Hinzert 1943 - 1944 (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Hinzert 1943 - 1944. Erinnerungen eines politischen Gefangenen
Autor Zenner, Jean (1900-1954)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Luxemburg
Titel Hinzert 1943 - 1944. Erinnerungen eines politischen Gefangenen

Erscheinungsort Luxemburg
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1. Auflage

Verlegt von St. Paulus-Druckerei AG
Gedruckt von St. Paulus-Druckerei AG
Publiziert von Zenner, Jean (1900-1954)

Umfang 62 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der aus Luxemburg stammende Autor Jean Zenner beschreibt unter dem Pseudonym N.R. seine 17 Monate dauernde Gefangenschaft. In seinem Erinnerungsbericht, der sich über 57 Kapitel erstreckt, liegt dabei der Schwerpunkt auf seiner Haftzeit im Konzentrationslager Hinzert von den Jahren 1943 bis 1944. Dem Text ist ein Vorwort des Autors im luxemburgischen Dialekt ‚Letzeburgesch‘ vorangestellt. Eingangs berichtet Zenner von seiner Mitwirkung in der gegen die nationalsozialistischen Besatzer in Luxemburg kämpfenden Widerstandsorganisation ‚LVL‘ (‚Letzeburger Volleks-Legioun‘) und seiner Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei. Der Verfasser wird während seiner Inhaftierung an verschiedenen Orten zu Zwangsarbeit in sehr unterschiedlichen Bereichen eingeteilt, etwa in der Holzarbeit, Gärtnerei, Landwirtschaft sowie im Straßen- und Eisenbahnbau. Auch bei von der sogenannten Schutzstaffel (SS) befohlenen und bewachten Sprengarbeiten muss er mitwirken.

Stilistisch fällt in dem bereits im Mai 1945 verfassten Text ein häufiger abrupter Wechsel von einerseits poetisch, eskapistisch wirkenden, andererseits den Kriegsverlauf und die nationalsozialistische Politik betreffenden Passagen auf: „Am Bach, in der tiefen Kluft nebenan, wispeln die Pappelblätter […] Wieder munkelte man von Umsiedlung“ (S. 11). Mehrfach werden Zitate von Häftlingen in Luxemburger Dialekt wiedergegeben, die Heimatverbundenheit evozieren und wirkungsmäßig im Gegensatz stehen zur entpersönlichten Sprache der SS gegenüber den Häftlingen des Konzentrationslagers Hinzert: „Sogar wenn man es einmal gut mit uns meinte, regneten und hagelten die Schimpfnamen, wie die Tropfen und Körnchen in den Märzschauern. Sie gehörten offenbar zur SS-Kultur“ (S. 25).

Den formalen Aufbau des Textes betreffend fällt auf, dass nicht chronologisch berichtet wird. So folgt beispielsweise auf das 33. Kapitel „SS 1“, in dem eine Begegnung mit Heinrich Himmler Anfang September 1944 beschrieben wird, das Kapitel „Dunkle Tage“, das die am 10. August 1944 eintreffende Nachricht vom Tod von Zenners Mutter zum Inhalt hat.

In den ersten sieben Kapiteln seines Berichts beschreibt Zenner überwiegend die Bedingungen und Probleme des bewaffneten Widerstands gegen die Gestapo und SS in Luxemburg, seitdem die Nationalsozialisten das Land im Mai 1940 besetzt haben. Am 21. November 1943 wird er in einer ländlichen Region Luxemburgs von der Gestapo verhaftet und in ein Gestapogefängnis im luxemburgischen Diekirch verschleppt. Nach mehreren Verhören erfolgt die Einweisung in das Konzentrationslager Hinzert in der Region Hunsrück. Anfang Juni 1944 muss der Autor Zwangsarbeit leisten, und zwar auf einem Militärflugplatz im circa 25 km östlich von Frankfurt am Main gelegenen Langendiebach. Dort befindet sich ein sogenannter Fliegerhorst, der zur Schulung neuer Flugzeugführer dient. Der Verfasser wird hier ab Anfang Juni 1944 mit anderen Häftlingen aus dem Konzentrationslager Hinzert zu Arbeiten eingesetzt, deren Ziel eine Erweiterung des Rollfelds ist. Einige Wochen später werden die Gefangenen „im Viehwagen“ (S. 37) nach Hinzert zurückgebracht. Aufgrund massiver alliierter Luftangriffe ist der Eisenbahnverkehr in starke Mitleidenschaft gezogen. Die Zwangsarbeit der Häftlinge soll retten, was nicht mehr zu retten ist: „Die Tomys trieben es ärger von Tag zu Tag. Sie zerstörten die Eisenbahnen, die wir wieder reparierten“ (S. 37). Am 23. August 1944 erfolgt eine erneute Deportation nach Neubrücke an der Nahe: „Dort soll ein Ersatzpanzerwerk errichtet werden“ (S. 37). Während der gesamten Zeit malträtiert die SS die Häftlinge systematisch. Beispielhaft kann hier die ganztägige, körperlich sehr anstrengende Holzarbeit im Konzentrationslager Hinzert erwähnt werden, bei der die Sägen „ständig zum Erbarmen stumpf“ (S. 25) sind.

Eindringlich beschreibt Zenner die von der SS praktizierten Foltermethoden. So wird er in Folge der Leugnung, Mitglied des luxemburgischen Widerstands zu sein, „zu allerschärfstem Arrest“ im „Buncker“ [sic] festgehalten: „Das lichtlose Verließ war 2 Schritte breit und 3 Schritte lang. Als Schlafstätte hatte es ein Brett. Um 5 Uhr erfolgte die Verpflegung. Sie bestand aus ¼ Liter Kaffee und einer Brotration von 375 Gramm“ (S. 19). Zenner und andere Gefangene aus Luxemburg wenden sich ihrem katholischen Glauben zu: „Mit dem Himmel blieb ich vereint im Gebet. Den Rosenkranz hatten wir natürlich abgeben müssen. Mit Bindschnur lässt sich ein Ersatz knüpfen, aber wehe dem, der mit einem solchen erwischt wurde. […] Not lehrt eben beten“ (S. 22).

Besonders eingeprägt hat sich Zenner ein Besuch Heinrich Himmlers Anfang September 1944 in Neubrücke: „Plötzlich zwängten sich durch das Gewimmel zwei Luxusautos. […] Statt der Nummer hatte das eine der Vehikel die Aufschrift S S 1. […] Ein hochgewachsenes, bebrilltes großes ‚Tier‘ sprang aus der Türe und stand vor uns auf fünf, sechs Meter Entfernung. Himmler, der Schreckliche, in höchsteigener Figur. Er beorderte einen Posten“ (S. 39).

Die letzten 15 Kapitel des Berichts behandeln den Zeitraum von Februar 1945 bis zum Ende des Krieges im Mai 1945. Der Autor bemerkt ungefähr ab Februar 1945 die zunehmend nachlassende Wachsamkeit der SS-Männer, ein Umstand, den mehrere luxemburgische Häftlinge zur Flucht nutzen. In Wettges, im hessischen Main-Kinzig-Kreis, erleben die luxemburgischen Gefangenen schließlich die Befreiung durch amerikanische Truppen. Im weiteren Verlauf schildert Zenner seine Odyssee durch ein vom Krieg verwüstetes Deutschland, in dem die Infrastruktur beinahe vollständig zum Erliegen gekommen ist, so dass er sich überwiegend zu Fuß fortbewegt: „Mehr als 14 Tage waren seit unserer Befreiung verflossen. Wir waren der Heimat um vielleicht 40 Kilometer näher gekommen“ (S. 58). Dennoch gelangt Zenner, unter anderem in Zügen, über Mainz und Saarbrücken nach Luxemburg. In Dieburg angekommen, „brachte mich ein Auto an die väterliche Schwelle. Zu meinem Empfang war das Haus beflaggt; meine Angehörigen waren indes zur Ruhe gegangen, weil sie mich erst für den Nachtag erwarteten“ (S. 62).


Biografie

Jean Zenner, geb. als Johann Nicolas Zenner am 16. April 1900 in Gilsdorf (Luxemburg), gest. am 10. Mai 1954 in Gilsdorf, entstammte einer katholischen Bauernfamilie. Jean Zenner besuchte die Ackerbauschule im luxemburgischen Ettelbrück und war im Familienbetrieb tätig. Als Mitglied der Widerstandsbewegung LVL (‚Letzeburger Volleks-Legioun‘) wurde er von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Hinzert deportiert. Nach der Befreiung durch amerikanische Truppenangehörige erfolgte die Rückkehr nach Gilsdorf im Mai 1945. Hier arbeitete er in der Landwirtschaft sowie im Gemüse- und Kohlehandel.


Quellen

  • Conter, Claude D.: Jean Zenner, in: Luxemburgisches Autorenlexikon. Online: http://www.autorenlexikon.lu/page/author/381/3817/DEU/index.html (Stand: 26.04.2016).
  • Bader, Uwe / Welter, Beate: Das SS-Sonderlager / KZ Hinzert, in: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme; C. H. Beck, München 2007.


Werkgeschichte

Zenners überwiegend seine Inhaftierung im Konzentrationslager Hinzert in den Jahren 1943 und 1944 thematisierender Bericht erschien als erster Band der Reihe ‚Luxemburger in Krieg, Exil und Gefangenschaft‘. 1977 und 1978, über zwanzig Jahre nach dem Tod des Autors, wurden Teilabdrucke des Textes in der Zeitschrift ‚Rappel‘ veröffentlicht.



Bearbeitet von: David Lambrecht