Was draußen geschah… (1948)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Was draußen geschah…
Autor Küster, Ingeborg (1909-2004)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1948, Hannover
Titel Was draußen geschah…
Untertitel Erlebtes zwischen 1933 und 1938

Erscheinungsort Hannover
Erscheinungsjahr 1948

Verlegt von Verlag Das Andere Deutschland
Gedruckt von C.W. Niemeyer
Publiziert von Küster, Ingeborg (1909-2004)

Umfang 16 Seiten

Preise 1.00 RM
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Im November 1945 schreibt Ingeborg Küster ihren kurzen Antwortbrief auf das Manuskript ihres Mannes Fritz Küster. Der Pazifist und ehemalige Sozialdemokrat war zwischen dem 6. März 1933 und dem 13. August 1938 zunächst im Konzentrationslager Brandenburg, dann ab Anfang 1934 im KZ Oranienburg und später im KZ Lichtenburg sowie ab Sommer 1937 im KZ Buchenwald inhaftiert. Ingeborg Küsters spätere Aufzeichnungen beziehen sich direkt auf die schriftlich festgehaltenen Erlebnisse von Fritz Küster aus der Haft, der damals noch ihr Verlobter war, und ergänzen diese um ihre parallelen Erfahrungen außerhalb der Lager: „Ich will, nachdem ich Deine Erlebnisse im Lager gelesen habe, schildern, was inzwischen d r a u ß e n geschah, aber nur das Ungewöhnliche soll Raum finden“ (S. 2, Sperrung im Original).

Sie beginnt mit der Verhaftung von Fritz: „Du hast geschrieben, wie sie Dich am 6. März 1933 abgeholt haben, angeblich um bei Dir privat Haussuchung zu halten“ (S. 2). Im Folgenden beschreibt sie chronologisch die wesentlichen und einschneidenden Geschehnisse in ihrem Leben während seiner Haftzeit. In den fünfeinhalb Jahren der Trennung des Paares wird sie wiederholt zu Verhören bei der Gestapo bestellt, erlebt Zeiten der Arbeitslosigkeit und reist mehrfach ins Ausland, vor allem nach London. Hier hofft sie Unterstützer für ihren Kampf um die Entlassung ihres Verlobten zu finden. Immer wieder darf sie Fritz bis Anfang 1934 besuchen und ruft ihm diese wenigen Momente des gemeinsamen Erlebens in Erinnerung: „Weißt Du noch, als wir uns nach neun Wochen Haft zuerst wiedersahen?“ (S. 3)

Mehrfach schreibt sie Briefe oder nimmt Kontakt auf zu hohen nationalsozialistischen Parteifunktionären wie Heinrich Himmler und Hermann Göring, in der Hoffnung eine Freilassung für ihren Verlobten erwirken zu können. Himmler antwortet ein einziges Mal im Juni 1937 und erteilt ihrem Gesuch eine Absage: „Ihren Brief vom 8.6.37 habe ich erhalten. Ich habe ihn persönlich gelesen. Ihren Vorschlag kann ich leider nicht annehmen…“ (S. 14). Die Unterschrift Himmlers ist in Küsters Bericht im Original und extra groß abgedruckt.

Sie wendet sich auch an kulturelle Größen – vor allem in England – wie H.G. Wells, Bernhard Shaw, Allan of Hurtwood und Lord Ponsonby, um die Entlassung von Fritz voranzutreiben. Vor allem diese Zusammentreffen mit den „maßgebenden Persönlichkeiten Englands aus politischem, kulturellem und wirtschaftlichen Bereich“ (S. 11) berichtet sie ausführlich. So wird sie von Wells zwei Mal zum Tee eingeladen und erhält von ihm eine Unterschrift für ihr Schreiben an Hitler, das einen Appell an die Menschlichkeit beabsichtigt. Außerdem trifft sie mit Irmgard Litten zusammen, deren Sohn, der bekannte Rechtsanwalt Hans Litten, im KZ Dachau Selbstmord begangen hat, und die ihr trotz aller düsteren Aussichten, Hoffnung auf die Entlassung von Fritz macht.

Küster beschreibt auch kleine Begebenheiten, die dennoch für sie bedeutsam sind, und die zeigen sollen, in welchem Umfeld sie leben musste. Auf der Heimreise von London 1938 will sie – wie schon so oft – in Hannover beim Roten Kreuz übernachten und wird wegen ihrer durch die Sonne gebräunten Haut und schwarzen Haare irrtümlich für eine Jüdin gehalten. Nachdem der Irrtum aufgeklärt ist, entschuldigt sich die Schwester, sie sei überarbeitet und die Beleuchtung sei schlecht. Gleichzeitig erhebt sie empört den Vorwurf an die Autorin: „Warum sind Sie aber auch so braun! Und die schwarzen Haare!“ (S. 16) Küster resigniert: „So sah mich, von England kommend, Deutschland im Juni 1938 an“ (ebd.).

Nach vielen weiteren Gesuchen darf sie schließlich am 27. März 1938 Fritz Küster für 30 Minuten in Buchenwald besuchen. Nach einem weiteren Schreiben an Himmler vom 5. August 1938 wird er schließlich am 13. August entlassen, „aber erst 7 Jahre später sollte Dir die wahre Freiheit wieder gegeben werden“ (ebd.), schreibt Küster.

Bereits zu Beginn des Briefes wird deutlich, dass Fritz Küster sich nach seiner Entlassung aus den Lagern 1938 im Widerstand gegen Hitler organisierte. Fritz Küster sei mit Carlo Mierendorff befreundet und in dessen Pläne bezüglich des Hitler-Attentats am 20. Juli 1944 eingeweiht gewesen, führt Irmgard Küster aus. Im Sommer 1944 habe er ihr – die mit dem zweiten Kind schwanger war – sein Testament mit den Worten übergeben, sie solle tapfer sein. Er wird jedoch nicht verdächtigt und bleibt unbehelligt, wie Küster beinahe triumphierend darstellt: „Du aber lebst, Du bist frei, Du darfst arbeiten! (S. 2)


Biografie

Ingeborg Küster (geb. 1909 in Barmen, gest. 2006), die unter dem Namen Ingeborg Andreas geboren wurde, lebte mit ihren drei Geschwistern, der Mutter sowie ihrer Großmutter in der Heide bei Hamburg. Ihr Vater arbeitete als städtischer Ingenieur im Rathaus Barmen. 1921 hatte er einen Unfall, der zu seiner Pensionierung führte. Er wurde SPD-Parteisekretär für den Bezirk Niederelbe, danach Bürgermeister.

Ingeborg Küster besuchte das Lyzeum in Hamburg und wurde später Büroangestellte. Ab April 1938 arbeitete sie bei der pazifistischen Zeitschrift „Die Menschheit“. Schließlich wurde die Sekretärin des Herausgebers der Wochenschrift „Das Andere Deutschland“. Die Zeitschrift war die Verbandszeitschrift der Deutschen Friedensgesellschaft, deren Geschäftsführer und Herausgeber Fritz Küster war. Sie hatte eine Auflage von etwa 40.000. Als erster deutscher Journalist wurde Fritz Küster wegen Enthüllungen über die illegale „Schwarze Reichswehr” 1928 vom Reichsgericht in Leipzig zu Festungshaft verurteilt. Am 6. März 1933 wurde er erneut verhaftet. 1934 verlobten sich Fritz Küster und Ingeborg Andreas im KZ Oranienburg. Durch die Verhaftung Küsters war Ingeborg Küster in große materielle Not geraten, aus politischen Gründen wurden ihr sowohl eine Anstellung als auch Arbeitslosenunterstützung verweigert. Hartnäckig kämpfte sie um die Freilassung Fritz Küsters. Vier Jahre lang reicht sie Petitionen und Gesuche um Freilassungen ein, sie schrieb an Heinrich Himmler und versuchte auch, persönlich Kontakt zu ihm aufzunehmen. 1938 gelang es ihr, Fritz Küster freizubekommen. Beide mittellos gingen sie nach Hannover, wo Fritz Küster Arbeit als Techniker, dann als Bauleiter bekam. Am 17. Dezember 1938 heirateten sie. Zwei Kinder wurden geboren. Fritz Küster hielt seine Kontakte zu politischen Freunden aufrecht, unter anderem auch zu einer Gruppe um den 20. Juli (Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Julius Leber). Diese brach er jedoch nach dem Tod von Mierendorff im Dezember 1943 ab.

Nach dem Krieg baute Ingeborg Küster gemeinsam mit ihrem Mann den Fritz-Küster-Verlag in Hannover auf und gab unter dem gleichen Titel wie in der Weimarer Zeit die pazifistische Zeitung „Das Andere Deutschland“ in einer Auflage von 150.000 Exemplaren heraus. Zusammen mit ihrem Mann engagierte sie sich gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland. 1952 war sie Mitbegründerin der Westdeutschen Frauen- und Friedensbewegung sowie Herausgeberin der Zeitschrift „Frau und Frieden“. Nach dem Tod ihres Mannes 1963 gab sie „Das Andere Deutschland“ alleine heraus. Aus finanziellen Gründen und wegen zurückgegangener Auflage musste Ingeborg Küster 1969 die Zeitschrift jedoch einstellen. Sie lebte mehr als ein Jahrzehnt in Lüdenscheid und publizierte pazifistische Texte.

Quelle:

  • Peitsch, Helmut: Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945 bis 1949. Berlin: Edition Sigmar Bohn 1990, S. 463.
  • Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten: „Ingeborg Küster“. Online: http://hannover.vvn-bda.de/hfgf/h4_02_IngeborgKuester.htm (Stand: 11.06.2019).


Werkgeschichte

Die kurze Publikation, die Ingeborg Küster in der Form eines Antwortbriefes an ihren Mann Fritz Küster im November 1945 schreibt, wurde erst 1948 im eigenen Verlag ‚Das Andere Deutschland‘ publiziert. Bereits 1919 hatte Fritz Küster, der Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft war, die Kampfschrift „Der Pazifist“ herausgegeben, die 1925 den Namen „Das Andere Deutschland“ bekam. Unter anderem schrieben Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Heinrich Ströbel, Berthold Jacob, Carl Mertens und Friedrich Wilhelm Foerster für die Zeitung. 1933 wurde sie von den Nationalsozialisten verboten und erst 1947 konnte sie erneut als Wochenzeitung gegründet werden. Küster verweist am Ende ihres Briefes auf diese Schrift und schreibt, dieses Buch und ‚Das andere Deutschland‘ zeige, dass sie und ihr Mann die wiedererlangte Freiheit nutzten. Eine Fußnote verweist am Seitenende außerdem darauf, dass die Verfasserin im November 1945 noch nicht habe ahnen können, dass die Lizenz für „Das andere Deutschland“ erst zwei Jahre später habe erlangt werden können.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger