KZ (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel KZ

Genre Sonstige

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945
Titel KZ
Untertitel Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern

Erscheinungsort
Erscheinungsjahr 1945

Umfang (28 Seiten)
Abbildungen 44 Fotografien

Preise 50 Pfennig


Zusammenfassung

Als die britischen und amerikanischen Truppen im Frühjahr 1945 Deutschland besetzten, dokumentierten sie die in den von ihnen befreiten Konzentrationslagern herrschende Situation in Fotografien. Um die Deutschen über die in ihrem Namen oder von ihnen verübten Greultaten (,atrocitites') zu informieren, wurden im Auftrag des Amerikanischen Kriegsinformationsamts unmittelbar zu Kriegsende Bilder aus fünf Konzentrationslagern in einer schmalen Broschüre versammelt. Die drastischen Bilder, die oft Leichenberge und ausgemergelte Häftlinge zeigen, sind um Informationen zu den Lagern und Tötungsstätten ergänzt.

Die Bilder – etwa fünf bis fünfzehn je Kapitel – sind den Lagern Buchenwald, Bergen-Belsen, Nordhausen und Ohrdruf zugeordnet. Sie zeigen deutlich das dort herrschende Leid bei der Befreiung und sollen eine Schockwirkung erzeugen: Nahaufnahmen von Leichenbergen, Kindern, Frauen und Männern, die bis auf die Knochen abgemagert sind, das Beisetzen der Toten in Massengräbern sowie Aufnahmen der Toten und der Verbrennungsöfen. Einzelne Bilder wirken arrangiert, so etwa die Leichen von zwei Kindern oder einer nackten Patientin aus dem Krankenbau, die sich auf zwei Betten stützt. Die übrigen Fotografien zeigen Momentaufnahmen des Alltags der Menschen im Lager nach ihrer Befreiung, etwa das Zubereiten von Essen oder den Versuch, in den Lumpen Kleidung zu finden.

Ein Kapitel zeigt Fotografien verbrannter Leichen von Fremdarbeitern, die in einer Scheune in Gardelegen starben. Lagerwachen hatten 3.000 Menschen in eine Scheune gesperrt und diese angezündet, um deren Befreiung durch die herannahenden amerikanischen Truppen zu verhindern. Die einzigen zwei Überlebenden führten die Amerikaner dort hin, wie authentifizierend erwähnt wird. Den Fotografien wird im Vergleich zu den Texten deutlich mehr Gewicht beigemessen: Viele Seiten zeigen nur Fotografien und einzelne Bilder erstrecken sich über eine Doppelseite. Die konkreten Informationen zu den Lagern – etwa die Existenzdauer sowie Häftlings- und Todeszahlen – nehmen nur einen untergeordneten Rang ein. Dazu heißt es bereits im Vorwort: „Dieses Heft enthält vor allem Photographien, denn das gedruckte Wort kann keine Vorstellung davon geben, wie es in […] [den Lagern] wirklich aussah“ (S. 2). Die Bildunterschriften sind ebenfalls auf eine emotionale Wirkung ausgelegt, so heißt es beispielsweise: „Lebende und Tote liegen durcheinander auf dem Stroh“ (S. 20).

Der Bildbericht erfüllt einen klaren Zweck, der nicht nur durch die Auswahl der drastischen Bildmotive deutlich wird, sondern auch von den Herausgebern in Worte gefasst wird: „Dieser Bildbericht geht jeden Deutschen an. Er bringt Zeugnisse von dem, was die britischen und amerikanischen Truppen vorgefunden haben, als sie bei ihrem Vormarsch durch Deutschland im April 1945 auf eine Reihe von Konzentrationslager stiessen“ (S. 2). Zur Informationspolitik der Alliierten gehört es, Deutsche in die Konzentrationslager zu führen: „Aber für die meisten Deutschen ist es nicht möglich, ein K.Z. zu besichtigen. Für die ist dieser Bildbericht bestimmt“ (ebd.). In den Texten wird daher immer wieder auf die Verantwortung der Deutschen für das Geschehen in den KZ hingewiesen. So heißt es, dass zwar die verantwortlichen „Lagerwachen der SS und Gestapo“ (S. 1) juristisch betraft werden, aber jeder einzelne Deutsche „müsse die volle Wahrheit erfahren. […] Sie werden dann begreifen, dass die Welt das deutsche Volk von der Mitschuld nicht freisprechen kann“ (ebd.). Dem Text entsprechend zeigt das erste Bild noch vor dem Vorwort eine Gruppe von Deutschen, die durch Buchenwald geführt wird, um „einen hoch mit Leichen beladenen Wagen“ (S. 1) zu sehen. Auch aus den anderen Lagern sind Fotografien von deutschen Besuchern abgebildet. Am Ende des Bandes sind Bilder von Vertretern der amerikanischen Armee wie General Dwight D. Eisenhower, General Omar Nelson Bradley und General George S. Patton abgedruckt, die Lager besichtigen, mit den ehemaligen Gefangenen sprechen und sich informieren.

Hervorzuheben ist der Entstehungszeitpunkt der Broschüre. Einige der Bilder stammen aus einer Zeit, in der die Leichen noch nicht beerdigt wurden, andere zeigen, wie Deutsche dies durchführen; auf den Fotografien der verbrannten Fremdarbeiter, die in einer Scheune in Gardelagen starben, sieht man tatsächlich noch den Rauch über den Leichen aufsteigen. Der Bericht wurde sehr zeitnah in den letzten Tagen des Krieges fertiggestellt, denn, wie es im Vorwort heißt, „[w]ährend er [=der Bericht] gedruckt wurde, trafen die Alliierten fast täglich auf neue Konzentrationslager“ (ebd.). Daher erhebt der Bericht auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


Werkgeschichte

Der Bildband entstand im Rahmen der Informationspolitik der amerikanischen Alliierten. Er sollte die Deutschen über die Greultaten („atrocities“) informieren und ihnen zugleich die kollektive Schuld des deutschen Volkes aufzeigen. Die Arbeit an dem Bildbericht wurde unmittelbar vor oder kurz nach Kriegsende begonnen; Teile der Formulierungen weisen darauf hin, dass die Texte noch während der Befreiung der Lager verfasst wurden. Cornelia Brink führt in ihrer Studie über Fotografien von Konzentrationslagern an, dass das Office of War Information am 21. Mai 1945 britische Stellen informierte, dass die Fotobroschüre aktuell zusammengestellt werde und diese eine Auflage von 50.000 Stück haben solle. Eine Presseerklärung des Leiters der Information Control Division, Robert A. McClure datiert die Fertigstellung des Berichts auf den 25. Mai 1945. Um die Reaktionen auf das Pamphlet zu prüfen, organisierte die Psychologial Warfare Division (PWD, später Information Control Division) der Intelligence Section des Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) ein „pretesting“, eine Vorabprüfung der Wirkung der Broschüre. Die Reaktionen der Leser sollten bei der Zusammenstellung der finalen Version des Heftes miteinbezogen werden, so Duncan Wilson von der Psychological Warfare Division. 70 Deutschen verschiedener Herkunft, Religion und politischer Gesinnung wurde daraufhin jeweils ein Heft vorgelegt und ihre Reaktion darauf beobachtet sowie ihre Aussagen darüber protokolliert. Die Befragten seien sehr bewegt gewesen und die meisten schämten sich. So wird eine Frau aus dem Rheinland zitiert: „Wenn man diese Sachen von den Konzentrationslagern hört ist man erschuettert. Ja, in Gottes Namen wie ist denn das nur möglich“ (S. 5). Die große Mehrheit der Befragten wünschte zudem die Verteilung der Broschüre, manche baten sogar direkt um einige Ausgaben, um sie Verwandten und Freunden zu geben. Einigen der Testpersonen war – so der Bericht – das amerikanische Vorgehen bewusst: „It is interesting to note that, in contrast to the mass reaction, the better educated German, as well as the anti-Nazi, was keenly aware of the intentions of our atrocity information policy“ (S. 7). Generell forderten die meisten eine Bestrafung der Schuldigen, lehnten jedoch oft eine persönliche Schuld ab. Es wird allerdings auch vermerkt, dass einige der Befragten das Buch nur kurz durchsahen und betonten, dass sie davon nichts wissen wollten. Unterlagen der Psychological Warfare Division der SHAEF verweisen auf Planungen vom Mai 1945, die Reaktionen der deutschen Kriegsgefangenen in Lagern in Großbritannien zu untersuchen. Ihnen sollte in einem wissenschaftlichen Experiment das Heft vorgelegt werden. Im Anschluss sollten Einzelbefragungen von Männern vorgenommen werden, die das Heft gelesen haben und als Gegengruppe auch von jenen, die es nicht kennen; des Weiteren wollte man Gruppendiskussionen mit sechs bis sieben Männern abhalten. Mit einem „mass questionnair[e]“, das möglichst viele Gefangene ausfüllen sollten, wollte man die Reaktionen auf die Bilder testen und untersuchen, ob die Gefangenen die Informationen annehmen oder als ‚Feindpropaganda‘ abtun. Ob diese Untersuchung durchgeführt wurde, ist nicht bekannt. Immer wieder wurden allerdings Planungen gemacht, die Broschüre an Kriegsgefangene zu verteilen. Es gab ebenfalls einen Test des Kaufverhaltens im Juni 1945: In Heidelberg, Frankfurt und Kaiserslautern wurden „innerhalb einer Stunde 2000 Exemplare abgesetzt“ (Brink 1998, S. 60). Der Erfolg war groß, denn bereits nach einer Stunde waren die Exemplare beispielsweise in Kaiserlautern ausverkauft. Daraufhin wurde entschieden, dass der Bericht nicht verteilt, sondern verkauft werden sollte; es haben sich Schreiben erhalten, dass dies auf Missfallen bei den Verantwortlichen der Broschüre stieß, da sie fürchteten, so die Verbreitung der Broschüre zu erschweren. Dennoch wurde die Auflage stetig erhöht: Der Mitarbeiter des PWD Douglas Schneider sprach von 250.000 Stück, wenige Wochen später nennt er die Zahl von allein 200.000 Exemplaren in Bad Nauheim und 300.000 in London. Tatsächlich gab es Pläne für die großflächige Auslieferung in eine Vielzahl deutscher Städte vor allem in der amerikanischen Besatzungszone, jedoch wurden diese immer wieder durch die Knappheit an Mitarbeitern und Fahrzeugen zerschlagen. Bisher konnte nicht nachgewiesen werden, ob der Bildband tatsächlich im freien Handel verkauft wurde, es gibt jedoch zahlreiche Hinweise in der Forschung, dass er an die Bevölkerung verteilt wurde.

Der Bildband geriet lange Zeit in Vergessenheit und Neuauflagen sind nicht bekannt. Bei Auktionen erzielen Ausgaben von 1945 hohe Preise. 2004 nahmen Martin Parr und Gerry Badger den Text in ihre Sammlung „The Photobook. A History“ (Band 1) auf. Dort heißt es, dass das Buch „the single most important use of photography as a witness“ (Parr/Badger 2004, S. 194) sei. Sie betonen, dass es kaum ausschlaggebend sei, aus welchem Lager die Bilder stammen, da diese alle Ähnlichkeiten aufweisen. Eine Rekonstruktion des Berichts unternahm der Nordrheinwestfälische VVN im Jahr 2006 und stellt diese online unter https://nrw-archiv.vvn-bda.de/brosch.htm zur Verfügung.

Quellen:

  • „Bericht des Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, Psychological Warfare Divison Intelligence Section über die Reaktion deutscher Testleser, 24 Seiten“. In: National Archives Washington, Maryland: NARA II RG 260, Records of the U.S. Occupation Headquarters World War II, Records of the Office of Military Government for Germany, U.S., 390/42/16-18/7-1 Box 105.
  • Brink, Cornelia: „KZ – Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern“. In: dies.: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin 1998, S. 58-70.
  • Parr, Martin und Gerry Badger: The Photobook. A History. Band 1. London/New York 2004.
  • „Schreiben Duncan Wilson an Cyrus Brooks, 11 May 1945, und Schreiben von M.I. Gurfein an Bernard Barnes, 10 May 1945“. In: NARA II RG 260, Records of the U.S. Occupation Headquarters World War II, Records of the Office of Military Government for Germany, U.S., 390/42/16-18/7-1 Box 106.



Bearbeitet von: Christiane Weber