“ (S. 43). Daher unterstützen die Häftlinge ihn nicht, sondern es entlädt sich der Zorn der Gruppe über ihm. Trotz der Quälereien durch die SS wird Heilmann „wegen unwürdigen Benehmens ausgestoßen“ (S. 42). Um den Leser bei solchen zentralen Entscheidungen der Häftlinge einzubinden, spricht der Autor diesen direkt an: „Ich frage den Leser: was würdest du tun?“ (S. 41) Einen anderen Aspekt der Solidarität schildert der Autor mit dem Besuch einer Gruppe von Ehefrauen: Die Frauen der politischen Häftlinge aus Solingen verharren so lange vor dem Lager, bis man ihnen erlaubt, ihre Ehemänner für zehn Minuten zu sehen. Der Autor lobt dieses tapfere und mutige Vorgehen.

Der Verfasser schildert des Weiteren den Tagesablauf, die Machtstrukturen, die Zwangsarbeit im Moor und immer wieder die Schikanen der SS-Männer im Lager. Er beschreibt ebenfalls, wie im November 1933 die Schutzpolizei die Befehlsgewalt von der SS übernimmt und wie die Häftlinge an der Wahl im November 1933 teilnehmen und diese nutzen, um ein Zeichen gegen die NSDAP zu setzen. Er beendet die Schilderung mit seiner unerwarteten Entlassung kurz vor Weihnachten 1933.

Um den Leser möglichst nah an das Geschehen zu führen, nutzt der Verfasser direkte Rede, zitiert die Beschimpfungen der Wachen ebenso wie die Reden kommunistischer Anführer und beschreibt kleinschrittig verschiedene Geschehnisse und anonyme Fallbeispiele wie das des „Arbeiter[s] S. aus M.“ (S. 11). Mit Formulierungen wie „Fünf vor acht! Da kommt der Befehl: ‚Antreten!‘ Wird es nun geschehen? Kaum zu glauben“ (S. 71) zieht er den Leser in das Geschehen mit ein. Dabei setzt der Autor bei seinen Lesern ein Vorwissen voraus; er richtet sich also an eine klar umgrenzte Leserschaft, wenn er etwa nur von den „sechs Kommunisten von Köln“ (S. 55) spricht und davon ausgeht, dass der Leser weiß, um wen es sich handelt.

Der Autor nutzt oft das Präsens und das kollektive ‚Wir‘ bzw. ‚Wir alle‘, wenn er von den Häftlingen spricht. Er greift selten im Handlungsgeschehen vor, vielmehr erzählt er chronologisch Schritt für Schritt: „Jetzt tauchte in der Ferne das Lager auf. […] Wir langten an. […] Im Lager selbst standen zehn Baracken“ (S. 11). Sein Ton ist dabei oft spöttisch, gerade wenn er über die SS-Wachmannschaften oder den Alltag im Lager spricht. So heißt es etwa über die Zwangsarbeit im Moor: „[D]amit war der erste Tag, an dem wir praktisch am ‚Aufbau‘ des Dritten Reiches mitgeholfen hatten, zu Ende“ (S. 19). Auch habe man über den Lagerkommandanten gelacht. Er konstatiert die Überlegenheit der mutigen Häftlinge: „Du wirst uns nicht unterkriegen, Herr Lagerkommandant!“ (S. 31) Selbst über die ‚Vergiftung‘ durch vergammelte Lebensmittel, die bei 500 Häftlingen zu heftigem Durchfall führt, schreibt er stolz: „Es war mehr, als unsere kaputten Nerven ertragen konnten. An diesem Abend waren wir einfach erledigt. Aber der revolutionäre Geist flammte trotz allem wieder auf. Er wappnete sich mit Humor, dieser tödlichen Waffe für den Klassenfeind“ (S. 63).

Die Täter nimmt der Autor differenziert wahr. Er benennt die meisten von ihnen mit Namen, Einheit und Herkunftsort. Allerdings unterscheidet er zwischen dem Großteil der brutalen SS-Männer, die er als eitel, alkoholabhängig und eingebildet beschreibt, und einzelnen SS-Männern, die sich den Häftlingen gegenüber fair verhalten. So gibt er eine Situation wieder, in der sich eine Gruppe von SS-Männern gegen ihre Kameraden wehrt, da ihnen die Schikanen zu weit gehen. Im Oktober 1933 desertiert gar eine ganze Gruppe von SS-Männern, da sie „mit der ganzen Geschichte einfach nichts mehr zu tun haben wollten“ (S. 49). Sie hätten, so der Autor, die Gemeinsamkeiten mit den Häftlingen erkannt: „Waren diese Gefangenen nicht genau solche Proleten, Arbeiter, wie viele von ihnen?“ (S. 50) Vor allem eine Zirkusvorstellung der Häftlinge mit Liedern, Sketchen und dem heute bekannten „Moorsoldatenlied“, das in der Broschüre in voller Länge abgedruckt ist, habe ein Umdenken bei den Wachmännern bewirkt. Der Verfasser bezeichnet diesen Abend als „Propaganda“ (S. 35): „Diese Auflehnung eines Teils der SS, der noch ein Gran Menschlichkeit in sich bewahrt hatte, gegen die vertierten Barbaren war zweifellos eine Folge der Propaganda, die wir damals in unserer Zirkusvorstellung angesichts der SS gemacht hatten“ (ebd.).

Bereits im Vorwort widmet sich Willi Bredel, selbst Autor eines frühen Romans über Konzentrationslager, vehement der Bekundung der Solidarität der linken Gruppierungen in den Lagern und somit dem zentralen Anliegen der gesamten Broschüre. Nur der Zusammenhalt einer „einheitliche[n] antifaschistische[n] Klassenfront“ (S. 7) helfe das Leiden in den Lagern zu überstehen und ermögliche so erst den bevorstehenden Sieg der Arbeiterklasse. Der vorliegende „mutige und ehrliche Bericht“ (ebd.) sei ein Beispiel für das Schicksal, das viele Arbeiter erleben mussten und solle „allen Arbeitern die Wahrheit über die Zustände in einem deutschen Konzentrationslager mitteilen“ (ebd.). Die Diffamierung kommunistischer Häftlinge, wie sie sich etwa in Texten von hohen SPD-Funktionären finden, etwa dem von ihm heftig kritisierten Gerhart Seger, sei ein politisches Mittel, das dem Kampf gegen die Nationalsozialisten schade. Tatsächlich wären es ‚Berufsverbrecher‘ und ‚Asoziale‘, die von den Nationalsozialisten in die Lager eingeschleust worden wären, um sich an den Funktionären zu vergreifen – die kommunistischen Häftlinge, diese Meinung teilt auch der anonyme Autor der Broschüre, träfe keine Schuld.

Autorbiografie

Der Erinnerungsbericht wurde anonym in Moskau herausgegeben, der Verfasser ist bis heute nicht bekannt. Aufgrund der Informationen aus dem Buch lassen sich einige Eckdaten aus der Biografie des Autors zusammentragen: Offensichtlich war der Schreiber ein überzeugtes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Bereits 1931 kam es zwischen ihm und einem SA-Mann zu offenen Konflikten, weshalb er 1933 seine Heimatstadt verlassen musste. Am 13. Juli 1933 wurde er verhaftet und über die Strafanstalt Anrath in das Konzentrationslager Börgermoor gebracht. Dort blieb er bis zu seiner Freilassung am 21. Dezember 1933.

Quelle:

  • o. A.: Als sozialdemokratischer Arbeiter im Konzentrationslager Papenburg. Moskau/Leningrad 1935.

Werkgeschichte

Der Band wurde 1938 in die 'Liste der schädlichen und unerwünschten Literatur' aufgenommen und verboten. Neben der Aufnahme in die Liste, die auf den Präsidenten der Reichschrifttumskammer zurückging, wurde der Bericht zusätzlich durch den Reichsführer, SS Heinrich Himmler, verboten.

Quelle:



Bearbeitet von: Christiane Weber