Analyse eines Schandflecks (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Analyse eines Schandflecks
Autor Kowollik, Paul (1911-1996)
Genre Bericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Waldkirch
Titel Analyse eines Schandflecks

Erscheinungsort Waldkirch
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1. Auflage

Auflagenhöhe Erstauflage 1.-10. Tausend

Verlegt von Waldkircher Verlagsgesellschaft m.b.H.
Gedruckt von Waldkircher Verlagsgesellschaft m.b.H.
Publiziert von Kowollik, Paul (1911-1996)

Umfang 16 Seiten

Lizenz G.M.Z.F.O. Visa No. 2,972 / Dv. de la Direction de l’Education Publique

Autorisation No. 2,679 de la Direction de l’Information

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In seiner 14 Textseiten umfassenden Broschüre „Analyse eines Schandflecks“ liefert Paul Kowollik eine prägnante Darstellung der Entstehung und Entwicklung der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Er erläutert die verschiedenen Gruppen der Gefangenen und die Rivalitäten zwischen ihnen, wobei sich intensiv den ‚Kriminellen‘ und ‚Politischen‘ gewidmet wird. Auch bezieht er Beobachtungen über die anhaltende Intoleranz gegenüber den aus den Konzentrationslagern Entlassenen in der Zeit nach dem Krieg ein und thematisiert die Schwierigkeiten ihres Kampfes um die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus.

Eingeleitet wird der Text mit einer kurzen Beschreibung der unmittelbaren Nachkriegssituation, in der die Existenz der Konzentrationslager „zu einem Stein des Anstoßes wurde“ (S. 3), der Kowollik zufolge nach Kriegsende von der übrigen Welt als „Kainszeichen“ (ebd.) betrachtet werde. Während ein Teil der deutschen Bevölkerung diesen „Stein“ zu ignorieren oder gar zu leugnen beginne, habe „der nach Wahrheit und Erkenntnis ringende Teil der Menschen“ (ebd.) die Notwendigkeit erkannt, sich mit diesem „Schandfleck der Konzentrationslager“ (S. 17) auseinanderzusetzen. Zu dieser zweiten Gruppe zählt sich auch Kowollik selbst, der die Hoffnung äußert, dass dadurch „unser Volk die Größe dieses häßlichen Mals in seinem altehrwürdigen Gewande erkennen“ (ebd.) werde.

Zunächst skizziert der Verfasser kurz die politische Entwicklung Deutschlands nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dabei wird der Reichstagsbrand als eine Inszenierung bezeichnet, die Hermann Göring zuzuschreiben sei. „Männer von Format wie Reichstags-, Landtagsabgeordnete, Gewerkschaftler, Redakteure und berühmte Kanzelredner“ (S. 5) werden bei den darauffolgenden Verhaftungen als politische Gegner des Regimes gefangengenommen.

Von den Konzentrationslagern, in welche die Gefangenen verbracht werden, habe die Bevölkerung Deutschlands durch die Berichterstattung der gleichgeschalteten Presse – sofern überhaupt über sie berichtet wurde – ein verharmlostes Bild. Im Ausland wurde dagegen gemeldet, in den Konzentrationslagern seien politische Gegner des NS-Regimes inhaftiert. Um diesen Eindruck zu widerlegen, wurden Verhaftungen von – vorgeblich ausschließlich – Kriminellen veranlasst, so dass, wie Kowollik schreibt, „Hitler […] mit Recht in seinen Reden zum 1. Mai von dem in jeder Nation unvermeidlichen Abschaum reden [konnte], der vom gesunden Volksganzen ferngehalten werden müßte“ (S. 7).

Der Verfasser beschreibt, dass im Laufe der Zeit die bestehenden Konzentrationslager weiter ausgebaut worden seien und die Zahl der Häftlinge in den Lagern stetig anstieg. Unter ihnen befanden sich nun auch Zeugen Jehovas, sogenannte ‚Reichsarbeitsscheue‘, Sinti und Roma, jüdische Personen, Homosexuelle sowie Kriegsgefangene aus den besetzten Gebieten. Die Gruppe der als ‚asozial‘ Verfolgten beschreibt Kowollik indes als Sammelbezeichnung für jene „Intellektuellen“, die sich zuvor durch „passive Resistenz“ (beide Zitate S. 8) gegen den Staat aufgelehnt hatten, denen aber keine politischen oder kriminellen Vergehen nachgewiesen werden konnten. Nur um den „Schein einer Rechtmäßigkeit“ (S. 9) zu wahren, seien sie im Zuge der Massenverhaftungen zusammen mit vermeintlichen „Kleinkriminellen“ inhaftiert worden, so Kowollik.

Besonderes Augenmerk legt der Autor im Folgenden auf das von der SS bewusst eingeführte Machtgefälle zwischen den Häftlingsgruppen: In der Anfangszeit der Konzentrationslager hätten die ‚politischen‘ Häftlinge zunächst unter den Gefangenen die meisten Funktionspositionen innerhalb der Lagerstruktur versehen und durch „raffiniert ausgeklügelte Methoden, mit denen die SS oft genug getäuscht wurde“ (S. 12), ihr eigenes Überleben zu sichern versucht. Als jedoch die Zahl der ‚Kriminellen‘ zu wachsen begann, entbrannte zwischen ihnen und den ‚Politischen‘ ein Machtkampf um die wichtigen Funktionsposten im Lager. Die ‚Kriminellen‘, die als aufgrund ihrer Haft im Zuchthaus verrohte „menschliche[] Bestien“ (ebd.) beschrieben werden, gewannen bald „auf Kosten der anderen Häftlinge, namentlich der Juden und der ‚Reichsarbeitsscheuen‘“ (S. 12), die Oberhand und erhielten zahlreiche Vergünstigungen.

Außerdem werden verschiedene Konzentrationslager wie Dachau, Bergen-Belsen, Auschwitz und Majdanek erwähnt, wobei Kowollik die beiden letztgenannten von anderen Lagern unterscheidet, da „in ihnen nicht die geringste Chance bestand, dem Krematorium zu entrinnen“ (S. 10). Dies sei in den Nürnberger Prozessen deutlich geworden, doch habe der vielfach verbreitete Irrglaube, dass die „KZ-Haft […] zum größten Teil rechtens“ (S. 10) gewesen sei, den „Glauben an das Heldentum der im Dritten Reiche Verfolgten“ verhindert (S. 11). Kowollik kritisiert dies ebenso wie den allgemeinen Umgang mit den Überlebenden, „[j]ene[n] Doppeltgeschlagenen“, die zwar das Lager überlebt hatten, nun aber im kriegszerstörten Deutschland vor dem Nichts stünden und „[w]eder bei den staatlichen Behörden noch in der reaktionären Privatindustrie […] eine nennenswerte Aufnahme [fänden]“ (S. 15). Dabei spricht er auch die Ungleichbehandlung der verschiedenen Opfergruppen durch diese Nachkriegsbehörden an, wenn er schreibt: „Es wäre ungerecht, heute nur diejenigen der Überlebenden als Opfer des Nazismus anzusehen, die eine besondere politische Vergangenheit nachweisen können. Wer die Arbeit in der Rüstung und der für den Krieg arbeitenden Wirtschaft sabotierte und verweigerte und von den Nazis als Arbeitsscheuer in das KZ eingeliefert wurde, der war genau so ein politischer Kämpfer gegen die Tyrannei, wie derjenige, der illegal Flugblätter herstellte und sie vertrieb. Sie alle erwartete ja der gleiche Lohn, nämlich Kerker, KZ und Tod!“ (S. 14)

Aufseiten der SS-Täter unterscheidet Kowollik zwischen der „hoffnungslose[n] Minderheit“ (S. 15), die sich ihre Menschlichkeit gegenüber den Gefangenen bewahrte, und der Mehrheit der SS-Männer, die er als „entmenschte Sadisten“ (ebd.) bezeichnet. Auf der Suche nach den Ursachen ihrer Tyrannei verweist er auf ihre Ausbildung, in der ihnen „nicht christliche Liebe und Barmherzigkeit gelehrt wurde [sic], sondern jene Härte, die über Leichen schritt und selbst vor der Tötung des eigenen Kindes nicht Halt machen durfte.“ (ebd.)      

Kowollik stellt auch größere Sinnzusammenhänge über das Geschilderte her. So ordnet er beispielsweise die Geschehnisse während der NS-Zeit in einen größeren Kontext ein: Sie seien ein Zeichen dafür, dass sich „die gesamte Menschheit […] immer mehr der Barbarei zuwendet“ (S. 16). Und auch in Zukunft werde es weitere ‚Schandflecke‘ geben, „wenn sie [die Welt] weiterhin das Gebot der Liebe mißachten und die Werke der Finsternis den Werken des Lichtes und der Freiheit vorziehen wird“ (ebd.), mahnt Kowollik.


Biografie

Paul Kowollik (geb. 14.06.1911 in Krysanowitz (ab 1936 Kreuzhütte) in Oberschlesien, gest. 30.12.1996 in Waldkirch im Breisgau) wurde als unehelicher Sohn von Rosalia Kowollik und dem westfälischen Milchfahrer mit dem Vornamen Herrmann (gest. 1941) in eine bürgerliche Familie geboren. Seine fünf Geschwister Josef, Anna, Therese, Maria und Agnes waren Kinder des Maurers Anton Juchelka, den Rosalia 1916 heiratete. Nach Abschluss der Volksschule im Jahr 1925 besuchte Kowollik ein Reformrealgymnasium in Rosenberg (Kreisstadt in Oberschlesien), um auf den Wunsch seiner Mutter Priester zu werden. Aufgrund der Armut seiner Familie und der Aussichtslosigkeit, als unehelicher Sohn zum Priester geweiht zu werden, entschloss er sich jedoch im Jahr 1929 trotz guter Noten in Deutsch und Geschichte, die Schule zu verlassen.

Schon bald darauf schlug Kowollik den Weg des Journalismus ein: Bereits 1931 erschien in einer katholischen Tageszeitung ein erster Bericht über seine Erlebnisse am Maisonntag 1921. Als ihm der Verleger des Blattes ein Honorar zahlte und ihn bat, weitere Aufsätze einzureichen, sah er darin eine Möglichkeit, sich aus seiner finanziellen Not herauszuschreiben. Durch seine anschließende Tätigkeit bei der katholischen Zeitung fand er Zugang zur Zentrumspartei, deren Mitglied er im Jahr 1931 wurde. Dort übernahm er bis zur erzwungenen Auflösung der Partei im Jahr 1933 die Funktionen eines Sekretärs und Redners bei Parteiveranstaltungen. Von 1932 bis 1936, mit einer Unterbrechung in den Jahren 1933 und 1934, in denen er arbeitslos war, arbeitete er als freier Journalist und schrieb kulturpolitische Artikel und Aufsätze für verschiedene schlesische Zeitungen.

Als überzeugter „Verteidiger des Weimarer Staates“ („Das war Konzentrationslager Buchenwald“, S. 4) war er nicht gewillt, in die Reichspressekammer einzutreten, um sich nicht dem von den Nationalsozialisten eingeführten Schriftleitergesetz unterwerfen zu müssen. In der Folge konnte er ab 1936 seine journalistische Tätigkeit nicht mehr fortführen und war dann als Straßenbauarbeiter in einer Tiefbaufirma beschäftigt. 1937 meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht und absolvierte eine achtwöchige Ausbildung bei der Infanterie.

Anfang 1938 bot sich ihm ein beruflicher Lichtblick bei der Schlesischen Handwerksversicherung in Breslau, die in der ganzen Provinz neue Zweigstellen errichtete und deren Geschäftsstelle in Kreuzberg er ab dem 13. Juni 1938 hätte leiten sollen. Am frühen Morgen desselben Tages wurde er jedoch im Rahmen der zweiten reichsweiten Verhaftungswelle der sogenannten „Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘“ (ASR) in ‚Schutzhaft‘ genommen. An seinem 27. Geburtstag wurde er mit einem Eisenbahntransport nach Weimar verbracht und traf am 15. Juni 1938 gegen 11 Uhr vormittags im KZ Buchenwald ein. In seiner Häftlingspersonalkarte wurde er mit dem Kürzel „A.S.R.“ für „asozial/arbeitsscheu“ geführt und erhielt die Häftlingsnummer 6240. Während seiner Haftzeit wurde er mehreren Arbeitskommandos zugeteilt, unter anderem dem berüchtigten Außenkommando Steinbruch. Im Zuge der sogenannten „Amnestie“ zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers am 20. April 1939 wurde Kowollik schließlich nach elf Monaten Haft aus Buchenwald entlassen.

Ein Führungszeugnis, das er sich nur wenige Tage nach seiner Entlassung von der Ortspolizeibehörde Kreuzhütte ausstellen ließ, bescheinigte ihm, dass „in den polizeilichen Listen keine Strafe verzeichnet ist“ (Führungszeugnis der Ortspolizeibehörde Kreuzhütte, 9. Mai 1939, abgedruckt in Siegel/Kowollik 2023, S. 88), so dass er bei Kriegsbeginn 1939 eine Tätigkeit als Verlagsangestellter bei einer Zeitung in Breslau aufnehmen konnte. Kurz vor Ende des ersten Kriegsjahres nahm er die Arbeit bei seiner alten Zeitung, den Neuesten Breslauer Nachrichten, wieder auf.

Im Januar 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Als Infanterist war er zunächst in Polen, dann in Niederösterreich und in Frankreich stationiert. Auf dem Weg an die Westfront kam seine Division nach Waldkirch, wo Kowollik seine spätere Frau, Rosl Unmüssig (1921-2008), kennenlernte. Nach seinem dortigen Einsatz bis Anfang Juli 1940 kehrte er nach Schlesien zurück. Ab Februar 1941 war er kurzzeitig als Leiter der Geschäftsstelle Kutno der Litzmannstädter Zeitung beschäftigt, bis er im März 1941 erneut zum Kriegsdienst in die Sowjetunion einberufen wurde. Nach einer Routineuntersuchung in einem Kriegslazarett in Smolesk wurde er im September 1941 wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes zunächst in seine Heimat zurückgestellt. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um die Folgen einer in der Kindheit erlittenen Hilusdrüsenerkrankung, und er wurde zu einem Ersatztruppenteil nach Perleberg und später nach Russland an die Reschew-Front geschickt. Dort erkrankte Kowollik schwer an Fleckfieber und wurde in verschiedene Lazarette verlegt, zunächst nach Smolensk, dann nach Schweidnitz, wo er wieder ins Leben zurückfand.

Am 8. Juni 1943 heiratete er Rosl in der St. Margarethen-Kirche in Waldkirch. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, von denen das erste, Joachim, im Januar 1945 in Villingen im Schwarzwald das Licht der Welt erblickte. Nach weiteren Wehrmacht-Einsätzen in Litzmannstadt, Stettin und Neubrandenburg erlebte er das Kriegsende in Mecklenburg-Vorpommern zunächst in kurzer amerikanischer, dann in britischer Gefangenschaft. Ende Juni 1945 kehrte Kowollik nach langem Fußmarsch Waldkirch zurück, wo er zunächst als selbstständiger Schriftsteller und ab 1948 als Geschäftsstellen- und Redaktionsleiter der Regionalausgabe der Badischen Zeitung in Waldkirch tätig war, bis ihn 1959 eine mehrmonatige lebensbedrohliche Erkrankung zwang, auf ärztliche Empfehlung hin kürzerzutreten.

Seine Erinnerungen an die Haft im Konzentrationslager Buchenwald schrieb er in verschiedenen Gattungen nieder. Bereits 1945 erschien sein Erlebnisbericht „Das war Konzentrationslager Buchenwald“, der bis circa 1948 in drei Auflagen veröffentlicht wurde (vgl. Werkgeschichte „Das war Konzentrationslager Buchenwald“). Es folgten 1947 die Erzählung „Henker und Heilige. Erzählungen aus unseren Tagen“, die starke biografische Züge trägt (vgl. Zusammenfassung „Henker und Heilige“), sowie die Abhandlung „Analyse eines Schandflecks“. Alle drei Publikationen erreichten um 1948 eine Gesamtauflage von rund 60.000 Exemplaren, wobei „Das war Konzentrationslager Buchenwald“ die höchste Auflage verzeichnete. 1948 veröffentlichte Kowollik seine politisch-philosophische Broschüre „Quo vadis Europa? Wer kann das Abendland retten?“. Im Juli 1948 beantragte er die Druckgenehmigung der Kurzschrift „Massenherrschaft und Menschenfurcht“, die jedoch nicht verlegt wurde. Auch sein politischer Roman „Der Dorfspion“ wird in einem Antrag auf Druckgenehmigung lediglich als „Werk in Arbeit“ aufgeführt.

Dank des allgemein einsetzenden Wirtschaftsaufschwungs gelang es ihm, sich ab 1962 als Journalist selbstständig zu machen. Von März 1966 bis März 1972 übernahm er beim Heimat- und Verkehrsverein Waldkrich als Nachfolger von Max Barth die Redaktion des Waldkircher Heimatbriefs. Als Redakteur war er ab 1968 maßgeblich an der Herausgabe der Wochenzeitung „Elztäler Wochenbericht/Waldkircher und Elztäler Anzeiger“ beteiligt. Ab Mitte der 1960er Jahre war er auch als Autor von Heimatbüchern und Landkreisbeschreibungen erfolgreich tätig.

Im Jahr 1975 legte er die 28 Gedichte umfassende Anthologie „Mit Feder, Spaten und Gewehr“ vor, in der er seine „Arbeit als Journalist, die Schrecken und Leiden des Krieges und die Tyrannei in der Diktatur“ (vgl. hinteres Vorsatzblatt des Bandes) literarisch verarbeitet. Sein autobiografischer Roman „Wege zwischen Dornen und Schlingen“, den er 1988 unter dem Pseudonym Peter Prosna im Verlag Kesselring in Emmendingen veröffentlichte, stellt sein umfangreichstes und letztes Werk dar.

Das Stigma des „schwarzen Winkels“ haftete ihm zeitlebens an: Im November 1945 meldete die die Stadt Waldkirch dem Landratsamt in Emmendingen die in Waldkirch wohnenden einstigen politischen Häftlinge. Darunter befand sich auch Paul Kowollik, dessen „politische Tätigkeit in der Zentrumspartei“ somit als Grund für seine Haft in Buchenwald anscheinend bestätigt wurde. Sein Entschädigungsantrag auf Anerkennung als Verfolgter des Nationalsozialismus vom 7. Juni 1950 wurde jedoch vom Wiedergutmachungsausschuss des Badischen Ministeriums der Finanzen in Freiburg am 14. Juni 1951 abgelehnt, da er als ‚ASR-Häftling‘ nicht entschädigungsberechtigt sei. Kowollik erhob daraufhin im Juli 1951 beim Amtsgericht von Freiburg Klage gegen das Finanzministerium, die er jedoch im November desselben Jahres zurückzog, da er sich aufgrund der NS-Vergangenheit vieler Richter nur wenig Chancen ausrechnete. Auch sein letzter Versuch, vom Stigma des ‚Asozialen‘ rehabilitiert zu werden, blieb erfolglos: Das Justizministerium in Stuttgart teilte ihm im Jahr 1968 mit, dass auch in den Fahndungsbüchern des ehemaligen Reichskriminalamtes keine ihn betreffenden Eintragungen gefunden werden konnten; seinen tatsächlichen Haftgrund konnte er folglich nie in Erfahrung bringen.

Dennoch glaubte er an eine baldige Rehabilitierung aller im KZ-Inhaftierten, doch wurde er in dieser Annahme bitter enttäuscht. Zwar erhielt er im Dezember 1948 den „Ehrenpass“ mit dem Aufdruck „Antifaschistischer Kämpfer“, der in Südbaden in der französischen Besatzungszone an politische Aktivisten ausgestellt wurde, doch die erhoffte Rehabilitation erlebte Kowollik zu Lebzeiten nicht; er starb nach kurzer Krankheit am 30. Dezember 1996 im Alter von 85 Jahren in Waldkirch. Die offizielle Anerkennung der von den Nationalsozialisten als ‚Asoziale‘ verfolgten KZ-Häftlinge erfolgte erst im Februar des Jahres 2020 durch den Deutschen Bundestag.

Quellen:

  • „Akte von Kowollik, Paul, geboren am 14.06.1911“, 1.1.5/6357475/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Antrag auf Druckgenehmigung, Analyse eines Schandflecks, 12. Dezember 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Antrag auf Druckgenehmigung, Analyse eines Schandflecks, 12. Dezember 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Antrag auf Erteilung der Veröffentlichungsberechtigung, Das war Konzentrationslager Buchenwald, 5. Juni 1946. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Antrag auf Erteilung der Veröffentlichungsberechtigung, Massenherrschaft und Menschenfurcht, 16. Juli 1948“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Brockhaus für Elztäler – 200. Ausgabe des ‚Waldkircher Heimatbriefs ist erschienen‘“, Badische Zeitung, 18.12.2004.
  • „BZ-Urgestein Wolfgang Meyer. 85 Jahre alt – Noch immer aktiv“, Badische Zeitung, 16.10.2013.
  • Deusche Nationalbibliothek: „Kowollik, Paul“. Online: https://d-nb.info/gnd/124550592 (Stand: 12.02.2023).
  • Fang, Chunguang: Das Täterbild in der Überlebenden-Literatur. Ein Vergleich der Täterbilder in der frühen und späten Lagerliteratur von Buchenwald und Dachau. Frankfurt a. M. 2017.
  • ITS, DocID: 86304818. ITS Digital Archive, Arolsen Archive. Online: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/86304818 (Stand: 12.02.2023).
  • Kirsten, Holm und Wulf Kirsten (Hrsg.): Stimmen aus Buchenwald. Ein Lesebuch. Göttingen 2002, S. 312.
  • Kowollik, Joachim: Ein das Schreiben gewohnter Reichsarbeitsscheuer. In: Nonnenmacher, Frank (Hrsg.): Die Nazis nannten sie „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Geschichten der Verfolgung vor und nach 1945. Frankfurt a.M. 2024. S. 325-341.
  • Kowollik, Joachim: E-Mail vom 19. Februar 2023 an Charlotte Kitzinger.
  • Kowollik, Joachim: Rede zur Buchveröffentlichung am 1. Dezember 2023 in Waldkirch.
  • Kowollik, Paul: Mit Feder, Spaten und Gewehr. Ettenheim 1975.
  • Siegel, Helmut/Kowollik, Joachim (2023). Verfolgt – verfemt – vergessen. Das Leben und Schicksal von Paul Kowollik. Waldrich 2023.


Werkgeschichte

Die Broschüre erschien 1947 in der Waldkircher Verlagsgesellschaft und war zu diesem Zeitpunkt bereits die dritte von Kowollik verfasste Abhandlung, die sich mit der NS-Zeit auseinandersetzte. In seinem Antrag auf Druckgenehmigung für die Broschüre „Analyse eines Schandflecks“ vom 12. Dezember 1946 gab der Autor an, es handle sich um eine „[k]ritische Betrachtung über das Los der aus den KZ-Lagern Entlassenen“, die „zur politischen Aufklärung der breiten Masse über die Behandlung der Staatsfeinde im Nazi-Reich“ sowie zur „Bekämpfung nazistischer Tendenzmeldungen“ (Licence d’Edition/Verlagsrecht, 12. Dezember 1946) beitragen solle.

Die Druckerlaubnis wurde ihm am 27. Januar 1947 – nur wenige Tage vor der Zulassung seines zweiten Werkes „Henker und Heilige. Eine Erzählung aus unseren Tagen“ (vgl. Werkgeschichte „Henker und Heilige“) – von der für die Papierzuteilung zuständigen Direction de l’Information in Baden-Baden erteilt, sodass die Broschüre wie beantragt in einer Auflage von 10.000 Exemplaren herausgegeben werden konnte. Zuvor hatte die Zensurabteilung der Direction de l'Information allerdings einen Satz auf Seite 14 gestrichen, wie aus einem Vermerk auf dem Antragsschreiben hervorgeht (Licence d’Edition/Verlagsrecht, 12. Dezember 1946).

Quellen:

  • „Licence d’Edition/Verlagsrecht, 12. Dezember 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • Kowollik, Joachim: „Literarische und juristische Aufarbeitung der Lagerhaft“. In: Siegel, Helmut/Kowollik, Joachim (Hrsg.): Verfolgt – verfemt – vergessen. Das Leben und Schicksal von Paul Kowollik. Waldkirch 2023, S. 101-136.


Die Annotation entstand in enger Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Joachim Kowollik, dem an dieser Stelle ausdrücklich Dank ausgesprochen sei für seine Unterstützung und Hilfe!



Bearbeitet von: Jennifer Ehrhardt und Hannah Heuper