Die braune Apokalypse (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die braune Apokalypse
Autor Finkelmeier, Conrad (1889-?)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1947, Weimar
Titel Die brauen Apokalypse
Untertitel Erlebnisbericht eines ehemaligen Redakteurs der Arbeiterpresse aus der Zeit der Nazityrannei

Erscheinungsort Weimar
Erscheinungsjahr 1947

Verlegt von Thüringer Volksverlag
Gedruckt von Thüringer Verlagsanstalt und Druckerei GmbH
Publiziert von Finkelmeier, Conrad (1889-?)

Umfang 152 Seiten

Lizenz Nr. 220 der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Zusammenfassung

In seinem Erinnerungsbericht widmet sich Conrad Finkelmeier seiner 10-monatigen Gefängnishaft in Jena und Weimar ab Juli 1936 sowie der folgenden Haftzeit in den Konzentrationslagern Buchenwald und Ravensbrück als politischer Häftling von 1941 bis zu seiner Entlassung am 21. April 1945. Seinen Bericht ordnet er chronologisch und unterteilt ihn in verschiedene zeitliche Abschnitte, beginnend kurz vor der Machtergreifung Hitlers 1933. Als Funktionär einer marxistischen Partei und Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung fürchtet er von Anfang an die Verfolgung. Schon früh vermutet er, dass Hitler den Weg in den Krieg wählen wird. Immer wieder betont er die Opferbereitschaft für die sozialistische Sache und auch den Mut seiner Frau, die trotz des Risikos bei ihm bleiben will. Finkelmeier nimmt zu politischen Entwicklungen und Geschehnissen Stellung und legt seine eigenen Überzeugungen und Überlegungen dazu dar, etwa zum Kapitalismus oder zur Schuld Deutschlands am Ausgang des Ersten Weltkriegs.

Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 wird er als Redaktionsleiter entlassen und ist fünf Jahre lang arbeitslos. Ehemalige Parteigenossen grüßen ihn nicht mehr, nur bei wenigen finden er und seine Frau Hilfe und Unterstützung. In dieser Zeit wird auch der Sohn Gunthart geboren und wird zum Glücks- und Haltepunkt der Familie. Durch Kontakte zu dem Widerstandskämpfer Schreck fürchtet Finkelmeier nach dessen Verhaftung im Winter 1935, dass ihm dasselbe droht. Diese erfolgt jedoch erst etwa elf Monate später, Mitte Juli 1936. Er wird aufgrund einer Denunziation der Schauspielerin Erna Wuttke, die er früher unterstützt und gefördert hatte, zuerst in das Polizeigefängnis, dann in das Amtsgerichtsgefängnis nach Jena und schließlich in das Gerichtsgefängnis nach Weimar gebracht. Er hatte Wuttke gegenüber seine „Gegnerschaft gegen den braunen Terror zum Ausdruck gebracht“ (S. 38). Nach zehn Monaten Untersuchungshaft wird er zu einem halben Jahr Gefängnisstrafe verurteilt, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt gilt. Der Haftbefehl wird aufgehoben.

Weiterhin erwerbslos arbeiten er und seine Frau an ihren literarischen Werken, die jedoch nur selten veröffentlicht werden. Im Herbst 1937 beschließen sie, Jena zu verlassen und in die Nähe der schweizerisch-französischen Grenze zu ziehen, mit dem Ziel Deutschland bald zu verlassen. Auch in Staufen, wo sie sich niederlassen, sind sie als Staatsfeinde nicht willkommen und Finkelmeier findet keine Arbeit. Von ihrem letzten Geld kauft das Ehepaar Malutensilien. Die Bilder der Ehefrau Finkelmeiers verkaufen sich schon bald so gut, dass die kleine Familie davon leben kann, da ab April 1938 auch keine Erwerblosenunterstützng mehr gezahlt wird.

Nach Kriegsausbruch 1939 wird Finkelmeier erneut denunziert - wieder von einer Frau. In einem Gespräch mit ihr hatte er Hitler als Kriegstreiber bezeichnet. Er wird jedoch nicht verhaftet, nur verhört und das Ehepaar beschließt nach Innsbruck zu gehen: „In Oesterreich half man uns ohne Formulare und ohne polizeiliche Schikane. […] Und die guten, liebenswerten Oesterreicher haben uns wirklich fast ein ganzes Jahr lang als Gast behandelt“ (S. 51).

Im September 1940 plant Finkelmeier, nach Deutschland zu reisen und zu sehen, ob in der Wohnung alles in Ordnung ist. Trotz düsterer Vorahnungen seiner Frau und des Kindes fährt er los und wird in Singen am Hohentwiel verhaftet. Wie er nun erfährt, wird er in Deutschland seit 1939 steckbrieflich gesucht. Er wird in das Gefängnis in Radolfzell gebracht und nach drei Monaten kurz vor Weihnachten in das Konstanzer Gefängnis verlegt. Nach weiteren drei Wochen wird er nach Freiburg überstellt und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Kurzzeitig wird auch seine Frau verhaftet, aber nach 14 Tagen wieder entlassen. Acht Tage vor seinem eigentlichen Entlassungstermin am 3. Oktober 1941 erhält er die Nachricht, dass er in das KZ Buchenwald überstellt werden soll. Trotz der Tatsache, dass er an seine Entlassung nicht wirklich geglaubt hatte, ist die Nachricht ein schwerer Schlag: „Ich selbst hatte niemals an meine Freilassung geglaubt. Dennoch klammert sich die menschliche Psyche, wenn der Mensch vor einem grausamen Schicksal steht, an die sagenhaften Wunderkräfte einer überirdischen Schicksalslenkung“ (S. 58). Seine Erwartungen, die Haft zu überleben, sind gering: „Ich wußte, was Konzentrationslager bedeutete [...], wußte, daß der Verbrauch an Menschen die Belegziffern heute schon überschritten hatte, daß nur wenige Menschen die furchtbaren Mißhandlungen und die grausamen Quälereien überdauerten, daß der größte Prozentsatz der Gefangenen an Erschöpfung und an Hunger zugrunde gegangen war …“ (ebd.).

Am 10. Oktober 1941 trifft der Transport in Buchenwald ein. Ausführlich widmet sich Finkelmeier nun der Aufnahme ins Lager und seinen ersten Eindrücken. Er beschreibt die Aufnahme in den Block 36 für politische Häftlinge. Langsam wird er mit den Einrichtungen und Regeln des Lagers vertraut. In weiten Teilen dialogisch vermittelt er auch dem Leser sein Reinwachsen in die Lagerstruktur. Zunächst wird er in einer Strafkompanie im Steinbruch eingesetzt; seinen ersten Arbeitstag, an dem bereits um elf Uhr morgens die ersten Toten zu verzeichnen sind, stellt er ausführlich dar. Nach etwa drei Wochen wird er in das Kommando der ‚Kriegsverbrecher‘ überstellt, in dem die politischen Häftlinge den ‚Berufsverbrechern‘ gegenüber in der Minderzahl sind. Der Rivalität und dem Kampf zwischen den sogenannten Roten – den politischen Häftlingen – und den ‚Grünen‘, den Berufsverbrechern widmet sich Finkelmeier ebenfalls detailliert. Letztere sind für ihn „haltlose, unmoralische, asoziale Menschen, in denen das männliche Urelement des hemmungslosen Triebes ins Grenzenlose und Dämonenhafte angewachsen war“ (S. 85). Während sie immer genug zu essen haben, wohlgenährt und gepflegt aussehen, hungern die politischen Häftlinge und laufen zerlumpt herum. Auch die Vorarbeiter und Kapos tragen häufig grüne Winkel und machen gemeinsame Sache mit der SS im Lager. An einigen Beispielen schildert er den Kampf zwischen den beiden Häftlingskategorien.

In einzelnen Kapiteln stellt Finkelmeier die verschiedenen Straf- und Foltereinrichtungen des Lagers vor, so etwa das Strafstehen, bei dem die Häftlinge stundenlang jeder Witterung ausgesetzt auf dem Appellplatz stehen müssen, die medizinischen Versuche, die an den Häftlingen durchgeführt werden, den ‚Bock‘, auf dem die Häftlinge festgebunden und ausgepeitscht werden, oder das ‚Hängen‘, bei dem die Gefolterten mit auf dem Rücken über Kreuz gelegten Händen gefesselt an einem Strick in die Höhe gezogen werden. Auch Finkelmeier muss diese letztere Strafe über sich ergehen lassen.

Am 12. März 1942 wird der Autor in das KZ Ravensbrück, „eine Stätte des Grauens und des Todes“, (S. 103) überstellt. Auch hier schildert er die Opposition von ‚Rot‘ und ‚Grün‘. In Ravensbrück herrschen die ‚Grünen‘ stellt Finkelmeier fest: „Die wenigen Politischen, die wir vorfanden, waren bedeutungslos und ebenfalls den Verbrechern schutzlos ausgeliefert“ (S. 102). Die furchtbare Schuld der Grünen gelte es noch zu sühnen. Die kärgliche Ernährung und die hohe Arbeitsbelastung lassen den Autor gefährlich abmagern. Seine Rettung ist, dass er im Mai 1942 zum Lagerschreiber ernannt wird. Seine Aufgabe ist es, eine doppelte Kartothek der Zugänge aus Buchenwald anzulegen. So kann er politischen Freunden Hilfe gewähren. Gleichzeitig versucht er Material zu sammeln, um den seine Macht missbrauchenden Lagerältesten Leonhardt zu stürzen. Er sucht Beweise dafür, dass dieser zusammen mit einer Gruppe in der Küche Lebensmittel stiehlt. Schließlich wird Leonhardt eines Tages erhängt aufgefunden: „Mit dem Tode Leonhardts war die Verbrecherclique auseinandergesprengt“ (S. 109).

Im Sommer 1942 erhält der Autor Besuch von seiner Frau: „Als ich in der Schreibstube der politischen Abteilung stand, meine Frau im Arm, ihr liebes Gesicht an meiner Brust, da war ich nicht mehr im Konzentrationslager Ravensbrück, sondern auf einer glücklichen einsamen Insel, ohne Leid und Kampf, die nur uns gehörte“ (S. 119). Ende 1944 kommt seine Frau ein zweites Mal zu Besuch und bringt den kleinen Sohn mit. Dieser wirkt eingeschüchtert und hat sich dem Vater entfremdet.

In jeweils eigenen Abschnitten beschreibt Finkelmeier das Frauenlager, die russischen Häftlinge im Lager sowie die ‚Zigeuner‘, die im Frühjahr 1944 aus Auschwitz kommen und von Massenverbrennungen und gräßlichen Quälereien berichten. Am 1. Dezember 1942 wird die Schreibstube aufgelöst. Finkelmeier wird als Schreiber in die Werkstätten versetzt, wo er nur wenig arbeiten muss und jede Gelegenheit nutzt, im Radio der Werkstatt Nachrichten aus London und Moskau zu hören. Diese gibt er dann an seine politischen Freunde weiter. Ein Angebot, zum Lagerältesten ernannt zu werden, lehnt er ab, weil er auf dem Posten als Revierschreiber, den er ab Neujahr 1944 inne hat, mehr für die Häftlinge tun könne. Der stattdessen im Winter 1943/44 ernannte Lagerälteste Heinrich Heidt, der als ‚Berufsverbrecher‘ kategorisiert ist, ist ein „ausgesprochener Feind der ‚Roten‘“ (S. 134), nutzt seine Privilegien stark aus und „war der Oberspitzel des Lagers“ (S. 133).

Das letzte Kapitel bietet einen Ausblick auf den neuen Lebensabschnitt, der für das deutsche Volk nach Kriegsende begonnen habe, wie Finkelmeier angibt. Die Überlebenden wollen „lehren, daß Moral und Ethik noch immer hohe Begriffe sind, daß Humanität ein hohes Losungswort der Gegenwart und Zukunft sein und jedes Verbrechen dagegen streng gesühnt werden muß“ (S. 150). Sie wollen „endlich den Gedanken eines sozialistischen Staatengefüges […] denken“ (ebd.).

Im Vorwort, das der Autor im November 1945 in Jena schreibt, thematisiert Finkelmeier mit viel Pathos und teilweise apokalyptisch anmutenden Sprachbildern die Schrecken der Konzentrationslager, insbesondere des Lagers Buchenwald: „Und sie [die Toten, sic!] strecken ihre Knochenhände nach uns aus und hindern uns am Gleichmut unserer Tage. […] Aus ihren schwarzen Augenhöhlen bricht es wie die Scheinwerfer ihrer einst lebendigen Geister und bohrt sich in unsere Sinne, grell beleuchtend, was sie kämpften, litten und opfern mußten“ (S. 13). Finkelmeier verbürgt sich für die Wahrhaftigkeit des Geschilderten und klagt die Deutschen an, mehrheitlich nicht wenigstens passiven Widerstand geleistet zu haben: „Denn alle Deutschen haben um die Konzentrationslager gewußt und auch zumindest geahnt, welch mittelalterliche Methoden dort angewandt wurden“ (S. 9). Lobend hebt er hingegen den Einsatz und die Opferbereitschaft der politischen Häftlinge hervor, die „für den sozialistischen Gedanken, für die Freiheit der Menschen und für die Menschenrechte“ (S. 10) kämpften. Seine Hoffnung ist nun, dass sich das deutsche Volk von seiner Vergangenheit löse und „unter Führung der geeinten Sozialisten […] dem Volke Glück, Wohlstand und Zufriedenheit bringt“ (S. 16).

Das Buch enthält an verschiedenen Stellen in den Text eingestreute Sonette von Marga Pfeiffer, die die Schrecken und Gräuel des Holocaust thematisieren.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger