Führerbeleidigung (Defaitismus)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Führerbeleidigung, Defaitismus, Wehrmacht-Zersetzung
Autor Schneid, Paula
Genre Tatsachenbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Hamburg
Titel Führerbeleidigung, Defaitismus, Wehrmacht-Zersetzung
Untertitel Reise einer Frau in drei Monaten vor dem Zusammenbruch

Erscheinungsort Hamburg
Erscheinungsjahr 1947

Verlegt von Anton Lettenbauer
Gedruckt von Anton Lettenbauer
Publiziert von Schneid, Paula

Herausgegeben von Lettenbauer, Anton
Umfang 48 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Tatsachenbericht wurde nach Tagebuchblättern und Erlebnissen von Paula Schneid verfasst. Die aus Süddeutschland stammende Autorin erzählt darin ihre Erlebnisse in der Schutzhaft im nur vage benannten Landesgerichtsgefängnis Tr. während der letzten Monate vor dem Kriegsende, wie der Herausgeber und Verleger Anton Lettenbauer im Vorwort vom Dezember 1947 ausführt. Sie vermittele ein „lebhaftes Bild der damaligen Zustände, Einrichtungen und des Gehabens der Menschen“ (o.S.), bescheinigt er ihr. Der Bericht umfasst nur eine kurze Zeitspanne von Mitte Februar bis Ende April 1945.

Die Aufzeichnungen, die stilistisch durch einen hohen Anteil wörtlicher Rede, von Bewusstseinsströmen und inneren Monologen geprägt sind, beginnen mit der Verhaftung der Autorin. Die Ich-Erzählerin berichtet im Präsens und kürzt Orte und überwiegend auch Namen ab. Hin und wieder nennt sie jedoch auch die vollständigen Vornamen ihrer Mithäftlinge. Sie selbst nennt sich Frau S. Sie wird beschuldigt, in ihrem Geschäft „defaitistische Bemerkungen“ (S. 1) gemacht zu haben, und zum Verhör bei der Gestapo abgeholt. Die Anklage lautet auf „Defaitismus, Wehrkraftzersetzung, Rundfunkverbrechen und Führerbeleidigung“ (S. 17). Während die Beamten des Sicherheitsdienstes sie abführen, denkt sie an den Dampfnudelteig, der in einer Schüssel auf dem Herd steht und nun wohl dort vergessen wird. Ihre Familie, das wird schnell deutlich, steht für die tiefgläubige Frau an erster Stelle. Noch mehr als ihr eigenes Schicksal beschäftigt sie, wie es ihren Kindern und ihrem Mann ergehen wird, während sie fort ist: „Der schwerste Augenblick – der Abschied. Ich tröste meinen lieben Mann [...]. Es zerreißt mir schier das Herz, fühle ich doch, daß er am Fenster steht und mir hilflos nachschaut, bis ich seinen Blicken entschwinde. Lieber, guter Gott, erhalte ihn gesund und tröste ihn!“ (S. 1) Auch in der Haft ist ihr die Sorge um ihren Mann ein ständiger und großer Kummer.

Ein zweites wiederkehrendes Thema des Textes ist Paula Schneids Glaube und die Auseinandersetzung mit Gott in der Haftzeit. Ihre Zuversicht in Gott ist zwar fest und standhaft, dennoch wird auch ihr Vertrauen bisweilen auf die Probe gestellt: „Lieber Gott, Du wirst alles recht machen. Du wirst bestimmt alles zu unserem Besten wenden! Warum all dies Elend in der Welt?“ (S. 29f.)

Auf die Untersuchungshaft folgt die Schutzhaft im Landesgerichtsgefängnis Tr. In einer engen Zelle mit 17 weiteren Frauen wird sie von der „stufenweis[e] fortschreitende[n] Erniedrigung und Herabwürdigung meines ureigensten Seins“ (S. 5) überwältigt. Besonders empört sie, dass sie wie eine gemeine Verbrecherin behandelt wird, nur weil sie die Wahrheit sagt. Zunächst ist sie als Näherin für die Ausbesserung der „schlimmsten Wäschestücke“ (S. 7) zuständig. Später arbeitet sie in der ‚Küchenzelle‘, wo sie es „etwas leichter“ (S. 8) hat und auch die lang entbehrte Körperpflege besser möglich ist. Ein großer Trost sind die – von langen und wiederholten Phasen der Stille unterbrochenen – Pakete, Briefe und sogar einzelnen Besuche von ihrem Mann, die sie trösten, aber auch aufwühlen. Ein Besuch ihres 17-jährigen Sohnes, der Wehrmachtsoldat ist, ist der „schwerste Tag meiner Haftzeit“ (S. 17). Beim Abschied tröstet sie ihn, er solle nur beten, der Krieg wäre bestimmt bald zu Ende. Ihr Sohn fragt gedrückt nach: „[A]ber was werden Sie vorher noch mit euch Politischen machen?“ Sie fragt ihn, ob er glaube, dass sie sie vorher noch umbringen werden: „Und er nickt, der arme Kerl“ (S. 18f.).

Immer wieder berichtet sie – meist einfühlsam – von ihren Mitgefangenen, beschreibt ihren Charakter und ihr Schicksal. So ist etwa Frau K. aus Dresden „ein ausgeglichener, guter, stets freundlicher Mensch“ (S. 30). Trotz ihrer langjährigen Lager- und Gefängnisstrafe und nach Bombenangriffen vermissten Angehörigen sei sie nie unfreundlich und habe für jede Gefangene ein gutes Wort. Auch Maria S., eine „Kindsmörderin“ (ebd.), ist ein „guter Kerl“ (ebd.), für die die Autorin Mitgefühl empfindet: „Wie kommen bloß die armen Geschöpfe zu einer so schrecklichen Tat“ (ebd.).

Während sich die Alarme und Luftangriffe häufen, sitzen die Häftlinge eingesperrt in ihren Zellen und stehen Todesängste durch. Bei einem Treffer wären sie völlig hilflos. Ab April 1945 merken sie an den nun täglichen und immer heftiger werdenden Alarmen, dass sich der „Endspurt“ (S. 20) nähert. Ein kurzer Blick auf die Außenwelt aus der Dachluke beim Wäscheaufhängen überwältigt sie: „[F]reie Menschen, Auto fahren, Soldaten, Frauen, Schulkinder, Bäckerburschen mit Körben auf dem Fahrrad, beladene Lastwagen, Pferdefuhrwerke [...]. Wenn ich von außen nichts sehe, ist es mir viel besser“ (S. 36).

Am 27. April 1945 soll sie plötzlich entlassen werden. Die vorsichtige Euphorie wird jedoch sofort durch die Information gedämpft, dass es sich dabei nur um eine Haftunterbrechung bis zum 18. Mai handele. Ihre erste Reaktion: „Nachdem ich den Zirkus jetzt kenne, bleibe ich lieber hier. Noch einmal zurück, nein das tue ich nicht!“ (S. 40) Dann aber überlegt sie, dass bis dahin die Amerikaner bestimmt längst in F. sein müssten oder dass sie sich verstecken könnte. Sorge hat sie auch, dass sie eine Haftunterbrechung bekommt, weil F. bombardiert wurde, ihrem Mann etwas zugestoßen sei und ihr Heim in Trümmern liege.

In ihrem ausgemergelten, geschwächten Zustand, bei fehlenden Zugverbindungen und verwüsteten Wegen wird die Heimreise zum Überlebenskampf. Nur mit eisernem Willen und letzter Kraft schafft sie es zurück nach F. Das Haus ist beschädigt, aber sie nimmt es dankbar hin: „Ich lebe, bin daheim, sitze auf der zerrissenen Hausbank vor der Tür und bete, weine und lache und schluchze“ (S. 47f.). Vollkommen ist ihr Glück, als sie Mann und Sohn in die Arme schließen kann. Der letzte Satz gilt dem Dank Gottes: „Wir danken dem Herrn für seine Liebe, daß er uns die Kraft schenkte und uns unter seinen göttlichen Schutz stellte“ (ebd.).



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger