Der verwandelte Platz (1934)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Der verwandelte Platz. Erzählungen und Gedichte
Autor Becher, Johannes R. (1891-1958)
Genre Erzählungen, Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1934, Moskau-Leningrad
Titel Der verwandelte Platz. Erzählungen und Gedichte

Erscheinungsort Moskau-Leningrad
Erscheinungsjahr 1934

Auflagenhöhe insgesamt 5.000
Verlegt von Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR

Publiziert von Becher, Johannes R. (1891-1958)

Umfang 133 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)

Zusammenfassung

Johannes R. Becher versammelt in seinem Band 22 kurze Erzählungen und Gedichte, die zu einem Großteil den Nationalsozialismus und den kommunistischen Widerstand gegen diesen thematisieren. In „Unser Genosse“ wird etwa die Misshandlung und Folter bis zum Tod eines ‚Genossen‘ durch die Nationalsozialisten thematisiert. Der letzte Vers lautet: „Wir kommen, Genosse! Es kommen die Tage“ (S. 14). In „Die letzte Versammlung“ wird atmosphärisch die „letzte Versammlung“ (S. 15) der Berliner Kommunisten mit dem Genossen Pieck – gemeint ist Wilhelm Pieck – nach der Machtergreifung Hitlers geschildert, die vorzeitig von der Polizei aufgelöst wird. In „Front zum Karl-Liebknecht-Haus“ wird erzählt, wie Nationalsozialisten immer wieder vor dem Karl-Liebknecht-Haus Position beziehen und in Konfrontationen mit Sozialdemokraten geraten.

Die Titelgeschichte „Der verwandelte Platz“ behandelt ebenfalls die Zeit nach der Machtergreifung Hitlers. Bereits ganz zu Anfang wird Unheil angekündigt: „Man hätte sich mehr in acht nehmen müssen. Wir hatten uns zu sehr an Ruhe gewöhnt. Mit einer solchen Verwandlungsfähigkeit hatte keiner gerechnet“ (S. 37). Unter den Linden in Berlin versammeln sich die Nationalsozialisten, mit Fackeln ziehen sie durch die Straßen. Auch vor dem Karl-Liebknecht-Haus versammelt sich die SA drohend. Der Ich-Erzähler entkommt durch die Katakomben und lässt hier auch seine Aktentasche mit gefährlichem und illegalen Material liegen – Korrekturen zu einem Buch, das in einem bürgerlichen Verlag erscheinen sollte. Eine letzte Versammlung der KPD im Sportpalast Berlin – diese wird bereits in der vorherigen Erzählung „Die letzte Versammlung“ thematisiert – wird genutzt, um die zukünftigen Verbindungen zu den Genossen zu besprechen. Bei der folgenden großen Verhaftungswelle nach dem Reichstagsbrand kann sich der Ich-Erzähler rechtzeitig der Verhaftung entziehen. Immer wieder ruft er jedoch von einem Telefonautomaten am Potsdamer Platz aus die „SA-Stürmen[…]“ (S. 43) an, um zu verhindern, dass – ein weiteres Mal – ein anderer Genosse mit ihm verwechselt und an seiner Stelle blutig geschlagen und angeschossen wird. Es ist Frühling – „und der ganze Platz hat den Ausschlag. Einen bunten, fleckigen Ausschlag, braune Geschwüre, dicke SA-Haufen, zwischendurch blau gesprenkelt von Friedensuniformen und zwei Forstgehilfen froschgrün vor einer Auslage“ (S. 44). Der Ich-Erzähler träumt sich weg, auf einen Potsdamer Platz in einer Zeit, wenn die Kommunisten in Deutschland das Sagen haben: „Die Traumlinie, auf der ich gehe, ist die Leipziger Straße. Wir ziehen zum Potsdamer Platz. Der Platz ist unser. […] Einige Genossen erinnern daran, wie während des Krieges auf dem Potsdamer Platz Karl Liebknecht gesprochen hat. […] Ich bin froh, in diesem Jahrhundert geboren zu sein, in dem ein Lenin das Wort der Zukunft gesprochen hat und in dem diese Zukunft Gegenwart geworden ist – hier jetzt in Deutschland bei uns und drüben in der UdSSR – und ich gehe breitschultrig und stolz über den Potsdamer Platz, den Platz Lenins“ (S. 46f.).

Die Erzählung „Das tönende Haus“ handelt von dem 58-jährigen Maschinensetzer Zinke. Sein ganzes Leben lang lebt er zurückgezogen, bescheiden und spart eisern. „Alle Linien verliefen ziemlich geordnet und gleichmäßig“ (S. 62). Allein der Spott seines Sohnes Hermann, ein Spartakist, der sich einen „Lakai der Bourgeoisie“ (S. 63) nennt, erregt seine Wut. Doch seine Frau beruhigt ihn, Hermann sei nicht richtig im Kopf, und weckt ihn ihm den Wunsch vom eigenen Häuschen, der fortan seine Träume bestimmt. Eine Schlaguhr darin tönt so voll und feierlich, dass „noch lange, nachdem die Schläge verklungen waren, […] etwas Feierliches und Volltönendes im Haus“ (S. 65) war. 1923 zerschlägt die Inflation Zinkes Traum vom tönenden Häuschen und Sohn Hermann tritt der Kommunistischen Partei bei. Zinke schaut nicht nach links und rechts und setzt verbissen seinen Sparplan fort, bis sich der Traum vom Haus schließlich dank der Gewerkschaft, die Eigenheime hat bauen lassen, realisieren lässt. Zinke hat sein Ziel erreicht: ein Haus, in dem die Kölner Uhr das Haus tönen lässt wie erträumt –, das von Nachbarn und Besuch bewundert wird. Dass die Zeiten schlechter werden, registrieren er und seine Frau zwar durchaus, da immer mehr Leute an der Tür klopfen und um Brot betteln. Seine Reaktion ist es jedoch, Sicherheitsschlösser anzubringen und die Fenster zu vergittern. Hermann wird in der Zwischenzeit von Nationalsozialisten überfallen, kann aber nicht auf das Mitgefühl seines Vaters hoffen. Aus alter Gewerkschafts-Solidarität heraus nimmt Zinke eines Tages ein Flugblatt von einem jungen Mann mit Sowjetstern an. Nach der Machtergreifung Hitlers bleibt Zinke zunächst gelassen, als er jedoch durch Zufall einen Tag vor dem Reichstagsbrand auf einer Polizeiwache von einer großen Aktion gegen die KPD hört, ist er alarmiert. Er warnt die Kommunisten und hilft seinem Sohn unterzutauchen. Er selbst jedoch und seine Frau bleiben im Haus. Als die SA das Haus stürmt, stellt er sich diesen entgegen und wird durch drei Schüsse niedergestreckt. Während die Uhr schlägt und das Haus tönt, stirbt er.

Weitere Erzählungen und Gedichte behandeln ebenfalls die Machergreifung der Nationalsozialisten und den kommunistischen Widerstand, bzw. den Willen, aus dieser Phase gestärkt hervorzugehen, auch wenn die Wunde, wie in der gleichnamigen Erzählung beschrieben wird, vorläufig offen gehalten werden muss: „Verlaßt euch drauf, die Wunde wird nicht zuheilen, die halte ich selbst offen. Die soll bluten, daß alle es sehen, die reiße ich mir selbst auf, wenn sie sich wieder schließen will … Gegen die Wunde gibt es nur eine Salbe …“ (S. 101, Hervorhebung im Original). In „Abschied von Deutschland“ wird schließlich erzählt, wie der Ich-Erzähler die Genossen und Deutschland verlässt.

Biografie

Johannes Robert Becher (geb. als Hans Robert Becher am 22.05.1891 in München, gest. 11.10.1958 in Ost-Berlin) wurde als Sohn des Amtsrichters Heinrich Becher in München geboren. Von 1911 bis 1918 studierte Becher Philologie, Philosophie und Medizin in München, Berlin und Jena, ohne einen Abschluss zu machen. Als Mitarbeiter an den Zeitschriften „Aktion“ und „Die neue Kunst“ gehört er zu den Wortführern des Expressionismus. Wegen Morphiumabhängigkeit wurde Becher in einer psychiatrischen Klinik behandelt. 1917 trat er in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) ein und 1919 in die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). 1920 bis 1922 ließ er, enttäuscht über die fehlgeschlagene Novemberrevolution, seine KPD-Mitgliedschaft ruhen und wendete sich der Religion zu. 1925 veröffentlichte er den Antikriegsroman „Levisite oder Der einzig gerechte Krieg“ und wurde 1927 wegen ‚literarischen Hochverrats‘ angeklagt. Das Verfahren wurde jedoch 1928 nach nationalen und internationalen Protesten eingestellt.

Ebenfalls 1925 wurde er Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft kommunistischer Schriftsteller“ im „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ (SDS), begründete 1928 den „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ (BPRS) mit und gab dessen Organ „Die Linkskurve“ heraus. 1932 war er Feuilleton-Redakteur der „Roten Fahne“. 1933 emigrierte Becher zuerst nach Prag und Paris und 1935 dann in die Sowjetunion, wo er sich von 1935 bis 1945 in Moskau aufhielt. Dort war er Chefredakteur der Exilzeitschrift „Internationale Literatur - Deutsche Blätter“ sowie Mitglied des Zentralkomitees der KPD. 1934 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1943 war er Gründungsmitglied des Emigrantenbündnisses „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD). 1945 kehrte Becher nach Berlin zurück und gründete den „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ und den Aufbau-Verlag. 1949 war er mit Paul Wiegler Mitbegründer der Zeitschrift ‚Sinn und Form‘. Er verfasste den Text für die Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und war von 1954 bis zu seinem Tod im Jahre 1958 deren erster Kulturminister. 1951 wurde ihm im Rahmen eines Festakts zu seinem 60. Geburtstag die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität verliehen und von 1953 bis 1956 war er Präsident der Deutschen Akademie der Künste, die er 1950 mitbegründet hatte.

Quellen:



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger