Der Totenwald (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Der Totenwald
Autor Wiechert, Ernst (1887-1950)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1946, München,Zürich
Titel Der Totenwald
Untertitel Ein Bericht

Erscheinungsort München,Zürich
Erscheinungsjahr 1946
Auflage 1

Verlegt von Rascher Verlag
Gedruckt von Tschudi & Co.
Publiziert von Wiechert, Ernst (1887-1950)

Illustriert von Hasslauer, Viktor

Umfang 170 Seiten
Abbildungen 2 Zeichnungen

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In seinem Roman beschreibt Ernst Wiechert, wie der Schriftsteller Johannes von der Gestapo verhaftet und nach einer viermonatigen Haft im Polizeigefängnis in München als politischer Gefangener in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wird. Johannes hat einen inhaftierten Pfarrer unterstützt und sich öffentlich vom NS-Regime distanziert. Wiechert greift in seinem Buch auf autobiografische Erinnerungen an seine eigene Haftzeit im Konzentrationslager Buchenwald im Jahr 1938 zurück und bearbeitet diese literarisch mit intertextuellen Anspielungen, Zitaten und biblischen Motiven.

Der Verlauf der Handlung ist chronologisch in einzelne Erinnerungsabschnitte von Johannes gegliedert. Wiechert schildert den gesamten Verlauf der Haftzeit von der Verhaftung durch die Gestapo bis zu Johannes‘ Deportation und Entlassung aus dem Lager. Im ersten Teil, der sich mit der Verhaftung von Johannes beschäftigt, wird die herrschende Unsicherheit und Angst atmosphärisch beschrieben: „Als stehe das Zukünftige, und zwar ein unheilvoll Zukünftiges, schon schweigend und mahnend an der verdunkelten Schwelle des Bewusstseins, formlos, sprachlos und auch gesichtslos“ (S. 1). Der Terror des NS-Regimes wird hier noch nicht benannt, allerdings werden Ereignisse wie der ‚Anschluss‘ Österreichs aufgegriffen, die eine zeitliche Einordnung der Handlung in das Jahr 1938 ermöglichen. Der Grund für Johannes Verhaftung ist sein öffentliches Auftreten für einen verhafteten Pfarrer, wobei Wiechert hier auf Niemöller und seinen eigenen Einsatz für diesen anspielt. Wiechert verhandelt am Beispiel von Johannes den Glaubens- und Identitätsverslust, den dieser nach der Verhaftung des Pfarrers erleidet. Johannes empfindet die Verhaftung und Deportation als Bruch mit „aller menschlichen und göttlichen Ordnung [...], Recht und Gesetz“ (S. 6). Dieser Verlust spiegelt sich ebenfalls in Johannes‘ Träumen wider, die in einen surrealen Erzählstrang eingeordnet werden: „Von da ab kam das Gesicht [des Pfarrers] immer wieder, alles wechselte und trieb vorüber wie auf einem schattenhaften Strom in diesen Träumen, aber das Gesicht war immer da. Der Körper darunter hatte die fahle Aufgelöstheit aller Traumbilder, und manchmal war es, als sei er gar nicht mehr da“ (S. 7). Religiöse Symbolik wie die Zahl sieben wird von Wiechert genutzt, um die Erinnerungs- und Erzählstränge von Johannes zu strukturieren und zeitlich einzuordnen. So hört Johannes, kurz bevor er verhaftet wird, die Uhren „sieben Stunden“ (S. 14) schlagen, er wird im Gefängnis der Gestapo in München sieben Stunden verhört und verbringt sieben Wochen mit einem anderen Mithäftling in einer Gefängniszelle.

Im zweiten Teil wird Johannesʻ Inhaftierung im Gefängnis in München geschildert. Hierbei wird auf zahlreiche intertextuelle Verweise zurückgegriffen, um seine Lage der Hoffnungslosigkeit eindringlich zu schildern. So verweist er etwa auf Dostojewskis Hauptfigur Raskolnikow aus „Schuld und Sühne“. Wiechert dokumentiert außerdem die katastrophalen hygienischen Zustände im Gefängnis sowie die Atmosphäre der Angst: „Es gibt Gefängnisse – und Johannes wird sie kennen lernen – in denen statt des weißen Gehäuses [des Spülklosetts] nur etwas Unbeschreibliches steht“ (S. 27). Über die Angst der Häftlinge bei der Zwangsarbeit heißt es: „Er hatte Strohseile geflochten. Es war Vorschrift, daß man am Tag zwanzig oder fünfundzwanzig Meter ablieferte. Aber diese Vorschrift wurde niemandem mitgeteilt. [...] Es gab Gefangene, die hundertzwanzig Meter am Tage herstellten in ihrer Angst“ (S. 55). Johannes knüpft Freundschaften zu den anderen Häftlingen, deren Biografien er in Rückblicken schildert und die ihm Trost und Kraft spenden.

Gewalt und Grausamkeit erreichen ihren Höhepunkt im dritten Teil, in welchem Johannesʻ Inhaftierung als politischer Gefangener im Konzentrationslager Buchenwald geschildert wird. Es werden vor allem Johannesʻ Sinneseindrücke beschrieben: „Die wilde, klagende, sinnlose Stimme eines Wahnsinnigen“ oder „der scharfe Laut herniederfallender Schläge und das fast unmenschliche Geschrei und Gestöhne der Mißhandelten“ (beide Zitate S. 79). Vor diesem Hintergrund wirken landschaftliche Beschreibungen – wie beispielsweise „ein hoher blauer Himmel mit weißen Wolken, die über das helle Grün der Buchenwipfel lautlos glitten“ (S. 80) – besonders kontrastreich. Johannes ist erschüttert, als er die anderen Häftlinge zum ersten Mal erblickt: „Auch sah er durch das Tor von draußen lange Kolonnen einmarschieren, mit Hacken und Spaten über der Schulter und in seltsam zebrahafter Kleidung, mit Mützen in der Hand, mit geschorenen Köpfen. Er empfing den flüchtigen Eindruck einer müden, stolpernden Tierherde, ohne Hoffnung, ohne Heimat, ja ohne Gesicht, so sehr ähnelten sie einander in der grauenhaften Eintönigkeit ihres Bildes“ (S. 82). Die Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit der Wärter im Konzentrationslager wird ebenfalls erwähnt: „Von Zeit zu Zeit kam einer der SS-Männer den Gang entlang, ging langsam die Reihe hinunter und starrte in jedes Gesicht, als suche er sich sein Opfer schon heraus. [...] Nach zwei Stunden erschien der Unterlagerführer wieder. Er hieß Hartmann, und sie sagten, er sei der Sohn eines Pfarrers. Sein Name soll hier aufbewahrt und in einem traurigen Sinn unsterblich bleiben“ (S. 76f.).

Den Roman durchzieht Wiecherts Kritik am NS-Regime. Der Erzähler kritisiert jedoch auf den ersten Blick indirekt und wirkt durch ironische Äußerungen vermeintlich neutral. So wird das NS-Regime beispielsweise als „ein politisches Dogma [...], ein papierenes Kalb, das zur Anbetung aufgerichtet war“ (S. 89) bezeichnet sowie Staaten als „Kartenhäuser vor dem Wind der Ewigkeit“ (S. 100). Dem Roman ist ein Vorwort Wiecherts vorangestellt, in dem es heißt: „Dieser Bericht will nichts sein als die Einleitung zu der großen Symphonie des Todes, die einmal von berufeneren Händen geschrieben werden wird. Ich habe nur am Tor gestanden und auf die dunkle Bühne geblickt, und ich habe aufgeschrieben, nicht so sehr was meine Augen gesehen haben, sondern was die Seele gesehen hat. Der Vorhang hatte sich erst zum Teil gehoben, die Lampen brannten noch matt, die großen Schauspieler standen noch im Dunklen. Aber die Speichen des schrecklichen Rades begannen sich schon zu drehen, und Blut und Grauen tropften schon aus ihrem düster blitzenden Kreis“ (o.S.). Wiechert nimmt Bezug auf die Tatsache, dass die Entwicklung der KZ zu Vernichtungslagern im Jahr 1938, in dem der Roman spielt und er selbst auch inhaftiert war, noch nicht abgeschlossen ist.


Biografie

Ernst Wiechert (geb. 18.05.1887 im Forsthaus Kleinort/Ostpreußen, gest. 24.08.1950 in Uerikon/Schweiz) wurde als Sohn des Försters Emil Martin Wiechert geboren. Er begann früh, sich für Religion, Literatur und Musik zu interessieren und spielte ebenfalls Klavier und Geige. Von 1905 bis 1911 studierte Wiechert Naturwissenschaften, Englisch, Erdkunde, Philosophie und Deutsch an der Albertus-Universität in Königsberg; das Staatsexamen für das höhere Lehramt legte er 1911 ab. 1912 heiratete er Meta Mittelstädt; ihr gemeinsamer Sohn Ernst-Edgar starb nur einen Tag nach der Geburt im November 1917. Von 1914 bis 1918 war Ernst Wiechert als Soldat im Ersten Weltkrieg in Russland und Frankreich stationiert, 1919 kehrte er nach Königsberg zurück und war bis 1930 als Lehrer angestellt.

1932 heiratete er nach dem Selbstmord seiner ersten Frau noch einmal und ließ sich 1934 pensionieren, um sich seiner Tätigkeit als freier Schriftsteller intensiver zu widmen. Sein Debüt „Die Flucht“ wurde unter dem Pseudonym Ernst Barany Bjell bereits 1916 veröffentlicht, es folgten zahlreiche Romane und Dramen, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Für den Kriegsroman „Jedermann, Geschichte eines Namenlosen“ erhielt Ernst Wiechert 1932 den Schünemann-Preis, für „Die Magd des Jürgen Doskocil“ den Volkspreis der Wilhelm-Raabe-Stiftung. Den Nationalsozialisten erschien er zunächst als „verwandter Geist“ (Ehrke-Rotermund 2011, S. 382) und seine Neuerscheinungen wurden „uneingeschränkt positiv aufgenommen“ (ebd.). Zum Bruch mit der NS-Regierung kam es spätestens durch einen Vortrag, der von der NS-Studentenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität organisiert wurde. Bei einer Rede am 16. April 1935 nahm er unter dem Titel „Der Dichter und die Zeit“ auch Bezug auf die tagespolitischen Entwicklungen unter der nationalsozialistischen Regierung und übte Kritik an der aktuellen Kultur- und Erziehungspolitik. Im Oktober 1933 hatte er sich bereits geweigert, eine Liste von „88 deutsche[n] Schriftsteller[n], die durch ihre Unterschrift dem Reichskanzler Adolf Hitler Treue gelobten“ (Franke 2003, S. 34) zu unterschreiben. 1936 reiste er in verschiedene europäische Länder, um aus seinen Werken vorzutragen.

Weil Ernst Wiechert den inhaftierten Pastor Martin Niemöller unterstützte und sich weigerte, an den Wahlen zum ‚Anschluss‘ Österreichs teilzunehmen, wurde er 1938 von der Gestapo verhaftet. Nach einer Haftstrafe im Gefängnis Stadelheim in München, die er am 6. Mai antrat, war er vom 4. Juli bis zum 26. August 1938 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, wo er die Häftlingsnummer 7188 erhielt. In Buchenwald war Wiechert im Steinbruchkommando, in der Strumpfstopferei und in der Häftlingsbücherei eingesetzt; auf Grund seiner Prominenz wurden ihm aber gewisse Vorrechte und Erleichterungen zuteil. Nach seiner Entlassung nach acht Wochen aus dem KZ Buchenwald wurde er vom 26. bis 30. August in das Gestapo-Gefängnis nach Berlin verbracht, da Goebbels ihn zu einem Gespräch zitierte, um ihm eine „letzte Warnung“ (zit. nach Pleßke 2014, S. 25), wie es in den Tagebüchern des Propagandaministers heißt, auszusprechen: „Ich lasse mir den Schriftsteller Wiechert aus dem K.Z. vorführen und halte ihm eine Philippika, die sich gewaschen hat. Ich dulde auf dem von mir betreuten Gebiet keine Bekenntnisfront. Ich bin in bester Form und steche ihn geistig ab! Eine letzte Warnung! Darüber lasse ich auch keinen Zweifel. […] Hinter einem neuen Vergehen steht nur die physische Vernichtung. Das wissen wir nun beide“ (ebd.). Wiechert wurde daraufhin zwar entlassen und kehrte auf den Hof Gagert zurück, stand aber bis 1945 unter ‚Gestapoaufsicht‘. Er lebte zurückgezogen in der ‚inneren Emigration‘ und sprach nur selten öffentlich. Da er weiterhin Mitglied der Reichsschrifttumskammer bleiben durfte und auf keiner Liste der verbotenen oder unerwünschten Literaten geführt wurde, legte er 1939 mit „Das einfache Leben“ einen Roman vor, in dem er sich auf Naturbeschreibungen beschränkte und so ein Gegenbild zum NS-Terror entwarf; des Weiteren erschienen Neuauflagen seiner bisherigen Bücher. 1945 trat er mit einer erneuten „Rede an die deutsche Jugend“ an die Öffentlichkeit, in der er an seine früheren Reden anknüpfte, was jedoch kontrovers diskutiert wurde. Wegen zahlreicher Auseinandersetzungen mit anderen Schriftstellern – unter anderem mit der Gruppe 47 – sowie der von ihm geäußerten Kritik an den Deutschen, sie hätten nicht genug gegen das NS-Regime getan, entschied sich Wiechert, 1948 in die Schweiz zu emigrieren. Dort ließ er sich auf dem Rütihof bei Uerikon nieder. Ab 1949 folgten bis zu seinem Tod verschiedene Vortragsreisen in die USA und die Niederlande sowie nach Österreich.

Quellen:

  • Ehrke-Rotermund, Heidrun: „Wiechert, Ernst“. In: Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, Band 12. Berlin/Boston 2011, S. 382f.
  • Franke, Manfred (Hg.): Jenseits der Wälder. Der Schriftsteller Ernst Wiechert als politischer Redner und Autor. Köln 2003.
  • Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft. Online: http://www.ernst-wiechert-international.de/ (Stand: 10.09.2019).
  • „Ernst Wiechert.“ In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv. Online: http://www.munzinger.de/document/00000000324 (Stand: 10.09.2019).
  • Pleßke, Hans-Martin: „Der die Herzen bewegt. Ernst Wiechert. Dichter und Zeitzeuge aus Ostpreußen“. Bockhorn 2014.


Werkgeschichte

Ernst Wiechert verfasste seinen Bericht nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Buchenwald 1938/39. Eine Publikation war im nationalsozialistischen Deutschland nicht möglich, da er aber auch Hausdurchsuchungen befürchtete, vergrub Wiechert das Manuskript in seinem Garten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs barg er das Manuskript und publizierte es. „Der Totenwald“ erschien erstmals 1946 in München im Kurt Desch Verlag und im Rascher Verlag Zürich; ein Jahr später folgte eine identische Ausgabe im Ost-Berliner Aufbau Verlag. In allen drei Auflagen wurde das Vorwort von Wiechert aufgenommen. Bis heute wurde das Buch im deutschsprachigen Raum zahlreiche Male in verschiedenen Verlagen neu aufgelegt, zuletzt 2008 bei Suhrkamp. Nach seinem Erscheinen wurde „Der Totenwald“ umgehend ins Englische, Französische, Finnische, Holländische, Italienische, Polnische, Spanische und Schwedische übersetzt. Bereits 1946 – also zeitgleich mit der deutschsprachigen Erstausgabe – erschien in Schweden „I dödens skog“, 1947 dann „Forest of the dead“ im New Yorker Greenberg Verlag sowie „La selva dei morti“ bei Mondadori in Milan. Auch im Ausland wird das Buch noch verlegt, etwa 1992 unter dem französischen Titel „Le bois des morts“ im kanadischen Québec im Verlag Edition du Beffroi.

„Der Totenwald“ erhielt nach seinem Erscheinen ein breites Presseecho in den deutschen Zeitungen und wurde zu einem der am häufigsten in Rezensionen besprochenen Nachkriegstexte. Dabei werden – wie in der Zeitschrift „Die Gegenwart“ von 1945/46 – oft Rezensionen mit Teilabdrucken einzelner Kapitel kombiniert. Der Veröffentlichung des Kapitels „Vater Hermann“ in „Die Gegenwart“ stellt der Rezensent eine positive Bewertung des Buches voran: „So ist denn auch nichts ausgelassen worden. Alles ist notiert, geschildert, ohne ein Ausweichen. […] Aber es ist kein Haßgesang entstanden, erst recht keine Aufforderung, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Eine Anklage von Wucht und Bedeutung liegt vor. […] Jeder sollte ihn lesen, der das lesen will, was Deutsche getan und was Deutsche erlebt haben“ (S. 28). Einem Leser, der in einem Brief an die Redaktion sein Misstrauen gegen die KZ-Berichte und die darin propagierte deutsche Schuld bzw. Unschuld der KZ-Überlebenden äußert, empfiehlt „Die Gegenwart“ die Lektüre von Wiecherts Buch nachdrücklich. Auch Friso Melzer rät – neben den Texten von Wolfgang Langhoff, Edmund Richard Stantke und K.A. Groß – im „Neubau“ von 1946/47 all jenen die Lektüre von Wiecherts Bericht, denen „es darum geht, die Wirklichkeit zu erkennen“ (S. 595). Differenziert bemerkt er: „Es ist die reine Wahrheit, aber aufgehoben in die höhere Wahrheit der Kunst. Dadurch wird vielleicht manches abgeschwächt, was sonst mit unmittelbarer Wucht die Seele bestürmt; dadurch wird anderes aber wieder erst recht eindrücklich, was sonst nur an der Oberfläche vorüberhuschen würde“ (S. 596). Daran schließt sich auch Dr. Alo Münch in seiner Rezension in derselben Ausgabe des „Neubaus“ an, in der er jeden auffordert, den Text zu lesen, der die Berichte aus den KZ als Gräuelpropaganda abtue. Wiechert habe eine „eigen[e], schön[e] und eindrucksvoll[e] Sprache gefunden“ (S. 598), um die „Hölle auf Erden“ (S. 599) so zu beschreiben, dass sich teilweise der Leser „der Tränen kaum erwehren“ (ebd.) kann. Eine „ausweglos[e] und abgrundtief[e] Traurigkeit“ (S. 599) fühle der Leser auch, weil Wiechert die Frage nach Gott in dieser Zeit stelle. In der Zeitschrift „Der Standpunkt“ beschreibt 1946 der Rezensent W.B., von der Erzählung „innerlich gepackt“ (S. 50) worden zu sein, und charakterisiert den Roman als „eine Dichtung“, die „erschüttert und erhebt“ (ebd.) und sich dadurch von anderen Werken der Lagerliteratur abhebe. Auch Oskar Jancke ist in „Welt und Wort“ von 1946 begeistert vom künstlerischen Gehalt von Wiecherts Buch, das er als „Kunstwerk“ (S. 126) bezeichnet. Die Zeitschrift hatte in einer früheren Ausgabe einen Teilabdruck aus „Der Totenwald“ publiziert, da Wiechert es vermöge – so die Einleitung – als Dichter „ungleich mehr zu vermitteln als nur wahrheitsgetreue Schilderung“ (S. 53). Ein Jahr später stellt die Literaturzeitschrift „Athena“ unter der Überschrift „Wer repräsentiert die deutsche Literatur?“ in ihrer Ausgabe von 1947/1948 eine Umfrage unter ihren Lesern in allen vier Besatzungszonen vor, in der sie fragte, wer „berufen wäre, jenes Vakuum auszufüllen, als das wir alle unseren geistigen Raum empfinden müssen“ (S. 94). Wiechert wird von den Lesern auf Platz zwei, hinter Hermann Hesse und Thomas Mann gewählt, wobei Wiechert und Mann beide über je 14 Prozent der Stimmen verfügen.

Quellen:

  • Jancke, Oskar: „Wiechert, Ernst: Der Totenwald [Rezension]“. In: Welt und Wort (1946), Nr. 4, S. 126.
  • Melzer, Friso: „Stimmen aus dem Abgrund“. In: Neubau (1946/47), S. 595ff.
  • Münch, Alo: „Wo ist denn nun dein Gott [Rezension]“. In: Neubau (1946/47), S. 598-601.
  • o.A.: „Ein Bericht aus dem Konzentrationslager Dachau“. In: Kroh, Albert (Hg.): Faschismus und Widerstand. Eine Literaturauswahl. Bernau 1963, S. 91.
  • o.A.: „Wer repräsentiert die deutsche Literatur? Das Ergebnis unserer Umfrage“. In: Athena (1947/1948), Nr. 6, S. 94.
  • o.A.: „Das war kein Traum. Zu dem Buch 'Der Totenwald' von Ernst Wiechert“. In: Die Gegenwart (1945/46), Nr. 2/3, S. 28f.
  • o.A.: „Kein Mensch glaubt es“. In: Die Gegenwart (1945/46), Nr. 2/3, S. 29f.
  • Pleßke, Hans-Martin: „Der die Herzen bewegt. Ernst Wiechert. Dichter und Zeitzeuge aus Ostpreußen“. Bockhorn 2014.
  • W.B.: „Das Bücherbrett. Ernst Wiechert ‚Der Totenwald‘“. In: Der Standpunkt (1946), Nr. 12, S. 50.
  • Wiechert, Ernst: „Der Totenwald [Teilabdruck]“. In: Welt und Wort (1946), Nr. 2, S. 53f.



Bearbeitet von: Lisa Beckmann und Christiane Weber