Die letzten Tage des deutschen Judentums (1943)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die letzten Tage des deutschen Judentums

Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1943, Tel Aviv
Titel Die letzten Tage des deutschen Judentums
Untertitel (Berlin Ende 1942). Tatsachenbericht eines Augenzeugen

Erscheinungsort Tel Aviv
Erscheinungsjahr 1943

Verlegt von Irgun Olej Merkaz Europa
Gedruckt von Haaretz-Press

Umfang 41 Seiten


Zusammenfassung

Der als Tatsachenbericht eines Augenzeugen untertitelte, anonym herausgegebene Text ist, wie aus einer kurzen Vorbemerkung des Verlags hervorgeht, von einer Frau verfasst worden. Die Autorin beginnt ihre kurze, sehr sachliche und nur mit wenigen persönlichen Details versehene Darstellung der Situation der Berliner Juden im Nationalsozialismus mit der Pogromnacht vom 10. November 1938. Diese markiert, so die Verfasserin, einen neuen Abschnitt in der Leidensgeschichte der deutschen Juden. Diese habe noch eine Steigerung erfahren, als die Juden gleich nach Kriegsausbruch merkten, „dass Adolf Hitler sein Programm, das Judentum auszurotten und das jüdische Volk verelenden zu lassen, programmäßig in die Tat umsetzte“ (S. 3).

Die Autorin, der es am 27. Oktober 1942 gelingt, aus Berlin nach Palästina zu entkommen, hält sich bei ihren Schilderungen an keine strenge Chronologie und springt zwischen verschiedenen Jahren und zeitlichen Abschnitten hin und her, verortet das Berichtete aber zur Orientierung des Lesers immer zeitlich. Sie berichtet etwa von der schrittweisen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Juden, den zunehmenden Einschränkungen ihrer Freiheiten – etwa dem Verbot, ab Sommer 1941 Gaststätten und Parkanlagen zu betreten sowie ab Mai 1942 dem Besitz von Rundfunkgeräten, eines Telefonanschlusses oder von elektrischen Geräten, ebenso wie der Benutzung der Verkehrsmittel. Ausführlich beschreibt sie die sich stetig verschlimmernden Möglichkeiten für Juden, Lebensmittel einzukaufen: „Das erste Kriegsjahr war noch erträglich und man konnte es auch ohne Vorräte ganz gut überstehen. Bald aber änderte sich die ganze Lage. Je mehr der Krieg fortschritt, desto schlechter wurde die Ernährungslage“ (S. 20). Die alle vier Wochen ausgegebenen Lebensmittelkarten enthalten immer neue „Überraschungen“ (S. 22). So gab es ab November 1942 keinen Zucker oder keine Marmelade mehr für Juden.

Die Autorin ist – so legt sie dar – im Winter 1941/42 Lehrerin der Jüdischen Gemeinde Berlin und arbeitet im dortigen Katasteramt. Ihre Aufgabe ist es, die Kartothek in Ordnung zu halten, die die Berliner Juden auflistet und ihre Namen und Adressen verwaltet. Außerdem ist sie daran beteiligt, die auf Anordnung der Deutschen bei der Jüdischen Kultusvereinigung abgelieferten Pelze, Woll- und Stricksachen zu ordnen und zu stapeln.

Die Verfasserin geht ebenfalls auf die Frage des Verhaltens der deutschen Bevölkerung den Juden gegenüber ein. Diese Frage könne man nicht einfach mit ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ beantworten, argumentiert sie: „Wie auf allen Gebieten sind es gerade die kleinen Erlebnisse, die sogenannten Mosaiksteinchen, die, zusammen genommen, erst ein einigermaßen klares Bild ergeben“ (S. 25). So sei die Kriegsbegeisterung im Allgemeinen nicht besonders groß gewesen, eine echter Eifer sei nur bei den fanatischen Parteigenossen und der jungen, streng nationalsozialistisch erzogenen Jugend vorhanden gewesen: „Für diese neue deutsche Jugend sind die Engländer nur Piraten, die Amerikaner Gangster, die Russen vertierte Bolschewisten (alle selbstverständlich Analphabeten), und die Juden überhaupt nur Schädlinge und Schmarotzer“ (S. 25). Es habe befreundete ‚Arier‘ gegeben, die sich zurückgezogen und solche, die einem treu zur Seite gestanden hätten. Für erstere äußert sie wiederholt Verständnis, der letzten gedenkt sie „voll Dankbarkeit“ (S. 31) und verspricht, diese nie zu vergessen.

Auch zu der Einführung des Judensterns im September 1941 äußert sie sich. Der Judenstern sei entscheidend und einschneidend für das Schicksal der Juden, urteilt sie, da nun sichtbar wird, wer Jude ist und wer nicht: „Der Davidstern war demnach eines der vielen Hilfsmittel, die der Gestapo dazu verhalfen, den Abtransport der Juden noch ein wenig leichter und schneller durchzuführen“ (S. 34).

Der Bericht schließt mit den Deportationen im Sommer 1942 nach Polen, Theresienstadt, Lodz und Riga. Zweimal kann die Autorin einer Deportation entgehen, bis es nach endlosen Bemühungen ihres Mannes, der bereits vor dem Krieg nach Palästina entkommen konnte, gelingt, ihre Registrierung auf einer englischen Liste der Austauschfrauen zu erwirken. Am 27. Oktober 1942 reist sie in einer vierwöchigen Reise über Wien, Ungarn, Serbien, Kroatien, Bulgarien, durch die Türkei über Syrien nach Afuleh, von dort nach Haifa und Atlith.

Die Autorin schließt ihren Bericht mit der Hoffnung, dass ihre Ausführungen „so oberflächlich ich sie auch nur geben konnte, mit dazu beitragen, dass vielleicht ein Weg gefunden werden könnte, auf dem es möglich ist, auch ihnen Rettung zu bringen“ (S. 41).

Herausgeber

Herausgegeben wurde der Bericht von der gemeinnützigen Organisation „Irgun Olej Merkaz Europa“, die 1932 unter dem Namen „Hitachdut Olej Germania“ (Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland) in Tel Aviv gegründet wurde. 1942 ging – begründet durch die beiden Zionisten Theodor Zlocisti und Ernst Lewy – daraus die Organisation „Irgun Olej Merkaz Europa“ (Organisation der Einwanderer aus Mitteleuropa) hervor. Ziel war es, Immigranten aus Zentraleuropa wirtschaftlich und kulturell zu unterstützen. Die Organisation unterhielt ab 1932 auch ein Mitteilungsblatt in deutscher und hebräischer Sprache. Die Vereinigung existiert noch heute unter dem Namen „Irgun Jozej Merkas Europa“ (Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft).

Quelle:

Werkgeschichte

Nach ihrer Emigration nach Israel Ende 1942 veröffentlichte die anonyme Autorin ihren Bericht über die Judenverfolgung in Berlin 1943 in Tel Aviv. Herausgegeben wurde er von der Organisation „Irgun Olei Merkaz Europa“. Die Herausgeber verbürgen sich dafür, den Bericht in unveränderter Form veröffentlicht zu haben.

Inzwischen ist bekannt, dass die anonyme Autorin des Berichts Blanka Alperowitz ist. Klaus Hillenbrand hat 2017 nicht nur ermittelt, wer die Verfasserin des Texts ist, er hat auch den Bericht als solchen wieder veröffentlicht. Blanka Alperowitz war die Tochter des Schriftstellers und Herausgebers Albert Katz. Sie wurde 1883 in Fürstenwalde geboren und arbeitete ab den 1920er Jahren als Religionslehrerin in Berlin-Pankow für die Jüdische Gemeinde. Ebenso wie ihre ältere Schwester, die Ärztin wurde und 1935 nach Israel auswanderte, konnte sie studieren, was „für die Aufgeklärtheit und das Bildungsstreben der Familie Katz“ (Hillenbrand, 2017, S. 112) spricht. Erst 1939 – mit 56 Jahre – heiratete sie den gleichaltrigen Religionslehrer und Kantor Jacob Alperowitz. Durch einen Austausch von jüdischen Zivilisten mit internierten Deutschen im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina konnte sie Ende 1942 nach Israel entkommen. Ihre Rettung verdankte sie den Bemühungen ihres Ehemanns, der bereits 1939 emigriert war, und der Jewish Agency in Jerusalem. Nach dem Tod ihres Mannes 1944 zog sie 1946 in die religiöse kooperative Siedlung Kfar Haroeh. Sie war so mittellos, dass sie öffentliche Unterstützung empfing, bis sie ab etwa 1952 Entschädigungszahlungen aus Deutschland erhielt. Sie starb 1958 im Alter von 75 Jahren in Haifa.

Die Neuherausgabe ihres Berichts umfasst nun neben dem ursprünglichen Text – „ohne Kürzungen und Veränderungen“ (Hillenbrand 2017, S. 15), heißt es im Vorwort des Herausgebers – auch Anmerkungen Hillenbrands zum Text, eine Rekonstruktion der Biographie von Blanka Alperowitz sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Im ursprünglichen Text seien lediglich die Zahl der Absätze der besseren Lesbarkeit wegen erhöht worden und offensichtliche Rechtschreibfehler stillschweigend berichtigt worden, so der Herausgeber. Die wenigen inhaltlichen Irrtümer, die Blanka Alperowitz aus ihrem damaligen begrenzten Wissenstand heraus aufgeschrieben hat, wurden ebenfalls belassen, werden jedoch im Anmerkungsteil des Buches ausführlich kommentiert. Denn, wie Hillebrand im Vorwort feststellt, konnte die Autorin etwa vom Massenmord an den Juden zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift nichts wissen, es ist ein Text über das, „was gut informierte jüdische Berliner 1942 von den Dimensionen ihrer eigenen Verfolgung selbst wussten, geschrieben in der Sprache der Zeit“ (Hillenbrand, 2017, S. 10).

Quelle:

  • Blanka Alperowitz. Die letzten Tage des deutschen Judentums. Hg. von Klaus Hillenbrand. Berlin 2017.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger