Dachau. Erinnerungen eines katholischen Geistlichen (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Dachau
Autor Carls, Hans (1886-1952)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1946, Köln
Titel Dachau
Untertitel Erinnerungen eines katholischen Geistlichen aus der Zeit seiner Gefangenschaft 1941-1945

Erscheinungsort Köln
Erscheinungsjahr 1946
Auflage 1

Verlegt von Verlag J.P. Bachem

Publiziert von Carls, Hans (1886-1952)

Umfang 165 Seiten
Abbildungen 4 Fotografien (Portrait Hans Carls, Kirche von Dachau, die Umgebung der Ortschaft Dachau, Altar mit Kreuz im KZ Dachau), 1 Lageplan des KZ Dachau.

Preise 5,40 Reichsmark
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In seinem Erinnerungsbericht beschreibt der katholische Geistliche Hans Carls seine Haftzeit in den Gefängnissen Wuppertal und Düsseldorf, aber vor allem seine zweieinhalbjährige Haft im Konzentrationslager Dachau, die er zum größten Teil im sogenannten Priesterblock verbringt. Die religiöse Erbauung steht allerdings weniger im Zentrum seines Textes, vielmehr berichtet Carls sehr detailliert über die allgemeinen Lebensbedingungen im Lager. Mit der Vielzahl der geschilderten Erlebnisse und Personen möchte er zeigen, „wie gequält das Leben im Lager“ (S. 111) ist.

Carls richtet das Buch speziell an junge Leser, die „so verwirrt und fassungslos vor dem Trümmerhaufen unserer Zeit“ (S. 7) stehen und Informationen über die jüngste Vergangenheit erhalten sollen, um den „Nationalsozialismus ohne Maske“ (ebd.) zu erkennen. Ein weiterer Zweck der Publikation ist die Versöhnung unter den Völkern: „Als Priester reiche ich über die Grenzen meines Vaterlandes den andern die Hand und bitte sie, die Guten meiner Heimat nicht mit den Verbrechern auf die gleiche Stufe zu stellen, unter denen wir alle sehr gelitten haben“ (S. 8). Um den Lesern die Wirkmechanismen des Nationalsozialismus darzulegen, beginnt Carls mit der Schilderung der „Zeit vor der Verhaftung“ (S. 9). Er thematisiert aus seiner Sicht die „politischen Verhältnisse in Deutschland, die wirtschaftlich-soziale Lage, die religiös-kirchliche Entwicklung [und] die pädagogische Situation“ (ebd.) von 1933 bis 1941. Sehr kleinschrittig und umfangreich sowie mit einer sehr bildhaften und wortgewaltigen Sprache beschreibt er unter anderem, wie die Nationalsozialisten den Reichstagsbrand inszenieren, wie wirtschaftliche Versprechen viele Deutsche für die NSDAP gewinnen und wie der Einfluss der Kirchen in Deutschland immer mehr zurückgedrängt wird. Dabei zitiert er aus Hitlers „Mein Kampf“, aus dem „Schwarzen Korps“ sowie aus internationalen Zeitungen und bezieht sich auf Schriften wie Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“, um eine überzeugende Argumentation zu entwickeln.

Chronologisch schildert Carls im Anschluss seine eigene Verfolgung: Unter dem Vorwand, er habe bei der Verteilung der Predigten des Bischofs von Galen – aus der er ausführlich über sechs Seiten zitiert – mitgewirkt, erhält Carls zunächst im Januar 1941 Predigtverbot. Schließlich wird er im November 1941 verhaftet und erfährt im Wuppertaler Gefängnis, dass er wegen ‚Rassenschande‘ angeklagt wird. In dieser Zeit genießt er als Pfarrer und aufgrund von Herz- und Diabeteserkrankungen noch gewisse Vorzüge, so darf seine Haushälterin ihm täglich das Mittagessen in das Gefängnis bringen und die Tür seiner Einzelzelle ist meist nicht verschlossen. Allerdings berichtet er auch, wie andere Häftlinge in den Gefängnissen gefoltert werden. Carls schildert vor allem die Einsamkeit in der Haft, die er allerdings versucht, zum Schreiben und Arbeiten zu nutzen. Er glaubt zu diesem Zeitpunkt noch, dass die vielen Versuche, eine Freilassung zu erwirken, sicher bald Früchte tragen werden. Nach seiner Verurteilung wird Carls im März 1942 allerdings über Düsseldorf – wo er wegen eines Nervenzusammenbruchs in ein Krankenhaus gebracht wird – nach Dachau verlegt. Immer wieder beschreibt er, dass die Bevölkerung den Gefangenenzug beobachtet und die meisten, ebenso wie die Wachen im Wuppertaler Gefängnis, überrascht sind, dass sich auch Geistliche unter den Häftlingen befinden.

Bevor Carls sich dem Leben im Konzentrationslager Dachau widmet, thematisiert er zunächst die Ortschaft Dachau und ihre Geschichte seit der Ersterwähnung 805 nach Christus. Abrupt wechselt Carls dann zum KZ Dachau. Er schildert die Entwicklung des Lagers seit 1933 sowie dessen Aufbau. Ausgehend von einzelnen Lagerkomplexen, wie etwa dem Appellplatz oder dem Krankenrevier, beschreibt er assoziativ zahlreiche „Szene[n]“ (S. 117), die sich dort ereignen, und welche Regeln dort gelten. Dabei nennt der Autor auch kleinste Details, wie zum Beispiel, dass ein Telefon rechts von einem Tor angebracht ist oder dass die Betten 80 cm breit sind. Der Leser erfährt alle Aspekte des Aufnahmeprozedere, des Häftlingsalltags, der Machtstrukturen im Lager, er wird informiert über Strafen, Hilfsaktionen und die Solidarität unter den Häftlingen, aber auch über Veränderungen über die Jahre hinweg. Es werden zum besseren Verständnis Häftlingsfragebögen sowie Vorschriften des Lagerkommandanten zitiert und Carls erklärt in einer Auflistung Begriffe aus der Lagersprache.

Der Autor charakterisiert zahlreiche Mithäftlinge – Priester ebenso wie andere Häftlinge –, Kapos, Blockälteste und SS-Männer und schildert ihre Lebensgeschichten. Teilweise bleiben die Personen anonym, teilweise werden sie namentlich genannt; ausführlich gibt Carls eine Namensliste mit über 200 Geistlichen wieder. Dabei verteidigt er auch umstrittene Blockälteste gegen Vorwürfe anderer, wenn er selbst keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht hat. Ebenso versucht er, die Kritik an Geistlichen im Lager zu entkräften, die Konrad Wuest Edler von Vellberg in seinem Erinnerungsbericht „Dachau Nr. 30784“ äußert. Er zitiert entsprechende Passagen und führt aus, warum die Vorwürfe seiner Meinung nach nicht zutreffen können. Carls springt häufig zwischen den einzelnen Themen und schildert auch grausame Szenen und Ereignisse aus anderen Lagern wie Mauthausen, Buchenwald und Sachsenhausen, die er von Mithäftlingen erfahren hat. Die thematischen Sprünge werden nicht immer grafisch, etwa durch einen Absatz oder ähnliches, deutlich gemacht. In der Dichte der beschriebenen Ereignisse kommt es ebenfalls an einigen Stellen zu Dopplungen des Inhalts.

Immer wieder streut Carls seine eigenen Erlebnisse in Dachau ein und schildert beispielsweise, wie er sich nach einer Operation am Rücken neun Wochen im Krankenrevier erholt. Ausgehend davon beschreibt er ausführlich die Arbeit im Revier und einige der Ärzte und Pfleger sowie den besonders grausamen Revierkapo Heiden. Hier bedankt er sich – wie auch an vielen anderen Stellen – namentlich bei allen Menschen, die ihn in dieser Situation unterstützt haben. 1943 wird Carls wegen Briefschmuggels zum Tode verurteilt und wartet über 40 Tage auf die Vollstreckung des Urteils. Bei einer Befragung wehrt er sich und wird wieder in das Lager entlassen, was er ebenfalls in seinem Bericht schildert. Abschließend legt Carls einen besonderen Fokus auf die in Dachau vollzogenen Strafen, die er genau erklärt. Er diskutiert die „medizinischen, psychologischen, juristischen und moralischen Standpunkte“ (S. 148) zum Thema Euthanasie und stellt die verschiedenen pseudomedizinischen Versuche in Dachau vor. Das Buch schließt mit „Bilder[n] aus dem Lagerleben“ (S. 152), die erneut einzelne Schicksale und Ereignisse im Lager in oft nur einem Absatz beschreiben.

Das Leben der Geistlichen thematisiert Carls ausführlich und stellt sogar Statistiken über die Nationalitäten und Orden der internierten Geistlichen auf. Carls und die anderen Geistlichen führen ein in großen Teilen isoliertes Leben im Lager Dachau; auch Reibereien unter ihnen spricht Carls an. An ihren Gottesdiensten dürfen keine anderen Häftlinge teilnehmen. Trotzdem gelingt es den Geistlichen oft, Kontakt zu anderen gläubigen Häftlingen aufzunehmen, beispielsweise als Pfleger im Krankenrevier, wo sie Sterbenden wenn möglich heimlich die letzte Beichte abnehmen. Carls nennt viele solcher Begegnungen und beschreibt zahlreiche Hilfsaktionen. Eine dezidiert religiös-theologische Sprache findet sich bei ihm – mit der Ausnahme seiner Auslegung des „Vater Unsers im Lager“ – weniger, allerdings zitiert er stattdessen ausführlich die religiösen „Bilder“ (S. 98) des Pfarrrektors Josef Neunzig, der die Rolle Gottes und der göttlichen Fügung vermehrt bespricht. In den Passagen Neunzigers sind viele Stellen pathetisch formuliert, so zum Beispiel: „Auf diesen einen, wie so vielen anderen, ist der Heiland nachgegangen. Die Quelle der Liebe, die vom Dachauer Tabernakel ausströmte, war so reich, daß alle im Lager, die guten Willens waren, davon trinken durften“ (S. 100). Carlsʼ Sprache ist im Vergleich zu Neunzigers direkter und auf die Geschehnisse bezogen.

Sich selbst stellt Carls als mutigen und charakterstarken Menschen dar; oft schildert er, wie durch sein Einschreiten ein Konflikt gelöst wurde. Er selbst glaubt fest daran, zu überleben: „Ich dachte nicht daran, mich unterkriegen zu lassen. […] Auch der SS gegenüber mußte man schlagfertig sein“ (S. 71). An einer Stelle beschreibt Carls, wie sein mutiges Auftreten die medizinischen Versuche im Lager beendet habe. Anerkennung findet er für seine Charakterstärke selbst bei den kommunistischen Häftlingen, die sich andernfalls meist von den Geistlichen distanzieren.


Biografie

Der katholische Geistliche Hans Carls (geb. 17.12.1886 in Metz, gest. 03.02.1952 in München) erhielt seine Priesterweihe nach seinem Theologiestudium 1915 im Kölner Dom. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, in dem er drei Jahre unter anderem als Divisions- und Korpspfarrer eingesetzt gewesen war, arbeitete er als Kaplan in Elberfeld. Dort war er in verschiedenen karitativen Bereichen und in der Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge sehr aktiv. 1924 wurde Carls Direktor der Caritas in Wuppertal-Elberfeld und gründete zahlreiche Hilfswerke wie den katholischen Männerfürsorgeverein und ein Heim für Obdachlose. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten erschwerte seine Arbeit, da staatliche Mittel gestrichen wurden. Deutschlandweit begann Carls mit Reden und Predigten Spenden einzuwerben und dabei den Zuhörern religiöse Positionen zu verdeutlichen. Auch gegen den Nationalsozialismus sprach er offen bei diesen Predigtreisen. In seinem Büro wurden zudem die Predigten von Galens gegen die Ermordung geistig Behinderter verteilt und zudem unterstütze er Juden etwa bei Ausreiseversuchen. Die Gestapo erteilte ihm daraufhin im Januar 1941 ein Redeverbot und er durfte nur noch in seiner Heimat Wuppertal predigen.

Am 7. November 1941 wurde Carls festgenommen. Zunächst wurde er in Wuppertal und im Polizeigefängnis Düsseldorf festgehalten, bevor er am 13. März 1942 nach Dachau überstellt wurde. Carls erhielt dort die Gefangenennummer 29400 und war im sogenannten Priesterblock untergebracht – zunächst im Block der internationalen Geistlichen zusammen mit vorwiegend polnischen Geistlichen, später wurde er in den Block für deutsche Priester und Pfarrer verlegt. In Dachau versuchten er und seine Pfarrerkollegen das religiöse Leben soweit möglich zu pflegen: Sie hielten Gottesdienste ab – an denen allerdings keine weiteren Häftlinge teilnehmen durften –, nahmen im Geheimen Beichten ab oder erteilten die Sterbesakramente. 1943 wurde Carls zum Tode verurteilt, da er Nachrichten an seine langjährige Sekretärin Maria Husemann aus dem Lager herausgeschmuggelt hatte. Husemann wurde daraufhin in Ravensbrück interniert. Das Urteil wurde letztlich nicht vollstreckt und Carls wurde wieder in den Pfarrerblock verlegt. Am 29. April 1945 wurde Carls nach zweieinhalb Jahren Haft in Dachau befreit und kehrte nach Wuppertal zurück. Erneut engagierte er sich vielfältig im sozialen Bereich, unter anderem für Flüchtlinge und Kriegsversehrte. Des Weiteren war er politisch für die CDU als Stadtverordneter aktiv und Vortragsreisen führten ihn wieder durch ganz Deutschland. Ein Jahr nachdem er in den Ruhestand getreten war, starb Carls in München.

Quellen:

  • Carls, Hans: Dachau. Erinnerungen eines katholischen Geistlichen aus der Zeit seiner Gefangenschaft 1941-1945. Köln 1946.
  • Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Dachau.
  • o.A.: „Blockkartei: Konzentrationslager Dachau Nr. 29400“. In: Wendel-Gilliar, Manfred: Das Reich des Todes hat keine Macht auf Erden. Priester und Ordensleute sowie evangelische Pastöre 1933-1945 KZ Dachau. Band II Diözesen G-K sowie Evangelische Kirche. Lahr 2002, S. 495.
  • Wolff, Heinz: „Hans Carls (1886-1952)“. In: Wuppertaler Biographien (1967), Nr. 15 (=Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Folge 7), S. 17-26.


Werkgeschichte

Hans Carls war sich bereits während seiner Haftzeit in Dachau sicher, dass er über die Erlebnisse schreiben würde. Hierfür machte er im Lager Notizen, um bei einer späteren Niederschrift darauf zurückgreifen zu können. Er selbst bezeichnete sich als „Notizensammler“ (S. 106) in Dachau. Die Entstehung des Buches beschreibt Carls auch im Vorwort: „Dieses Buch ist unter außerordentlichen Schwierigkeiten geschrieben worden. Es war nämlich im Lager Dachau streng verboten, Notizen zu machen oder gar irgend etwas über das Lager und seine Insassen zu schreiben. […] Ich habe dreimal alles, was ich notiert hatte, vernichten müssen, weil man des öfteren plötzliche Nachforschungen nach solchen Aufzeichnungen machte. […] Trotzdem ist es mir gelungen, alle Notizen wiederzubekommen und zu vervollständigen“ (S. 7). Carls stützte sich in seinem Bericht allerdings nicht nur auf seine eigenen Notizen, sondern nutzte auch Tatsachenberichte anderer Überlebender. Diese hatte er, wie er ausdrücklich betonte, „öfter nachgeprüft und eine Übereinstimmung mit dem Erleben anderer, noch heute lebender Mithäftlinge festgestellt“ (S. 7), bevor er sie aufnahm. So konnte Carls auch über Lager, in denen er nicht interniert war, und über Dachau vor seiner Ankunft berichten.

Die Erinnerungen von Hans Carls erschienen als zweiter Band der Reihe „Dokumente zur Zeitgeschichte“, die im Kölner Bachem Verlag herausgegeben wurden. Zwischen 1946 und 1950 erschienen insgesamt fünf Bände der Reihe, von denen sich vier mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigten; Band 3 von Johann Dietrich von Hassell thematisiert beispielsweise das Attentat am 20. Juli 1944. Zwar ging Carls in seinem Buch von 1946 von einer weiteren Auflage aus – er plante, Adressen weiterer Geistlicher „in einer neuen Auflage [zu] veröffentlichen“ (S. 92) –, allerdings blieb es bei der einmaligen Publikation. Diese verkaufte sich scheinbar gut, denn Heinz Wolff schrieb in seiner Biografie über Hans Carls, dass das Buch 1967 „vergriffen ist“ (Wolff 1967, S. 23).

Quellen:

  • Carls, Hans: Dachau. Erinnerungen eines katholischen Geistlichen aus der Zeit seiner Gefangenschaft 1941-1945. Köln 1946.
  • Wolff, Heinz: „Hans Carls (1886-1952)“. In: Wuppertaler Biographien (1967), Nr. 15 (=Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Folge 7), S. 17-26.



Bearbeitet von: Christiane Weber