Henker und Heilige (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Henker und Heilige
Autor Kowollik, Paul (1911-1996)
Genre Autobiografische Erzählung

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1947, Waldkirch
Titel Henker und Heilige. Eine Erzählung aus unseren Tagen

Erscheinungsort Waldkirch
Erscheinungsjahr 1947
Auflage Erstauflage

Auflagenhöhe insgesamt 1.-10. Tausend
Verlegt von Selbstverlag
Gedruckt von Waldkircher Verlagsgesellschaft m.b.H.
Publiziert von Kowollik, Paul (1911-1996)
Umschlaggestaltung von Bruno Schley

Umfang 39 Seiten

Lizenz G.M.Z.F.O. Visa No 1.569/L de la Direction de l’Education Publique / Autorisation No. 2.824 de la Direction de l’Information
Preise 1,50 Mark
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

Die Erzählung „Henker und Heilige“ von Paul Kowollik aus dem Jahr 1947 schildert die Erlebnisse des fiktiven preußischen Unteroffiziers Franz Bende im Konzentrationslager „KA-EL-BU“. Sie beginnt mit dem Kapitel „Begegnung in Rußland“ (S. 3), das die Rahmenhandlung für die eigentliche Geschichte um Franz Bende bildet und sich im russischen Dorf Kokoschkino an der Reschew-Front abspielt, vermutlich im Winter 1942/1943. Aufgrund der Bombenzerstörungen lebt die Bevölkerung in Erdlöchern und ist von Krankheit und Hunger bedroht. Der namenlose Erzähler besucht gemeinsam mit seinem Kameraden, dem circa dreißigjährigen Unteroffizier Franz Bende, der wie er Russisch spricht, regelmäßig die junge Russin Niura, um sich mit ihr zu unterhalten und ihr und ihrer Familie Lebensmittel zu bringen. Franz und Niura, die sich durch Franz‘ frühere Tätigkeit als Dolmetscher bei der Ortskommandantur kennengelernt haben, verlieben sich ineinander, sprechen diese Gefühle jedoch nie aus. Die Liebe zwischen ihnen wird vom Erzähler als „ein nicht gesprochenes Gebet“ (S. 10) beschrieben.    

Die Kämpfe mit der Roten Armee dauern an und die Beziehung zu Franz wird für den Ich-Erzähler der Rahmenhandlung in „diesen schweren Tagen“ immer wichtiger: Franz „[war] mehr als nur ein Kamerad geworden, wir liebten uns wie Brüder.“ (S. 5) Im Schützengraben erzählt Franz ihm seine Lebensgeschichte und wie er kurz vor seinem Examen in Breslau verhaftet, von der Gestapo gefoltert und verhört wurde. In seinem Haus wurde ein „verbotener Hirtenbrief unseres Kardinals“ (S. 6) gefunden, woraufhin er in ein an dieser Stelle noch nicht näher bezeichnetes KZ verbracht wurde. Durch die Kriegsdienstverpflichtung konnte er nach zwei Jahren seine Entlassung erwirken, blieb aber stets ein Gegner des Nationalsozialismus: „‚Dieses vertierte Gesindel kenne ich vom KZ her, und so ein altes, halbverhungertes Russenweibchen ist mir mehr wert als diese ganze aufgenordete Nazibrut. Für mich wie für dich ist Hitler der fleischgewordene Antichrist, und was wir allein in Polen gesehen haben, genügt.‘“ (S. 7) In seinem sich über zwei Seiten erstreckenden Monolog beteuert Franz außerdem, dass er „‚[i]n den bisherigen drei Kriegsjahren […] [s]eine Hände nicht mit Blut befleckt‘“ (S. 7) habe. Schließlich trägt er seinem Freund auf, im Falle seines Todes seine Eltern aufzusuchen, damit sie ihm „‚meinen verborgenen Schatz‘“ aushändigen, „‚und wenn in unserem deutschen Vaterlande die Morgenröte der Freiheit wieder angebrochen ist, dann wirst du zum Vollstrecker meines Willens werden.‘“ (beide Zitate S. 8) Während sich die Wehrmacht immer weiter zurückzieht, wird Franz ins Lazarett eingeliefert und stirbt am Fleckfieber; Niura, so heißt es, sei „[o]hne Abschied […] von uns gegangen“ (S. 10).

Im zweiten Kapitel besucht der Protagonist im folgenden Frühling während seines Fronturlaubs wie versprochen die Eltern von Franz in Oberschlesien, die ihn wie einen Sohn aufnehmen. Franz‘ Mutter übergibt ihm einen Umschlag mit der Bitte, ihn aufzubewahren „‚für die Zeit, da das Verborgene nicht mehr verborgen zu sein braucht, damit die Welt erkenne, wie tief sie gefallen ist‘“ (S. 11). Im Umschlag findet der Protagonist ein von Franz verfasstes Manuskript mit dem Titel „Die Bergstadt KA-EL-BU“, das den Rest der Erzählung darstellt (Kapitel 3–10).

Die Handlung jener Binnenerzählung trägt sich im Konzentrationslager „KA-EL-BU“ zu. Obwohl der Name „Buchenwald“ im gesamten Werk keine Erwähnung findet, deutet vieles darauf hin, dass es sich um das Konzentrationslager auf dem Ettersberg in Weimar handelt:  So ist diese „Bergstadt“ (S. 12) von einem „Wald von Buchenbäumen“ (S. 21) umgeben und auch die nahe gelegene „Provinzstadt“ ist nur etwa 6 Kilometer entfernt (vgl. S. 27). Die Namen der erwähnten Kommandos und der Steinbruch am „Südabhang der Bergstadt“ (S. 33) stützen diese Annahme.

Die Beschreibung der Bergstadt ist indes von einer christlichen Symbolik geprägt, die stark an die Offenbarung des Johannes erinnert: Dort werde „das Gericht über die Menschen“ gehalten. „[D]er Engel des Lebens“ habe für die Bewohner der Stadt „keine Spalte in seinem Buche“; vielmehr hat „der Engel des Todes“, der „Herr über diese Stadt“ ist, „sie alle eingeteilt in Gezeichnete und Nichtgezeichnete“ (alle Zitate S. 12). Zuvor habe Franz „auf Erden noch keine Heiligen gesehen und von Henkern nur gehört. In den 730 Tagen aber sah ich ihrer genug, denn der Himmel und die Hölle holen sich viele ihrer Bewohner aus den Gezeichneten dieser Stadt.“ (ebd.)

Bei seiner Ankunft im Lager erhält Franz die Nummer 6240 und einen schwarzen Winkel. Auch andere Häftlingskategorien werden erwähnt, wobei der Erzähler klarstellt, dass die Zuordnung des Winkels durch die SS erfolgt. Die SS, die das Lager bewacht, bezeichnet er als „[d]es Teufels Anhang […] und ihr Glaube ist der Haß […], den die Schlange im Garten Eden kundgetan und den sie gegen alle Gerechten geifern wird bis an das Ende der Zeiten“ (S. 13). Die Schlange sät Zwietracht unter den Gefangenen, um ihre Qualen zu vergrößern, und so konkurrieren die verschiedenen Häftlingsgruppen um Posten und Macht. Besonders hervorgehoben wird der Konflikt zwischen den ‚Grünen‘ und den ‚Roten‘, wobei die Häftlinge mit grünem Winkel, die ‚Kriminellen‘, überwiegend negativ dargestellt werden, nur gelegentlich gebe es „manchen weißen Raben, der menschlich dachte und um die Gunst der SS-Henker nicht buhlte“ (S. 20). Die politischen Häftlinge hingegen würden sich „oft noch im Todeskampfe“ gegen die Schlange wehren, wenngleich sie „nicht alle eins sind, und so die Hölle gleichen Anteil wie der Himmel [an ihnen hat]“ (beide Zitate S. 15).

Im weiteren Verlauf des Manuskripts werden verschiedene Situationen aus dem Lageralltag geschildert, wie beispielsweise das stundenlange Appellstehen in unzureichender Kleidung im Winter und die Suche nach zwei Flüchtigen, die anschließend grausam ermordet werden. Die SS-Täter werden als brutale Menschen beschrieben, die völlig vom Hass der Schlange erfüllt sind. Der zwanzigjährige Unterscharführer Bitzer etwa, der als „rothaarige[r] Teufel“ (S. 19) bezeichnet wird, quält vor allem die jüdischen Gefangenen und schafft eigens für sie ein Sonderarbeitskommando – in der Lagersprache nach der bekannten Kölner Parfümmarke „Kolonne 4711“ genannt –, das die Aborte reinigen muss. Franz selbst gehört einem Kommando an, das Ziegelsteine schleppen muss, beschreibt aber auch andere Arbeitskommandos, die zum Teil völlig sinnlose Aufgaben verrichten müssen. Neben der schweren körperlichen Arbeit und den Witterungsbedingungen sind die Häftlinge zudem der Willkür und Grausamkeit der SS und der Kapos ausgesetzt. So berichtet der Erzähler Franz von einem geistlichen Gefangenen, dessen Häftlingsmütze bei der sonntäglichen Arbeit im Steinbruch von einem SS-Mann hinter die Postenkette geworfen wurde. Als der Häftling auf Befehl des SS-Mannes die Postenkette übertritt, wird er in der Folge „auf der Flucht“ (S. 29) erschossen.

In wörtlicher Rede kommen weitere Häftlinge zu Wort, wie zum Beispiel der Kommunist Karl und der christliche Gewerkschaftler Georg, die über die Ursachen des Krieges und des Nationalsozialismus diskutieren. Während Karl das Konzentrationslager Buchenwald als „Beweis für die Verlogenheit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ (S. 22) und für das Versagen des Christentums zu erkennen glaubt, ist Georg der Auffassung, dass „nicht das Christentum […] an dem heutigen Chaos [schuld ist], sondern die Menschen, die die christliche Lehre der Nächstenliebe dem Götzen Ich geopfert“ (S. 23) hätten. Auch die Gruppe der ‚Bibelforscher‘ wird exemplarisch durch die Figur des ehemaligen Hamburger Hafenarbeiters Ernst vertreten, der als einer der ‚guten‘ Kapos die anderen Gefangenen zum Glauben zu bekehren versucht. Auch Franz selbst ist überzeugter Christ und glaubt, dass „‚eine neue Zeit ebenso intolerant sein wird wie die heutige, und daß dieses Übel seine Wurzel in der Entfremdung vom Christentum hat.‘“ (S. 36)          

In einem weiteren Kapitel schildert der Erzähler eine der abendlichen „monatlichen Zusammenkünfte“ in der Villa des Lagerkommandanten Katt, der ironisch als „Gott von KA-EL-BU“ (beide Zitate S. 27) bezeichnet wird. Dort empfängt er Offiziere der Standarte zu einem gemeinsamen Trinkgelage und lässt sie von Häftlingen bedienen, die dafür gewisse Privilegien genießen. Diese Gefangenen werden äußerst negativ dargestellt: „Diese Knechte unterschieden sich in nichts von der SS, und die Hölle freut sich jetzt schon auf diese fetten Brocken.“ (S. 28) Zur Unterhaltung der Gäste wird erst auf Schießscheiben geschossen, bevor unter „frenetische[m] Beifall“ (S. 30) ein obszönes Theaterstück aufgeführt wird, das u.a. die KZ-Häftlinge verunglimpft. Am Ende der Zusammenkunft nutzt Katt den Morgenappell der Häftlinge, um auf dem Appellplatz auf diese schießen zu lassen.

Im Schlusskapitel berichtet Franz von der Flucht seines Kameraden Karl und eines weiteren Häftlings namens Kurt, die sich drei Tage lang in einem Garagenbau außerhalb des Lagers einmauern, um den Suchtrupps zu entgehen. In seinem Zorn über die Flucht „schäumte der Oberhenker in KA-EL-BU [Lagerkommandant Katt] vor Wut und ließ 26 000 Menschen, denn soviel hatte die Schlange inzwischen versammelt, in der strengen Kälte stehen“ (S. 39). Am Morgen sind 50 Gefangene tot und werden in Särgen zum Tor gebracht. In dieser Szene zeigt sich erneut die christliche Prägung des Erzählers, denn „[e]s waren dies die Särge der Verfluchten der Welt, die das Reich der Finsternis gemordet hatte, weil sie die Kinder des Lichtes waren. Ich schaute nach den Särgen hin, und ein Schauer der Ehrfurcht durchlief meinen Körper. Ich sah nun die Gebeine von fünfzig Heiligen, und die Mauer, an der sie standen, ward mir zum Altar, an dem im scharlachroten Gewande ein Priester das Opfer der Heiligen unserer Tage feierte.“ (S. 39)    

Nach zweijähriger Haft kommt Franz schließlich frei, indem er vorgibt, „als wäre ich dieser Schlange untertan“ (S. 39) und sich an die Front meldet. In Wirklichkeit sieht er darin jedoch seine einzige Möglichkeit, um „die Sklavenketten des Tyrannen zu zerbrechen“ (S. 7): „Ich aber will mich rächen an den Henkern im Dienste der Schlange und will gerechte Rache üben für die Toten von KA-EL-BU, die Heiligen unserer Tage.“ (S. 39)

Obgleich sämtliche Figurennamen verfremdet sind, lässt sich aufgrund der zahlreichen biografischen Parallelen zwischen dem Erzähler Franz und Autor Paul Kowollik (Stationierung an der Reschew-Front, identische Häftlingsnummer und Häftlingskategorie, Arbeit im Steinbruch usw., vgl. Biografie) vermuten, dass die beiden fiktiven Handlungsebenen auf den persönlichen Erlebnissen des Autors an der Ostfront und im Konzentrationslager Buchenwald beruhen.

Biografie

Paul Kowollik (geb. 14.06.1911 in Krysanowitz (ab 1936 Kreuzhütte) in Oberschlesien, gest. 30.12.1996 in Waldkirch im Breisgau) wurde als unehelicher Sohn von Rosalia Kowollik und dem westfälischen Milchfahrer mit dem Vornamen Herrmann (gest. 1941) in eine bürgerliche Familie geboren. Seine fünf Geschwister Josef, Anna, Therese, Maria und Agnes waren Kinder des Maurers Anton Juchelka, den Rosalia 1916 heiratete. Nach Abschluss der Volksschule im Jahr 1925 besuchte Kowollik ein Reformrealgymnasium in Rosenberg (Kreisstadt in Oberschlesien), um auf den Wunsch seiner Mutter Priester zu werden. Aufgrund der Armut seiner Familie und der Aussichtslosigkeit, als unehelicher Sohn zum Priester geweiht zu werden, entschloss er sich jedoch im Jahr 1929 trotz guter Noten in Deutsch und Geschichte, die Schule zu verlassen.

Schon bald darauf schlug Kowollik den Weg des Journalismus ein: Bereits 1931 erschien in einer katholischen Tageszeitung ein erster Bericht über seine Erlebnisse am Maisonntag 1921. Als ihm der Verleger des Blattes ein Honorar zahlte und ihn bat, weitere Aufsätze einzureichen, sah er darin eine Möglichkeit, sich aus seiner finanziellen Not herauszuschreiben. Durch seine anschließende Tätigkeit bei der katholischen Zeitung fand er Zugang zur Zentrumspartei, deren Mitglied er im Jahr 1931 wurde. Dort übernahm er bis zur erzwungenen Auflösung der Partei im Jahr 1933 die Funktionen eines Sekretärs und Redners bei Parteiveranstaltungen. Von 1932 bis 1936, mit einer Unterbrechung in den Jahren 1933 und 1934, in denen er arbeitslos war, arbeitete er als freier Journalist und schrieb kulturpolitische Artikel und Aufsätze für verschiedene schlesische Zeitungen.

Als überzeugter „Verteidiger des Weimarer Staates“ („Das war Konzentrationslager Buchenwald“, S. 4) war er nicht gewillt, in die Reichspressekammer einzutreten, um sich nicht dem von den Nationalsozialisten eingeführten Schriftleitergesetz unterwerfen zu müssen. In der Folge konnte er ab 1936 seine journalistische Tätigkeit nicht mehr fortführen und war dann als Straßenbauarbeiter in einer Tiefbaufirma beschäftigt. 1937 meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht und absolvierte eine achtwöchige Ausbildung bei der Infanterie.

Anfang 1938 bot sich ihm ein beruflicher Lichtblick bei der Schlesischen Handwerksversicherung in Breslau, die in der ganzen Provinz neue Zweigstellen errichtete und deren Geschäftsstelle in Kreuzberg er ab dem 13. Juni 1938 hätte leiten sollen. Am frühen Morgen desselben Tages wurde er jedoch im Rahmen der zweiten reichsweiten Verhaftungswelle der sogenannten „Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘“ (ASR) in ‚Schutzhaft‘ genommen. An seinem 27. Geburtstag wurde er mit einem Eisenbahntransport nach Weimar verbracht und traf am 15. Juni 1938 gegen 11 Uhr vormittags im KZ Buchenwald ein. In seiner Häftlingspersonalkarte wurde er mit dem Kürzel „A.S.R.“ für „asozial/arbeitsscheu“ geführt und erhielt die Häftlingsnummer 6240. Während seiner Haftzeit wurde er mehreren Arbeitskommandos zugeteilt, unter anderem dem berüchtigten Außenkommando Steinbruch. Im Zuge der sogenannten „Amnestie“ zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers am 20. April 1939 wurde Kowollik schließlich nach elf Monaten Haft aus Buchenwald entlassen.

Ein Führungszeugnis, das er sich nur wenige Tage nach seiner Entlassung von der Ortspolizeibehörde Kreuzhütte ausstellen ließ, bescheinigte ihm, dass „in den polizeilichen Listen keine Strafe verzeichnet ist“ (Führungszeugnis der Ortspolizeibehörde Kreuzhütte, 9. Mai 1939, abgedruckt in Siegel/Kowollik 2023, S. 88), so dass er bei Kriegsbeginn 1939 eine Tätigkeit als Verlagsangestellter bei einer Zeitung in Breslau aufnehmen konnte. Kurz vor Ende des ersten Kriegsjahres nahm er die Arbeit bei seiner alten Zeitung, den Neuesten Breslauer Nachrichten, wieder auf.

Im Januar 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Als Infanterist war er zunächst in Polen, dann in Niederösterreich und in Frankreich stationiert. Auf dem Weg an die Westfront kam seine Division nach Waldkirch, wo Kowollik seine spätere Frau, Rosl Unmüssig (1921-2008), kennenlernte. Nach seinem dortigen Einsatz bis Anfang Juli 1940 kehrte er nach Schlesien zurück. Ab Februar 1941 war er kurzzeitig als Leiter der Geschäftsstelle Kutno der Litzmannstädter Zeitung beschäftigt, bis er im März 1941 erneut zum Kriegsdienst in die Sowjetunion einberufen wurde. Nach einer Routineuntersuchung in einem Kriegslazarett in Smolesk wurde er im September 1941 wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes zunächst in seine Heimat zurückgestellt. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um die Folgen einer in der Kindheit erlittenen Hilusdrüsenerkrankung, und er wurde zu einem Ersatztruppenteil nach Perleberg und später nach Russland an die Reschew-Front geschickt. Dort erkrankte Kowollik schwer an Fleckfieber und wurde in verschiedene Lazarette verlegt, zunächst nach Smolensk, dann nach Schweidnitz, wo er wieder ins Leben zurückfand.

Am 8. Juni 1943 heiratete er Rosl in der St. Margarethen-Kirche in Waldkirch. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, von denen das erste, Joachim, im Januar 1945 in Villingen im Schwarzwald das Licht der Welt erblickte. Nach weiteren Wehrmacht-Einsätzen in Litzmannstadt, Stettin und Neubrandenburg erlebte er das Kriegsende in Mecklenburg-Vorpommern zunächst in kurzer amerikanischer, dann in britischer Gefangenschaft. Ende Juni 1945 kehrte Kowollik nach langem Fußmarsch Waldkirch zurück, wo er zunächst als selbstständiger Schriftsteller und ab 1948 als Geschäftsstellen- und Redaktionsleiter der Regionalausgabe der Badischen Zeitung in Waldkirch tätig war, bis ihn 1959 eine mehrmonatige lebensbedrohliche Erkrankung zwang, auf ärztliche Empfehlung hin kürzerzutreten.

Seine Erinnerungen an die Haft im Konzentrationslager Buchenwald schrieb er in verschiedenen Gattungen nieder. Bereits 1945 erschien sein Erlebnisbericht „Das war Konzentrationslager Buchenwald“, der bis circa 1948 in drei Auflagen veröffentlicht wurde (vgl. Werkgeschichte „Das war Konzentrationslager Buchenwald“). Es folgten 1947 die Erzählung „Henker und Heilige. Erzählungen aus unseren Tagen“, die starke biografische Züge trägt (vgl. Zusammenfassung „Henker und Heilige“), sowie die Abhandlung „Analyse eines Schandflecks“. Alle drei Publikationen erreichten um 1948 eine Gesamtauflage von rund 60.000 Exemplaren, wobei „Das war Konzentrationslager Buchenwald“ die höchste Auflage verzeichnete. 1948 veröffentlichte Kowollik seine politisch-philosophische Broschüre „Quo vadis Europa? Wer kann das Abendland retten?“. Im Juli 1948 beantragte er die Druckgenehmigung der Kurzschrift „Massenherrschaft und Menschenfurcht“, die jedoch nicht verlegt wurde. Auch sein politischer Roman „Der Dorfspion“ wird in einem Antrag auf Druckgenehmigung lediglich als „Werk in Arbeit“ aufgeführt.

Dank des allgemein einsetzenden Wirtschaftsaufschwungs gelang es ihm, sich ab 1962 als Journalist selbstständig zu machen. Von März 1966 bis März 1972 übernahm er beim Heimat- und Verkehrsverein Waldkrich als Nachfolger von Max Barth die Redaktion des Waldkircher Heimatbriefs. Als Redakteur war er ab 1968 maßgeblich an der Herausgabe der Wochenzeitung „Elztäler Wochenbericht/Waldkircher und Elztäler Anzeiger“ beteiligt. Ab Mitte der 1960er Jahre war er auch als Autor von Heimatbüchern und Landkreisbeschreibungen erfolgreich tätig.

Im Jahr 1975 legte er die 28 Gedichte umfassende Anthologie „Mit Feder, Spaten und Gewehr“ vor, in der er seine „Arbeit als Journalist, die Schrecken und Leiden des Krieges und die Tyrannei in der Diktatur“ (vgl. hinteres Vorsatzblatt des Bandes) literarisch verarbeitet. Sein autobiografischer Roman „Wege zwischen Dornen und Schlingen“, den er 1988 unter dem Pseudonym Peter Prosna im Verlag Kesselring in Emmendingen veröffentlichte, stellt sein umfangreichstes und letztes Werk dar.

Das Stigma des „schwarzen Winkels“ haftete ihm zeitlebens an: Im November 1945 meldete die die Stadt Waldkirch dem Landratsamt in Emmendingen die in Waldkirch wohnenden einstigen politischen Häftlinge. Darunter befand sich auch Paul Kowollik, dessen „politische Tätigkeit in der Zentrumspartei“ somit als Grund für seine Haft in Buchenwald anscheinend bestätigt wurde. Sein Entschädigungsantrag auf Anerkennung als Verfolgter des Nationalsozialismus vom 7. Juni 1950 wurde jedoch vom Wiedergutmachungsausschuss des Badischen Ministeriums der Finanzen in Freiburg am 14. Juni 1951 abgelehnt, da er als ‚ASR-Häftling‘ nicht entschädigungsberechtigt sei. Kowollik erhob daraufhin im Juli 1951 beim Amtsgericht von Freiburg Klage gegen das Finanzministerium, die er jedoch im November desselben Jahres zurückzog, da er sich aufgrund der NS-Vergangenheit vieler Richter nur wenig Chancen ausrechnete. Auch sein letzter Versuch, vom Stigma des ‚Asozialen‘ rehabilitiert zu werden, blieb erfolglos: Das Justizministerium in Stuttgart teilte ihm im Jahr 1968 mit, dass auch in den Fahndungsbüchern des ehemaligen Reichskriminalamtes keine ihn betreffenden Eintragungen gefunden werden konnten; seinen tatsächlichen Haftgrund konnte er folglich nie in Erfahrung bringen.

Dennoch glaubte er an eine baldige Rehabilitierung aller im KZ-Inhaftierten, doch wurde er in dieser Annahme bitter enttäuscht. Zwar erhielt er im Dezember 1948 den „Ehrenpass“ mit dem Aufdruck „Antifaschistischer Kämpfer“, der in Südbaden in der französischen Besatzungszone an politische Aktivisten ausgestellt wurde, doch die erhoffte Rehabilitation erlebte Kowollik zu Lebzeiten nicht; er starb nach kurzer Krankheit am 30. Dezember 1996 im Alter von 85 Jahren in Waldkirch. Die offizielle Anerkennung der von den Nationalsozialisten als ‚Asoziale‘ verfolgten KZ-Häftlinge erfolgte erst im Februar des Jahres 2020 durch den Deutschen Bundestag.

Quellen:

  • „Akte von Kowollik, Paul, geboren am 14.06.1911“, 1.1.5/6357475/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Antrag auf Druckgenehmigung, Analyse eines Schandflecks, 12. Dezember 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Antrag auf Druckgenehmigung, Analyse eines Schandflecks, 12. Dezember 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Antrag auf Erteilung der Veröffentlichungsberechtigung, Das war Konzentrationslager Buchenwald, 5. Juni 1946. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Antrag auf Erteilung der Veröffentlichungsberechtigung, Massenherrschaft und Menschenfurcht, 16. Juli 1948“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Brockhaus für Elztäler – 200. Ausgabe des ‚Waldkircher Heimatbriefs ist erschienen‘“, Badische Zeitung, 18.12.2004.
  • „BZ-Urgestein Wolfgang Meyer. 85 Jahre alt – Noch immer aktiv“, Badische Zeitung, 16.10.2013.
  • Deusche Nationalbibliothek: „Kowollik, Paul“. Online: https://d-nb.info/gnd/124550592 (Stand: 12.02.2023).
  • Fang, Chunguang: Das Täterbild in der Überlebenden-Literatur. Ein Vergleich der Täterbilder in der frühen und späten Lagerliteratur von Buchenwald und Dachau. Frankfurt a. M. 2017.
  • ITS, DocID: 86304818. ITS Digital Archive, Arolsen Archive. Online: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/86304818 (Stand: 12.02.2023).
  • Kirsten, Holm und Wulf Kirsten (Hrsg.): Stimmen aus Buchenwald. Ein Lesebuch. Göttingen 2002, S. 312.
  • Kowollik, Joachim: Ein das Schreiben gewohnter Reichsarbeitsscheuer. In: Nonnenmacher, Frank (Hrsg.): Die Nazis nannten sie „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Geschichten der Verfolgung vor und nach 1945. Frankfurt a.M. 2024. S. 325-341.
  • Kowollik, Joachim: E-Mail vom 19. Februar 2023 an Charlotte Kitzinger.
  • Kowollik, Joachim: Rede zur Buchveröffentlichung am 1. Dezember 2023 in Waldkirch.
  • Kowollik, Paul: Mit Feder, Spaten und Gewehr. Ettenheim 1975.
  • Siegel, Helmut/Kowollik, Joachim (2023). Verfolgt – verfemt – vergessen. Das Leben und Schicksal von Paul Kowollik. Waldrich 2023.


Werkgeschichte

Nach dem Erfolg seines Erstlingswerkes „Das war Konzentrationslager Buchenwald“ (1945) (vgl. Werkgeschichte „Das war Konzentrationslager Buchenwald“) stellte Paul Kowollik am 5. Juni 1946 einen weiteren Antrag auf Veröffentlichungsberechtigung für sein nächstes Werk mit dem Titel „Henker und Heilige“. Geplant war eine Auflage von 20.000 Exemplaren, die jeweils zu einem Ladenpreis von 1 Mark vertrieben werden sollten.

Am 9. Oktober 1946 teilte ihm Pierre Ripault (Leiter des Bureau Edition der Direction de l’Information in Baden-Baden) mit, dass die Zensurbehörde die Veröffentlichung des Buches mit wenigen Vorbehalten befürwortet habe (in den Bemerkungen zu seinem Antrag auf Veröffentlichungsgenehmigung wurde vermerkt, dass die gesamte letzte Passage auf Seite 40, die mit den Worten „Wir aber sind als Deutsche geboren ...“ beginne, für die Veröffentlichung zu streichen sei). Es seien jedoch noch einige drucktechnische Angaben erforderlich, weshalb ein neuer Antrag ausgefüllt werden müsse.

In einem weiteren Schreiben vom 3. Januar 1947 an die Direction de l‘Information teilte Kowollik mit, dass er die geforderten Angaben bereits am 15. Oktober 1946 nachgereicht habe. Bei seinem persönlichen Besuch in Baden-Baden am 12. Dezember 1946, möglicherweise anlässlich der Einreichung des Antrags auf Druckgenehmigung für sein Werk „Analyse eines Schandflecks“ (vgl. Werkgeschichte „Analyse eines Schandflecks“), sei das angeforderte Formular jedoch nicht auffindbar gewesen, weshalb er nochmals eine Kopie der Unterlagen beifügte und erneut um Druck- und Papierfreigabe bat. Diese wurde ihm schließlich am 7. Februar 1947 mit einer Druckerlaubnis für 10.000 Exemplare erteilt. „Henker und Heilige. Eine Erzählung aus unseren Tagen“ erschien noch im selben Jahr im Selbstverlag, gedruckt von der Waldkircher Verlagsgesellschaft.

Quellen:

  • „Antrag auf Erteilung der Veröffentlichungsberechtigung, 5. Juni 1946“. In: Archiv des mn französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Pierre Ripault an Paul Kowollik, 9. Oktober 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • „Paul Kowollik an La Direction de l‘Information, 3. Januar 1947“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • Kowollik, Joachim: „Literarische und juristische Aufarbeitung der Lagerhaft“. In: Siegel, Helmut/Kowollik, Joachim (Hrsg.): Verfolgt – verfemt – vergessen. Das Leben und Schicksal von Paul Kowollik. Waldkirch 2023, S. 101-136.

Die Annotation entstand in enger Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Joachim Kowollik, dem an dieser Stelle ausdrücklich Dank ausgesprochen sei für seine Unterstützung und Hilfe!



Bearbeitet von: Jennifer Ehrhardt und Hannah Heuper