Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror (1933)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror

Genre Sonstige

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1933, Basel
Titel Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror

Erscheinungsort Basel
Erscheinungsjahr 1933
Auflage 3. Aufl., 20. - 30. Tsd.

Verlegt von Universum-Bücherei

Umschlaggestaltung von Heartfield, John (1891-1968)

Umfang 382 Seiten
Abbildungen 61 Fotos, 33 Facsimilés (Dokumente, Zeitungsartikel), 5 Karten/Pläne, 1 Zeichnung

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Die von einem Autorenkollektiv zusammengestellte Dokumentation widmet sich in erster Linie der Darstellung des Terrors gegen politische Gegner und Juden in den ersten Monaten des NS-Regimes. Im ersten Teil geht das Buch zudem ausführlich auf den Reichstagsbrand ein. Die Verfasser stellen diesen als einen von den Nationalsozialisten inszenierten Akt dar, der der Herrschaftssicherung und der Rechtfertigung des Terrors der Folgezeit dienen soll. Ersonnen sei dies von Goebbels, Göring habe es durchgeführt und van der Lubbe sei nur das Werkzeug gewesen, so die Lesart. Minutiös widerlegen die Autoren die Schilderung des Tathergangs durch die Nationalsozialisten und legen ausführlich ihre eigene Version dar. Im weiteren, weitaus umfangreicheren Teil, wird anhand von Berichten und Dokumenten aus Deutschland der umfassende Terror vor allem gegen die Arbeiterbewegung, aber auch gegen Juden ebenso dargestellt wie die Vertreibung kritischer Stimmen aus Literatur und Kultur. Mit Hilfe von Berichten Geflohener wird der systematische Terror – die Verhaftungen und Verhöre, die Folter in Gefängnissen und Lagern – in zunächst allgemeiner und sprachlich drastischer Form geschildert. Während die Gepeinigten heroisierend als überaus standhaft erscheinen, wird von den Tätern ein Bild degenerierter Sadisten gezeichnet. Hierbei, wie auch im anschließenden Kapitel über die Judenverfolgung, betonen die Verfasser immer wieder die Authentizität des Berichteten: „Hier ist von Tatsachen die Rede: authentische Berichte und Zeugnisse über Folterungen, Misshandlungen, Entrechtung und Aushungerung der in Deutschland lebenden Juden werden die Grenze zwischen ‚Greuelnachrichten‘ und der schauerlichen Wirklichkeit genau aufzeigen“ (S. 222). Im Vordergrund steht dabei die Dokumentation der antijüdischen Gewalt und des Terrors, gleichwohl schildern die Herausgeber auch die zentral organisierten antijüdischen Maßnahmen wie den Boykott jüdischer Geschäfte und die antisemitischen Gesetze und Verordnungen.

Ein Schwerpunkt in der Darstellung der NS-Verbrechen liegt auf den Konzentrationslagern. Zum einen soll der einschneidende Charakter und das Ausmaß der Lager dokumentiert werden, indem die Unschuld der Häftlinge selbst nach NS-Maßstäben betont und eine Liste der Lager angeführt wird. Sodann schildern die Verfasser gestützt auf Berichte ehemaliger oder geflohener Häftlinge den grausamen Lageralltag: karge Essensrationen, Zwangsarbeit, Schikanen, die Ungewissheit über die Haftdauer, die Todesfälle und Erschießungen und anderes mehr. Dabei stützen sie sich beispielsweise auf den Bericht des aus Dachau geflohenen kommunistischen Funktionärs Hans Beimler.

Nach den Verbrechen innerhalb der Lager schildern die Verfasser die zahlreichen Morde außerhalb der Lager, in denen sie auch ein systematisches Vorgehen erkennen: „Der Mord geht durch Deutschland. Aus SA-Kasernen werden in geschlossenen Särgen verstümmelte Leichen abtransportiert. In düsteren Wäldern findet man Tote, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. [...] Der Mord geht durch Deutschland: heimtückisch, bestialisch, planmässig“ (S. 307). Ausführlich werden zahlreiche Mordfälle beschrieben, Fotos von Misshandelten abgedruckt und durch eine chronologische Liste der Mordfälle vom 3. März 1933 bis zum 29. Juli 1933 ergänzt. Den Abschluss des Buches stellen Stimmen aus dem Ausland, die gegen die Verbrechen in Deutschland protestieren, sowie eine Schilderung des Widerstands der deutschen Arbeiter im Lande dar.

Zwar bemühen sich die Verfasser um eine sachlich-nüchterne und zurückhaltende Darstellung, ihr politischer Standpunkt und der propagandistische Zweck der Publikation offenbaren sich jedoch immer wieder. Die Interpretation des Aufstiegs der NSDAP folgt der kommunistischen Lesart, wie sie die KPD oder die Kommunistische Internationale vertreten. Hitlers Partei sei vom Kapital zur Macht gebracht worden, wo die Faschisten, gleichsam als Marionetten, diesem dienen, indem sie beispielsweise die Arbeiterbewegung zerschlagen: „Durch den Faschismus wollen die herrschenden Klassen ihre Macht, die sie mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie nicht mehr aufrecht erhalten konnten, gewaltsam und diktatorisch behaupten“ (S. 130). Überdies finden sich starke Angriffe gegen die SPD sowie eine gleichzeitige Betonung des kommunistischen Widerstandswillens.

Werkgeschichte

Das Braunbuch erschien Anfang August 1933 im Verlag Éditions du Carrefour des kommunistischen Verlegers Willi Münzenberg und sollte die Nationalsozialisten mit ihren eigenen Methoden schlagen. Die Verfasser schreckten dabei auch nicht vor der Verwendung von unbewiesenen Behauptungen und von Fälschungen zurück. Seit Anfang Mai, als von einem organisierten politischen Exil noch keine Rede sein konnte, arbeiteten die Autoren an der Erstellung des Buches, das rechtzeitig vor Beginn des Reichstagsbrand-Prozesses gegen Marinus van der Lubbe und andere Angeklagte in Leipzig fertiggestellt sein sollte. Zu den Mitarbeitern gehörten neben den federführenden Alexander Abusch und Albert Norden Schriftsteller wie Arthur Koestler, Alfred Kantorowicz und Bruno Frei.

Das Braunbuch war ein großer publizistischer und propagandistischer Erfolg. Das Bemühen um einen sachlich-dokumentarischen Ton und der umfassende Charakter der Dokumentation der Verbrechen in der Anfangsphase des NS-Regimes wurden gelobt. „The Economist“ besprach das Buch am 2. September 1933 an prominenter Stelle und lobte die Dokumentation als „a terrible and damning indictment of the aims, methods and spirit of the Nazi movement“ (Krohn, S. 22) und, trotz stellenweiser marxistischer Einfärbung, als wichtigen aufklärerischen Beitrag über die von Deutschland ausgehende Bedrohung. Die NS-Führung zeigte sich überrascht und hilflos angesichts des durchschlagenden Erfolgs des Braunbuchs, zumal zugleich ihre eigene Version von einer kommunistischen Verschwörung keinen Glauben fand. Ein von ihnen Anfang 1934 herausgegebenes Anti-Braunbuch fand, nicht zuletzt wegen schlechter Machart und kruder Argumentation, keinen Widerhall.

Die Schriftstellerin Thea Sternheim las das Braunbuch unmittelbar nach Erscheinen und zeigte sich von dessen Inhalt erschüttert. In ihrem Tagebuch schreibt sie am 21. August 1933: „Schauderhaft! Schauderhaft! Ich lese ununterbrochen, fieberhaft, ausser mir vor Scham, diesem Untermenschenvolk anzugehören und Gott um Gerechtigkeit anflehend. Daneben kann ich nichts anderes bedenken“ (Sternheim, Bd. 2, S. 526).

In Tarnschriften konnten aus dem Exil Teile des Braunbuchs oder der gesamte Text in das Deutsche Reich geschmuggelt und dort verbreitet werden. Die deutsche Ausgabe des Braunbuchs wurde 1933 in Basel und in Moskau in mehreren Auflagen gedruckt und auch in den folgenden Jahren immer wieder neu aufgelegt. Auch nach dem Krieg erschienen in der Bundesrepublik und in der DDR zahlreiche Nachdrucke. Überdies wurde das Braunbuch noch 1933 beziehungsweise im darauffolgenden Jahr in zahlreiche Sprachen übersetzt, unter anderem ins Niederländische, Flämische, Englische, Tschechische, Französische, Spanische, Schwedische, Jiddische, Japanische und Hebräische.

Quellen/Literatur:

  • Krohn, Claus-Dieter: „Propaganda als Widerstand? Die Braunbuch-Kampagne zum Reichstagsbrand 1933.“ In: Exilforschung. Exil und Widerstand (1997), Nr. 15, S. 10-32.
  • Sternheim, Thea: Tagebücher 1903-1971. (Band 2: 1925-1936). Hg. von Thomas Ehrsam und Regula Wyss. Göttingen 2002.



Bearbeitet von: Markus Roth