19633 (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel 19633
Autor Müller, Fritz
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1946, Bad Lippspringe
Titel 19633
Untertitel Wofür im Konzentrationslager?

Erscheinungsort Bad Lippspringe
Erscheinungsjahr 1946
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Verlegt von Selbstverlag
Gedruckt von Josef Sauren
Publiziert von Müller, Fritz

Umfang 32 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)

Zusammenfassung

In seiner kurzen Schrift berichtet Fritz Müller von seiner fünfeinhalbjährigen Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen. Dorthin war er gebracht worden, weil er sich als überzeugter Christ nicht den Nationalsozialisten beugen wollte. Er beschreibt nur knapp die schlimmsten Foltermethoden und widmet sich weitaus mehr der Bedeutung des christlichen Glaubens in der Haft, der seiner Meinung nach erst ein Überleben möglich macht.

Müller sieht sich als ein Kämpfer für das Christentum und stellt sich in die Tradition der frühchristlichen Märtyrer. So wie Jesus am Kreuz leiden musste, nimmt auch er seine Schmerzen als gottgegeben hin. Der Rosenkranz und seine Bibel sind ihm Mittel der Stärkung und Gott gibt ihm Mut durchzuhalten: „Jawohl, ich fühle mich berufen, das, was heute ist, zu zerstören und an dessen Stelle mit der Gnade Gottes den Sieg des Kreuzes aufzurichten“ (S. 3). Im Werben für „die gottgewollte Weltordnung“ sieht er seine „Lebensaufgabe“ (beide Zitate S. 16). Sich selbst charakterisiert er dabei als mutig, sicher und überzeugt, als „Werkzeug Gottes“ (S. 19), das sich auch durch die Drohungen der Wachen nicht einschüchtern lässt. Wie Müller von Außenstehenden wahrgenommen wird, wird erst am Ende des Buches deutlich. Die Reaktionen der Leute bei seiner Rückkehr deutet er wie folgt: „Dort war nun wieder der Müller, der Abseitige, der Querulant, der Geistesgestörte mit dem religiösen Größenwahn“ (S. 30). Den Gefahren, als Christ in einem Konzentrationslager zu sein, und dem Spott der Wachmannschaften setzt er sich bewusst aus. So ist die Haftzeit für ihn nicht sinnlos: „In der Strafkompanie fand ich trotz allen Leidens doch immer die größte, aufrichtigste Freude in dem Bewußtsein, daß es nicht unnütz war, daß ich all dieses Leid im Konzentrationslager ertragen mußte“ (S. 8) oder „Ich möchte nicht[s], aber auch rein gar nichts von all dem missen, was ich im Konzentrationslager litt und erlebte“ (S. 14).

Nur in einigen Kapiteln thematisiert er das Leid im Konzentrationslager. So beschreibt er die Bunkerhaft, mit der er für das Schmuggeln von Briefen bestraft wird, die öffentlichen Hinrichtungen, die stundenlangen Appelle bei Kälte und Regen, die Schikanen der Wachen sowie die Schläge auf dem Bock. Auch schildert er einige Episoden aus seiner Zeit als Pfleger im Krankenbau. Sein Fokus liegt jedoch stärker auf der im Lager herrschenden Solidarität, die sich über alle sozialen, ideologischen und nationalen Grenzen erstrecke. So werden Müller immer wieder Lebensmittel zugesteckt und im Gegenzug sieht er seine christliche Pflicht darin, allen Mithäftlingen durch seine Verbindungen zu helfen: „Und Gott fügte es dann, daß ich immer Gelegenheit finde, hier im Konzentrationslager so wirksame Hilfe zu bringen“ (S. 13).

Der größte Teil der Erinnerungen nimmt seine Befreiung aus dem Konzentrationslager, als „das Komödienspiel […] zu Ende“ (S. 19) ging, und seine Rückkehr in seine Heimatstadt Bad Lippspringe ein. Auch auf dem Todesmarsch, auf den er am 23. April 1945 geschickt wird, hilft ihm sein Glaube: „Die große Hoffnung unseres unerschütterlichen Glaubens ließ uns alle Strapazen ertragen“ (S. 22). Nach der Befreiung durch amerikanische Soldaten macht er sich mit einem Fahrrad umgehend auf den Heimweg, trifft auf der Strecke auf die verschiedensten Menschen und erfährt überall Hilfe. Die Stimmung scheint auf einen christlichen Neuanfang ausgerichtet zu sein: „Alle [=Eintragungen in seinem Tagebuch durch Menschen, die er getroffen hat] besagen, wie groß die Sehnsucht, wie groß aber auch der Glaube ist, daß jetzt das Gute einmal total siegen muß und alle Menschen erkennen werden, daß sie einzig und allein deswegen auf Erden sind, Gott zu lieben, ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen“ (S. 27). Die Höhepunkte seiner Reise sind die ersten Gottesdienste außerhalb des KZ und ein Abendessen beim Grafen von Galen im Kloster Corvey. Seine Erinnerungen enden mit der Rückkehr zu seiner Familie.

Für Müllers Schreibstil sind knappe Sätze charakteristisch; der gesamte Text ist in kurze, teilweise nur eine halbe Seite lange Absätze unterteilt, in denen er jeweils einen thematischen Aspekt behandelt. Diese Kapitel sind assoziativ aneinandergereiht und folgen nicht zwingend einer chronologischen Ordnung. Auffallend sind die Häufung von Dialogen und das Zitieren aus Briefen, die er an den Lagerführer schreibt, oder von Zeitungsartikeln. So gibt er einen Bericht wider, der über ihn in der NS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ erschienen ist. Am häufigsten zitiert er aus dem Buch „Dreizehnlinden“ (1878) von Friedrich Wilhelm Weber, das für Müller eine Art Leitfaden in seinem Vorgehen gegen das ‚Heidentum‘ der Nationalsozialisten darstellt.


Biografie

Fritz Müller lebte als Kaufmann im westfälischen Bad Lippspringe. Aus seinem Text geht hervor, dass er Zeit seines Lebens für den christlichen Glauben eintrat, in offener Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten stand und deswegen bereits zu Kriegsbeginn inhaftiert wurde. Nach seiner Verhaftung am 13. August 1933 in Paderborn floh er am 23. März 1935 für viereinhalb Jahre nach Eupen in Belgien. Um das Jahr 1939 wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Dort war er unter anderem im gefürchteten ‚Schuhläufer-Kommando‘ eingesetzt, in dem – beim Testen verschiedenen Schuhwerks auf kilometerlangen Strecken – viele der Häftlinge an Entkräftung starben. Er arbeitete auch als Pfleger im Krankenbau und im Strafkommando in einer Ziegelwerkstatt. Müller wurde auf dem Todesmarsch von amerikanischen Soldaten befreit und kehrte in seine Heimatstadt Bad Lippspringe zurück, wo er wieder als Kaufmann arbeitete. Nach dem Krieg hielt er offenbar an seinem festen Glauben und dem Einsatz für eine christliche Welt fest, denn „Der Spiegel“ berichtet 1953 von einer Schlägerei, in die Müller beim Verteilen von christlichen Flugblättern in Paderborn geriet. Müller wird dort als „stadtbekannte[r] Vorkämpfer des neuen Marien-Dogmas“ (S. 9) betitelt.

Quellen:

  • Müller, Fritz: 19633. Wofür im Konzentrationslager? Bad Lippspringe 1946.
  • o.A.: „An die Wehrfreude“. In: Der Spiegel vom 27.05.1953, Nr. 22, S. 9-12, hier S. 9.


Werkgeschichte

Fritz Müller veröffentlichte den Text im Selbstverlag und bezahlte – wie er dies schon bei seinen früheren Werke getan hatte – vermutlich den Druck selbst. Daher trägt die Titelseite auch den Hinweis „Als Manuskript geschrieben“. Im Text selbst erwähnt er, dass er seine Schriften meist verteilte. Wie weit deren Wirkung jedoch reichte, ist unklar.

Quelle:

  • Informationen des Archivs Bad Bad Lippspringe, telefonisches Gespräch vom 13.05.2014.



Bearbeitet von: Christiane Weber