Ich hasse nicht (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Ich hasse nicht
Autor Durchham, Gösta
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Wien
Titel Ich hasse nicht
Untertitel Dichtungen aus Buchenwald

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Verlegt von Österreichischer Bundesverlag
Gedruckt von Buch- und Kunstdruckerei Steyrermühl
Publiziert von Durchham, Gösta

Umfang 64 Seiten

Lizenz Verlagsnummer 50-1

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Wiener Gösta Durchham verfasst bereits in seiner Haftzeit im Konzentrationslager Buchenwald Gedichte, die er unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht. In diesen thematisiert er die Haftbedingungen, den Alltag im Lager sowie Mithäftlinge, Kapos und deutsche Aufseher. Da er davon ausgeht, dass ein Großteil des Geschilderten nicht selbsterklärend ist, fügt er den Gedichten im Anhang ein ausführliches Glossar bei, in dem er einzelne Begriffe, Sachverhalte und Hintergrundinformationen erläutert.

Die Gedichte greifen verschiedene Themen auf und geben so Einblick in die Lagerrealität. So wird zum Beispiel im Gedicht „6434“, das mit Durchhams Häftlingsnummer betitelt und als erstes Gedicht abgedruckt ist, die Schlagartigkeit der Veränderungen im KZ thematisiert: „Gestern trug ich lange Haare, / heute ist mein Schädel kahl, / gestern trug ich einen Namen, / heute trag‘ ich eine Zahl“ (S. 5). Andere Gedichte schildern die Kennzeichnung durch Winkel, die Zwangsarbeit im Steinbruch und den Bunker. Im Zentrum vieler Gedichte steht trotz des alltäglichen Leids und des seelischen Drucks, die Durchham ausführlich beschreibt, dennoch die Hoffnung auf eine Zukunft nach dem Niedergang des ‚Dritten Reichs‘. In diesem Zusammenhang wird wiederholt der Mut und der Patriotismus speziell der Österreicher und der politischen Häftlinge gepriesen. So heißt es im Gedicht „Steinträger“, nachdem der Tod vieler Häftlinge wegen der schweren körperlichen Arbeit und dem Sadismus der Wachen beschrieben wurde: „Doch, was immer sei, / einmal sind wir frei, / die Fessel zerbricht, /es wird wieder licht [sic!], / Der Glaube ist da / und die Rache ist nah! / […] Doch einmal, da brechen die Ketten entzwei, / ein Sturm kommt und der fegt das Vaterland frei“ (S. 12f.). Gerne kämpfe er, so Durcham, für eine Zeit, in der „der Freiheit Fahnen wieder über Östreich wehen“ (S. 38). Diesen Einsatz für eine bessere Zeit setzt er mit einem Denkmal für alle „unbekannte[n] Häftling[e]“ (S. 18) gleich und leitet daraus eine Verpflichtung zum Handeln ab. Dem deutschen Volk spricht er eine kollektive Verantwortung für alles zu, was in seinem Namen geschieht.

Die Adressaten der Gedichte wechseln: Mal spricht er in einem kollektiven ‚Wir‘ andere ehemalige Häftlinge an, dann wieder appelliert er an die Deutschen oder die Österreicher im Allgemeinen. Vier Gedichte widmet er ihm nahestehenden Personen, seiner Tochter, die erst nach seiner Verhaftung geboren wird, seiner Ehefrau sowie zwei Mithäftlingen, dem Maler Franz Ambrasat und Alfred Wastl.

Alle Gedichte sind in klassischen Paar- oder Kreuzreimen gehalten und weisen gleichbleibende Strophenformen auf; komplexe Sprachbilder gibt es kaum. Hingegen nutzt Durchham ausführlich Äußerungen, die er Wachleuten, Scharführern und Kapos in den Mund legt, wodurch der im Lager herrschende Ton verdeutlicht wird. Sprachlich scheut Durchham dabei weder vor drastischen Gewaltbeschreibungen, noch an einzelnen Stellen vor Pathos zurück. So bezeichnet er beispielsweise die in Buchenwald internierten Spanier als „Kämpfer für die Menschheit“ (S. 25). Im Gedicht „Transportabler Galgen“ finden sich hingegen zynische Passagen, die durch die Verbindung einer freudigen Reimstruktur mit einem grausamen Inhalt entstehen: „Fröhlich sind die Henker, / lechzend vor Begier, / halten reiche Ernte, / haben viel Pläsier. // Siehst du sie nicht schaukeln / lustig dort im Wind? / Heute istʼs ein Alter, / morgen istʼs ein Kind“ (S. 17). Stilistisch hervorzuheben ist das Gedicht „Steinbruchkaleidoskop“, das den Band abschließt. Über elf Seiten, mit Lautmalereien und grafischen Unterteilungen, schildert Durchham die Arbeit im Steinbruch und den allgegenwärtigen Tod unter anderem durch die Äußerungen von Kapos und SS-Wachen. Dabei wechselt auch das Strophen- und Versmaß. Auffällig ist grundsätzlich, dass der Gedichtband in Frakturschrift gedruckt ist.

Das ausführliche Glossar, das den Gedichten nachgestellt ist, erklärt zum einen Begrifflichkeiten, die speziell die Lagerrealität beschreiben, wie den Bock oder den Bunker, beziehungsweise Abläufe und Strukturen im Lager wie das Scheren der Kopfhaare bei der Ankunft. Zum anderen schildert er die Hintergründe zu den Gedichten, etwa welche Personen damit gemeint sind oder was ihn zum Schreiben eines speziellen Gedichts bewogen hat. So wird das Glossar zum Kommentar zu den einzelnen Gedichten. Zu dem titelgebenden Gedicht „Ich hasse nicht“, in dem er beschreibt, wie der Gesang einer Lerche seine Rachegefühle in Buchenwald dahinschmelzen lässt, schildert er zum Beispiel in den Erläuterungen, wann dies geschah und verbürgt sich so dafür. Die historischen Verweise auf die antiken griechischen Despoten Kritias und Theramenes erklärt er dort ebenso wie seine eigene Gefühlslage, wodurch der Glossar auch weitere Informationen zum Autor selbst und seiner Haftzeit liefert.

Durchham erwähnt eine Zeichnung und einen Scherenschnitt, die für ihn im Lager Buchenwald angefertigt wurden und die er aus dem Lager schmuggeln konnte. Obwohl er betont, dass diese in dem Gedichtband aufgenommen seien, ist dies nicht der Fall.


Biografie

Gösta Durchham stammt aus Wien, wo er vermutlich 1938 wegen seiner politischen Tätigkeiten festgenommen wurde. Im Dezember 1938 wurde er kurzzeitig entlassen, bald jedoch ein zweites Mal nach Buchenwald gebracht; er erhielt dort die Häftlingsnummer 6434. Von dort wurde er 1942 nach Dachau überstellt, wo er am 15. Mai 1943 entlassen wurde.

Quelle:

  • Durchham, Gösta: Ich hasse nicht. Dichtungen aus Buchenwald. Wien 1945.


Werkgeschichte

Gösta Durchham verfasste die Gedichte bereits in seiner Haftzeit in Buchenwald zwischen 1939 und 1942. In seinen „Erläuterungen“ (Durchham 1945, S. 55) heißt es dazu ausführlich: Die Gedichte „wurden von mir meist auf Zetteln notiert und dann später in ein Heftchen eingetragen. Die Eintragungen erfolgten auf die Weise, daß einzelne Strophen und Verszeilen auf verschiedenen Seiten, unzusammenhängend, durcheinander aufgeschrieben wurden, um so eine eventuelle, unvermutete Kontrolle irre zu führen. Nur einige wenige unverfängliche Gedichte trug ich voll ein“ (ebd.). Durchhams Plan, die Gedichte bei seiner Verlegung nach Dachau zu vernichten, wurde ihm von seinem Mithäftling Ernst Scherer ausgeredet, der ihn überzeugte, das Material mitzunehmen. In Dachau angekommen, übergab Durchham die Notizhefte an die Effektenkammer, von wo er sie bei seiner Entlassung – wie er betont „unkontrolliert“ (ebd.) – zurück erhielt.

Die Gedichtsammlung wurde im Dezember 1945 herausgegeben. Im selben Monat wird sie in der Zeitschrift „Der Turm. Monatsschrift für österreichische Kultur“ als Neuerscheinung aufgeführt, aber nicht weiter rezensiert. In der Folge widmet sich auch eine frühe Literaturgeschichte von Ernst Joseph Görlich der Gedichtsammlung. Durchham wird dort als einer der Namen genannt, „die in jüngster Zeit Klang gewannen“ (Görlich 1947, S. 153) und als Beispiel für die „in unserer Literatur wirkenden Kräfte“ (ebd.) bezeichnet. Zu weiteren Auflagen der Gedichtsammlung kam es jedoch nicht. Erst 1965 publizierte Durchham in der ebenfalls im Österreichischen Bundesverlag herausgegebenen Schrift „Um der Menschlichkeit Willen. Wir schweigen nicht. Dokumentarische und literarische Aussagen zur Zeitgeschichte“ unter der Überschrift „Von der Unmenschlichkeit“ die beiden Gedichte „Ich hasse nicht“ und „Einem unbekannten Häftling“ erneut. Neben seinen Gedichten wurden darin Passagen aus den Werken unter anderem von Bertolt Brecht, Theodor Plievier, Anna Seghers, Ernst Wiechert und Rudolf Kalmar abgedruckt.

Quellen:

  • Durchham, Gösta: Ich hasse nicht. Dichtungen aus Buchenwald. Wien 1945.
  • Görlich, Ernst Joseph: Österreichische Literaturgeschichte. Einführung in die Geschichte des österreichischen Literatur. Wien 1947.
  • Gross, Wilhelm (Hg.): Um der Menschlichkeit Willen. Wir schweigen nicht. Dokumentarische und literarische Aussagen zur Zeitgeschichte. Wien 1965.
  • o.A.: „Eingegangene Neuerscheinungen“. In: Der Turm. Monatsschrift für österreichische Kultur (1946), Nr. 9, S. 270f.



Bearbeitet von: Christiane Weber