Analyse eines Schandflecks (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Analyse eines Schandflecks
Autor Kowollik, Paul (1911-1996)
Genre Bericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Waldkirch
Titel Analyse eines Schandflecks

Erscheinungsort Waldkirch
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1. Auflage

Auflagenhöhe Erstauflage 1.-10. Tausend

Verlegt von Waldkircher Verlagsgesellschaft m.b.H.
Gedruckt von Waldkircher Verlagsgesellschaft m.b.H.
Publiziert von Kowollik, Paul (1911-1996)

Umfang 16 Seiten

Lizenz G.M.Z.F.O. Visa No. 2,972 / Dv. de la Direction de l’Education Publique

Autorisation No. 2,679 de la Direction de l’Information

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In seiner 14 Textseiten umfassenden Broschüre „Analyse eines Schandflecks“ liefert Paul Kowollik eine prägnante Darstellung der Entstehung und Entwicklung der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Er erläutert die verschiedenen Gruppen der Gefangenen und die Rivalitäten zwischen ihnen, wobei sich intensiv den ‚Kriminellen‘ und ‚Politischen‘ gewidmet wird. Auch bezieht er Beobachtungen über die anhaltende Intoleranz gegenüber den aus den Konzentrationslagern Entlassenen in der Zeit nach dem Krieg ein und thematisiert die Schwierigkeiten ihres Kampfes um die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus.

Eingeleitet wird der Text mit einer kurzen Beschreibung der unmittelbaren Nachkriegssituation, in der die Existenz der Konzentrationslager „zu einem Stein des Anstoßes wurde“ (S. 3), der Kowollik zufolge nach Kriegsende von der übrigen Welt als „Kainszeichen“ (ebd.) betrachtet werde. Während ein Teil der deutschen Bevölkerung diesen „Stein“ zu ignorieren oder gar zu leugnen beginne, habe „der nach Wahrheit und Erkenntnis ringende Teil der Menschen“ (ebd.) die Notwendigkeit erkannt, sich mit diesem „Schandfleck der Konzentrationslager“ (S. 17) auseinanderzusetzen. Zu dieser zweiten Gruppe zählt sich auch Kowollik selbst, der die Hoffnung äußert, dass dadurch „unser Volk die Größe dieses häßlichen Mals in seinem altehrwürdigen Gewande erkennen“ (ebd.) werde.

Zunächst skizziert der Verfasser kurz die politische Entwicklung Deutschlands nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dabei wird der Reichstagsbrand als eine Inszenierung bezeichnet, die Hermann Göring zuzuschreiben sei. „Männer von Format wie Reichstags-, Landtagsabgeordnete, Gewerkschaftler, Redakteure und berühmte Kanzelredner“ (S. 5) werden bei den darauffolgenden Verhaftungen als politische Gegner des Regimes gefangengenommen.

Von den Konzentrationslagern, in welche die Gefangenen verbracht werden, habe die Bevölkerung Deutschlands durch die Berichterstattung der gleichgeschalteten Presse – sofern überhaupt über sie berichtet wurde – ein verharmlostes Bild. Im Ausland wurde dagegen gemeldet, in den Konzentrationslagern seien politische Gegner des NS-Regimes inhaftiert. Um diesen Eindruck zu widerlegen, wurden Verhaftungen von – vorgeblich ausschließlich – Kriminellen veranlasst, so dass, wie Kowollik schreibt, „Hitler […] mit Recht in seinen Reden zum 1. Mai von dem in jeder Nation unvermeidlichen Abschaum reden [konnte], der vom gesunden Volksganzen ferngehalten werden müßte“ (S. 7).

Der Verfasser beschreibt, dass im Laufe der Zeit die bestehenden Konzentrationslager weiter ausgebaut worden seien und die Zahl der Häftlinge in den Lagern stetig anstieg. Unter ihnen befanden sich nun auch Zeugen Jehovas, sogenannte ‚Reichsarbeitsscheue‘, Sinti und Roma, jüdische Personen, Homosexuelle sowie Kriegsgefangene aus den besetzten Gebieten. Die Gruppe der als ‚asozial‘ Verfolgten beschreibt Kowollik indes als Sammelbezeichnung für jene „Intellektuellen“, die sich zuvor durch „passive Resistenz“ (beide Zitate S. 8) gegen den Staat aufgelehnt hatten, denen aber keine politischen oder kriminellen Vergehen nachgewiesen werden konnten. Nur um den „Schein einer Rechtmäßigkeit“ (S. 9) zu wahren, seien sie im Zuge der Massenverhaftungen zusammen mit vermeintlichen „Kleinkriminellen“ inhaftiert worden, so Kowollik.

Besonderes Augenmerk legt der Autor im Folgenden auf das von der SS bewusst eingeführte Machtgefälle zwischen den Häftlingsgruppen: In der Anfangszeit der Konzentrationslager hätten die ‚politischen‘ Häftlinge zunächst unter den Gefangenen die meisten Funktionspositionen innerhalb der Lagerstruktur versehen und durch „raffiniert ausgeklügelte Methoden, mit denen die SS oft genug getäuscht wurde“ (S. 12), ihr eigenes Überleben zu sichern versucht. Als jedoch die Zahl der ‚Kriminellen‘ zu wachsen begann, entbrannte zwischen ihnen und den ‚Politischen‘ ein Machtkampf um die wichtigen Funktionsposten im Lager. Die ‚Kriminellen‘, die als aufgrund ihrer Haft im Zuchthaus verrohte „menschliche[] Bestien“ (ebd.) beschrieben werden, gewannen bald „auf Kosten der anderen Häftlinge, namentlich der Juden und der ‚Reichsarbeitsscheuen‘“ (S. 12), die Oberhand und erhielten zahlreiche Vergünstigungen.

Außerdem werden verschiedene Konzentrationslager wie Dachau, Bergen-Belsen, Auschwitz und Majdanek erwähnt, wobei Kowollik die beiden letztgenannten von anderen Lagern unterscheidet, da „in ihnen nicht die geringste Chance bestand, dem Krematorium zu entrinnen“ (S. 10). Dies sei in den Nürnberger Prozessen deutlich geworden, doch habe der vielfach verbreitete Irrglaube, dass die „KZ-Haft […] zum größten Teil rechtens“ (S. 10) gewesen sei, den „Glauben an das Heldentum der im Dritten Reiche Verfolgten“ verhindert (S. 11). Kowollik kritisiert dies ebenso wie den allgemeinen Umgang mit den Überlebenden, „[j]ene[n] Doppeltgeschlagenen“, die zwar das Lager überlebt hatten, nun aber im kriegszerstörten Deutschland vor dem Nichts stünden und „[w]eder bei den staatlichen Behörden noch in der reaktionären Privatindustrie […] eine nennenswerte Aufnahme [fänden]“ (S. 15). Dabei spricht er auch die Ungleichbehandlung der verschiedenen Opfergruppen durch diese Nachkriegsbehörden an, wenn er schreibt: „Es wäre ungerecht, heute nur diejenigen der Überlebenden als Opfer des Nazismus anzusehen, die eine besondere politische Vergangenheit nachweisen können. Wer die Arbeit in der Rüstung und der für den Krieg arbeitenden Wirtschaft sabotierte und verweigerte und von den Nazis als Arbeitsscheuer in das KZ eingeliefert wurde, der war genau so ein politischer Kämpfer gegen die Tyrannei, wie derjenige, der illegal Flugblätter herstellte und sie vertrieb. Sie alle erwartete ja der gleiche Lohn, nämlich Kerker, KZ und Tod!“ (S. 14)

Aufseiten der SS-Täter unterscheidet Kowollik zwischen der „hoffnungslose[n] Minderheit“ (S. 15), die sich ihre Menschlichkeit gegenüber den Gefangenen bewahrte, und der Mehrheit der SS-Männer, die er als „entmenschte Sadisten“ (ebd.) bezeichnet. Auf der Suche nach den Ursachen ihrer Tyrannei verweist er auf ihre Ausbildung, in der ihnen „nicht christliche Liebe und Barmherzigkeit gelehrt wurde [sic], sondern jene Härte, die über Leichen schritt und selbst vor der Tötung des eigenen Kindes nicht Halt machen durfte.“ (ebd.)      

Kowollik stellt auch größere Sinnzusammenhänge über das Geschilderte her. So ordnet er beispielsweise die Geschehnisse während der NS-Zeit in einen größeren Kontext ein: Sie seien ein Zeichen dafür, dass sich „die gesamte Menschheit […] immer mehr der Barbarei zuwendet“ (S. 16). Und auch in Zukunft werde es weitere ‚Schandflecke‘ geben, „wenn sie [die Welt] weiterhin das Gebot der Liebe mißachten und die Werke der Finsternis den Werken des Lichtes und der Freiheit vorziehen wird“ (ebd.), mahnt Kowollik.

Werkgeschichte

Die Broschüre erschien 1947 in der Waldkircher Verlagsgesellschaft und war zu diesem Zeitpunkt bereits die dritte von Kowollik verfasste Abhandlung, die sich mit der NS-Zeit auseinandersetzte. In seinem Antrag auf Druckgenehmigung für die Broschüre „Analyse eines Schandflecks“ vom 12. Dezember 1946 gab der Autor an, es handle sich um eine „[k]ritische Betrachtung über das Los der aus den KZ-Lagern Entlassenen“, die „zur politischen Aufklärung der breiten Masse über die Behandlung der Staatsfeinde im Nazi-Reich“ sowie zur „Bekämpfung nazistischer Tendenzmeldungen“ (Licence d’Edition/Verlagsrecht, 12. Dezember 1946) beitragen solle.

Die Druckerlaubnis wurde ihm am 27. Januar 1947 – nur wenige Tage vor der Zulassung seines zweiten Werkes „Henker und Heilige. Eine Erzählung aus unseren Tagen“ (vgl. Werkgeschichte „Henker und Heilige“) – von der für die Papierzuteilung zuständigen Direction de l’Information in Baden-Baden erteilt, sodass die Broschüre wie beantragt in einer Auflage von 10.000 Exemplaren herausgegeben werden konnte. Zuvor hatte die Zensurabteilung der Direction de l'Information allerdings einen Satz auf Seite 14 gestrichen, wie aus einem Vermerk auf dem Antragsschreiben hervorgeht (Licence d’Edition/Verlagsrecht, 12. Dezember 1946).

Quellen:

  • „Licence d’Edition/Verlagsrecht, 12. Dezember 1946“. In: Archiv des französischen Außenministeriums/Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, ohne Signatur.
  • Kowollik, Joachim: „Literarische und juristische Aufarbeitung der Lagerhaft“. In: Siegel, Helmut/Kowollik, Joachim (Hrsg.): Verfolgt – verfemt – vergessen. Das Leben und Schicksal von Paul Kowollik. Waldkirch 2023, S. 101-136.

Die Annotation entstand in enger Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Joachim Kowollik, dem an dieser Stelle ausdrücklich Dank ausgesprochen sei für seine Unterstützung und Hilfe!



Bearbeitet von: Jennifer Ehrhardt und Hannah Heuper