Die Ausrottung der Juden im besetzten Holland (1944)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Ausrottung der Juden im besetzten Holland
Autor Harari, Jacob
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1944, Tel Aviv
Titel Die Ausrottung der Juden im besetzten Holland
Untertitel Ein Tatsachenbericht von Jacob Harari

Erscheinungsort Tel Aviv
Erscheinungsjahr 1944

Verlegt von Irgun Olej Merkaz Europa
Gedruckt von Achva Printing Press
Publiziert von Harari, Jacob

Umfang 100 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Bericht widmet sich der Lage der Juden in den von den Nationalsozialisten besetzten niederländischen Gebieten. In den Vorbemerkungen zum Text schränkt Harari jedoch ein, dass der Tatsachenbericht ein Versuch genannt werden müsse, „weil dieser Darstellung die dokumentarischen Unterlagen fehlen“ (S. 3). Irrtümer ließen sich infolge dieses Mangels nicht vermeiden, auch wichtige Dokumente hätten nur dem Sinn nach wiedergegeben werden können. Dargestellt werden solle, „mit welchem ausgeklügelten System und raffinierten Methoden zunächst die Ausgliederung der Juden aus Wirtschafts- und Geisteswelt durchgeführt“ (ebd.) werden, wie die Juden aus ihren Wohnungen und Wohnorten vertrieben und in die Lager nach Holland und Deutschland gebracht werden.

Harari beginnt seine deskriptiven und faktenorientierten Ausführungen mit einer Darstellung der Geschichte der Juden in den Niederlanden von 1593 bis zur Machtübernahme Hitlers in Deutschland. Ab diesem Zeitpunkt wächst zunächst der Strom der Einwanderer nach Holland an, hört jedoch bereits Mitte 1934 fast völlig wieder auf, um 1938 mit den Novemberpogrom und der Eingliederung des Sudetengebiets und Österreichs wieder anzusteigen. Der Einfall der Deutschen in der Nacht vom 9. zum 10. Mai 1940 habe dann eine Fluchtwelle von Juden aus den Niederlanden heraus in Gang gesetzt. Im Jahre 1941 seien nur noch 22.500 nicht-holländische Juden in den Niederlanden ansässig gewesen. Detailliert beschreibt Harari die sich stetig verschärfenden Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung, die zahlreichen Verordnungen, die das Leben der Juden zunächst nur erschweren und schließlich in der Verfolgung und Einweisung in Konzentrationslager gipfeln. Dabei spart er jedoch persönliche Details und Schilderungen seiner eigenen Erlebnisse vollständig aus. Er thematisiert allgemein die Einschränkung der Berufsausübung für Juden und das Verbot des Besuchs von Hotels, Restaurants, Friseurläden, des Markts etc., sowie das Untersagen der Benutzung aller privaten Fahrzeuge, auch der Fahrräder. Er beschreibt den Einfluss der von Anton Mussert geleiteten nationalsozialistischen Bewegung in Holland, die aber zum höchsten Stand lediglich eine Anhängerzahl von 5 Prozent der Bevölkerung erreicht habe. Besonders widmet er sich auch dem von den Deutschen Anfang 1941 initiierten Judenrat, dem ‚Joodschen Rat von Amsterdam‘. Seine Aufgabe ist es, die Anordnungen und Maßnahmen der Deutschen zu verkünden und für deren Umsetzung zu sorgen. Viele Persönlichkeiten aus dem Wirtschafts- und Geistesleben seien hierfür verpflichtet worden. Auch für die Anträge zur Auswanderung der Juden etwa in die USA ist der Judenrat zuständig. Hier sei es immer wieder zu Vorwürfen gekommen, die Anträge würden nicht rechtzeitig und ordnungsgemäß bearbeitet: „Diese Umstände führten dazu, dass das Komitee und später der Judenrat wie ein rotes Tuch auf die Lagerinsassen wirken musste“ (S. 25f.). Auch bei der Deportation der jüdischen Bevölkerung nach Westerbork im Juni 1942 ist der Judenrat maßgeblich unter Androhung von Todesstrafe damit beauftragt, die Listen der zu Deportierenden zusammenzustellen. Zurückgestellt werden können Menschen, die in für die Deutschen wichtigen Betrieben arbeiten sowie Familienangehörige des Judenrats. Harari resümiert: „Dem Judenrat blieb nichts anderes übrig, als die notwendigen Massnahmen für die Durchführung dieser Anordnung zu ergreifen“ (S. 47).

Besonders widmet sich Harari dem Konzentrationslager Westerbork. Er beschreibt den Auf- und Ausbau des Lagers durch die jüdischen Häftlinge bis Juli 1942. Am 26. Juli beginnt dann eine zweitägige Razzia in den Straßen und Wohnungen Amsterdams. Die Juden werden in die Zentralsammelstelle – die Turnhalle einer Schule – gebracht und treten von dort die Reise nach Westerbork an. Von nun an erfolgen zweimal wöchentlich Abtransporte. Später dient die ehemalige holländische Schauburg als zentrale Sammelstelle. Detailliert führt Harari die vielfältigen Rückstellungsregelungen – etwa für getaufte Juden, den jüdischen Teil einer Mischehe, schwangere Frauen und andere – und die damit verbundenen komplexen Regelungen und Änderungen an.

Harari beschreibt den Aufbau und die Struktur des Lagers sowie die Tätigkeiten, die die Häftlinge im Lager Westerbork verrichten müssen. Das Lager wird zunächst von Mannschaften der SS von außen bewacht. Im Lager sind in der Hauptsache Mannschaften der holländischen Landgendarmerie (Marechaussé) eingesetzt. Später übernehmen diese die komplette Bewachung: „Alle übrigen Verwaltungskräfte wurden aus den Reihen der Kampinsassen genommen“ (S. 53). Der Kommandant habe sich später einmal gerühmt, so führt Harari aus, dass es ihm gelungen sei, „mit vier SS-Leuten ein Lager von 15,000 Köpfen zu verwalten, und die deutsche Leitung in Belgien hatte einmal ausgeführt, dass die schnelle Entjudung Hollands nur durch die Arbeit der Juden selbst möglich gewesen war“ (ebd.).

Das von den Deutschen erbaute Lager Vught wird ebenfalls thematisiert: „Von diesem Lager hiess es, dass es als ein Sonderlager anzusehen sei mit besonders bevorzugter Behandlung […]. Die Unterbringung im Lager sei besser als in Westerbork, es seien nagelneue steinerne Baracken vorhanden, die hygienischen Einrichtungen, insbesondere Waschräume, seien hervorragend“ (S. 94). Allerdings, so stellt Harari fest, sei bei den Häftlingen, die sich zunächst nahezu gedrängt hätten, nach Vught zu kommen, bald Ernüchterung eingetreten. Es sei ein typisches Konzentrationslager, auch wenn die Mitteilungen über Unterbringung und Hygiene der Wahrheit entsprochen hätten.

Werkgeschichte

Der „Aufbau“ stellt das Werk am 16. März 1945 in wenigen Zeilen vor: „Nach einem historischen Ueberblick über die Lage der Juden in den Niederlanden seit 1593 werden die Massnahmen und die Behandlung, denen sie unter der deutschen Besatzung preisgegeben waren, mit schmerzhafter Deutlichkeit geschildert“.

Quelle:

  • o.A., o.T.: In: Aufbau vom 16.03.1945, S. 15.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger