Mordhausen (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Mordhausen. Augenzeugen-Bericht über Mauthausen/Bericht eines Augenzeugen über Mauthausen das berüchtigte Konzentrationslager
Autor Stantke, Edmund Richard (1898-?)
Genre Erzählungen

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1946, München
Titel Mordhausen. Augenzeugen-Bericht über Mauthausen/Bericht eines Augenzeugen über Mauthausen das berüchtigte Konzentrationslager

Erscheinungsort München
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Neubau-Verlag
Gedruckt von Bergverlag Rudolf Rother

Umfang 52 Seiten

Lizenz Military Government Information Control License Number US-E-110

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

In seinem 1946 beim Neubau Verlag in München veröffentlichten „Bericht eines Augenzeugen über Mauthausen, das berüchtigte Konzentrationslager“, erzählt Edmund Richard Stantke von seiner Verhaftung und der anschließenden Gefangenschaft in verschiedenen Konzentrationslagern, wobei der Fokus auf seinen Erlebnissen im Konzentrationslager Mauthausen liegt.

Nicht nur im Titel, auch im Vor- und Nachwort sowie im Verlauf des Textes selbst hebt Stantke immer wieder hervor, dass es sich um „Tatsachenberichte“ (S. 5) handele und betont den Wahrheitsgehalt seiner Schilderungen. In seinem Bericht beruft er sich auch auf Mitgefangene, deren Erzählungen über andere Konzentrationslager (bspw. Dachau, Ebensee und Ravensbrück) er teilweise in Form wörtlicher Rede wiedergibt. Besonders Anfang und Ende des Berichts sind geprägt von Stantkes wiederholter Erklärung, er glaube trotz aller Erfahrungen, die er in seiner Lagerhaft machen musste, an das Gute im Menschen und eine bessere Zukunft: „[T]rotz allem glaube ich felsenfest daran, daß die Stunde kommt, wo Herz und Verstand siegen werden.“ (S. 40) Diese Überzeugung habe ihm auch geholfen, die Zeit im Lager zu überstehen, da sie ihm die nötige Kraft verliehen habe, durchzuhalten. Wenn ihn ob der unzähligen Toten die Verzweiflung überkommen habe, schreibt Stantke, habe er ihnen gelobt: „Euren Leib haben sie getötet, doch den Geist der Wahrheit, der Gerechtigkeit konnten sie nicht töten, und so werde ich bis an mein Lebensende für ihn unermüdlich eintreten, komme was da mag, um ihm zum Siege zu verhelfen“ (S. 31). An diesem Zitat lässt sich auch die Motivation für das Niederschreiben und die Veröffentlichung seines Berichts erkennen: Stantke richtet mehrfach den Appell an die Lesenden, dazu beizutragen, „die Menschheit wieder auf den richtigen Weg zu bringen!“ (S. 5) und zu verhindern, dass sich die Vergangenheit wiederholt.

Seinen Bericht beginnt er im März 1935 im Berliner Polizeigefängnis, in das er nach der Verhaftung „unweit der Schweizer Grenze“ (S. 8) gebracht wurde. Seine Inhaftierung führt er auf seine Mitgliedschaft in der „Liga für Menschenrechte“ und „einige saftige Zeitungsartikel“ (ebd.) zurück, in denen er öffentlich die Meinung vertreten habe, „daß die Idee des Nationalsozialismus unweigerlich einen Krieg herausbeschwören werde, der nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt in Mitleidenschaft ziehen müsse“ (ebd.). Das Urteil nach der Gerichtsverhandlung, die einige Wochen nach der Verhaftung erfolgt, wird nicht wiedergegeben. Der Bericht legt die Vermutung nahe, dass Stantke als Kommunist verurteilt wird, obwohl er in der Verhandlung ausdrücklich erklärt, kein solcher zu sein. Welcher Häftlingskategorie er im Lager zugeordnet wird und welchen Winkel er erhält, wird nicht erwähnt. Stantke wird zunächst ins KZ Esterwegen gebracht, es folgen Haftzeiten in Neu-Sustrum, Gusen und Mauthausen. Die genaue Chronologie bleibt hierbei unklar, da sich der Bericht auf die Haft in Mauthausen und Gusen konzentriert.

Der Bericht ist nach der Beschreibung der Verhaftung und Verurteilung zweigeteilt, wobei der erste Teil mit der Ankunft in Mauthausen beginnt. Stantke beschreibt das Lager, „von uns ‚Mordhausen‘ genannt“, als „von meterdicken Steinmauern und elektrisch geladenem Stacheldraht umgeben, wie eine Festung aus uralten Zeiten“, die die „Hölle auf Erden“ sei (S. 10). Gleich zu Beginn beschreibt er den Lagerkommandanten Franz Ziereis, welchen er als „Bestie in Menschengestalt“ (ebd.) bezeichnet. Stantkes Ankunft in Mauthausen ist nicht datiert. Da Ziereis im Februar 1939 zum Kommandanten des KZ Mauthausen ernannt wurde, muss diese jedoch somit zeitlich nach diesem Datum eingeordnet werden. Ziereis wird als unberechenbar und grausam beschrieben, Stantke schreibt, dass „[d]ie Gaskammer, die Genickschußzelle, sowie der berüchtigte ‚Fetzenwagen‘ und andere Folterkammern […] ureigene Ideen dieser Bestie [waren], als Mitteilhaber nicht zu vergessen der erste ‚Arzt‘, Sturmbannführer Dr. Krebsbach“ (S. 29). Die genannten Tötungseinrichtungen werden jeweils näher beschrieben, Stantke schildert zudem die Vergasung von Müttern mit ihren Kindern, die er durch einen „Spion“ (ebd.) von Krebsbach unbemerkt beobachtet habe.

Neben dem Lagerkommandanten und einigen weiteren SS-Funktionären, die namentlich genannt werden, werden auch diverse Funktionshäftlinge näher beschrieben. Ihre Darstellung ist ambivalent: Während etwa der Lagerschreiber Leizinger als „einer der gemeinsten Häftlinge“ (S. 14) und neben Ziereis als Hauptschuldiger an dem Morden im Lager bezeichnet wird, fällt die Beschreibung des Lagerältesten Karl R. durchweg positiv aus. Er habe „wie ein Vater für seine Kinder“ für die ihm unterstellten Häftlinge gesorgt und sei ein „Kamerad [gewesen], der sein Bestes hergab zum Wohle aller Lagerinsassen“ (S. 15).

Die Mitgefangenen werden ebenfalls als sehr unterschiedlich beschrieben, ‚Gute‘ und ‚Schlechte‘ habe es bei den ‚kriminellen‘, ‚asozialen‘ und ‚politischen‘ Häftlingen gleichermaßen gegeben, so Stantke. Dabei hebt er die Gruppe der spanischen Gefangenen besonders positiv hervor, deren Freundlichkeit und Zusammenhalt er lobt. Er betont zudem das besonders harte Schicksal der jüdischen Gefangenen und die Bereicherung der SS an ihren Besitztümern.

Stantke schildert unter anderem die Zwangsarbeit im Steinbruch und in der Wäscherei des Lagers, die Flucht eines Häftlings und dessen grausame Folterung und Hinrichtung nach seiner erneuten Gefangennahme sowie einen Besuch des Lagers durch Heinrich Himmler und Ernst Kaltenbrunner. In diesem Zusammenhang wird der Bericht eines Mitgefangenen über eine ähnliche Begebenheit im KZ Dachau wiedergegeben. Auch die Einrichtung eines Lagerbordells wird erwähnt, wobei durch die dort zwangsprostituierten Frauen Informationen über das KZ Ravensbrück nach Mauthausen gelangen.

Mit Kriegsbeginn verschlechtern sich die Zustände im Lager immer weiter. Stantke berichtet zudem, dass sich viele SS-Männer dem Dienst an der Front entziehen wollten und stattdessen Häftlinge eingezogen worden seien.

Der zweite Teil des Berichts beginnt mit Stantkes Verlegung ins Nebenlager Gusen I, in dem ihm zufolge noch unhygienischere Zustände herrschten als in Mauthausen. Die Verlegung muss im Frühling 1944 stattgefunden haben, da Stantke erklärt, „fast ein ganzes Jahr bis zu meiner Befreiung“ (S. 32) dort verbracht zu haben, jedoch kein genaueres Datum nennt. (Anhand der Häftlingspersonalkarte lässt sich jedoch ermitteln, dass er am 8. April 1944 nach Gusen überstellt wurde.) Auch im zweiten Teil werden beispielhafte Fälle von Grausamkeiten gegen Gefangene sowohl durch die SS als auch durch Funktionshäftlinge geschildert. Das Näherrücken der Front bringt für die Gefangenen die Hoffnung auf die Ankunft der amerikanischen Armee mit sich. Stantke zufolge wird die Durchführung des Plans, die Häftlinge in einen der von ihnen gegrabenen Stollen zu sperren und diesen zu sprengen, letztlich verhindert. Am 5. Mai 1945 erreicht die amerikanische Armee das Lager, das zuvor bereits von der SS verlassen wurde. Neben der Freude über die Befreiung schildert Stantke auch die Wut besonders einiger ausländischer Häftlinge, die in der Ermordung derjenigen Häftlinge gipfelt, die zuvor zu Kriegszwecken zur militärischen Ausbildung gezwungen wurden und SS-Uniform tragen mussten. Stantke verlässt mit anderen ehemaligen Insassen das Lager, wobei er bemerkt: „Mit welchen Gefühlen ich durch das Tor ging, kann ich mit Worten nicht schildern. Eines darf ich wohl sagen: Ich sah den Himmel offen, obwohl es regnete!“ (S. 39)

Nachdem er zunächst in den Schwarzwald gehen möchte, trifft er unterwegs Herbert M., der zeitweilig ebenfalls in Mauthausen inhaftiert war. Die beiden ziehen gemeinsam weiter, wobei ihnen besonders der Anblick des zerbombten Münchens zusetzt. Sie kommen in einer nahen Ortschaft bei Bekannten M.s unter. Stantke selbst zieht einige Zeit später zu einer Bauersfamilie, wo er auch seinen Bericht verfasst zu haben scheint. Dieser Eindruck entsteht durch den Wechsel ins Präsens und seine Aussage: „Ich komme hier nicht weg!“ (S. 49)

Stantkes Verhältnis zur deutschen Bevölkerung ist ambivalent, da er einerseits die Überzeugung äußert, diese könne von den Geschehnissen in den Konzentrationslagern nichts gewusst haben und hätte auch nichts dagegen unternehmen können, falls dies doch der Fall gewesen wäre. Andererseits erzürnen ihn das Mitleid und das Bedauern, das ihm die Menschen nach seiner Befreiung entgegenbringen, da er dies als Demütigung empfindet. Ähnlich verhält es sich mit den deutschen Soldaten, die er auf seinem Weg nach Kriegsende sieht: „Auch machte es mich traurig, tief traurig, wenn ich, meine Straße wandernd, deutsche Soldaten, die kein anderes Verbrechen begangen hatten, als daß sie ihre Pflicht getan hatten, ruhelos, viele sogar heimatlos, unbeachtet dahinziehen sah“ (S. 45).


Quelle:



Bearbeitet von: Hannah Heuper