Deutsche Frauenschicksale (1937)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Deutsche Frauenschicksale. Stimmen und Dokumente
Autor Union für Recht und Freiheit
Genre Dokumentensammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1937, London
Titel Deutsche Frauenschicksale. Stimmen und Dokumente

Erscheinungsort London
Erscheinungsjahr 1937
Auflage 1.- 2. Tausend

Auflagenhöhe Erstauflage 1

Verlegt von Malik Verlag
Gedruckt von Heinr. Mercy Sohn
Publiziert von Union für Recht und Freiheit

Umfang 256 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Die Dokumentensammlung vereint in drei Abschnitten verschiedene Beiträge unterschiedlicher Autoren zu den Aspekten „Leid und Kampf der Frauen“, „Frauen hinter Gittern“ und „Frauen in der ‚Freiheit‘“. Einige Beiträge sind namentlich gekennzeichnet, wie etwa die Aufsätze von Heinrich und Thomas Mann, Helena Malířová, Hanna Schmitt, Marie Pujmanová, Stefan Heym, Klaus Hinrichs, Dr. Hromádka und Erich Weinert. Andere Texte bleiben dagegen anonym.

In einem Geleitwort von Professor Dr. J. L .Hromáka betont dieser, die Textsammlung sei ein Appell zur Arbeit gegen „jede Form der Brutalität, der Ungerechtigkeit und der Schändung der Menschenwürde“ (S. 7).

Der erste Block enthält Texte, die allgemein das Leid und den Kampf der Frau im Nationalsozialismus thematisieren. So schreibt etwa Heinrich Mann in „Mit Euch ist die Frau“ (S. 11), dass das ‚Dritte Reich’ die natürliche Teilnahme des Mannes am Leiden der Frau außer Kraft gesetzt habe: „Wo die erworbene und Natur gewordenen Gesittung noch spricht, erträgt er den Anblick ihres Unglücks, ihrer Schmerzen schwerer als die Qualen seines eigenen Geschlechts“ (S. 11). In der nationalsozialistischen Weltanschauung jedoch finde der weibliche Organismus keine Beachtung: „Frauen tun Dienst für den Staat, der nicht fragt, welche Zustände ihr Körper gerade durchläuft“ (ebd.).

Helena Malířová thematisiert in ihrem Beitrag  „Weiss die Welt von Ihnen?“ (S. 15) das Leid der Mütter, die etwa aus Sorge um ihre von der Gestapo verschleppten Kinder wahnsinnig werden oder auf den Fliesen eines Gefängniskellers gebären müssen.

Hanna Schmitt beklagt die „Entrechtung der Frauen“ (S. 17) und die Zerschlagung der Errungenschaften der Frauenrechte durch den Nationalsozialismus. So habe dieser nicht nur das Recht der Frauen zur parlamentarischen Arbeit beschnitten, sondern die Frauen auch wieder aus den Universitäten und aus der Berufstätigkeit verdrängt. Besonders prekär sei die Situation für Mütter mit unehelichen Kindern oder in den sogenannten ‚Mischehen‘. Insgesamt sei „das Los der Hausfrauen und der Mütter um nichts besser als das der berufstätigen Frauen. Daheim oder im Beruf sollen sie immer dem Manne untertan sein“ (S. 25).

Marie Pujmanová geht unter anderem auf das Schicksal der als Sippenhäftling verhafteten Centa Beimler ein, die auch dann noch im Konzentrationslager Moringen gefangen gehalten wird, als ihr Mann Hans im Dezember 1936 schon längst an der spanischen Front gefallen ist.

Der Leidensweg von Centa Beimler ist Bestandteil gleich mehrere Beiträge. Auch im zweiten Teil der Textsammlung „Frauen hinter Gittern“ (S. 30) wird berichtet, wie Centa Beimler am 20. April 1933 zusammen mit ihrer Schwester Marie Dengler verhaftet wird und über drei Jahre in Schutzhaft verbleiben muss. Abgedruckt wird auch ein Brief Centa Beimlers aus Stadelheim vom 6. November 1934 an ihren Sohn Hansi. Sie hat ihn zu diesem Zeitpunkt über ein Jahr nicht gesehen und versucht brieflich an seinem Leben teilzuhaben und eine Verbindung zu ihm aufrecht zu halten.

Der Bericht über Centa Beimler ist ebenso Bestandteil des Beitrags von Thomas Mann mit dem Titel „Fort mit den Konzentrationslagern“ (S. 31). In diesem gibt er viele persönliche Berichte von Frauen aus Konzentrationslagern, Gefängnissen, Zuchthäusern und Verhörsituationen wieder, wenn diese, so schreibt er, „ein Bild dieser Stätten des Elends und des Grauens nur annähernd vermitteln können“ (S. 32). Die wiedergegebenen Zeugenberichte decken die gesamte Bandbreite an Folter, Misshandlung, Demütigung und Tötung ab. In einem Augenzeugenbericht einer polnischen Jüdin heißt es: „Wer nie mit einer Mutter sprach, die Woche um Woche in wahnsinniger Angst um ihr ‚verschollenes‘ Kind bangte, das die Gestapo verschleppte, kennt nicht das heutige Deutschland! Wer nie ein junges Mädel kannte, gesund, kräftig, lebensfroh, und es wiedersah, als es gebrochen, den Leib von SA.-Stiefeln zerstampft, oder geschändet, nach wochenlangen Torturen von der Gestapo zurückkehrte, der weiß nicht, wie tief die Frauenwürde durch den Nationalsozialismus erniedrigt wird. Wer nie davon gehört hat, daß hochschwangere Frauen mit Peitschen geschlagen wurden, daß junge Mütter ihre Kleinen auf den kalten Fliesen einer Dunkelzelle gebären mußten, dem fehlt jede Vorstellung von dem ganzen Ausmaß der entsetzlichen Leiden, die der Hitlerfaschismus über zahlreiche Frauen gebracht hat“ (S. 45).

Mann zeigt auch die nichtigen Gründe auf, für die Frauen in Konzentrationslager gebracht werden, wie etwa haltlose Denunziationen und von Rache getriebene Beschuldigungen. Er reiht Berichte von Frauen aus verschiedenen Lagern und Gefängnissen aneinander, die von den unerträglichen hygienischen Bedingungen in den KZ, der schlechten Ernährung, der harten Arbeit, den Strafen, von den Ruhrepidemien und der Grausamkeit der weiblichen Aufseherinnen sowie der Willkür der Haftlänge und Entlassungen zeugen. Besonders wird auch die Situation der Schwangeren und Mütter in den KZ thematisiert ebenso wie das Thema der Geiselhaft, der „größten Kulturschande, die die Menschheit kennt“ (S. 139). Die Berichte handeln aber auch von der Solidarität unter den politischen Gefangenen. Mann benennt Beispiele wie Centa Beimler oder Elsa Steinfurth. Letztere heiratete ihren Mann Erich Steinfurth, einen bekannten Arbeiterfunktionär, erst nach dessen Verhaftung im Zuchthaus Sonnenburg. Auch das Schicksal der wegen ihrer religiösen Überzeugung verfolgten Frauen finden in großer Zahl namentlich Erwähnung.

Darüber hinaus ist ein anonymer Aufruf gefangener Frauen vom September 1936 in der Sammlung enthalten, in dem diese sich an die Frauen und Mütter in der Welt richten: „An alle seien sie gerichtet, die Erbarmen mit wehrlosen, schuldlos eingekerkerten Müttern haben“ (S. 189). Die inhaftierten Frauen erinnern die Leserinnen daran, dass auch sie die Nächsten sein können: „Mütter der Welt! Denkt daran, daß eine jede von Euch, so der Faschismus über Eure Heimat regiert, dasselbe Schicksal treffen kann“ (S. 192). Um dieses zu verhindern, sollen sie sich vereinigen für die Rettung des Friedens, die Sicherung der Freiheit und den Kampf für die Freilassung der politischen Gefangenen.

Der zweite Teil wird abgeschlossen durch ein Gedicht von Stefan Heym mit dem Titel „Unser aller Mutter“ (S. 193) sowie eine unvollständige Statistik der 1935 und 1936 in Deutschland verurteilten Frauen. Sie enthält 290 Namen und listet viele Frauenstrafanstalten und Frauenkonzentrationslager auf. Das Gedicht von Heym erzählt von der Verhaftung des Muttchen Ohms, die zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wird, weil sie dreißig Pfenning für die im KZ Inhaftierten spendete.

Der dritte Teil der Dokumentensammlung „Frauen in der Freiheit“ (S. 213) widmet sich dem Schicksal der Frauen im Nationalsozialismus außerhalb der Lager, Gefängnisse und Gettos. Denn sowohl aus Hitlers „Mein Kampf“ als auch aus anderen nationalsozialistischen Schriften werde deutlich, „daß die Frau im sozialen Leben keine selbständige Rolle zu spielen habe, und daß sie nichts anderes sein dürfe als die ‚Dienerin des Mannes‘“ (S. 213). Die ‚Ehre’ der Frau sei im Nationalsozialismus ihre ausschließliche Betätigung als Hausfrau und Mutter. Besonders deutlich zeige sich die Entrechtung der Frau auf dem Gebiet der Politik und dem ‚Freiwilligen Arbeitsdienst‘, der Mädchen und Frauen zwinge, für einen geringen Lohn schwere Arbeit in der Landwirtschaft und in den Fabriken, vor allem der Rüstungsindustrie, zu verrichten. Dieselben Arbeiterfrauen, die Hitler zur ‚Beseitigung der Erwerbslosigkeit‘ aus „dem Produktionsprozeß hinausgeworfen hat, [sollen] die ganze Waffen- und Munitionsmaschinerie in Gang halten“ (S. 219).

Auch mit dem Leben der deutschen Hausfrau beschäftigt sich der Text. Die immer weiter steigenden Lebensmittelpreise, die Nahrungsmittelknappheit und die dadurch wachsende Verelendung und der Anstieg der Kindersterblichkeit bedeute für die Frauen ein Elend. Mutter zu werden sei unter diesen Umständen ein Unglück. Zumal auch unüberbrückbare Gräben zwischen andersdenkenden Eltern und ihren von nationalsozialistischen Jugendorganisationen beeinflussten Kindern aufgerissen würden.

Neben einigen Augenzeugenberichten enthält der dritte Teil auch eine Reihe von Schicksalen süddeutscher Frauen und Mütter, die ihre persönlichen „Tragödien in vier Zeilen“ (S. 236) darlegen. Viele ähneln denen von „Elisabeth“ (S. 237), die schildert: „Mein Mann ist seit März 1933 im Konzentrationslager Dachau gefangen. Der Sohn ging im August 1933 in die Emigration. Ich bin arbeitsunfähig. Erhalte monatlich dreißig Mark Wohlfahrtsunterstützung“ (ebd.).

In einem Beitrag des Schriftstellers Klaus Hinrichs, der selbst im KZ Esterwegen inhaftiert war, widmet dieser sich den Leiden der „Frauen vor dem Stacheldraht“ (S. 249). Geschildert werden ihre mühsamen Reisen zu den KZ, in denen ihre Männer oder Söhne inhaftiert sind, in der Hoffnung, diese sehen und ihnen Pakete übergeben zu können. Oft genug werden sie jedoch enttäuscht und gedemütigt, ein Besuch wird ihnen verweigert und sie werden unter Drohungen verjagt.

Den Band schließt ein Gedicht von Erich Weinert ab. In „Eine deutsche Mutter“ (S. 255) sucht eine Mutter nach der Verhaftung des einzigen Sohns alle umliegenden Polizeireviere auf, um etwas über das Schicksal ihres Kindes zu erfahren. Schließlich teilt man ihr beiläufig mit: „Er ist gestorben“ (S. 256). Die letzte Strophe ist ein Aufruf zum Widerstand der Mütter: „Vor tausend Türen tausend Mütter sterben. / Doch einmal wird ein wilder Wind aufstehn, / Die kalte Asche ihres Grams verwehn / Und wird die bleichen Mutterwangen färben. / Und tausend Mütter stehen auf im Land, / Der toten Söhne Fahne in der Hand!“ (ebd.)

Werkgeschichte

In der literarischen Monatsschrift „Das Wort“ (Jourgaz-Verlag Moskau) vom August 1937, S. 95-98, schreibt Alex Wedding in einer ausführlichen Besprechung des Werks, das Buch sei „eine wahrhaft aufwühlende Veröffentlichung“ (S. 96). Es sei „eine umfassende Sammlung von Stimmen, Dokumenten und Daten über das Leben der Frauen in Hitlerdeutschland, mit Beiträgen von Heinrich und Thomas Mann, dem Theologieprofessor der in Prag gelegenen tschechischen Universität Dr. Hromádka, den Schriftstellerinnen Helena Malířova und Marie Pujmanová, Persönlichkeiten also, die der Öffentlichkeit als Vorkämpfer für Recht, Freiheit, Menschlichkeit und demokratische Kultur bekannt sind und deren Namen eine Gewähr für Wahrheit und Gerechtigkeitsliebe sind“ (S. 96). Er beschreibt die Aufteilung und den Inhalt des Werks ausführlich und stellt fest, dass in den Dokumenten besonders „die seelische und moralische Größe der eingekerkerten ‚Politischen‘ illustriert“ (S. 97) werde. Die Schilderungen, so endet die Kritik, „erwecken dennoch im Leser eine beinahe tröstliche Gewissheit; die nämlich: daß der von Monat zu Monat erbitterter werdende Kampf der Faschisten gegen die Frauen eine umgekehrte Wirkung haben wird, als sie beabsichtigen: die Gewißheit, daß die deutschen Frauen für ihre Rechte als Mütter und als Frauen, wie auch als Angehörige einer durch den Faschismus gefährdeten Menschheit denken und klug und mutig handeln lernen!“ (S. 98)

Quelle:

  • Wedding, Alex: Deutsche Frauenschicksale. In: „Das Wort“. Moskau: Jourgaz-Verlag Moskau, August 1937, S. 95-98.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger