Gruss an Deutschland (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Gruss an Deutschland
Autor Herzfeld, Manfred (1887-1968)
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Jerusalem
Titel Gruss an Deutschland
Untertitel Eine Abrechnung in Versen

Erscheinungsort Jerusalem
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Gedruckt von Lychenheim & Sohn
Publiziert von Herzfeld, Manfred (1887-1968)

Umfang 25 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Voller Wut und Enttäuschung über die Tatsache, dass Deutschland bereits kurz nach dem Krieg durch die internationale Gemeinschaft, aber auch durch ehemals verfolgte Juden wieder politisch und gesellschaftlich akzeptiert zu werden scheint, verfasst Manfred Herzfeld in seiner Exilheimat Jerusalem Gedichte, in denen er die Kollektivschuld der Deutschen thematisiert. Er ruft in seinen Gedichten dazu auf, das deutsche Volk weiterhin als „innerlich nicht gewandelt“ (o.S.) zu behandeln.

In einem Vorwort macht Herzfeld bereits die Motivation seines Schreibens deutlich: „In einer Zeit, in der man den Deutschen wieder umwirbt, weil man sein Tun und Lassen nicht unter ewigen und sittlichen, sondern unter vergänglichen und machtpolitischen Gesichtspunkten betrachtet, ist es Sache des Juden – und gerade des aus Deutschland stammenden Juden, der den Deutschen so gut kennengelernt und so Schweres von ihm erlitten hat –, die Dinge ins rechte Licht zu rücken“ (o.S). Die Gedichtform wählt Herzfeld dabei wegen der „Prägnanz der Darstellung, die bei prosaischer Behandlung desselben Gegenstandes nicht zu erreichen ist“ (o.S.).

Die Gedichte gleichen dem Vorwort in ihrer Direktheit und Schonungslosigkeit. Ohne Umschweife beginnt Herzfeld in seinem ersten Gedicht „Vergeltung“ mit der Aufzählung der Geschehnisse während des Holocaust: „Sie haben Millionen erschossen und vergast, / Sie haben – wilde Bestien – gebrandschatzt und gerast; / Sie haben ihre Opfer geschändet und gequält, / Sie haben Henkersknechte zu Führern sich erwählt. // Sie haben Menschenwürde und Menschenrecht verlacht, / Sie haben sich zum Götzen des eigenen Wahns gemacht; / Sie haben schon die Kinder auf Raub und Mord gedrillt, / Sie haben tief erniedrigt der Menschheit edles Bild“ (S. 7). Herzfeld ruft den Leser dazu auf, kein Mitleid mit den Deutschen zu haben, da sich alle, sowohl Männer als auch Frauen, schuldig gemacht haben: „Nun winseln sie um Gnade, nun betteln sie um Brot, / Nun wollen sie Euch ködern mit ihrer grossen Not. / Sie haben keine Regung des Herzens je gespürt – / Und Ihr seid durch ihr Flennen gewandelt und gerührt“ (ebd.).

Der Autor spricht in den meisten Gedichten Politiker und Menschen außerhalb Deutschlands an. In „Und schon vergessen?!“ wendet sich Herzfeld jedoch dezidiert an die überlebenden Juden, die seiner Meinung nach bereits die Geschehnisse der letzten Jahre verdrängt hätten. Hierfür zählt er alle Maßnahmen und Schritte der Verfolgung von der Stigmatisierung durch den Judenstern über die Grabschändungen bis hin zur Ermordung von verwandten Kindern und Alten auf. Nur in „Anklage“ adressiert er alle Deutschen direkt; abschließend heißt es dort: „Ihr tatet die ärgste der Taten: / Ihr habt Euch verkauft an den Dämon der Macht, / und den Geist habt ihr schmählich verraten“ (S. 8). Gerade das Verstellen der Deutschen und das Leugnen von Taten nach dem Krieg beobachtet er voller Schrecken. Die angepassten Deutschen bezeichnet er als „Chamäleon“ (S. 10), das sein Erscheinungsbild ständig an die jeweilige Situation anpassen kann.

Herzfeld ist sich seiner harschen Kritik bewusst, doch sieht er in allen Deutschen Schuldige. „Den Wenigen“ – so der Gedichttitel –, die sich gegen Hitler stellen, würdigt er zwar literarisch, weist aber darauf hin, dass diese eine Ausnahme in der Mehrheitsgesellschaft waren. Die Strafe beispielsweise für Richter, die während des NS-Regimes Schuldsprüche gegen Unschuldige verhängten, ist für den Jurist Herzfeld klar: „Verjagt die feigen Knechte, / Nehmt ihnen Robe und Brot! / Sie waren Verräter am Rechte – / Ihr Schicksal sei: Schande und Not“ (S. 12)!

Ein Deutschland, in dem die ehemaligen Mörder wieder an die Macht kommen, dürfe nicht wiederaufgebaut werden, das sei man den Toten schuldig. So warnt Herzfeld ausdrücklich: „Der deutsche Wolf mimt jetzt das arme Lamm […]. / Wer seinen Worten traut, ist schlecht beraten; / Die Lüge ist des Nazis Element“ (S. 22). Zu schnell werde die noch nie zuvor in diesem Ausmaß dagewesene Schuld der Deutschen vergessen, so Herzfeld. Dass dies nicht nur für Deutschland gilt, macht Herzfeld in seinem Gedicht „Trautes Oesterreich“ deutlich, in dem er die Ereignisse während des Anschlusses an das Deutsche Reich und nach dem Krieg beschreibt. Herrschte 1938 großer Jubel, den Herzfeld in wörtliche Rede fasst, so hieß es 1945: „Wir haben Hitler stets bekriegt! / Es bedarf hier gar keiner Wandlung“! (S. 20)

Auf den Aspekt, dass Deutschland jahrhundertelang als Land der Dichter und Denker galt, geht der Autor in verschiedenen Gedichten ein. Immer wieder nennt er daher die Namen Goethe, aus dessen Gedichten er auch zitiert, Hölderlin, Bach oder Hegel. Damit verweisen die Gedichte inhaltlich auf Herzfelds intellektuellen Hintergrund. Hingegen ist der sprachliche Stil der Gedichte nur selten komplex oder metaphorisch; es herrscht in ihnen vielmehr ein deutlicher und anklagender Ton vor, der nicht durch literarische Experimente verstellt wird. Zynisch wird Herzfeld hingegen im Gedicht „Die Puppe von Majdanek“, das er mit „Ein Idyll aus Deutschlands grosser Zeit“ (S. 15) untertitelt. Darin schildert er, wie die Tochter eines SS-Manns die Puppe eines in Majdanek ermordeten jüdischen Mädchens aus der Nachbarschaft erhält. Die Mutter wird dabei als besonders stolz auf die Leistungen des Vaters dargestellt. Auch im Gedicht „Kindermord und Ordnungsliebe“ bricht der Sarkasmus durch, wenn es heißt: „Und über jedes tote Kind ein Protokoll – / Wer wird nicht deutsche Ordnung loben“?! (S. 16)


Biografie

Dr. Manfred Herzfeld (geb. 08.12.1887 in Hannover, gest. 11.07.1968 in Berlin) wuchs als ältestes von fünf Kindern eines Kaufmanns in Hannover auf. Er studierte in München, Berlin und Göttingen Jura und legte 1911 seine Doktorarbeit vor. Seit 1921 arbeitete er als Rechtsanwalt in Celle und als Richter am dortigen Oberlandesgericht. Mit seiner Ehefrau und seiner 1919 geborenen Tochter Eva lebte er assimiliert und nahm am kulturellen Leben in Celle und vor allem in Hannover teil. Herzfeld war gebildet, konnte Latein sowie Griechisch lesen und verehrte die großen deutschen Dichter wie etwa Goethe. Nebenher engagierte er sich in der „Zionistischen Vereinigung in Deutschland“; der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt stand er eher fern. Nach der Machtergreifung verschlechterte sich die Lage Herzfelds: Die Kanzlei, die er mit seinem jüdischen Partner führte, musste zunächst in seine eigene Wohnung umziehen, Mitarbeiter mussten entlassen werden und schließlich blieben die Klienten aus Angst vor Übergriffen ganz aus. Herzfeld durfte die Kanzlei zunächst nur weiterführen, da er als ehemaliger Teilnehmer des Ersten Weltkriegs unter die ‚Frontkämpferregelung‘ fiel. Am 20. August 1935 folgte Herzfeld nach einem Zusammenstoß mit der lokalen SA seiner Frau und seiner Tochter über Jugoslawien nach Jerusalem, die bereits zwei beziehungsweise ein Jahr zuvor emigriert waren. Die Familie etablierte sich in Jerusalem und zwei Enkelinnen wurden geboren. Wirtschaftlich stellte die Emigration allerdings eine deutliche Verschlechterung des Lebensstandards dar und die Familie konnte sich nur eine kleine Kellerwohnung leisten; auch Herzfelds Gesundheitszustand verschlechterte sich stark. Herzfeld finanzierte den Lebensunterhalt seiner Familie mehr schlecht als recht mit einer Anstellung als Versicherungskassierer, durch die Hilfe seines Bruders in den USA und durch mehrmalige finanzielle Zuwendungen von Seiten des Irgun Olej Merkaz Europa, einer Hilfsorganisation für aus Mitteleuropa nach Palästina eingewanderte Juden. Seine Frau musste in der neuen Heimat wieder als Krankenschwester arbeiten, damit die Familie über die Runden kam, nachdem sie keinerlei Geldwerte aus Deutschland hatten retten können. Nachdem er 1948 in Rente gegangen war, widmete sich Herzfeld der Weiterbildung, beschäftigte sich mit der hebräischen Sprache und las viel. 1950 kehrte er nach Deutschland zurück, um sich als Jurist für die Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) zunächst in Stuttgart und dann in Mannheim in Wiedergutmachungsfragen für Juden einzusetzen. Seine Frau folgte ihm 1952 nach Deutschland, seine Tochter mit ihren Kindern 1958. 1953 zog er nach Berlin-Dahlem, von wo aus er ab 1958 als Rechtsanwalt für die United Restitution Organization (URO) arbeitete und mit großen deutschen Firmen wie Thyssen oder der Deutschen Bank um Wiedergutmachungszahlungen verhandelte. Zahlreiche Publikationen in Zeitschriften wie der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ und eigenständige Werke zum Thema Wiedergutmachung folgten bis zu seinem Tod.

Quellen:





Bearbeitet von: Christiane Weber