Sturz ins Dunkel (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
Wechseln zu: Navigation, Suche

Angaben zum Werk

Titel Sturz ins Dunkel
Autor Riemer, Hermann E. (1903-?)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Digitalisat in DIGISAM öffnen
Ausgabe von 1947, München
Titel Sturz ins Dunkel

Erscheinungsort München
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1.-5. Tausend

Verlegt von Bernhard Funck Verlag
Gedruckt von Dr. F. P. Datterer & Cie., Freising
Publiziert von Riemer, Hermann E. (1903-?)
Umschlaggestaltung von Erich Etzold

Umfang 207 Seiten

Lizenz Published under Military Government Information Control License Nr. US-E-167

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)

Zusammenfassung

Riemer beginnt seinen chronologischen Bericht über seine mehrjährige Inhaftierung in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Natzweiler, Pelters, Dachau und Allach zunächst mit dem „Auftakt” (S. 7) – der Verhaftung in seiner Wohnung durch einen Kriminalbeamten. Bei der Schilderung der zunächst verhältnismäßig milden Haftbedingungen nimmt er bereits einige Vorausdeutungen auf kommendes Unheil vor: „Hätte ich gewußt, was ich in späteren Jahren mit wahrem Heißhunger hinunterschlingen würde, ich wäre vielleicht zufriedener gewesen“ (S. 9).

Über das Gefängnis Berlin-Alexanderplatz wird der Kunstmaler und Jude Riemer 1940 in das Konzentrationslager Oranienburg/Sachsenhausen verbracht. Den inneren Aufbau des KZ beschreibt der Bericht ausführlich aus der Ich-Perspektive des Autors und schildert dabei die Wertlosigkeit der Häftlinge und die Hierarchie unter den Inhaftierten sowie die damit verbundene Ambivalenz der Häftlingsverwaltung. Die Ankunft im Lager bedeutet einen Schock: „Was aber nun in der Minute unserer Ankunft geschah, glich der Hölle“ (S. 36). Die Häftlinge werden von einer „Anzahl uniformierter Bestien“ (S. 36) geschlagen und getreten: „Wir fielen übereinander, wir krümmten uns vor Schmerzen, wir bluteten schon aus vielen Wunden – aber was half das!“ (S. 36)

Ausführlich beschreibt der neue Häftling Nummer 36 607 die Aufnahmeprozedur und die ersten Stunden und Tage im Lager. Zu den unzähligen Regeln des Lagerlebens gehört auch das Bettenbauen, eine mühsame und die Häftlinge zermürbende Tätigkeit, die häufig zu Schlägen und Bestrafungen der Häftlinge führt, wenn sie nicht zufriedenstellend ausgeführt wird.

Zunächst wird Riemer den sogenannten Stehkommandos zugeteilt, also Kolonnen, die nicht zur Arbeit ausrücken, sondern bis zur Mittagspause und danach bis zum Abendappell auf der Lagerstraße stehen bleiben müssen. Danach wird er dem Schuhlaufkommando zugeordnet, „eines der besten Lagerkommandos, denn man war dabei den wenigsten Schikanen ausgesetzt“ (S. 49). Aufgabe ist es, die Sohlenersatzstoffe von Schuhen zu testen. Schon bald jedoch wird er zum Bernsteinschnitzen abkommandiert, was seine Lage deutlich verbessert, da er in der Baracke arbeiten darf und keinen Hunger leidet. Das macht ihn zu einem Privilegierten im Lager. Da er jedoch aufgrund der vielen Verbrechen, die er beobachtet, fürchtet, ‚unbequem‘ zu werden, meldet er sich als Freiwilliger für ein „Kommando im Elsaß“ (S. 59). Er muss dort im Straßenbau am Aufbau des neu zu errichtenden KZ Natzweiler mitwirken. Die Arbeits- und Überlebensbedingungen sind katastrophal. Besonders der Kapo Sametdinger macht den Häftlingen das Leben schwer: „Er war eine der feigsten Kreaturen, die mir je begegnet sind, ein käufliches Subjekt niedrigster Gesinnung und ein Massenmörder grauenvollsten Ausmaßes“ (S. 74f.).

Anfang 1943 ist Riemer sehr geschwächt und krank. Er kann jedoch in das Kommando der Schriftenmalerei wechseln, was ihm sehr guttut. Durch seine guten Kontakte, auch zu einzelnen SS-Männern, kann er etwa zusätzliche Lebensmittel bekommen. Im restlichen Lager steht es jedoch nicht so gut. Riemer berichtet von Lagerstrafen, Hinrichtungen und Foltermethoden, wie dem Pfahl oder dem Bock. Auch den Bau einer Gaskammer auf dem Struthof thematisiert er, die dann der Vergasung von Juden dient. Diesen für ihn ungeheuerlichen Vorgang schildert er ausführlich, zumal er die Spuren dieser Vergasungen beseitigen muss: „Wahrscheinlich waren den Sterbenden die Lungen zerrissen, denn die Blutlachen waren hell und blasig“ (S. 93). Auch andere Hinrichtungen – Erschießungen und medizinische Experimente – beschreibt er. Dabei stellt er fest: „Die Liste der Schrecken ist damit keineswegs erschöpft, aber man kann nicht alles erzählen, weil die Feder sich sträubt und im Leser schließlich der Eindruck des Ekels und des Abscheus erweckt würde, Empfindungen, die ihn veranlassen könnten, das Buch halbgelesen fortzulegen“ (S. 96). Ihm ist es jedoch wichtig, dass sein Buch bis zur letzten Seite gelesen wird, damit „sich eine solche Tragödie in unserem Vaterlande niemals wiederholen darf, unter welchem Vorzeichen es auch immer sei“ (S. 96f.).

Im Januar 1944 kann er Natzweiler verlassen und wird in das Außenlager Pelters bei Metz gebracht. Hier, so Riemer, sei das Essen erheblich besser gewesen als in Natzweiler und er gehe freudig an die Schilderung dieses Kapitels seines Konzentrationslagerlebens. Auch hier ist er offiziell als Maler abkommandiert, muss aber auch eine Menge anderer Tätigkeiten verrichten. Da jedoch die SS-Wachen „gutmütige und harmlose Leute“ (S. 107) sind, ist das Leben – zumindest für ihn – dort erträglich. Im August 1944 rückt jedoch die Front immer näher und die Häftlinge sollen zurück nach Natzweiler gebracht werden. Ausführlich beschreibt Riemer den chaotischen, gefährlichen und für sehr viele Häftlinge tödlich endenden Marsch. Bedroht werden sie sowohl durch Geschosse der alliierten Bomber aus der Luft als auch durch die SS-Männer, die jeden, der erschöpft zurückbleibt, erschießen. Kaum in Natzweiler angekommen, werden sie wenige Tage später weiter deportiert – offenbar in das Fort Göben – wo man sie etwa vier Monate unter grausamsten Bedingungen festhält: „Ich stand jedenfalls in der ersten Woche nicht auf, in der nächsten auch nicht, und dann war das Grauenvolle schon so zur Gewohnheit geworden, daß uns das Unmenschliche unserer Lage kaum noch zum Bewußtsein kam. Wir lebten nicht, wir dachten nicht, hofften nicht – wir vegetierten, stumpfer als jedes Tier“ (S. 144f.).

Danach wird Riemer in das Außenlager Allach des KZ Dachau weiter deportiert. Hier arbeitet er in einem Arbeitskommando der Bayerischen Motorenwerke in der Abteilung Zylinderbuchsen. Er wird zum Stubenältesten ernannt und erneut gehört er zu den Privilegierten. Um Weihnachten 1944 herum verspürt er Optimismus angesichts des sich ankündigenden Kriegsendes doch noch nach Hause zu seinen vier Kindern kehren zu können. Die Sterblichkeitskurve des Lagers steigt jedoch an, ebenso wie der Hunger. Am 26. April 1945 – nach 5 Jahren „Not und Elend“ (S. 184) – wird er auf einen Todesmarsch geschickt. Was er hier erlebt „überstieg so das Maß alles menschlichen Vorstellungsvermögens, war dermaßen grauenvoll, daß ich die Stunden dieses Elendsmarsches nie in meinem Leben vergessen werde“ (S. 184). Bei Bad Tölz verschwinden die SS-Wachmannschaften schließlich und die Häftlinge werden von den amerikanischen Streitkräften befreit. „Das Leben hatte uns wieder, wir waren frei …“ (S. 205), beendet Riemer seinen Bericht.

Der Bericht enthält eine Widmung an Riemers Frau Ursula Riemer-Zöllner.


Biografie

Hermann E. Riemer, geb. am 6. Mai 1903 in Nordhausen, wurde in eine Handwerkerfamilie geboren. Er besuchte das Gymnasium und machte anschließend eine Ausbildung zum Bildhauer. Nach dem Besuch der Baugewerkschule in Erfurt widmete er sich in Nürnberg der Malerei. 1940 wurde er von der Gestapo verhaftet und verbrachte fünf Jahre in verschiedenen deutschen Konzentrationslagern, darunter die KZ Sachsenhausen und Natzweiler, das Außenkommando Pelters sowie das KZ Dachau und Dachau/Allach. Nach der Befreiung lebte er als Maler und Schriftsteller in Traunstein.

Quelle:

  • Biographische Angaben in Riemer, Hermann E.: Sturz ins Dunkle. München 1947, S. 6




Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger