55 Monate Dachau (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel 55 Monate Dachau
Autor Feuerbach, Walter (1907-1996)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Luzern
Titel 55 Monate Dachau
Untertitel Ein Tatsachenbericht von Walter Feuerbach

Erscheinungsort Luzern
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Verlegt von Rex-Verlag
Gedruckt von A. Röthlin & Co.
Publiziert von Feuerbach, Walter (1907-1996)
Umschlaggestaltung von Twerenbold, Josef

Umfang 29 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der langjährige Dachau-Häftling Walter Ferber beschreibt in seinem unter dem Pseudonym Walter Feuerbach publizierten Erinnerungsbericht streiflichtartig einzelne Aspekte des Lageralltags in Dachau. Neben dem Tagesablauf, den Strafen und Arbeitskommandos nennt er besonders viele Namen österreichischer Häftlinge. Abschließend thematisiert er die „geistige Situation in den Konzentrationslagern“ (o.S.) und die politischen Überzeugungen und Nachkriegsvorstellungen der Kommunisten und Geistlichen im Lager.

Eigentlich – so stellt Ferber im kurzen Vorwort klar – wollte er seine Erinnerungen nicht aufschreiben: „Wer einem wirklichen Grauen entronnen ist, liebt es nicht, die Erinnerung daran zu pflegen. So habe ich nur ungern der Bitte entsprochen, den für die Umschulung des deutschen Volkes notwendigen Bericht über die 55 Monate Konzentrationslager zu verfassen“ (o.S.). Sein eigenes Schicksal sei „gewiß unwichtig“ (ebd.), weshalb er auf dessen Schilderung weitestgehend verzichtet; seine Haftzeit in Flossenbürg von September 1939 bis März 1940 thematisiert er zum Beispiel gar nicht. Vielmehr stehen die verschiedenen Facetten des Lebens im Lager Dachau sowie die Fahrt von Wien in das Konzentrationslager im Fokus der Beschreibung. So beschreibt Ferber in kurzen, oft nur wenige Absätze umfassenden Kapiteln den Aufbau der nationalsozialistischen Lager und der sie umgebenden SS-Areale im Allgemeinen, die Strafen, den Tagesablauf mit Bettenbau und Appellen, die sinnlosen Arbeiten, die zunehmende Homosexualität im Lager und die pseudomedizinischen Versuche an Häftlingen. Besonders deutlich hebt Ferber die willkürlichen Schikanen und Demütigungen durch die SS-Wachmannschaften hervor. Er beschreibt auch, dass die Dachauer Bevölkerung die SS und ihre Handlungen demonstrativ abgelehnt und Häftlinge wann immer möglich unterstützt habe.

Ferber wirkt sehr informiert und beschreibt unter anderem genau und kleinschrittig das Prozedere des Auspeitschens. An Stellen, an denen er Begebenheiten nicht aus eigener Erfahrung berichtet, führt er seine Aussagen auf Angaben von anderen Häftlingen in höheren Positionen – wie etwa Blockschreiber – zurück. Er nutzt die Berichte anderer Häftlinge auch, um verallgemeinernde Aussagen zu treffen, wie etwa, dass die Bedingungen in Buchenwald besser gewesen seien als in Dachau.

Den circa 3500 internierten Geistlichen in Dachau räumt Ferber mehr Platz in seinen Schilderungen ein. Er skizziert zunächst ihre Besserstellung und die Ende 1940 folgende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Detailliert zählt er auf, wem es gelang, die Sakramente zu erlangen und wer in der „Seelsorge im Konzentrationslager“ (S. 11) tätig war. Ferbers Schilderungen sparen nicht die schockierenden Erlebnisse aus und er beschreibt etwa auch, dass ein Geistlicher den Kölner Dom aus Kot nachbauen muss. Besonderen Wert legt Ferber hier und auch an anderen Stellen auf die Nennung von Namen. Dabei geht er sehr sorgfältig vor, nennt Opferzahlen, ordnet die Personen Gruppen, Diözesen etc. zu und führt ihre Todesart oder die Haftdauer auf. Über ganze Seiten listet er Namen prominenter Gefangener auf. Bei den verantwortlichen SS-Leuten verfährt er ebenso und notiert ihre Namen und Dienstgrade. Generell geht der Autor sehr akribisch vor und versucht, Struktur in seine Schilderungen zu bringen, so zählt er etwa zu Beginn des Berichts alle Lager mit Häftlingsstärke auf.

Ferber verfasst seinen Bericht im Präsens und nutzt an einigen Stellen Leseranreden. Er beginnt jedes Kapitel mit einem einleitenden Satz, der den Leser auf den folgenden Teil einstimmen soll, zum Beispiel: „Nun wäre es vielleicht interessant, die Namen jener Geistlichen anzuführen, die ich im K.L. gekannt habe“ (S. 12) oder „[v]ielleicht interessiert auch, was geschieht, wenn ein Schutzhäftling aus dem K.L. entflieht“ (S. 15), worauf eine genaue Schilderung folgt. Auch formuliert er Fragen, die ein Leser stellen könnte, um sie umgehend selbst zu beantworten.

Abschließend schildert Ferber die geistige Haltung der katholischen und kommunistischen Häftlinge im Lager und beantwortet die Frage „wie denken die Schutzhäftling über Politik?“ (S. 25). Demnach wollten vor allem viele der führenden kommunistischen Häftlinge sich von einer radikalen politischen Haltung abwenden. Auch hätten sich die Kommunisten im Lager Dachau der Sicht der Kirche angenähert und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Theorien und Lehren gefunden. Trotz allem seien sie, darauf weist Ferber deutlich hin, „n i c h t   k o a l i t i o n s f ä h i g “ (S. 27, Hervorhebung im Original). Allen Häftlingen sei jedoch gemein – so Ferber verallgemeinernd –, dass sie eine Einmischung der Emigranten beim Wiederaufbau des Landes und deren Rückkehr nach Deutschland ablehnen, „da zwischen einem K.L.-Mann und einem Emigranten eine Erlebniskluft bestehe, die einfach unüberbrückbar sei“ (S. 28). In diesem Abschnitt am Ende des Berichts nutzt Ferber eine philosophisch-politische Bildungssprache, zieht politische Ideologien heran und nennt auch hier die Namen der führenden Vordenker.


Biografie

Walter Ferber (24.12.1907 in Buer-Erle, gest. 13.04.1996 in Lungern) entstammte als Sohn eines Bergarbeiters und einer Näherin kleinen Verhältnissen, aus denen er sich hocharbeitete. Nach einer kaufmännischen Lehre begann er als katholisch geprägter Journalist und Schriftsteller zu arbeiten, unter anderem bei Zeitungen der Zentrumspartei. Bereits in diesem frühen Stadium engagierte sich der Pazifist Ferber gegen die nationalsozialistische Politik. 1932 emigrierte er nach Wien, wo er bis zum Anschluss Österreichs im März 1938 als freier Journalist für verschiedene Zeitungen schrieb und in den Emigranten- sowie in katholischen Intellektuellenkreisen aktiv war. Nach seiner Verhaftung wurde Ferber am 17. Juni 1938 mit der Häftlingsnummer 690 in das Konzentrationslager Dachau gebracht, von wo er am 27. September 1939 nach Flossenbürg überstellt wurde; am 2. März 1940 wurde er nach Dachau zurückverlegt. Im November 1942 überstellte man Ferber ‚zur Bewährung‘ an die deutsche Wehrmacht. Ihm gelang die Flucht und er schlug sich in die Schweiz durch. Laut seinem Bericht gelang ihm am 23. November 1942 die Flucht. Im schweizerischen Fribourg nahm er das Pseudonym Walter Feuerbach an, um studieren zu können. Nach Kriegsende war er zunächst Chefredakteur des „Neuen Abendlands“ und später der „Föderalistischen Hefte“, daneben unterrichtete er Politologie an der Theologischen Hochschule in Dillingen und schrieb für zahlreiche andere Zeitungen. Ferber kehrte bis 1953 nach Deutschland zurück und setzte sich für einen föderalistischen Neubeginn in Deutschland ein. Dieses Thema verhandelte Ferber nicht nur in seinem Tatsachenbericht, sondern er versuchte auch, auf vielfache Weise eine katholische Ausrichtung Deutschlands zu begünstigen, und stand hierfür im Kontakt mit prominenten katholischen Vertretern internationaler Organisationen. Ferber plante, eine katholische Europa-Liga aufzubauen und so das politische und gesellschaftliche Mitspracherecht der Katholiken zu stärken und über die Ländergrenzen hinweg in Westeuropa zu vernetzen. Heute gilt Ferber „als zentrale Figur des d[eutschen] Föderalismus“ (Conzemius, o.S.), da er in zahlreichen Artikeln und Gesprächen die Vorteile eines föderalistisch aufgebauten Staates vertrat.

Quellen:

  • Bockhofer, Reinhard: „Walter Ferber – ein deutscher Föderalist und Demokrat“. In: Ferber, Walter: 55 Monate Dachau. Ein Tatsachenbericht. Bremen 1993, S. 63-84.
  • Conzemius, Victor: „Ferber, Walter“. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Online: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D46718.php (Stand: 11.09.2019).
  • Feuerbach, Walter: 55 Monate Dachau. Ein Tatsachenbericht von Walter Feuerbach. Luzern 1945.
  • Salzmann, Bernhard: Europa als Thema katholischer Eliten. Das katholische Europa-Netzwerk der Schweiz von 1945 bis Mitte der 1950er Jahre. Fribourg 2006, S. 145f.


Werkgeschichte

Ferber verfasste seinen Bericht in den letzten Wochen und Monaten des Krieges, also noch vor der eigentlichen Befreiung des Lagers Dachau am 29. April 1945, im schweizerischen Exil. Das Vorwort datiert den Bericht auf Pfingsten 1945. Er wählte aus Sicherheitsgründen das Pseudonym Walter Feuerbach, das er sich nach seiner Flucht aus Deutschland 1942 mit Bezug auf den Maler Anselm Feuerbach zugelegt hatte. Immer wieder wird deutlich, dass Ferber verschiedene Informationsquellen nutzte und nicht nur seine eigenen Erlebnisse schildert. So teilte er selbst mit, dass er Informationen aus Polen und im Lager selbst von anderen, gut informierten Funktionshäftlingen erhalten habe.

Der Bericht „55 Monate Dachau“ war dabei nicht die erste Publikation Walter Ferbers über seine Zeit in Dachau. Bereits zuvor hatte er in den „Apologetischen Blättern“ einen Bericht speziell über die Situation der Geistlichen in den deutschen Konzentrationslagern publiziert. Zu Beginn seines Buches „55 Monate Dachau“ betonte er, dass er nun darauf aufbaue, und fasste die wichtigsten Punkte zusammen. In Deutschland wurde der Bericht – auch in den Nachkriegsjahren, in denen Ferber in Deutschland lebte und journalistisch tätig war – kaum wahrgenommen. So stellt Bockhofer fest: „In der Schweiz verlegt und vor allem dort gelesen, hat Ferbers Dachau-Bericht in Deutschland nur geringe Verbreitung gefunden“ (Bockhofer 1993, S. 74). 1993 wurde der Bericht noch einmal herausgegeben, diesmal unter dem richtigen Namen Walter Ferber. Neben einer Biografie sind dort auch Zeichnungen des Überlebenden Jan Komski, die dieser 1946 publizierte, und eine Bibliografie der Schriften Ferbers abgedruckt.

Quellen:

  • Bockhofer, Reinhard: „Walter Ferber – ein deutscher Föderalist und Demokrat“. In: Ferber, Walter: 55 Monate Dachau. Ein Tatsachenbericht. Bremen 1993, S. 63-84.
  • Ferber, Walter: 55 Monate Dachau. Ein Tatsachenbericht. Bremen 1993.
  • Feuerbach, Walter: 55 Monate Dachau. Ein Tatsachenbericht von Walter Feuerbach. Luzern 1945.



Bearbeitet von: Christiane Weber