… wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel … wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet
Autor Schlotterbeck, Friedrich (1909-1979)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1945, Stuttgart
Titel … wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet

Erscheinungsort Stuttgart
Erscheinungsjahr 1945

Verlegt von Europa-Verlag

Publiziert von Schlotterbeck, Friedrich (1909-1979)

Umfang 23 Seiten
Abbildungen Fotografien und Dokumentenfaksimile

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Zusammenfassung

In dem kurzen Erinnerungsbericht erzählt Friedrich Schlotterbeck die „Geschichte der Ausrottung meiner Familie“ (S. 20). Er schreibt das Werk „in einem Totenhaus“ (S. 3). Alle Menschen, die in diesem Haus lebten, seien tot, erklärt Schlotterbeck im Vorwort vom Juli 1945. Übrig geblieben sei nur er mit einem dreijährigen Kind, dessen Familie von der Gestapo „heimlich und feige ermordet“ (ebd.) wurde. Das Schicksal seiner Familie erzähle er denjenigen, die noch immer an eine „Greuelpropaganda“ (ebd.) glaubten, denjenigen, die sein Volk hassen, sowie seinen Kameraden, die wie er litten, aber auch all denen, die nach einer „Wiedergeburt des deutschen Volkes suchen“ (S. 4).

Bereits zu Beginn des Berichts lässt Schlotterbeck keinen Zweifel am Schicksal der Familie: Er fügt die Kopie eines Originaldokuments der Gestapo vom Januar 1945 bei, in der neun Personen, darunter seine Familienmitglieder und Freunde aufgelistet sind, die am 30. November 1944 „wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet“ (S. 5) werden. Schlotterbeck erzählt im Folgenden, wie ab 1933 sein Vater, seine Mutter und der 14-jährige Bruder mehrfach verhaftet und in verschiedene Konzentrationslager gebracht werden. Er selbst und die 23-jährige Schwester Trude können sich zunächst durch Flucht der Verhaftung entziehen und leben fortan illegal. Im Herbst 1933 wird Trude verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe kommt die Schwerkranke für mehr als sieben Monate in das Frauen-KZ Moringen. Am 1. Dezember 1933 wird auch Schlotterbeck selbst verhaftet. Sein Vater, der sich erneut in Geiselhaft befindet, soll freigelassen werden, wenn Schlotterbeck gesteht: „‚[W]enn Du redest, wird er frei! Wenn Du nicht redest, lassen wir ihn verrecken, wie Dich auch‘“ (S.7), droht der Gestapobeamte. Trotz der Drohungen wird Schlotterbeck nicht zum Verräter. Schließlich wird er zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt; auch Trude wird vorübergehend erneut verhaftet. Ihr weiteres Schicksal – die Heirat nach ihrer Entlassung, die erneute Haft zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, die Geburt der Tochter 1942 und der Tod des Mannes im Feld im Oktober 1942 – verfolgt Schlotterbeck im Verlauf des Berichts weiter.

Am 5. Mai 1937 wird Schlotterbeck im Anschluss an seine Zuchthausstrafe in das Konzentrationslager Welzheim deportiert. Er wird am 28. Juli 1943 überraschend aus der Schutzhaft entlassen, aber weiter eng überwacht. Er verlobt sich mit Else Himmelheber, die ebenfalls fünf Jahre im Gefängnis und Konzentrationslager inhaftiert war. Gemeinsam mit dem Bruder Hermann und einem alten Bekannten, der als illegaler Fallschirmjäger im Untergrund tätig ist, sowie einem weiteren Freund wird das Paar im Untergrund aktiv. Der Fallschirmjäger stellt sich jedoch als Verräter heraus. Fluchtversuche scheitern und am 10. Juni 1944 – dem Tag der geplanten Hochzeit – werden Schlotterbecks Vater und Mutter, die Schwester Trude und ihr zweijähriges Kind sowie weitere Bekannte und Freunde verhaftet. Ende November 1944 werden die Verhafteten schließlich hingerichtet. „In wunderbarer Selbstüberwindung sagte ein Gestapomann: ‚Gewiß, vom menschlichen Standpunkt aus ist das Geschick der Familie Schlotterbeck tragisch und bedauerlich. Aber es war staatspolitisch notwendig‘“ (S. 18).

Seinen im KZ Welzheim von der Gestapo erschossenen Bruder lässt Schlotterbeck nach dem Krieg in einem Wäldchen bei Riedlingen an der Donau wieder ausgraben: „So brachten wir einen der elf Ermordeten in die Heimat zurück, Hermann, meinen Bruder, unseren Kameraden und tapferen Jungen. Die andern werden wir nie finden“ (S. 20). Er rede nicht dem Haß das Wort, schließt Schlotterbeck den Bericht, denn dieser sei unfruchtbar. Er sei den „Toten so sehr verpflichtet wie den Lebenden, für die ich diese Zeilen schrieb“ (S. 23). Wirklichkeit solle werden, „wofür die besten und uns teuersten Menschen lebten, litten und starben“ (ebd.).

Schlotterbeck fügt Fotografien der ausgegrabenen Leichen unter anderem seines Bruder, von der Trauerfeier vor dem Totenhaus sowie von dem SS-Mann Rentschler, einem der „Mörder“ (S. 20) bei. Der Broschüre vorangestellt ist die Widmung: „Den Toten zum ehrenden Gedenken! Den Mördern zur ewigen Schande! Den Lebenden zur Mahnung!“ (o.S.)


Biografie

Albert Friedrich (genannt Frieder) Schlotterbeck (geb. 06.01.1909 in Reutlingen, gest. 07.04.1979 in Berlin-Buch) wurde als Sohn des Metallarbeiters Gotthilf Schlotterbeck und dessen Frau Maria geboren. Er machte eine Lehre zum Tischler, war jedoch nach der Ausbildung arbeitslos.

1923 trat er dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) in Ostsachsen bei. 1929 kam er ins Zentralkomitee des KJVD und wurde 1929/30 Kursant an der Internationalen Leninschule in Moskau. Nach seiner Rückkehr war er zunächst Sekretär des KJVD in Württemberg, bis er nach Berlin geholt wurde, wo er hauptamtlicher Agitpropsekretär und Mitarbeiter am KJVD-Organ „Junge Garde“ war. Nach Auseinandersetzungen innerhalb des Sekretariats wurde Schlotterbeck seiner Funktionen enthoben und Ende 1931 als Instrukteur der KJI nach Skandinavien geschickt. An Pfingsten 1933 organisierte er anlässlich des Europäischen Antifa-Kongresses in Paris eine antifaschistische Jugendkonferenz. Anfang August 1933 kehrte er zur illegalen Arbeit nach Deutschland zurück, wo er Instrukteur des KJVD in Ostsachsen wurde.

Am 1. Dezember 1933 wurde er festgenommen und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt und ab Mai 1937 im Konzentrationslager Welzheim in sogenannte Schutzhaft genommen.

Nach seiner Entlassung am 28. August 1943 war Schlotterbeck zusammen mit seiner ganzen Familie und seiner Verlobten Else Himmelheber im Stadtteil Luginsland in Stuttgart-Untertürkheim im Widerstand aktiv. Eine Woche vor der geplanten Hochzeit im Mai 1944 wurde die Gruppe durch Eugen Nesper an die Gestapo verraten. Fluchtversuche der Gruppenmitglieder in die Schweiz scheiterten, einzig Schlotterbeck gelang der Grenzübertritt. Am 16. Juni 1944 wurde er durch das Polizeikommando Zürich „mit Steckbrief wegen Verdacht des Mordes an einem Zollbeamten beg[angen] am 10. Juni 1944 zur lokalen Fahndung aufgegeben“ (Schweizerisches Bundesarchiv BAR, E4320B 1978/121_6. Schreiben der Stadtpolizei Zürich vom 20.10.1945, o.S.).

Am 10. Juni 1944 wurden die Eltern Maria und Gotthilf Schlotterbeck mit ihrer Tochter verhaftet. In den nächsten Tagen wurden weitere Gruppenmitglieder festgesetzt. Am 27. November 1944 wurden seine Verlobte, seine Schwester Trude sowie seine Eltern von Stuttgart in das Konzentrationslager Dachau deportiert und dort ohne Gerichtsverhandlung am 30. November 1944 erschossen. Sein Bruder Herman wurde, nachdem er wochenlang untergetaucht war, ebenfalls verhaftet. Nach monatelanger Haft und Folter im KZ (Gestapogefängnis) Welzheim wurde er am 19. April 1945 in einem Wald bei Riedlingen durch den SS- und Gestapo-Mann Albert Rentschler erschossen.

Schlotterbeck traf nach seiner Flucht in die Schweiz dort seine frühere Jugendfreundin Anna von Fischer, geborene Wiedmann, wieder. Sie schrieb das Vorwort für seinen 1945 herausgegebenen kurzen Bericht „... wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet“, den er nach seiner Rückkehr nach Stuttgart im Juni 1945 veröffentlichte, nachdem er vom Schicksal seiner Familie und seiner Freunde erfahren hatte. Weitaus ausführlicher hat er seine eigenen Erlebnisse in dem Werk „Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne“ geschildert, das er ebenfalls 1945 veröffentlichte. In Deutschland wurde Schlotterbeck Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Württemberg und engagierte sich als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes im damaligen Land Württemberg-Baden. Außerdem war er Mitglied der KPD-Landesleitung.

Schlotterbeck nahm die Tochter seiner Schwester Trude bei sich auf, die im Alter von zwei Jahren der Mutter bei der Verhaftung weggenommen worden war. Gemeinsam mit Anna von Fischer, die er 1951 heiratete, zog er im April 1948 in die Sowjetische Besatzungszone, nachdem in Stuttgart seine kommunistische Gesinnung zunehmend problematisch wurde. Er wurde Stadtrat für Kultur in Dresden und kam in Kontakt mit Künstlern wie Martin Hellberg, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verband. Anfang 1951 verlor er sein Amt als Stadtrat und ging Mitte April 1951 als Bergarbeiter der SDAG Wismut ins Erzgebirge. Als Mitglieder der SED gerieten Friedrich und Anna Schlotterbeck bei der Überprüfung von Westemigranten in das Visier der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) und des Ministeriums für Staatssicherheit. Am 15. Februar 1951 wurde Schlotterbeck wegen ‚Spionageverdachts‘ aus der SED ausgeschlossen. Ihm wurde vorgeworfen, ein V-Mann der Gestapo gewesen zu sein, vor allem wurden ihm seine Kontakte zu Noel Field und Herta Jurr-Tempi in der Schweiz zur Last gelegt. Die ZPKK ordnete die Einstampfung seines Buches „Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne“ an. Die Schweiz verhängte 1953 eine Einreisesperre gegen Schlotterbeck als „[m]ilitanter Kommunistenführer“ (Schweizerisches Bundesarchiv BAR, E4320B 1978/121_6. Die Schweizerische Bundesanwaltschaft, 04.11.1953, o.S.).

Am 15. Februar 1953 wurden er und seine Frau in der DDR verhaftet und am 27. April 1954 vom 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Rostock wegen „Verbrechens gemäß Artikel 6 der DDR in Verbindung mit einem Vergehen gegen die Kontrollratsdirektive 38“ und wegen „verbrecherischen Beziehungen zu dem amerikanischen Agenten Noel H. Field“ zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Strafe wurde 1954 auf drei Jahre Haft reduziert. Beide wurden am 15. Februar 1956 nach genau drei Jahren Haft freigelassen. Es folgte dann bei einer nichtöffentlichen „Rehabilitierung“ (Strafregistertilgung) die Wiederaufnahme in die SED. Friedrich und Anna Schlotterbeck lebten danach in Groß Glienicke und arbeiteten als Schriftsteller und Hörspielautoren. Gemeinsam schrieben sie unter anderem „Die Memoiren der Frau Viktoria“ (1962). Sie waren eng befreundet mit der Schriftstellerin Christa Wolf und ihrem Mann Gerhard. Zu den bekanntesten Werken Schlotterbecks gehörten „Im Rosengarten von Sanssouci“ (1968), eine polemische Abrechnung mit der preußischen Geschichte.

Der Name Schlotterbeck ist in Baden-Württemberg Inbegriff antifaschistischen Widerstands und Märtyrertums. Auf dem Untertürkheimer Friedhof wurde für die Familie ein Ehrengrab angelegt und ein Ehrenmal errichtet, des Weiteren wurde eine Straße nach ihnen benannt.

Quellen:


Werkgeschichte

Schlotterbecks Bericht erschien erstmals 1945 im Stuttgarter Europa Verlag. Weitere Ausgaben wurden 1946 im Stuttgarter Limes-Verlag sowie 1947 im Reutlinger Verlag Die Zukunft herausgegeben. Der Publikation im Limes-Verlag von 1946 ist neben einem von der Erstausgabe abweichendem Cover, gestaltet von Ruth Lutz, ein zusätzliches Vorwort vorangestellt. In diesem verweist Schlotterbeck auf eine Vielzahl von Briefen, die er seit dem ersten Erscheinen der Broschüre erhalten habe. Geschrieben hatten ihm sowohl Kameraden aus der Gefängniszeit als auch unbekannte Menschen. Auch Nationalsozialisten seien unter den Schreibern gewesen: „Unter denen, die mir persönlich begegneten, war manch einer, der weinend von mir ging. Weinend über die Schande, die seine Schande ist … (mancher wollte freilich nur ein Attest)“ (S. 3). Die Ausgabe von 1946 enthält zudem eine leicht abweichende Auswahl an Fotos.

Quelle:

  • Schlotterbeck, Friedrich: „...wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet“. Stuttgart 1946.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger