Schutzhaftjude Nr. 13877 (1940)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Schutzhaftjude Nr. 13877
Autor Siegelberg, Mark (1895-1986)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1940, Shanghai
Titel Schutzhaftjude Nr. 13877

Erscheinungsort Shanghai
Erscheinungsjahr 1940
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Verlegt von Sygma Publishing Co.
Gedruckt von The American Press
Publiziert von Siegelberg, Mark (1895-1986)

Umfang 258 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen erzählt der Journalist Mark Siegelberg in dem Roman „Schutzhaftjude Nr. 13877“ den Weg des Anwalts und Schriftstellers Paul von seiner Verhaftung im März 1938 bis zur Ausreise in Richtung Shanghai im Juni 1939. In einem parallelen Handlungsstrang folgt der Leser Pauls Frau Maria in Wien, die sich um die gemeinsame Ausreise der beiden bemüht.

Wenige Tage nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs wird Paul verhaftet und verbringt viele Tage im Gefängnis in Ungewissheit und quälender Monotonie: „In solchen Tagen ersehnte Paul irgend ein Ereignis, das diesem Zustand des Wartens ein Ende setzen sollte. Er hatte [...] irgendwie instinktmässig das Gefühl, dass das Ereignis, auf das er hier wartete, nichts Gutes für ihn bedeuten würde“ (S. 22). Seine Vorahnungen bestätigen sich bald: Mit 150 weiteren Gefangenen wird er nach Dachau deportiert.

Unter den Blicken Neugieriger wird die Gruppe zum Lager geführt und erlebt dort sogleich die Aufnahmeprozedur: Gewalt, Beleidigungen und stundenlanges Stehen. „Der Mensch Paul existiert nicht mehr. An seine Stelle ist der Schutzhaftjude No. 13877 getreten“ (S. 39), bringt Siegelberg die einschneidende Veränderung auf den Punkt. Im Lager erfahren die Häftlinge Arbeit als ein Mittel der sinnlosen Quälerei. Zusätzlich werden sie durch ein absurdes System von Ordnung und Sauberkeit schikaniert, dessen Regeln unter den Bedingungen im Lager gar nicht einzuhalten sind.

Unterdessen verbringt Maria in Wien Wochen der Ungewissheit über Pauls Schicksal, da sie erst nach einiger Zeit von seiner Deportation nach Dachau erfährt. Auf sich allein gestellt, muss sie nun ihr Leben vollkommen neu organisieren. Der Erzähler belässt es allerdings bei einer Schilderung der äußeren Ereignisse, Einblicke in die Gefühlswelten der Figuren erhält der Leser kaum. So heißt es über Maria, nachdem sie von der Verschleppung nach Dachau erfahren hat: „Man kann sich leicht vorstellen, was diese Nachricht für Maria bedeutete, wie sich ihre weiteren Tage gestalteten und mit welcher Ungeduld und Angst sie ein Lebenszeichen von Paul erwartete“ (S. 55).

Im September 1938 wird Paul nach Buchenwald verlegt, wo er und die anderen Häftlinge unter den immer noch chaotischen Bedingungen leiden. Bereits einen Tag nach dem Attentat auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter Ernst vom Rath in Paris am 7. November wird fieberhaft mit dem weiteren Ausbau des Lagers begonnen und den ersten eingewiesenen Juden folgen in den Tagen darauf Tausende weitere. Nach einigen Wochen setzen Entlassungen von Häftlingen ein. Bald erkennt Paul, dass offenbar eine vorbereitete Auswanderung eine vorzeitige Entlassung möglich macht, was ihn neuen Mut schöpfen lässt. Marias Bemühungen um eine Ausreise werden ausführlich und detailliert geschildert: Sie schreibt Briefe an unzählige Institutionen im Ausland und bittet um Hilfe; sie sucht Konsulate auf und bemüht sich, alle erforderlichen Dokumente zu beschaffen. Schließlich eröffnet sich im Frühjahr 1939 unverhofft die Möglichkeit, nach Shanghai ausreisen zu können und Paul wird Ende Mai entlassen. Er trifft jedoch nach den Monaten im Konzentrationslager auf eine ihm fremd und ungewohnt scheinende Welt: „War denn das Alles, was sich hier jetzt abspielte, Wirklichkeit? Durfte man so ohne weiteres, da es doch keine Mittagspause und keine Freizeit war, sich auf die Bank setzen, einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen? Durfte man zu dem Zeitungsstand gehen und sich eine Zeitung kaufen? Es war nicht leicht, sich an die ersten Stunden der Freiheit zu gewöhnen“ (S. 237).

Nachdem die beiden die letzten Hürden für die Ausreise genommen haben, können sie Ende Juni 1939 das Land verlassen. Sie fahren mit dem Zug nach Italien und atmen nach Überschreiten der Grenze auf: „Man blickt sich nicht mehr ängstlich und misstrauisch um, man schaut nicht, ob nicht zufällig jemand in der Nähe sitzt, dem die Nachbarschaft mit einem Juden nicht zusagt und der seine Antipathie nicht zu verstecken braucht. Man kann bereits freier sprechen, man ist wohl ein heimatloser Emigrant, aber doch irgendwie innerlich befreiter Mensch. Man hat den Stacheldraht hinter sich. Nicht nur den elektrisch geladenen des Konzentrationslagers, sondern auch den geistigen Stacheldraht, der dieses ganze grosse Dritte Reich mit seinen neunzig Millionen Menschen wie unzerreissbares Netz umgibt“ (S. 253).

Passagen wie diese sind für den Erzählstil des Romans kennzeichnend. Es herrscht ein sehr nüchterner, distanzierter und unpersönlicher Ton vor. Meist wird allgemein über das Leid der Häftlinge im Konzentrationslager oder über die möglichen Wurzeln der Gewalt erzählt, über die Figuren und ihre Erfahrungs- und Gefühlswelten erfährt der Leser recht wenig.


Biografie

Der österreichische Jude Mark Siegelberg (geb. 11.06.1895 in Luck/Russland, gest. 04.12.1986 in Katzelsdorf/Österreich) wurde nach seinem Studium in Bern und Wien zum Dr. jur. et rer. pol. promoviert. Seit 1922 arbeitete er als Journalist, unter anderem für „Der Morgen“ und „Der Tag“. Von 1934 bis 1938 war er Redakteur bei der „Stunde“. 1938/1939 war er ein Jahr lang im Konzentrationslager Dachau und im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, bevor er 1939 nach Shanghai emigrieren konnte. Dort schrieb er den Roman „Schutzhaftjude Nr. 13877“, der auf seinen eigenen Erlebnissen basiert. Gemeinsam mit Hans Schubert, der ebenfalls aus Österreich stammte, schrieb er 1940 das Drama „Die Masken fallen“, das am 9. November 1940 in den Räumen des Britischen Konsulats uraufgeführt, aber erst 1996 publiziert wurde. Es handelt von der zerrütteten Ehe eines Juden mit einer ‚Arierin‘, die unter dem Druck der Verfolgung wieder zur alten Liebe zurückfinden. In Shanghai arbeitete Siegelberg als Redakteur des „Shanghai Jewish Chronicle“. Im August 1941 wurde er ausgebürgert. Im Jahr darauf emigrierte er nach Australien, wo er ab 1954 Herausgeber der deutschsprachigen Zeitung „Neue Heimat und Welt“ war. In den sechziger Jahren kehrte Siegelberg nach Österreich zurück.

Quellen:

  • Jakobi, Carsten: Der kleine Sieg über den Antisemitismus. Darstellung und Deutung der nationalsozialistischen Judenverfolgung im deutschsprachigen Zeitstück des Exils 1933-1945. Tübingen 2005, S. 113.
  • „Liste 249 – Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger vom 07.08.1941, Nr. 182“. In: Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945. Online-Datenbank. De Gruyter. Dokument-ID: ADS-0257. Online: http://db.saur.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentId=ADS-0257 (Stand: 19.09.2019).
  • Schubert, Hans und Mark Siegelberg: „‚Die Masken fallen‘ – ‚Fremde Erde‘. Zwei Dramen aus der Emigration nach Shanghai 1939-1947“. Hg. von Philipp, Michael und Wilfried Seywald. Hamburg 1996.
  • Vierhaus, Rudolf (Hg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie. Band 9. München 2008, S. 434.
  • „Siegelberg, Mark“. In: Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945. Online-Datenbank. De Gruyter. Dokument-ID: BHB-8001. Online: http://db.saur.de.ezproxy.uni-giessen.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentId=BHB-8001 (Stand: 19.09.2019).
  • „Siegelberg, Mark“. In: Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945. Online-Datenbank. De Gruyter. Dokument-ID: DBE-7704. Online: http://db.saur.de.ezproxy.uni-giessen.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentId=DBE-7704 (Stand: 19.09.2019).


Werkgeschichte

Mark Siegelberg schrieb den Roman im Sommer 1939 auf der Überfahrt nach Shanghai und veröffentlichte ihn im Jahr darauf.

Quelle:

  • Siegelberg, Mark: Schutzhaftjude Nr. 13877. Shanghai 1940.



Bearbeitet von: Markus Roth