Deutschland vom Feinde besetzt (1935)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Deutschland vom Feinde besetzt

Genre Bilddokumentation

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1935, Paris
Titel Deutschland vom Feinde besetzt
Untertitel Die Wahrheit über das Dritte Reich. Bilder und Dokumente

Erscheinungsort Paris
Erscheinungsjahr 1935

Verlegt von Editions du Carrefour
Gedruckt von M. Schulz AG

Illustriert von Lohmar, Heinz (1900-1976)

Umfang 80 Seiten
Abbildungen über 200 Fotografien und Dokumente

Preise 10 französische Franc, 2 schweizer Franken, 15 tschechische Kronen


Zusammenfassung

In der Bilddokumentation des Internationalen Antifaschistischen Archivs werden collagenartig Fotografien, Dokumente und Zitate nebeneinander gestellt, um die „Wahrheit über das Dritte Reich“ (o.S.) zu zeigen. So werden vor allem die prekären Lebensbedingungen von Arbeitern den Ausschweifungen der hohen NS-Funktionäre gegenübergestellt, die Folter von Unschuldigen in Bildern festgehalten und Ereignisse wie der Reichstagsbrand oder die Morde am 30. Juni 1934 als propagandistische Lügen entlarvt.

Die Bilddokumentation greift viele verschiedene Aspekte des Alltags in Deutschland nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf: die Verfolgung antifaschistischer Widerstandsgruppen und ihrer Mitglieder, „die physische Marterung […] [und] die wirtschaftliche Vernichtung“ (o.S.) der Juden sowie die neugeschaffenen Konzentrationslager. Es soll deutlich gemacht werden, wo die nationalsozialistische Propaganda die Deutschen täuscht, etwa bei den Arbeitslosenzahlen – die nur deshalb sinken würden, weil Arbeitslose beispielsweise zu Tätigkeiten an der Autobahn gezwungen werden – oder bei der Veruntreuung der Gelder des Winterhilfswerks. Einzig Großindustrielle wie Fritz Thyssen profitierten als frühe Wegbereiter der Nationalsozialisten von deren Politik, während sich die Lage für ärmere Bevölkerungsschichten kaum verbessere, so die Botschaft der Herausgeber. Speziell die Jugend in Deutschland werde durch den militärischen Drill und die ideologische Umerziehung „vergiftet“ (o.S.) und die Lebensmittelrationierung, die Mangelwirtschaft und die qualitativ schlechteren Produkte werden nur durch die Propaganda aufgewertet. Ein weiterer Vorwurf ist, dass die Staatsgelder nicht zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung, sondern für die Aufrüstung verwendet werden. Auch die Beteuerung der Nationalsozialisten, dass Deutschland kein stehendes Heer habe, wie es im Versailler Vertrag festgelegt wurde, wird mit Bildern, Auflistungen und Dokumenten widerlegt.

Die Broschüre hat eine klare Ausrichtung, sie soll eine ‚Einheitsfront‘ aus Arbeitern, Intellektuellen und der Bekennenden Kirche gegen die Nationalsozialisten schaffen: „Der Ausweg: Volksfront gegen Hitler – zur Befreiung Deutschlands vom Feinde“ (o.S.) lautet dementsprechend der Aufruf auf der letzten Seite. Es werden daher neben den Bildern von gefolterten oder ermordeten Arbeitern und Geistlichen auch immer wieder die Schicksale von Autoren und Künstlern wie Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Elisabeth Bergner oder Bruno Walter aufgezeigt. Durch Bilder von antifaschistischen Demonstrationen in New York, Paris, London und Spanien wird ebenfalls belegt, dass das Ausland den Widerstandskampf im solidarischen „Weltprotest gegen Naziterror“ (o.S.) unterstützt. Des Weiteren werden (Untergrund-)Publikationen vorgestellt: das vielfach übersetzte „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“, illegal in Deutschland verteilte Flugblätter unter dem Motto „unserer Wahrheit gegen ihre Lüge“ (o.S.) sowie Tarnschriften mit regimekritischen Inhalten.

Der Bildband fungiert auch als Medium der Erinnerung an jene, die im Kampf gegen die Nationalsozialisten umkamen. Aus diesem Grund werden viele Namen aufgeführt – teilweise mit Bildbeleg, teilweise in einer Übersicht. So wird allein unter der Überschrift „Unsterbliche Opfer. Ihr sanket dahin“ das Schicksal von 16 – zumeist kommunistischen – Widerstandskämpfern mit Bild gewürdigt. Auffallend ist, dass den Opfern aus allen sozialen Bevölkerungsschichten gleichermaßen gedacht wird, Arbeitern ebenso wie führenden Politikern, Frauen genau so wie Gewerkschaftlern.

Die über 200 Bilder sind in Montagen zusammengestellt. Diese sind oft sehr drastisch – etwa Fotos von Wundmalen der Gefolterten – und zeigen Ermordete oder Aufnahmen aus den Konzentrationslagern. Letztere stammen teilweise von Wachmannschaften und informieren über den Alltag in den Lagern und Gefängnissen. Oft beziehen sich die Bilder der linken Seite auf die der rechten, etwa wenn die Wohnungen der Arbeiter „in alten Kasernen“, „in finsteren Dachstübchen“, „unter undichten Dächern“ oder „in baufälligen Hütten“ (alle Zitate o.S.) den Villen von Göring gegenübergestellt werden. Ähnlich verfährt der Gestalter, wenn er die Dinners der Führung mit dem mageren Essen einer Arbeiterfamilie kontrastiert. Die Bildunterschriften und Zitate sind meist kurz und die Texte allgemein der Wirkung der Bilder untergeordnet. So heißt es etwa knapp unter großformatigen Fotografien: „So leben ‚Arbeiterführer‘ im Dritten Reich“ und auf der anderen Seite „So sterben Arbeiter im Dritten Reich“ (o.S.). Die in der Dokumentation verwendeten Zitate stammen von führenden Nationalsozialisten und von verfolgten Widerstandskämpfern, aus Dokumenten und Abschiedsbriefen von Verurteilten vor ihrer Hinrichtung oder auch aus Schriften wie Hitlers „Mein Kampf“ oder Goebbelsʼ „Michael“.


Werkgeschichte

Das Internationale Antifaschistische Archiv erstellte die Bilddokumentation unter anderem, um die Menschen im Saargebiet für die Wahlen gegen den Anschluss an das Deutsche Reich zu mobilisieren. Daran beteiligt waren Bruno Frei und Alfred Kantorowicz. Heinrich Mann verfasste für die ‚Saarländische Ausgabe‘ im Dezember 1934 ein Vorwort, in dem er auf die Wichtigkeit der Wahl hinweist: „Die Saarländer sollen auch durch dieses Buch davon überzeugt werden, daß sie für Hitler nicht stimmen dürfen. Für Deutschland ohne Hitler – jederzeit. Nicht aber für das Deutschland Hitlers. […] Wenn Ihr Saarländer für Hitler stimmt, verlängert Ihr ihm das Leben und macht Euch mitschuldig an seinen Missetaten. Alles, was die Deutschen noch erleiden werden durch ihn, kommt dann auch auf Eure Rechnung. Sogar für den Krieg, der durch Hitler unvermeidlich wird, werdet Ihr mitverantwortlich sein. Stimmt gegen ihn! […] Dieses eine Mal ist Euch große Macht gegeben. Benutzt sie richtig und gut – für Euch selbst, für Deutschland, für die Menschen!“ (S. 429f.) Die Bilddokumentation wird in der Folge von den Nationalsozialisten verboten und auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ vom 31. Dezember 1938 geführt. In der Forschung gilt teilweise Heinz Lohmar als Gestalter der Bilddokumentation, der allerdings im Buch selbst nicht genannt wird. Der Maler und Grafiker Lohmar (geb. 21.07.1900 in Troisdorf, gest. 14.09.1976 in Dresden) erhielt 1933 Berufsverbot und floh nach einer Verhaftung in die Schweiz, wo er ebenfalls verhaftet und des Landes verwiesen wurde. In Paris schloss er sich den Exilkünstlerkreisen an und arbeitete unter anderem auch mit Alfred Kantorowicz zusammen. Dies legt nahe, dass er der Grafiker sein könnte, der die Bilder und Zitate für die Publikation „Deutschland vom Feinde besetzt“ arrangiert hat. Von Paris aus, wo er auch die Bühnenbilder für die Uraufführungen von Brechts Dramen gestaltete, schloss er sich nach dem Einmarsch der Deutschen der Résistance an. Auch dort übernahm er die Gestaltung von Flugblättern und Plakaten. In der DDR, wo er seit September 1949 lebte, war der überzeugte Kommunist als Professor an der Kunsthochschule Dresden sowie als freischaffender Künstler tätig.

Quellen:

  • Barth, Bernd-Rainer: „Lohmar, Heinz“. In: Biografische Datenbank „Wer war wer in der DDR?“. Online: http://bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3B-1424.html?ID=2139 (Stand: 25.06.2019).
  • Bores, Dorothée: „‚Wir hüten Erbe und Zukunft‘. Die deutsche Freiheitsbibliothek in Paris 1934 bis 1939". In: Archiv der Geschichte des Buchwesens (2011), Nr. 66, S. 1-108.
  • Mann, Heinrich: „Vorwort [zu "Deutschland vom Feinde besetzt“]. In: ders.: Essays und Publizistik. Kritische Gesamtausgabe. Band 6 (Februar 1933 bis 1935). Teil 1: Texte. Hg. von Wolfgang Klein. Bielefeld 2009, S. 429f.



Bearbeitet von: Christiane Weber