Im Dritten Reich gefangen (1939)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Im Dritten Reich gefangen
Autor Schödler, Heinrich (1896-1954)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1939, Wettingen
Titel Im Dritten Reich gefangen
Untertitel 24. September 1934 bis 12. November 1938. Selbsterlebnisse von Heinrich Schödler

Erscheinungsort Wettingen
Erscheinungsjahr 1939

Verlegt von Selbstverlag
Gedruckt von Genossenschaftsdruckerei Zürich
Publiziert von Schödler, Heinrich (1896-1954)

Umfang 38 Seiten

Preise 1,50 Schweizer Franken
Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Insgesamt vier Jahre verbringt der Schweizer Heinrich Schödler wegen des Vorwurfs des Landesverrats in deutschen Gefängnissen. Seinen Bericht über die Zeit zwischen 1934 und 1938 verfasst er nach seiner Freilassung aus der Strafanstalt Hohenasperg, um vor den „werte[n] Leserinnen und Leser[n]“ (S. 9) das Unrechtssystem der Nationalsozialisten anzuprangern und die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe richtig zu stellen. Daher legt Schödler den Fokus des Berichts weniger auf die Schilderung des Haftalltags, sondern mehr auf die Bemühungen, seine Unschuld zu beweisen.

Unterstützt von zahlreichen zitierten Dokumenten und Schreiben – beispielsweise Zeitungsartikel, Briefe des Schweizer Konsulats in Stuttgart und des Spitzels, der ihn nach Deutschland lockt – schildert Schödler, wie es zu seiner Verurteilung kommt: Er wird als Bote für gestohlene SS- und SA-Dokumente, die faktisch wertlos sind, in eine Falle gelockt. Die Gestapo wirft ihm daraufhin Landesverrat vor, nimmt ihn fest und schiebt ihm weitere Dokumente unter.

Die fast vierjährige Haft schildert er episodenhaft: die Zwangsarbeit, die positive Wirkung der Gottesdienste auf die Häftlinge, seinen gescheiterten Fluchtversuch, die Hungerstreiks, mit denen er den Besuch eines Untersuchungsrichters zu erzwingen versucht, sowie die Bemühung um Unterstützung durch das Schweizer Konsulat, die jedoch aus bleibt. Nach über einem Jahr wird Schödler in einer Gerichtsverhandlung, die er als „Tragikomödie“ (S. 16) bezeichnet, verurteilt. Obwohl er sich gegen alle Vorwürfe wehrt, wird er mit vier Jahren Haft in der Strafanstalt Hohenasperg, auch ‚Tränenberg‘ genannt, bestraft. Doch auch dort bleibt er in seiner Haltung renitent, weigert sich als Schneider „Adolfs Soldaten zu uniformieren“ (S. 21) und lässt sich nicht die Haare kurz scheren. Sein Hungerstreik und sein Gnadengesuch haben letztendlich Erfolg und Schödler wird nach Ludwigsburg verlegt, von wo er später per Zug und Fahrrad in seine Heimat zurückkehrt. Dort angekommen konstatiert er abschließend: „Damit, werte Leserinnen und Leser, nehme ich von Ihnen Abschied und ich hoffe, daß Ihnen meine Erlebnisschilderungen der Mühe wert waren, gelesen zu werden“ (S. 38).

Wie wichtig es Schödler ist, seine Unschuld zu betonen, wird bereits am Anfang des Buchs deutlich, wenn er feststellt: „In meinem ‚Fall‘ liegt ein Landesverrat effektiv absolut nicht vor. Ich betone dies zum voraus ausdrücklich“ (S. 4). Wiederholt rechtfertigt er sich, führt Beweise an, nennt die Namen der Verantwortlichen und beschreibt die genauen Vorgänge. Vor allem Prozessfehler oder Fehleinschätzungen wie die „Phantasieanklage“ (S. 7) der deutschen Justiz prangert er wortgewaltig an. Dabei wird seine Empörung besonders deutlich, wenn er etwa schreibt: „Hurst suchte einen Dritten. Einen Dummen. Und dieser Dumme sollte ich sein! Ausgerechnet ich“ (S. 5). In der Folge schildert er, wie er immer wieder vor den verschiedensten Personen betont, dass er unschuldig sei. Besonders der Zusatz ‚angeblicher Landesverrat‘ ist ihm wichtig; dafür riskiert er wiederholt Bestrafungen wie etwa Einzelhaft. So schreit er auch einen Inspektor an mit den Worten: „Machen Sie, daß Sie hinaus gehen. Sie frecher, gemeiner Mensch!“ (S. 14)

Schödlers Stil ist rasant, er reiht kurze Sätze aneinander und durch Wiederholungen vertieft er für ihn besonders wichtige Aussagen. Zudem spricht er den Leser vermehrt an und nutzt die direkte Rede, um Dialoge darzustellen. Einzelne Passagen, wie die Beschreibung seiner Fluchtgedanken, klingen wie Bewusstseinsströme oder kleinschrittige Filmsequenzen: „Die Säge war fertig. Fertig zur Probe. Ich machte am eisernen Bettgestell einen ersten Versuch. Siehe da, zu meinem großen Erstaunen! Es ging. […] Aber o weh! Ich hatte zu früh frohlockt“ (S. 12). Immer wieder macht Schödler auch seine Empörung deutlich, wenn er zum Beispiel schreibt: „Ich wartete seit fünf Monaten auf den Untersuchungsrichter! Vergebens! Kein einziges Verhör! Keine einzige Einvernahme vor dem Untersuchungsrichter!“ (S. 11)

Schödler charakterisiert sich in seinem Text sehr positiv: Nicht nur sein Eintreten für die eigene Unschuld – und somit gegen das Unrecht der Nationalsozialisten und verräterischer Spitzel, die ihn erst in diese Lage gebracht haben – stellt ihn als einen aufrechten Menschen dar, sondern er beschreibt sich indirekt als schlau, tapfer und gewitzt, die „ausgeklügelte[n] Scheinmanöver“ (S. 15) seiner Bewacher durchschaut er immer sofort. Auch sein Schreibstil trägt dazu bei, ihn als gebildeten und reflektierten Menschen wahrzunehmen. So fügt er an verschiedenen Stellen Gedichte etwa von Oscar Wilde ein, benutzt lateinische Begriffe sowie Fremdwörter und führt historisch und kulturell herausstehende Personen an. Durch die Nennung berühmter politischer Verfolgter auf dem Hohenasperg, wie dem ebenfalls durch Spitzel hintergangenen Dichter und Komponisten Christian Friedrich Daniel Schubart aus dem 18. Jahrhundert, stellt er sich in eine Reihe mit diesen. Allerdings finden sich in Schödlers Text auch Ungereimtheiten, wenn er etwa drei verschiedene Datumsangaben macht für ein und dasselbe Ereignis. Zudem stimmen die Anschriften in den zitierten Briefen nicht immer überein, so gibt es verschiedene Abkürzungen und Adressen für Schödlers Ehefrau. Letztendlich wird auch nicht klar, wie es zur plötzlichen Freilassung Schödlers kommt.

Auffallend ist abschließend, dass Schödler in seinem Bericht Bezug auf Texte anderer von den Nationalsozialisten aus politischen Gründen Verfolgter nimmt. Wolfgang Langhoff, der sein Buch „Die Moorsoldaten“ 1935 publizierte, greift Schödler beispielsweise direkt an: „Langhoffs Moorsoldaten hatten es gut, verglichen mit uns. Was weiß Langhoff mit seinen dreizehnundungrad Monaten von den schattigen, frostigen Gewölben des Narrenberges [d.i. Hohenasperg], in denen wir lebendigen Leibes dahinvegetierten“ (S. 33). Im Vergleich zu ihm selbst habe Langhoff weniger lange in einer leichteren Haft leben müssen, so der Vorwurf Schödlers. Auch aus seiner Sicht falsche Angaben über das Schicksal anderer Verfolgter korrigiert er mit Hinweis auf den jeweiligen Autor, der sie nicht korrekt wiedergebe.


Biografie

Heinrich Schödler (geb. 11.07.1896 in Dietlikan/Schweiz, gest. 30.09.1954 in Baden) war vor seiner Inhaftierung wegen Landesverrats Schneidermeister und/oder Kaufmann in Wettingen im Kanton Aargau, wo er in ärmlichen Verhältnissen lebte. Er wurde am 28. September 1934 in das Gerichtsgefängnis Lörrach eingeliefert und von dort aus am 15. November 1934 in das Bezirksgefängnis Freiburg weitergeleitet. Schödler wird ebenfalls als Häftling im Zuchthaus Ludwigsburg geführt. In einer Aktennotiz vom 8. August 1961, die sich im Schweizer Bundesarchiv erhalten hat, heißt es: „Schödler liess sich dazu verleiten, mit einem Agenten der NSDAP über den Verkauf von geheimen Parteiakten zu verhandeln. Er wurde Ende September 1934 mit einem diesbezüglichen Angebot einer Parteistelle nach Lörrach gelockt, wo man ihm einige wertlose Dokumente in die Hände spielte und ihn darauf festnahm. Bis Ende November 1934 war er im Amtsgerichtsgefängnis Lörrach, um in Untersuchungshaft ins Landesgefängnis Freiburg überführt zu werden. Am 15. März 1936 gelangte er in die Strafanstalt Bruchsal. Von dort transferierten ihn die deutschen Behörden am 5. April 1936 nach Ludwigsburg und dann auf den Hohenasperg. Mitte Juni 1938 kam er zurück nach Ludwigsburg. Freilassung 12. November 1938.“ Schödler wurde monatelang nicht verhört, ihm war lange keine juristische Unterstützung durch einen Anwalt erlaubt und zu einem gerichtlichen Prozess, bei dem er zu vier Jahren Zuchthausstrafe verurteilt wurde, kam es erst nach 15 Monaten Haft; ein Gnadengesuch wurde zudem im Mai 1938 trotz der schlechten Gesundheit Schödlers abgewiesen. Schödler selbst, so wird in den im Schweizer Bundesarchiv überlieferten Dokumenten deutlich, fühlte sich während der gesamten Haft unschuldig, lediglich seine schlechte finanzielle Lage habe ihn dazu gebracht, auf den Trick hereinzufallen. Er habe das Geld für einen Aufenthalt seiner Frau in einem „Nervensanatorium“ benötigt, heißt es im Gnadengesuch vom 23. Dezember 1937.

Zwar intervenierte der Schweizerische Hilfsverein, der Schweizer Konsul in Berlin und andere Stellen ab 1934 vielfach für Schödler und die mit ihm verhafteten Schweizer unter anderem beim Auswärtigen Amt, jedoch konnten sie nichts ausrichten. Eventuell hinderte auch der nicht „einwandfrei[e] Leumund“, der Schödler von Schweizer Seite attestiert wurde, und die Tatsache, dass Schödler vorbestraft war, erfolgreiche Hilfsmaßnahmen. Schödler litt in der Haft vor allem wegen der Sorge um seine Familie, wie er seiner Frau in Briefen mitteilte. Im Bericht des Schweizer Hilfsvereins, der Schödler am 21. Januar 1936 besuchte, heißt es ebenfalls: „Schödler ist sehr verbittert, zermürbt und seelisch vollständig aus dem Gleichgewicht gebracht, daher auch völlig halt- und mutlos.“ Im Oktober 1937 erhielt die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin einen weiteren Bericht, der betonte, dass Schödler „in physischer Hinsicht ausserordentlich gelitten und er körperlich stark abgegeben hat, sodass ich ihn fast nicht wieder erkannt habe“ – der Berichtende sorgte sich sogar, ob Schödler das letzte Haftjahr überleben werde. Schödler kehrte nach seiner Entlassung im November 1938 zu seiner Familie nach Wettingen zurück und lebte bis zu seinem Tod in bescheidenen Verhältnissen. Entschädigungsanträge Schödlers beziehungsweise seiner Ehefrau zur Anerkennung Schödlers als Verfolgter des Nationalsozialismus wurden mehrfach abgelehnt, zu sehr galt Schödler noch Jahrzehnte nach dem Krieg als Spion: „Auf deutscher Seite wird der Fall als Straftat angesehen, die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ihre Ahndung erfahren habe. Es wird in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass Spionagetätigkeit in allen Rechtsstaaten strafbar ist, und dass ein Spion, der gegen Bezahlung tätig ist, nicht als politischer Ueberzeugungstäter angesehen werden kann“, heißt es in einem offiziellen Schweizer Schreiben vom Mai 1955.

Quellen:

  • „Dossier Schödler Heinrich, Surbeck Eugen, Wenger Viktor, Hurst Fritz“. In: Schweizerisches Bundesarchiv BAR, Bestand E2001C, Aktenzeichen: B.51.13.12.
  • „Dossier Schödler, Heinrich, Wettingen“. In: Schweizerisches Bundesarchiv BAR, Bestand E2001-08, Aktenzeichen: B.34.95.1.


Werkgeschichte

Heinrich Schödler verlegte seine Erinnerungen in einer einmaligen Auflage im Selbstverlag, weitere Drucklegungen sind nicht nachweisbar. Dem Text ist zu entnehmen, dass er eine klare Zielgruppe anspricht, die Bekannte und Freunde „von früher“ (S. 4) ebenso miteinschließt wie auch Leser, die sich für das an ihm begangene Unrecht interessieren. Schödler nutzte die Broschüre auch gezielt, um sie während und nach dem Krieg bei amtlichen Stellen, etwa im Zuge von Wiedergutmachungsanträgen, miteinzureichen. Bereits am 30. Mai 1939 schrieb Schödler an das Eidgenössische Politische Departement: „Ich erlaube mir Ihnen einen Tatsachenberich in form [sic!] einer Broschüre zuzustellen. Was gedenken Sie zu tun, um dieses Verbrechen an mir und den Schaden an meiner Familie wieder gut zu machen?“ Die Abteilung für Auswärtiges reagierte auf das Anschreiben Schödlers und schickte die Broschüre an das Schweizerische Konsulat in Stuttgart und an die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern, wegen der „abschätzigen Aeusserungen“ Schödlers über das Verhalten der Schweizer Politik während dessen Haftzeit.

Quellen:

  • „Dossier Schödler, Heinrich, Wettingen“. In: Schweizerisches Bundesarchiv BAR, Bestand E2001-08, Aktenzeichen: B.34.95.1.
  • „Dossier Schödler Heinrich, Surbeck Eugen, Wenger Viktor, Hurst Fritz“. In: Schweizerisches Bundesarchiv BAR, Bestand E2001C, Aktenzeichen: B.51.13.12.
  • Schödler, Heinrich: Im Dritten Reich gefangen. 24. September 1934 bis 12. November 1938. Selbsterlebnisse von Heinrich Schödler. Wettingen 1939.



Bearbeitet von: Christiane Weber