Juden in brauner Hölle (1933)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
Wechseln zu: Navigation, Suche

Angaben zum Werk

Titel Juden in brauner Hölle
Autor Grossmann, Kurt Richard (1897-1972)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1933, Prag
Titel Juden in brauner Hölle

Erscheinungsort Prag
Erscheinungsjahr 1933

Verlegt von Verlag Die Abwehr
Gedruckt von Josef Prúša
Publiziert von Grossmann, Kurt Richard (1897-1972)
Umschlaggestaltung von Heartfield, John (1891-1968)

Umfang 48 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Kurt Richard Grossmann versammelt in der schmalen Broschüre Berichte von Augenzeugen, die in den ersten Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft in Konzentrationslagern inhaftiert waren. Um der Welt die Gefahr und das Leid aufzuzeigen, stellt er neben den Beschreibungen von Gewalt und Willkür in den NS-Gefängnissen und -Lagern auch die systematische Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Gesellschaft dar.

Grossmann beginnt seine Sammlung mit der Schilderung der Lebensbedingungen der Juden in Deutschland 1933: Er beschreibt unter anderem die Ausgrenzung aus allen Berufsfeldern und den damit einhergehenden finanziellen Ruin, die öffentlichen Schikanen und Beschimpfungen etwa für Männer, die mit einer ‚Arierin‘ verheiratet sind, das Anprangern in Zeitungen, die Einführung von Quoten für jüdische Studenten und den Ausschluss aus Verbänden und Versicherungen. Dabei zitiert er den Wortlaut von Gesetzestexten, internationale sowie nationalsozialistische Presseartikel und Äußerungen führender Nationalsozialisten. Zudem nennt er konkrete Beispiele, in welcher Stadt auf welche Weise gegen Juden vorgegangen worden ist. Durch die Vielzahl an Informationen wird deutlich, dass es neben den umfassenden Neuregelungen auch die vermeintlichen Kleinigkeiten sind, die das Leben der Juden erschweren und sie aus der Mehrheitsgesellschaft ausschließen.

Provozierend beginnt Grossmann die Schilderung mit dem Hinweis, dass in Deutschland zwar dem Tierschutz eine große Bedeutung beigemessen, aber die Würde der Juden umso weniger geachtet wird. Im zweiten Teil des Buches sprechen „die Opfer des physischen Vernichtungsfeldzuges selber“ (S. 10). Insgesamt drei jüdische Männer – die alle anonymisiert berichten – schildern ihre Haftzeit in Breslau, im sächsischen KZ Heinewalde und im Gefängnis Schloss Osterstein. Alle erzählen sie nach ihrer Ankunft in Prag von brutalen Schlägen und gezielten Schikanen von Seiten der SS gegen jüdische Häftlinge. Der zweite Berichtende, ein Handlungsreisender aus Aue, wird von SA-Männern an die tschechoslowakische Grenze gebracht und dort entlassen. Bekannte, mit denen er verhaftet wurde, überleben die Haft teilweise nicht. Der ausführlichste Bericht stammt von „P.D.“, einem 35-jährigen Juden aus Aue in Sachsen: D. versteckt sich zunächst für vier Tage, wird dann aber am 9. März 1933 von einem SS-Mann, einem alten Freund, mit dem er sich jedoch zerstritten hat, verhaftet. Er stellt klar, dass es die SA und die SS waren, welche die Menschen prügelten; die Polizisten des Ortes seien auf Seiten der Inhaftierten gewesen und vertrauten noch auf den Rechtsstaat, so D. Allerdings wurde etwaiges Eintreten für die Häftlinge sofort bestraft: „Wehe demjenigen Zwickauer Bürger, der auf der Strasse eine Bemerkung über uns machte! Er wurde sofort ins Konzentrationslager mitgenommen und furchtbar misshandelt“ (S. 32). D. ist – neben der Mehrheit der inhaftierten Sozialdemokraten und Kommunisten – der einzige Jude im Gefängnis und wird von der SA und der SS besonders brutal behandelt. Nach seiner Entlassung gelingt ihm die Flucht nach Karlsbad.

Im Anschluss an die Berichte führt Grossmann Zeitungsartikel an und gibt kurze Episoden aus dem KZ-Alltag wieder. So erzählt er etwa vom Tod eines KZ-Häftlings oder dass in Oranienburg ein Rabbiner mit einem jüdischen Waisenkind kämpfen sollte. Die Informationen stammen aus „Protokolle[n] von nichtjüdischen Insassen von Konzentrationslager[n]“ (S. 41). Oft sind es nur wenige Zeilen, die – nach Örtlichkeiten sortiert – besonders grausames Verhalten gegenüber Juden unter anderem in Dachau, Worms und in Berliner Gefängnissen in den ersten Monaten des Jahres 1933 schildern. Dabei arbeitet Grossmann mit Einrückungen, um drastische Szenen grafisch hervorzuheben.

Die Ausrichtung des Buches macht Grossmann bereits zu Anfang deutlich: Das Sprechen über das Erlebte ist wichtig, denn die „Erkenntnis der Situation [ist] die Vorbedingung, unter de[r] der Abwehrkampf gegen diese grösste Kulturschmach des zwanzigsten Jahrhunderts stehen muss“ (S. 10). Im letzten Kapitel „Wird die Welt schweigen?“ greift Grossmann dies abschließend noch einmal auf: Die Staatsmänner aller Regierungen werden von ihm zum sofortigen Handeln aufgerufen, denn heute seien es noch die Juden, auf die sich der Hass der Nationalsozialisten richte, aber „morgen schon wird man die Tschechen, übermorgen die Polen und am dritten Tag die Franzosen unterjochen wollen“ (S. 47).

Der Sammlung ist eine Liste von 65 Konzentrationslagern, die bereits 1933 existierten, beigefügt.


Biografie

Der Journalist Kurt Richard Grossmann (geb. 21.05.1897 in Berlin, gest. 02.03.1972 in St. Peterburg/Florida) entstammt einer assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie. Da seine schulischen Leistungen nicht den Erwartungen entsprachen, begann er eine kaufmännische Lehre. Während des Ersten Weltkriegs meldete sich Grossmann 1916 freiwillig an die Front, geriet aber nach zwei Kriegsjahren in britische Kriegsgefangenschaft. Da er aufgrund seiner Ausbildung Englisch sprechen konnte, arbeitete er bis zu seiner Entlassung im September 1919 im Lager als Dolmetscher. Nach seiner Rückkehr setzte sich Grossmann für pazifistische Kriegsgefangenenorganisationen und die Versöhnung der Staaten ein. Bereits ab 1922 engagierte er sich in der Deutschen Liga der Menschenrechte (DLM), die in den 1930er Jahren politisch Verfolgte wie Carl von Ossietzky juristisch und materiell unterstützen sollte.

Nach seinem Umzug nach Danzig im Mai 1923, wo er als Prokurist und später als Bankdirektor arbeitete, gründete er in der Hafenstadt eine Zweigstelle der DLM und setzte sich für die Verständigung zwischen Deutschen und Polen ein. Als Grossmann zum Generalsekretär der Liga berufen wurde, kehrte er mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn 1926 nach Berlin zurück.

Da er öffentlich gegen die nationalsozialistische Politik und für demokratische Friedensbemühungen auftrat, mussten er und seine Familie im Februar 1933 nach Prag fliehen; ein Freund hatte ihn darüber informiert, dass er verhaftet werden sollte. Grossmann wurde von den Nationalsozialisten bereits mit der ersten Ausbürgerungsliste am 25. August 1933 seine Staatsbürgerschaft entzogen. Von Prag aus unterstütze Grossmann zahlreiche deutsche Emigranten und baute die Deutsche Flüchtlingsfürsorge auf. Im Herbst 1938 musste die Familie erneut fliehen und zog nach Paris, um von dort im August 1939 in die USA zu emigrieren. Zahlreiche Berühmtheiten wie Albert Einstein, Paul Tillich und Leon Kubowitzki setzten sich für ihn in den USA ein. Grossmann blieb bis zu seinem Tod in den USA, die Stelle des Generalsekretärs der Liga für Menschenrechte, die ihm 1946 in Berlin angeboten wurde, lehnte er ab. Allerdings besuchte er Deutschland oft, publizierte in deutschen Zeitungen wie dem „Vorwärts“, trat als Redner im Auftrag der Bundesregierung auf und traf sich mit deutschen Politikern wie Theodor Heuss oder Willy Brandt.

Grossmann setzte sich auch nach Kriegsende in verschiedenen Hilfsorganisationen – ab April 1943 war er für den Jüdischen Weltkongress (WJC) tätig, später auch für die Jewish Agency und die Jewish Claims Conference – für Flüchtlinge aus Deutschland ein. Er war ebenfalls von Amerika aus in die Entschädigungs- bzw. Wiedergutmachungsdebatte involviert. Für sein bekanntestes Werk „Die unbesungenen Helden. Menschen in Deutschlands dunklen Tagen“ (1957, erweiterte Fassung 1961) sammelte Grossmann Schilderungen von Überlebenden, wie Deutsche ihnen während ihrer Verfolgung geholfen hatten. Unter diesen waren bekannte Menschen wie Oskar Schindler, aber auch unbekannte Helfer, die nun die erste Ehrung erfuhren.

Auch in den USA selbst trat Grossmann politisch für die Demokratische Partei ein. Neben dieser Tätigkeit schrieb er für verschiedene bekannte Zeitungen im Exil, unter anderem als Amerikakorrespondent für den „Aufbau“, für das „Pariser Tageblatt“, den „Rheinischen Merkur“ und das „Neue Tage-Buch“. Teilweise publizierte er unter Pseudonymen wie Felix Burger und Herrmann Walter und in den USA als Kay R. Gilbert oder Kurt R. Gilbert-Grossmann. In seinen knapp 2000 Zeitungsartikeln tritt der Pazifist Grossmann als „unermüdlicher Kämpfer für Frieden und Menschenrechte“ (Mertens 1997) ein.

Quellen:


Werkgeschichte

Im Auftrag der Liga der Menschenrechte interviewte Grossmann ab 1933 über 200 Überlebende der Konzentrationslager, denen die Flucht nach Prag geglückt war. Diese Texte über die frühen KZ-Erfahrungen nutzte Grossmann für seine Broschüre, die einen klaren aufklärerischen Charakter haben sollte. Er schreibt dazu: „In den […] Protokollen sind Erlebnisse von Juden wiedergegeben, in ihrer Sprache, ohne irgendwelche stilistischen Änderungen. Diese Protokolle sind nach sorgfältiger Prüfung in stundenlangen Verhören und, wo notwendig, unter Hinzuziehung ärztlicher Gutachter aufgenommen worden“ (S. 13).

Das Buch wurde im Herbst 1933 in Prag in deutscher Sprache gedruckt. 1938 wurde der Band von den Nationalsozialisten allerdings auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt und verboten. Weitere Ausgaben nach 1933 sind nicht bekannt.

Quelle:

  • White, Joseph Robert: „Zwickau“. In: United States Holocaust Memorial Museum (Hg.): Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933-1945. Band 1. Bloomington 2009, S. 179f., hier S. 180.



Bearbeitet von: Christiane Weber