Der Heiland von Dachau (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Der Heiland von Dachau
Autor Huppert, Hugo (1902-1982)
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Wien
Titel Der Heiland von Dachau

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1945

Verlegt von Arbeitsgemeinschaft Preßkollektiv Wiener Revue

Publiziert von Huppert, Hugo (1902-1982)

Illustriert von Kóra, Fred.
Herausgegeben von Gura, M. R.
Umfang 35 Seiten
Abbildungen 13 Holzschnittartige Drucke

Zusammenfassung

„Der Heiland von Dachau“ ist eine Erzählung in Form einer Ballade, die in sieben aufeinander aufbauenden Gedichten die Leiden, die der Probst Johann Rieser über sich ergehen lassen muss, schildert. Im Vorwort des Herausgebers M. R. Gura wird der Text als einer der reifsten und tiefsten Werke von Hugo Huppert beschrieben. Der Text soll auf einer wahren Begebenheit beruhen und ist in der Emigration Hupperts entstanden.

Zu Beginn spricht sich der Pfarrer Rieser in seiner Andacht gegen den Nationalsozialismus aus und macht deutlich, dass dies ein Verrat am christlichen Glauben ist. Ein Klempner, der dem Gottesdienst beiwohnt, notiert sich diese Aussagen, mit der Absicht, den Pfarrer zu denunzieren. Da er aussehe wie ein Jude und ihm nur noch der Bart fehle, um Jesus zu ähneln, sieht der Klempner eine Chance den Pfarrer loszuwerden. Diese Äußerung wiederholt sich häufiger in den verschiedenen Gedichten, wird von verschiedenen Akteuren getätigt und weist auf das spätere Schicksal des Pfarrers hin.

Da Rieser nicht mehr ertragen kann, was er sieht und mitbekommt, beschließt er eine Chronik zu verfassen, um die Verbrechen der Nationalsozialisten zu dokumentieren. Er nennt sein Buch „Unglück der Stadt Gastein, von Hitlertruppen besetzt. Chronik vom zwölften März bis jetzt“ (S. 10). Er möchte die Chronik einmauern, wohl wissend, in welcher Gefahr er schwebt und gibt die Chronik dem Klempner, der sie in eine Kiste einschweißen soll. Der Klempner verrät ihn jedoch, sodass die Gestapo nachts bei Rieser klingelt. Er soll unter Folter gestehen, wer ihm den Auftrag gegeben hat, die Chronik zu verfassen. Er steht dafür ein, dass er es aus innerem Pflichtgefühl getan hat und wird so zum politischen Gegner.

Er wird im Konzentrationslager Dachau inhaftiert und für seinen Glauben, seine politische Einstellung und sein jüdisches Aussehen schikaniert und misshandelt. Schließlich nimmt er das jüdische Aussehen sogar an und trägt es mit Stolz: „[I]ch bin Jude. Ich bin es stolz!“ (S. 22). Seine Ähnlichkeit mit Jesus führt auch dazu, dass die SS den Leidensweg Christi mit ihm nachstellen möchte. An dieser Stelle ergänzt ein Bild den Text, das einen SS-Mann zeigt, der dem Pfarrer eine Stacheldrahtkrone aufsetzt.

Mit einem vollgeladenen Karren, einer Stacheldrahtkrone und einem Schild, auf dem „Ostmärker-Jossel, der Juden-Fürst!“ (S. 26) steht, muss Rieser den Steinbruch erklimmen, auf dem ein hölzernes Kreuz aufgestellt ist. Dieser Weg macht ihn bereits zum „Heiland von Dachau“ (S. 26). Auch in dieser Situation gibt er seinen Glauben an Österreich nicht auf und wird durch seine Standhaftigkeit zum Märtyrer emporgehoben.

Als er am Kreuz befestigt werden soll, zeigt sogar der SS-Mann einen Moment der Reue und befiehlt, dass man ihn nur festzurren soll, statt ihn mit Nägeln anzuschlagen. Er soll durch einen Schuss getötet werden. Am Kreuz festgeschnürt, schreit Rieser den Häftlingen zu, dass sie sich wehren und nicht die zweite Wange hinhalten sollen. Dies ist eine Anspielung auf die Bergpredigt, in der Jesus einen Aufruf zur Feindesliebe an die Menschen richtet. Riesers letzte Worte verdeutlichen damit seine Standhaftigkeit und Stärke, die ihn zum Heiland machen.

Auffällig ist die Kürze des letzten Gedichtes, das die Wirkung der nachgestellten Kreuzigung zusammenfasst und zeigt, dass selbst die SS-Männer einen Augenblick lang ehrfürchtig werden. Nachdem Rieser gestorben ist, breitet sich eine Stille aus und den SS-Männern wird klar, dass sie mit ihrem „Spaß“ (S. 34) eine Legende geschaffen haben, die durch das Martyrium den anderen Häftlingen Hoffnung und Mut geben kann. Sie möchten es ungeschehen machen, doch dies ist nicht möglich. Die Gedichte enthalten viele Wiederholungen, wie etwa die Ähnlichkeit des Pfarrers mit Jesus, die Beschreibung der Nationalsozialisten als Antichristen oder auch der Glaube an Österreich, das von seinem Weg abgekommen ist. Die paratextuelle Gestaltung wird durch ein Rilke Zitat ergänzt, das erläutert, dass ein Heiland aus den Bergen geschöpft wird, dass das Harte aus dem Harten gewonnen wird. Dies betont die Standhaftigkeit, die Rieser als Menschen ausmacht. Neben dem gereimten Textkorpus finden sich 13 holzschnittartige Drucke, die den Text zum Teil ergänzen oder untermauern.

Biografie

Hugo Huppert, geb. am 5. Juni 1902 in Bielitz/ Biala in Schlesien, gest. am 25. März 1982 in Wien, war ein österreichischer Lyriker, Prosaist, Kritiker, Essayist und Übersetzer. Hupperts Vater war ein österreich-ungarischer jüdischer Postbeamter. 1921 trat er in den Kommunistischen Jugendverband Österreichs ein und studierte bis 1925 Nationalökonomie und Staatswissenschaften in Wien. 1925 begann er ein Soziologiestudium in Paris.

Nachdem er 1926 ein Jahr bei „Bulletin du Secours Rouge“ und der Organisation „Agence balkanique“ tätig war, musste er Frankreich verlassen und kehrte nach Wien zurück.

1928 emigriert Huppert in die Sowjetunion nach Moskau und lebte sich dort schnell ein. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Marx-Engels-Institut und reiste von 1928 bis 1934 viel durch die Sowjetunion. 1930 wurde er Mitglied der KPdSU.

1932 bis 35 studierte er Literatur am Institut für Rote Professur und arbeitete als Redakteur der deutschen Ausgabe der „Internationalen Literatur“. 1936 wurde er zum stellvertretenden Redakteur von Johannes R. Becher ernannt. Ab 1934 war er Kulturredakteur der Deutschen Zentralzeitung.

Da Huppert für seine spitzen Bemerkungen berühmt war, und viele Kollegen sich von ihm abwendeten, wurde er 1938 aus der deutschen Kommission des Sowjetschriftstellerverbandes und dem Redaktionskollegium der „Internationalen Literatur“ ausgeschlossen. Im März 1938 kam er wegen einer Denunziation in Untersuchungshaft und wurde erst 14 Monate später entlassen.

1941 war er als Dozent am Institut für Weltliteratur tätig und übersetzte viel. Von 1941 bis 1944 arbeitete Huppert für die Politische Verwaltung der Roten Armee und 1945 war er als Major der Roten Armee an der Befreiung Wiens beteiligt. 1956 kehrte er nach Wien zurück, nachdem er als sowjetischer Staatsbürger die Nachkriegsjahre in der UdSSR verbracht hatte. Huppert war ebenfalls Mitglied des österreichischen P.E.N und des DDR-P.E.N., aus welchem er jedoch gestrichen wurde.


Quellen:

  • Bores, Dorothée: Das Ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin: Walter de Gruyter GmbH & Co. KG. 2010. S.330.


Werkgeschichte

Das Gedicht ist abgedruckt in:

Internationale Literatur (1994), H.3, S. 33-38.


Erwähnung in: Rajner, Mirjam: Zinovii Tolkatchev´s „Jesus in Majdanek“. A Soviet-Jewish Artist Confronting the Holocaust. In: Zeitschrift der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. Jesus in den jüdischen Kulturen des 19. Und 20. Jahrhunderts, H. 21, Potsdam: Universitätsverlag Potsdam 2015. S. 59-85.


Bearbeitet von: Sandra Binnert