Aus Not und Rettung (1944)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Aus Not und Rettung
Autor Vogt, Paul (1900-1984)
Genre Sammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1944, New York,Zürich
Titel Aus Not und Rettung
Untertitel Stimmen aus dem Dunkel dieser Zeit. Gehört und gesammelt von Paul Vogt

Erscheinungsort New York,Zürich
Erscheinungsjahr 1944

Verlegt von Verlag Oprecht
Gedruckt von Genossenschaftsdruckerei Zürich
Publiziert von Vogt, Paul (1900-1984)
Umschlaggestaltung von Bangerter, Rolf (1922-)

Umfang 96 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der evangelische Pfarrer Paul Vogt, der sich während des Zweiten Weltkriegs vor allem um politische und jüdische Flüchtlinge in der Schweiz kümmerte, versammelt deren Erinnerungsberichte in einem Band. In den Geschichten, die hauptsächlich von der illegalen Überquerung der französisch-schweizerischen Grenze handeln, wird immer wieder die Errettung der Emigranten durch göttliche Zeichen oder Fügungen beschrieben.

Bevor jedoch die einzelnen Geschichten der göttlichen Rettungen erzählt werden, spricht Vogt den Leser in einem Vorwort an. Einer Predigt nicht unähnlich betont er zunächst die Liebe Gottes, welche die Integration der Flüchtlinge möglich machen werde. In seinem Vorwort geht er auch auf die Intention der Textsammlung ein: „Die schlichten Blätter, die hier vorliegen, machen keinen literarischen Anspruch. Sie enthalten einfache Tatsachenberichte. Es sind ihrer nur wenige gegenüber der Riesenfülle dessen, was Millionen von Flüchtlingen erleben. Sie erzählen von viel Not und Leid, viel Schmerz und Schuld. Sie erzählen aber auch vom Sieg der Liebe in der Tiefe der Not“ (S. 6).

Dementsprechend stellt Vogt in kurzen, meist nur wenige Seiten umfassenden Kapiteln die Erlebnisse der einzelnen Flüchtlinge nebeneinander. Der überwiegende Teil hat gemeinsam, dass sie nach mehreren Ortswechseln schließlich über die Berge die französisch-schweizerische Grenze überqueren. Darüber hinaus wird das Wirken Gottes in einigen Berichten auch vor der Ankunft in der Schweiz geschildert, etwa in Gefängnissen und Internierungslagern, während eines Arbeitseinsatzes bei der Organisation Todt oder auf früheren Etappen der Flucht. Die Vorgeschichten werden nicht immer ausführlich thematisiert, vielmehr liegt der Fokus auf der Errettung durch ein Eingreifen Gottes. Dieses geschieht meist sehr plakativ: In einem Bericht verhindert ein Gebet die Deportation, in einem anderen entscheidet sich die Autorin aufgrund einer göttlichen Eingebung während eines Gebets zunächst an Ort und Stelle zu bleiben, was sich schließlich als richtige Entscheidung herausstellt. Ein anderer Flüchtling berichtet, dass Gott direkt mit ihm geredet habe. In dem Bericht „Psalm 121“ macht eine plötzlich aufziehende Wolke eine Flucht erst möglich, was für den Verfasser ein klarer Beweis für ein Eingreifen Gottes ist. In mehreren Geschichten spielen dabei Zeichen eine Rolle: So gibt im letzten Bericht eine Wolke, die einer Hand gleicht, den einzigen Weg über die Berge vor, der am Ende vor einer Verhaftung bewahrt.

Die Beteuerung des festen Glaubens der einzelnen Berichtenden steht dabei im Zentrum aller Texte. Während der Flucht lesen demnach einige der Flüchtlinge regelmäßig in der Bibel und beten. Immer wieder werden Atheisten auch zu Gläubigen: Ein Verfasser berichtet zum Beispiel, wie er in einem französischen Internierungslager zum Prediger wird und wie viele Mithäftlinge durch seine Worte zum Glauben finden. Eine ähnliche Geschichte erzählt ein anderer Autor aus einem Brüsseler Gestapo-Gefängnis, in dem das Beten einem ungläubigen Zellengenossen hilft und er später zahlreiche Bibeltexte im Gefängnis verteilt. Schicksalsschläge wie die Trennung von der Familie oder selbst die Einzelhaft werden gleichzeitig als Wille Gottes gedeutet, so bringe etwa die Einzelhaft den Menschen Gott besonders nahe. In vielen Texten werden daher christliche Lieder, Segensformeln oder Bibelverse zitiert; ein Autor schließt seinen Bericht gar mit „Amen“ (S. 25).

Der Glaube gibt den Flüchtlingen auch die Kraft, an eine Zukunft in der Schweiz zu glauben: „Gottes Hilfe hat uns bis hierher geleitet: er hat uns in ein Land geführt, wo uns Menschen, Christen, die Sorge ums tägliche Brot abnehmen, wo wir täglich Gottes Güte durch Menschenhand vernehmen“ (S. 74). Die Flüchtlinge betonen immer wieder die Hilfsbereitschaft der christlichen Schweizer, deren Handeln durch den Glauben motiviert ist. Anonymisiert werden Fluchthelfer vorgestellt, die aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersstufen stammen. Gleichzeitig werden die schweizerischen Leser direkt in den Texten angesprochen und darauf hingewiesen, dass auch sie die Flüchtlinge unterstützen können.

Die einzelnen Berichte unterscheiden sich je nach Autor und Autorin in ihrem Sprachstil. So finden sich Berichte in Ich-Form ebenso wie allgemeinere, ausführlichere Texte, die die Lebensgeschichte der Personen über Jahre hinweg darstellen, ebenso wie kurze, die nur auf den Moment der Flucht verweisen; dramatische ebenso wie neutralere Erzählungen; einige Verfasser verorten die Geschichten genau, während andere wiederum kaum Ortsbezeichnungen nennen. Mal nutzt der Autor viele grafische Hervorhebungen, mal bleibt der Stil traditionell und schlicht. In „Guet Nacht mitenand!“ erzählt der Verfasser beispielsweise atmosphärisch: „ Da – plötzlich – Schritte – die Kehle ist uns zugeschnürt – wir starren einander an – wortlos – Entsetzen in den Augen“ (S. 23). In manchen Texten klingt die Bergüberquerung wie ein spannendes Abenteuer, in anderen werden hingegen die Verzweiflung und die Angst der Menschen deutlich.

Besonders viele Texte stammen von jüdischen Flüchtlingen; auch sie thematisieren ihren festen Glauben an einen christlichen Gott. In „Wie am Schnürli“ berichtet ein zuvor überzeugter Jude, wie ihn das Lesen des Neuen Testaments, das er auf der Flucht bei sich trägt, zu Jesus führt. Die verfolgten Juden werden von einem Autor auch mit Maria und Joseph verglichen, die wie diese wegen der Volkszählung in ärmlichen Verhältnissen reisen müssen und zunächst keine Unterkunft finden; den biblischen Kindermord des Herodes stellt derselbe Autor mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten gleich. Keiner der berichtenden Flüchtlinge wird allerdings näher durch Vogt vorgestellt, über das Zeugnis hinaus erfährt der Leser nichts über sie.

Inwieweit Vogt die ihm geschilderten Rettungsgeschichten bearbeitet hat, bleibt unklar. Die von ihm verfassten Texte, etwa das Vorwort, weisen eine Vielzahl literarischer Bilder und Metaphern auf. Er nutzt ebenfalls eine emotionale Sprache, so bezeichnet er beispielsweise die Flüchtlingsunterkunft als „Schmelztiegel des Leides und des Leidens“ (S. 5).


Biografie

Paul Vogt (geb. 23.05.1900 in Stäfa, gest. 12.03.1984 in Zizers) wuchs als Sohn eines Pfarrers in einem religiösen Umfeld in der Schweiz auf. Nach seinem Studium der evangelischen Theologie in Basel, Zürich und Tübingen arbeitete er als Pfarrer in Ellikon an der Thur, Walzenhausen und schließlich ab 1936 in Zürich-Seebach. Bereits 1931 setzte er sich mit dem von ihm gegründeten „Hilfswerk für die Arbeitslosen im Kanton Appenzell“ für sozial Schwache ein, für die er ab 1936 auch ein Sozial- und Heimatlosenheim in Walzenhausen errichtete. Nachdem viele Emigranten als Folge der nationalsozialistischen Politik Deutschland verlassen mussten und in die Schweiz geflohen waren, nahm sich Vogt dieser an und war 1936 Mitbegründer der „Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe“, die mit verschiedenen Aktionen überkonfessionell half, Flüchtlinge zu versorgen und sie teilweise auch bei Privatpersonen unterbrachte. Im selben Jahr übernahm er auch die Leitung des „Schweizerischen Hilfswerks für die Bekennende Kirche in Deutschland“ (SEHBKD). Von 1943 bis 1947 war er schließlich Flüchtlingspfarrer in Zürich, wo er die Berichte der Flüchtlinge für seine Publikation sammelte. Neben seiner Publikation „Aus Not und Rettung“ von 1944 nahm Vogt in zahlreichen Predigten und Veröffentlichungen – wie „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ von 1944 – Bezug auf das Schicksal der Flüchtlinge. Nach dem Krieg arbeitete er wieder als Gemeindepfarrer, setzte sich vielfältig für die christlich-jüdische Versöhnung ein und wurde mit dem Ehrendoktor der Universität Zürich ausgezeichnet.

Quellen:

  • „Biografie Vogt, Paul“. In: Archiv der Zeitgeschichte der ETH Zürich, NL Paul Vogt.
  • Lerf, Madeleine: „Vogt, Paul“. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Online: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10898.php (Stand: 26.06.2019).


Werkgeschichte

Paul Vogt arbeitete als Flüchtlingspfarrer in Zürich und stand so in direktem Kontakt zu den ankommenden Flüchtlingen. Er sammelte ihre Geschichten und publizierte sie. Der „Reinertrag aus dem Verkauf dieser Schrift“, so heißt es auf dem Titelblatt der schmalen Broschüre, ging an den Flüchtlingsdiensts des Schweizerischen Evangelischen Hilfswerks für die bekennende Kirche.

Quelle:

  • Vogt, Paul: Aus Not und Rettung. Stimmen aus dem Dunkel dieser Zeit. Gehört und Gesammelt von Paul Vogt. Zürich/New York 1944.



Bearbeitet von: Christiane Weber