Der Berg des Grauens (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Der Berg des Grauens
Autor Kozlik, François (1916-?)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Straßburg
Titel Der Berg des Grauens
Untertitel Streiflichter aus dem Lager Struthof

Erscheinungsort Straßburg
Erscheinungsjahr 1945

Verlegt von Sedal. Service de Diffusion
Gedruckt von Société d'Édition et de Documentation des Alliages Légers
Publiziert von Kozlik, François (1916-?)

Illustriert von Kürzel „fw“

Umfang (63) Seiten
Abbildungen Insgesamt 17 Abbildungen im Anhang, davon 14 Fotografien und 3 Zeichnungen, jeweils mit Bildunterschrift

Preise 25 Franc
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Kozlik beschreibt, wie im Untertitel erwähnt, schlaglichtartig verschiedene Szenen, die er und andere Häftlinge im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof von 1941 bis 1944 erlebt haben; er nimmt sich und seine Haftzeit in anderen Lagern jedoch aus. Sein Vorgehen beschreibt er selbst folgendermaßen: „Diese kleinen Erinnerungen erheben in keiner Hinsicht Anspruch auf Vollständigkeit oder gar Vollkommenheit. Aus der Ueberfülle des Materials wollen sie nur streiflichtartig Einzelszenen beleuchten, die einen wenn auch nur matten Einblick in das Leben und Getriebe der Einrichtungen geben“ (S. 3).

So entsteht eine zumeist chronologische, oft assoziative Schilderung der wichtigsten historischen Ereignisse im Lager. Dazu gehören unter anderem der Aufbau des Lagers ab Mai 1941 (Kozlik spricht fälschlicherweise von September), die verwegenen Fluchtversuche einzelner Häftlinge, die grausamen Lagerstrafen, die Behandlung der Franzosen, die im Rahmen des Nacht und Nebel-Erlasses verhaftet wurden (sogenannte ‚N.N. Häftlinge‘), und Zwangsarbeit bis zum Tod des Häftlings. Er thematisiert zudem pseudomedizinische Versuche, die Exekution jugendlicher Polen und Russen, das Einschleusen eines Vaters in das Lager, die einzige Geburt eines Kindes in Natzweiler, die Ermordung von 270 Partisanen, die Vergasung von 80 Juden aus Auschwitz, die Ankunft der französischen Miliz unter Joseph Darnand im September 1944 und deren ausschweifendes Leben im Lager. Am Ende steht die abenteuerliche und erfolgreiche Flucht Kozliks und seines Freunds Robert Leuthold während der Evakuierung des Lagers, die Kozlik zu einem „Leidensweg [mit] Happy-End“ (S. 48) verhilft. Seine Sprache ist dabei niemals nüchtern. Vielmehr nutzt Kozlik eine Wortwahl, um den Horror und das Leid zu verdeutlichen, wenn er etwa sehr bildhaft und adjektivreich die Verletzungen einzelner Häftlinge beschreibt, so zum Beispiel: „Knäuel blutender, schreiender, übereinander stolpernder und kriechender, aus tiefen Kopfwunden blutender Gestalten“ (S. 8). Das Erzählte wirkt wie Filmszenen, wenn sogar die Lichtverhältnisse und die Perspektive beschrieben werden. Dabei vermeidet er keine Tabus und spricht wütend von Fleischwunden, Madenbefall, Sadismus bei der Aufnahme von Neuzugängen, auch von Sexualität zwischen den Häftlingen und Lagerbordellen ist die Rede. Ekel wird dabei zu einem schockierenden Element der Erzählung.

Der Leser wird durch direkte Anreden, verschiedene Tempuswechsel (besonders spannende Momente wie die Flucht Kozliks werden teilweise im Präsens erzählt), die Wiedergabe der Innenperspektive von gefolterten Häftlingen sowie durch direkte Rede näher an das Geschehen gebracht. Seine Sprache ist hierbei einfach und der Druck weist teilweise orthografische Fehler auf. Die Authentizität der Geschehnisse wird von Kozlik an vielen Stellen betont; oft führt er weitere Mithäftlinge an, wenn es um das Belegen eines Ereignisses geht. So heißt es an einer Stelle: „Aber wir haben es mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört und ich verbürge mich für die Wahrheit, und mit mir alle meine tausende Kameraden aller Nationen, die im [sic!] Struthof waren“ (S. 15).

Im Text wird immer wieder angedeutet, wie wichtig für Kozlik die Rache an den SS-Männern ist und dass diese nicht ungestraft gemordet haben dürfen. Daher nehmen vor allem die Beschreibung der Taten und die exakte Namensnennung der Täter (mit Dienstgrad) einen großen Platz ein. Mithäftlinge werden hingegen nur durch ihr Alter, die Herkunft und eventuell durch die erhaltene Strafe beschrieben. Beide Gruppen werden in krassen charakterlichen Gegensatz zueinander gestellt: Die mordenden, moralisch bankrotten Täter auf der einen Seite – hierzu werden auch kriminelle und ‚asoziale‘ Häftlinge gezählt, von denen er sich heftig distanziert – und die politischen Inhaftierten, deren Handeln geprägt ist von Solidarität, Moral, Mut, Intelligenz und Heimatliebe. Nicht selten können die Häftlinge so ihre Wachmänner überlisten.

Den Erinnerungen sind zwei weitere Texte beigestellt: Erstens ein Bericht, den Robert Leuthold, mit dem Kozlik aus Struthof floh, im August 1945 für die amerikanische Militärregierung verfasste, und zweitens die Beschreibung, wie Leuthold und Kozlik den SS-Obersturmführer Josef Jarolin in US-Haft besuchen und ihm drohen. Dem Text selbst ist ein Gedicht zur Einführung vorangestellt; ein Verfasser wird nicht genannt. Die Abbildungen im Anhang werden in einem Verzeichnis genau beschrieben. Gezeigt werden verantwortliche SS-Männer, einzelne Räume des Lagers Struthof (Eingangstor, Galgen, Desinfizierapparat etc.) und – zumeist als Zeichnungen – die Foltervarianten.


Biografie

Der Tscheche Franz Kozlik (geb. 28.09.1916 in Wien) lebte bis zu seiner Verhaftung als lediger, katholischer Friseurlehrling in Bregenz. Ab 1934 war er Mitglied der Kommunistischen Partei. In einem „Fragebogen für Insassen der Konzentrationslager“, den er am 5. Juli 1945 in Dachau ausfüllte, gibt er seinen Verfolgungsweg folgendermaßen an: Am 23. September 1937 wurde er durch die Gestapo München in Lindau am Bodensee verhaftet und vor dem Volksgerichtshof in München angeklagt. Es folgte eine längere Haftstrafe, bis er als ‚politischer Häftling‘ nach Dachau verlegt wurde. Dort wurde er am 18. Mai 1938 als ‚Neuzugang‘ aufgeführt und erhielt die Häftlingsnummer 14118, später 17902. Kürzere Transporte an unbekannte Ziele (vermutlich Arbeitskommandos) sind für den Juni 1938 zu vermerken. Vom 28. September 1939 bis zum 1. März 1940 war er in Flossenbürg, dann erneut in Dachau. Seine Angaben decken sich mit den überlieferten Dokumenten der KZ-Gedenkstätte Dachau. Dort wird Kozlik nur noch einmal am 29. Juni 1938 als Zugang geführt, ohne dass erkennbar ist, ob er vorher einmal verlegt worden war; er erhält dabei die Nummer 17902. In Dachau übte Kozlik, der selbst Harmonika spielte, das Amt des Kapellmeisters des Lagerorchesters und des Dachauer Blasorchesters – vermutlich auf Veranlassung des Lagerkommandanten Zills – aus und nahm an den musikalischen Darbietungen im Lager teil, etwa wenn die Häftlinge morgens das Lager verließen, bei Konzerten für die SS oder während offizieller Besuche.

Die längste Zeit seiner Inhaftierung (vom 20. August 1942 bis 22. November 1944) verbrachte Kozlik im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof. Dort arbeitete er, wie auch in Dachau, als Friseur für die SS-Wachmannschaft; u.a. frisierte er den Lagerkommandanten Zill, wie er in seinen Erinnerungen erwähnt. Sein Mithäftling Hans Schwarz erinnert sich, dass Zill Kozlik bei seinem Wechsel nach Natzweiler mitgenommen habe. Kozliks herausgehobene Position wurde noch dadurch unterstrichen, dass es ihm erlaubt war, die Haare lang zu tragen.

Auffallend ist, dass Kozlik seine Flucht nicht auf dem Fragebogen erwähnt, auch finden sich in den Unterlagen des ITS Bad Arolsen keine weiteren Hinweise darauf. In besagtem Fragebogen gab Kozlik an, zunächst nach München und dann nach Straßburg gehen zu wollen, wo er in der Folge seine Erinnerungen veröffentlichte. Als Kontaktperson gab er seine Ehefrau Annette Fraulob an, die er im Text Jacqueline Fraulob nennt. Über seinen Verbleib nach dem Krieg ist nichts Weiteres bekannt.

Quellen:

  • „Befreiungsliste“, 1.1.6/10151901/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Fragebogen für Insassen der Konzentrationslager“, 1.1.6/10151900/ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Dachau.
  • Kuna, Milan: Musik an der Grenze des Lebens. Musikerinnen und Musiker aus böhmischen Ländern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen. Frankfurt am Main 1998, hier besonders S. 91-95.
  • „Liste und Belege über Häftlingsgelder“, 1.1.29.1/3138218/ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
  • „Liste“, 1.1.29.1/3140383/ITS Digital Archive, Arolsen Archives.*Postenkontrollkarte, 1.1.29/3190530/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • Revierkarte“, 1.1.29/3190529/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Veränderungsmeldung“, 1.1.6.1/9909300/ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
  • „Veränderungsmeldung“, 1.1.6.1/9909287/ITS Digital Archive, Arolsen Archives.


Werkgeschichte

Das Buch wurde einmalig in Deutschland 1945 verlegt. Kozlik plante allerdings direkt eine französische Übersetzung, denn „[d]a Männer der Widerstandsbewegung aus allen Teilen Frankreichs auf dem ‚Struthof‘ gelitten haben und gemordet wurden, wird dieser Tatsachenbericht in kürzester Zeit auch in französischer Sprache in Broschürenforn erscheinen.“ (S. 52) Seine Streiflichter erschienen im selben Jahr unter dem Titel „Struthof. Le mont des horreurs“ in der Éditions Sédal, Straßburg. Cover und Seitenangaben stimmen überein, die Fotografien sind ebenfalls enthalten. In der Forschung wird sein Text für das Verständnis über das KZ Natzweiler-Struthof herangezogen, so verweist z.B. die Gedenkstätte Natzweiler auf die Erinnerungen Kozliks.

Quellen:



Bearbeitet von: Christiane Weber