1000 Tage im KZ (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel 1000 Tage im KZ
Autor Gostner, Erwin (1914-1990)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Innsbruck
Titel 1000 Tage im KZ.
Untertitel Ein Erlebnisbericht aus den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen. Mit authentischem Bildmaterial und Dokumenten

Erscheinungsort Innsbruck
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1

Verlegt von Selbstverlag
Gedruckt von Wagner’sche Univ.-Buchdruckerei
Publiziert von Gostner, Erwin (1914-1990)
Umschlaggestaltung von Sommer, Karl (1878-)
Illustriert von Sommer, Karl (1878-)

Umfang 211 Seiten
Abbildungen 9 Zeichnungen und 16 Fotos aus den Konzentrationslagern
Lizenz Zur Veröffentlichung freigegeben durch Gouvernement Militaire de la Zone d’Occupation Française en Austriche vom 13.9.45. No 5922

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Österreicher Erwin Gostner beschreibt in seinem ‚Erlebnisbericht‘, so der Untertitel, seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen. Insgesamt verbringt er drei Jahre als politischer Häftling in den Lagern. In chronologischer Reihenfolge erzählt er nicht nur von der Zeit von seiner Verhaftung am 12. März 1938 bis zu seiner Entlassung im Herbst/Winter 1941 sondern darüber hinaus auch über seine Erlebnisse bis Mai 1945. Gostner berichtet im Präsens und beteiligt so den Leser unmittelbar am Geschehen. Die häufige Verwendung von direkter Rede und Ausrufen verstärken diesen Eindruck zusätzlich.

Im April 1938 wird Gostner ins KZ Dachau eingeliefert. Dort erhält er die Häftlingsnummer 14.456. Ausführlich beschreibt er die Aufnahme in das Lager, die Lagerordnung und die Strafen, die den Häftlingen selbst bei geringen Verstößen gegen diese drohen. Eine der schlimmsten Strafen ist die Bunkerhaft. Vier Monate, vom 9. Juni 1938 bis zum 28. Oktober 1938, verbringt Gostner selbst im Bunker. Auch Einzelhaft, davon über 100 Tage in Dunkelhaft, Nahrungsentzug sowie Misshandlungen durch Schläge und Peitschenhiebe überlebt er. Nach seiner Bunkerhaft muss er in der Kiesgruppe schwere Zementsäcke schleppen. Indem er sich Kalk in die Augen reibt und so eine Entzündung herbeiführt, kann er schließlich für drei Wochen der harten Arbeit entkommen.

Gostner belässt es aber nicht bei der Schilderung dieser Tatsachen, sondern benennt zudem detailliert seine Empfindungen und Gedanken: „Bei jedem Geräusch schrecke ich zusammen. Ich hasse den Wind, der an meinem Fenster rüttelt, ich verabscheue die Sonne, welche, ohne zu wärmen, in schmalen Streifen durch das Gitter fällt. Warum lebe ich noch, warum macht man nicht Schluß mit dieser sinnlosen Quälerei?“ (S. 17)

Ein ganzes Kapitel widmet Gostner der „Schreckensnacht von Dachau“ (S. 64) am 22. Januar 1939. Nachdem es dem Häftling Übrig gelungen ist, aus dem Lager zu fliehen, bestraft die SS die Häftlinge durch stundenlanges nächtliches Stehen in der Kälte. Viele Häftlinge überleben diese Tortur nicht. Übrig wird einen Monat später gefunden und in das Lager zurückgebracht, wo er im Bunker umkommt. Am 9. Mai 1939 wird Gostner als einer der ersten politischen Häftlinge nach Mauthausen überstellt. Er trägt hier die Häftlingsnummer 384. Seine Freude, wieder in die österreichische Heimat zu gelangen, wenn auch nicht als freier Mensch, weicht schnell der Erkenntnis, dass „Dachau ein Sanatorium gegen Mauthausen“ war (S. 86). Denn dort haben die ‚Grünen‘ und ‚Braunen‘, also die ‚Berufsverbrecher‘ und ‚Asozialen‘, das Sagen und füllen die meisten Funktionsstellen aus. Ihre Grausamkeiten und Misshandlungen an den Mithäftlingen treiben diese hin und wieder zu Verzweiflungstaten. Besonders schlimm trifft es die ‚Zigeuner‘ und Juden im Lager, stellt Gostner fest. Er beschreibt einen verzweifelten Versuch eines ‚Zigeuners‘, sich gegen einen verhassten und sadistischen Kapo zu wehren, indem er dem Kapo mit einem Stein den Kopf zerschmettert. Den ‚Berufsverbrechern‘ und ‚Asozialen‘ stellt Gostner die politischen Häftlinge gegenüber, deren großes Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität untereinander er wiederholt hervorhebt.

In einer Traumvision inszeniert Gostner dialogisch für ihn zentrale Fragen nach Schuld und Verantwortung. Er sei geschickt worden, so der Frontsoldat in der Vision – der „Graue“ (S. 127) genannt – um ihm zu sagen, dass an der Front mehr Tote lägen als im KZ und dass sie – die Soldaten – nicht schuld seien an den Leiden der Häftlinge. Gostner klagt die Soldaten an, den Krieg gewollt zu haben und Bestien in ihren Reihen zu dulden, „die uns wie zu ihrem Vergnügen schlachten und quälen“ (S. 127). Sie zählten zu denen, „die den Massenmord zum System machen“ (ebd.). Er fordert ihn auf, die Konzentrationslager nicht zu verteidigen, sondern sie zu verurteilen und gegen sie zu kämpfen. Doch der ‚Graue‘ bleibt uneinsichtig: „Nein, gerade jetzt können wir euch nicht helfen, ich müßt das doch einsehen! Ihr dürft auch nicht so laut schreien, ihr verwirrt uns noch“ (S. 134). Auch Gostners Vater – ein Tiroler Kaiserjäger, der im Ersten Weltkrieg in Sibirien starb – erscheint. Sein Sohn fragt ihn, wofür die Soldaten sterben würden. Der Vater will jedoch den Sinn des Krieges nicht in Frage stellen. Denn ein Soldat sterbe für die Heimat, sie sei in seinem Herzen immer „rein, schön und edel“ (S. 133).

Eindrücklich stellt Gostner wiederholt den Kontrast zwischen der Welt außerhalb und der innerhalb des Lagers her. Vor dem Draht wandern „freie Menschen durch blumige Wiesen“ (S. 91), hinter dem Zaun stirbt gleichzeitig der Häftling Nummer 1000, ein ‚Zigeuner‘, einsam und unbeachtet im Dreck. „Der Häftling Nr. 1000 stirbt, bitte, was ist dabei? Eine Nummer wird ausgelöscht, eine Zahl mit drei Nullen“ (S. 93), polemsiert Gostner. Auch bei seiner Tätigkeit in einem Arbeitskommando, das in Gusen, fünf Kilometer von Mauthausen entfernt, ein neues Lager errichten soll, stellt er einen solchen Kontrast her. Zweimal täglich marschieren die entkräfteten und hungrigen Häftlinge an Zivilisten vorbei, die sie neugierig und mit gutgenährten Gesichtern betrachten.

Der Text enthält einen Bildanhang sowie das - 1947 auch selbständig erschienene - Protokoll eines Verhörs des SS-Standartenführer Franz Ziereis nach dessen Gefangennahme durch die amerikanischen Truppen. Ziereis war unter anderem Lagerkommandant des Konzentrationslagers Mauthausen.


Biografie

Der Österreicher Erwin Gostner (geb. 19.11.1914 in Innsbruck, gest. 1990 in Axams) wurde als Kind Südtiroler Eltern geboren. Er war im katholischen Burschenverein „Reichsbund Hall“ aktiv und unterstütze den christlichen Städterat. Später war er als Beamter im politischen Referat der Sicherheitsdirektion in Tirol mit Abwehrmaßnahmen gegen die illegalen Nationalsozialisten beschäftigt. Er wurde vermutlich am 12. März 1938 verhaftet und wahrscheinlich am 31. Mai 1938 in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Im Mai 1939 wurde er nach Mauthausen überstellt. Seine Mutter bemühte sich intensiv um seine Entlassung und sprach sogar bei Rudolf Heß vor. Aufgrund der Intervention der Gestapo in Innsbruck wurde er nach 1.000 Tagen im Konzentrationslager schließlich entlassen und kehrte nach Hall in Tirol zurück. Er wurde im Dezember 1941 zur Wehrmacht einberufen und war zunächst in Holland, später an der Adria und an der Ostfront stationiert. Schließlich wurde er aufgrund eines Magenleidens aus dem KZ dienstuntauglich geschrieben und blieb in München. Den Einmarsch der alliierten Truppen erlebte er in Österreich am 5. Mai 1945.

Nach dem Krieg arbeitete er ein Jahr lang erneut in der Sicherheitsdirektion, dann als Detektiv und Journalist in Innsbruck. 1977 erhielt er vom Bundespräsidenten das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs.

Quelle:

  • Angerer, Christian und Karl Schuber: Aber wir haben nur Worte, Worte, Worte. Salzburg 2007.
  • Peitsch, Helmut: Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945 bis 1949. Berlin: Edition Sigmar Bohn 1990, S. 456.


Werkgeschichte

Nach dem ersten Erscheinen der Erinnerungen im Selbstverlag 1945 wurde der Bericht auch 1946 im Mannheimer Burger Verlag sowie 1986 in der Innsbrucker Edition Löwenzahn herausgegeben.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger