Himmelfahrtskommando (1944)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Himmelfahrtskommando. Roman
Autor Weiskopf, Franz Carl (1900-1955)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1944, Stockholm
Titel Himmelfahrtskommando. Roman

Erscheinungsort Stockholm
Erscheinungsjahr 1944
Auflage 1. Auflage

Verlegt von Bermann-Fischer Verlag
Gedruckt von Winterhut AG Schweiz
Publiziert von Weiskopf, Franz Carl (1900-1955)
Umschlaggestaltung von Mark Sylwan

Umfang 405 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Roman von F.C. Weiskopf, der das Schicksal eines Wehrmachtsangehörigen in einem in Prag stationierten Erschießungskommando im Zweiten Weltkrieg schildert, beginnt mit einem „Auftakt“ (S. 13), der die Rahmenhandlung darstellt. Der Ich-Erzähler Hans Holler, ein tschechischer Soldat in der deutschen Wehrmacht, liegt mit einer Kriegsverwundung, die ihn blind gemacht hat, in einem Lazarett in Russland und möchte, dass die russische Krankenschwester Marussja ihm hilft, seine bereits in einem verloren gegangenen Tagebuch festgehaltenen Geschichte zu rekonstruieren. „Denn sehen Sie, dieses Tagebuch war so etwas wie mein besseres Selbst, oder nein, es war noch nicht mein besseres Selbst, aber doch ein Weg zu ihm hin, ein Spiegel der Erkenntnis, ein Freund, dem ich mich ohne Furcht anvertrauen konnte“ (S. 15). Das Tagebuch sei für ihn, der seit 1937 das Parteibuch trage, ein Mitwisser geheimer Regungen. Das Buch hatte einst seinem Vater gehört, der es 1917, dem Jahr, in dem auch der Ich-Erzähler geboren wird, während eines Heimaturlaubes von der Front kaufte. Der Vater fiel im Ersten Weltkrieg und die Mutter schenkte das Buch Holler zu seinem 12. Geburtstag als Andenken an den Vater. Holler selbst war, bevor er im Winter 1940 seine Einberufung zum Waffendienst erhielt, Hilfslehrer in einem mecklenburgischen Sammellager für sogenannte Volksdeutsche. Mit der Einberufung begann er auch das Tagebuch zu füllen. In einem Monolog, der sich an Schwester Marussja richtet, rechtfertigt Holler das Verhalten der Wehrmacht, ihre Beteiligung an Massenmord und Gräuel, fasst aber auch seine Familiengeschichte zusammen. Für die Geschichte, die er nun erzählen möchte, will er jedoch nur das letzte Drittel – die Prager Zeit – schildern. „Erst in Prag lernte ich es kennen, dieses Gefühl, - daß wir aus Jägern oder zumindest Treibern, zu Gejagten wurden, zu Gezeichneten und Gerichteten“ (S. 25).

Im nun folgenden ersten Teil der Erzählung schildert Holler die erste Zeit als Oberschütze in Prag. Er stellt seine fünf Stubenkameraden vor, um die sich die Geschichte fortan maßgeblich drehen wird. Das sind der intellektuelle Student Joachim von Chabrun aus adeligem Elternhaus, der Berliner Kneipenwirt Klobocznik, der Unterkontrolleur bei der Steuerbehörde Alois Seelke, der Textilarbeiter Maurer und der Student der Rassenkunde Horst Fritz Dietz. Diese sechs Menschen erweisen sich als sowohl persönlich als auch ideologisch sehr unterschiedlich.

Zunächst ist ihr Alltag geprägt von Unterweisungen in Rassenkunde, Bordellbesuchen, Liebschaften und Besäufnissen. Der Ich-Erzähler nimmt sich viel Zeit, um auch dialogisch die unterschiedlichen Charaktere der Kameraden und die Atmosphäre ihres Zusammenlebens zu schildern. Daneben gibt es aber auch zahlreiche andere Figuren – vor allem Frauen –, die für den Handlungsverlauf wichtige Rollen spielen und das Schicksal der sechs Männer mitgestalten.

Als Seelke und Klobocznik zu einem ‚Himmelfahrtskommando’ beordert werden, erfährt der geschockte Holler, dass es sich dabei um Erschießungskommandos handelt und auch von ihm erwartet wird, dass er daran teilnimmt. Resigniert reflektiert er aus der Rückschau seine Haltung: „Was ich mir dabei dachte? Krieg ist Krieg, dachte ich, die auf der anderen Seite treiben es sicher genau so oder noch ärger, außerdem, was kann ich als einfacher Soldat schon tun, die Verantwortung liegt sowieso bei denen oben, ja, wir sind da in eine Sauerei hineingeraten, in eine furchtbare Sauerei, und jetzt müssen wir eben durch, ein Zurück gibt’s nicht mehr ... [...] Ja, damit fing es an, das Gleiten und Stürzen, das Stumpfwerden und verkommen; damit fing es am: mit der Furcht vor dem Denken“ (S. 61). Obwohl klar ist, dass auch Holler an diesen Erschießungen teilnehmen soll, berichtet er nie direkt über seine eigene Beteiligung. Seine Erzählung bleibt in dieser Hinsicht ausweichend, vage und unkonkret.

Auch im weiteren Verlauf gibt er vor allem detailliert das amivalente Zusammenleben der sechs Kameraden wieder. Die Front, das Kampfgeschehen und das Sterben finden zunächst vor allem durch entfernteres Geschehen – etwa dem Tod des Bruders – Eingang in die Erzählung. Hin und wieder schweift der Erzähler – vor allem in brenzligen Situationen – ab. So kann er die Mischung aus Grauen und Verzückung, die ihn überkommt, wenn sie etwa die Bevölkerung überfallen und auf Raubzug gehen, nur anhand einer Kindheitserinnerung erzählen, in der er einen Hasen getötet hatte: „Und klar blieb nur die Erinnerung an ein zwiespältiges, aus Grauen und etwas wie Verzückung gemischtes Gefühl, das mir die Kehle zusammengepreßt und den Magen umgestülpt hatte. Nicht anders ergeht es mir jetzt, wenn ich schildern will, was sich weiter bei jener ‚Unternehmung S5’ereignet hat; das Gedächtnis setzt aus, alle Umrisse verschwimmen, und bloß fließende Schatten sind da“ (S. 84).

Im zweiten Teil erzählt Holler von der Heimreise nach R., einem kleinen Städtchen am Fuß des Isergebirges in Nordböhmen, da er Vater geworden ist. Kurz vor seiner Einberufung hatte er auf Druck des Onkels in eine Kriegstrauung eingewilligt und seine von einem anderen Mann schwangere Cousine Annegret geheiratet. Dafür hatte der Onkel mit seinen Verbindungen für die Kommandierung nach Prag gesorgt. Seine Frau Anneliese und den neugeborenen Sohn bekommt er jedoch nicht zu sehen, da die beiden noch im Krankenhaus sind. Seine Mutter, die strikt gegen die Kriegsehe ist und nichts von Anneliese hält, die wechselnde Männerbekanntschaften pflegt, trauert um den toten Sohn. Der Onkel, ein strammer Nazi, setzt dagegen auf Opferbereitschaft und Stärke. Von Holler wird erwartet, dass er die Mitglieder seines Herrenclubs „mit ein paar Geschichtchen über den Geist der Truppe und so“ (S. 130) ‚aufpulvert’. Drei Jahre Krieg gingen immerhin an niemanden spurlos vorüber „und erst recht nicht an Männern, die mitten im Getümmel der Erzeugungsschlacht stehen und sich von früh bis spät mit den Schwierigkeiten der Ersatzstoffbeschaffung und dem Mangel an geeigneten Arbeitskräften und den zehntausend verschiedenen Vorschriften herumschlagen müssen (S. 131), wie der Onkel ganz ohne Selbstironie erklärt. Der Heimaturlaub endet abrupt als während einer Liebesnacht mit Effi, der Schwester Annelieses, der Onkel die Botschaft bringt, dass Heydrich erschossen worden und Holler zurück nach Prag beordert worden sei.

Im dritten Teil ist Holler zurück in Prag. Nach dem Tod Heydrichs werden sie verstärkt auf Patrouillengänge geschickt. Immer stärker manifestieren sich Differenzen zwischen den Männern. So betrachtet vor allem Dietz, dessen nationalsozialistische Überzeugung unerschütterlich scheint, Maurer zunehmend mit Argwohn, da er – zu recht – vermutet, dass dieser Zweifel am Krieg und den Nationalsozialisten hegt. Unter anderem stört Dietz, dass Maurer sich vor der Teilnahme an den Himmelfahrtskommandos zu drücken scheint. Immer wieder reflektiert Holler seine damaligen Empfindungen bezüglich der Mordeinsätze: „Ich behielt den Namen des Dorfes keinen Tag, keine Stunde im Gedächtnis. Es störte für eine lange Zeit nicht den Schlaf meiner Nächte, dieses böhmische Dorf Lidice, dessen erwachsene Einwohner erschossen, dessen Kinder verschickt, dessen Häuser niederwalzt, dessen Namen und Andenken ausgelöscht worden waren“ (S. 194). Mit der Erschießung von Gefangenen endet der dritte Teil. Holler redet sich ein, dass keiner seiner Schüsse getroffen habe.

Im vierten Teil verspüren die Männer immer deutlicher ein Gefühl von nahendem Unheil. Hollers zweiter Bruder Gerhard besucht ihn auf einer Dienstreise. Vorzeitig gealtert stellt er, der tatsächliche Fronterfahrung hat, für Holler einen erschreckenden Anblick dar.

Schließlich wird Seelke an die Front versetzt, da er Lebensmittel geschmuggelt hat. Bevor er jedoch dazu kommt, erhängt er sich. Auf das heftige Besäufnis zu Ehren Seelkes folgt ein weiteres nächtliches Erschießungskommando, das der Ich-Erzähler jedoch ebenfalls vergessen hat: „Wie anders wäre es mir gelungen, die nächtliche Erschießungsszene, an der ich teilgenommen, so vollständig aus meinem Gedächtnis zu verdrängen? Wie anders ließe es sich’s erklären, daß ich im Laufe meiner Geschichte nur die ersten zwei oder drei Himmelfahrtskommandos erwähnt habe, an denen sich Klobocznik, Dietz oder Seelke beteiligten, nicht aber die vielen folgenden?“ (S. 283)

Auch Hollers zweiter Bruder Kurt fällt im weiteren Verlauf, wieder bleibt dieser nahezu unberührt. Die Situation zwischen Maurer und Dietz spitzt sich zu, Holler wird klar, dass Dietz Maurer denunzieren möchte. Er kann sich nicht entscheiden, ob er Maurer, der ihm inzwischen offen von seinen Gedanken über den nahen Kriegsniederlage erzählt hat, warnen oder sich raushalten soll. Als sie beordert werden, einen Güterzug zu bewachen, fällt Holler vom Waggondach.

Der fünfte Teil beginnt nach dem Sturz Hollers im Krankenhaus, auch Klobocznik befindet sich wegen einer Verletzung am Arm dort. Dietz ist inzwischen zur SS versetzt worden, Maurer ist desertiert. Chabrun, der das Kommando beim Zugeinsatz hatte, ist wegen des Unglück Hollers und der Desertierung Maurers strafweise ins Feld versetzt, wo er wenig später fällt. Hollers Mutter kommt ihn besuchen und er erfährt, dass seine Schwester Barbara zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden ist, da sie kriegsgefangenen Soldaten zur Flucht verholfen hat. Holler beschleichen erneut Vorahnungen eines Unheils. Klobocznik wird Selbstverstümmelung zur Last gelegt und er wird vor ein Militärsondergericht gebracht. Holler selbst wird felddienstfähig geschrieben: „Furcht überkam mich wie ein Schüttelfrost, aber auch ein Gefühl von Entspannung und Wurstigkeit, von großer, lauer, grauer Wurstigkeit“ (S. 384).

Der letzte Teil des Romans trägt die Überschrift „Ausklang“ und kehrt zur Rahmenhandlung im Lazarett in Russland zurück. Holler kann mit seiner Geschichte nicht fortfahren, kann nicht über das berichten, was sich in den zwei Wochen seines Fronteinsatzes – unter dem Kommando von Dietz – bis zu Gefangennahme in Russland lagen, zugetragen hat. Aus dieser Zeit gibt es auch keine Einträge im verschollenen Tagebuch. Holler versichert, kein schlechter Mensch zu sein und niemals jemanden aus freien Stücken Leid zufügen zu wollen. Das Leben in seiner unberechenbaren Grausamkeit habe ihm jedoch nicht erlaubt, anständig zu bleiben und ihn zur Gewöhnung an die Gemeinheit gezwungen. Trotz allem müsse er sprechen, fährt er fort, müsse über die schrecklichen Dinge berichten, die er gesehen und an denen er teilgenommen habe. Von Aufgeknüpften, Erschossenen, niedergemetzelten Toten, Verwüstung und Verbrennung berichtet er: „Die Erde war schwarz von ihrem Blut“ (S. 391). Dieser Anblick sei ihnen zu etwa Alltäglichen geworden. Eine besonders entsetzliche Sache sei in Glubokaja geschehen, wo sie unter Dietzens Kommando Frauen und Kinder zusammentrieben und niedermetzelten. Dabei kommt es jedoch zu einem Partisanenangriff, bei dem auch Dietz umkommt und Holler verwundet wird. Nun, so schließt er, sei auch für ihn die „Zeit des Erkennens, des Erwachens aus Stumpfsinn und Feigheit, die Zeit des Handelns“ gekommen (S. 402).

Dem Roman sind Auszüge zweier Gedichte von Hölderlin und einem unbekannten deutschen Soldaten, gefallen im Winter 1941/42, vorangestellt. Er trägt die Widmung „Für Grete“ (o. S.) und ist mit der Zeitangabe Frühjahr 1942 bis Herbst 1943 und den Orten „New York und Peterborough, N.H.“ (o. S.) versehen. In der Nachbemerkung erläutert der Autor, dass es sich bei dem Buch um einen Roman handele, die Gestalten und der äußere Ablauf der Erlebnisse seien erfunden. Von den Greueln, die erwähnt seien, sei jedoch „kein einziger der Phantasie entsprungen“ (S. 404).

Biografie

Franz Carl Weiskopf (Pseudonyme Petr Buk,Pierre Buk,F. W. L. Kovacs), geb. am 3. April 1900 in Prag, gest. am 14. September 1955 in Berlin, war der Sohn eines jüdisch deutschen Bankangestellten und einer tschechischen Mutter. In Prag besuchte er deutschsprachige Schulen und studierte anschließend von 1919 bis 1923 Germanistik und Geschichte an der Universität in Prag. 1921 wurde sein erstes Schauspiel „Föhn“ in Bad Harzburg aufgeführt. Im gleichen Jahr trat er der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bei und 1923 wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert. 1926 reiste er zum ersten Mal in die Sowjetunion, zwei Jahre später zog er nach Berlin, wo er Redakteur des Feuilletons bei „Berlin am Morgen“ wurde. Ebenfalls 1928 Jahr heiratete er Grete Bernheim, die später auch unter dem Pseudonym Alex Wedding bekannt wurde. Er trat außerdem dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller bei.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten kehrte Weiskopf 1933 nach Prag zurück, wo er Chefredakteur der antifaschistischen Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) wurde. Im Oktober 1938 musste die Zeitung ihr Erscheinen einstellen und Weiskopf floh nach Paris und von dort aus 1939 weiter in die Vereinigten Staaten, wo er die Kriegsjahre in New York verbrachte.

Nach Kriegsende war Weiskopf im diplomatischen Dienst der Tschechoslowakei tätig, zunächst als Botschaftsrat in Washington D.C. und 1949/50 in Stockholm sowie von 1950 bis 1952 als Botschafter in Peking. 1952 kehrte er nach Prag zurück und zog 1953 nach Ost-Berlin, wo er sich im Schriftstellerverband der DDR engagierte und gemeinsam mit Willi Bredel die Zeitschrift „neue deutsche literatur“ herausgab. Er war außerdem ab 1954 Mitglied der Deutschen Akademie der Künste und ein Mitglied der Schriftstellervereinigung P.E.N. (Poets. Essayist, Novelists).

Quelle:




Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger