Die Judenausrottung in deutschen Lagern (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Judenausrottung in deutschen Lagern

Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Genf
Titel Die Judenausrottung in deutschen Lagern
Untertitel Augenzeugenberichte. Posen-Kratzau-Auschwitz-Bergen-Belsen-Theresienstadt

Erscheinungsort Genf
Erscheinungsjahr 1945

Umfang 80 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Text ist eine Zusammenstellung verschiedener Augenzeugenberichte zu den Konzentrationslagern in Posen, Kratzau, Auschwitz, Bergen-Belsen sowie dem Getto Theresienstadt. Aus diesen Berichten, so schreiben die anonym verbleibenden Herausgeber im Vorwort vom Juni 1945, gehe deutlich hervor, dass es sich bei den deutschen Maßnahmen in den verschiedenen Konzentrations-, Arbeits- und anderen Lagern nicht um zufällige sadistische und kriminelle Handlungen einzelner Lagerleiter, Wachtmannschaften oder des Aufsichtspersonals handele, sondern um einen einheitlichen Plan. Es sei nicht das Ziel, „schon bekannte Tatsachen durch noch schrecklichere Enthüllungen zu übertreffen, sondern ein Gesamtbild dessen zu geben, was sich in den verschiedensten Gebieten unter der nationalsozialistischen Herrschaft vollzogen hat“ (Vorwort, o.S.). Die Herausgeber verbürgen sich zudem für die Glaubwürdigkeit der Augenzeugen, die ihnen alle persönlich bekannt seien. Ihre Namen werden jedoch ebenfalls nicht genannt.

Die Berichte sind unterschiedlich lang und haben aufgrund der verschiedenen Berufe und Funktionen der Autoren im Lager unterschiedliche Schwerpunkte. Allgemeine Informationen wie etwa zur jeweiligen Lagerordnung und -struktur sowie zu den hygienischen Verhältnissen finden sich jedoch in allen Berichten.

Über verschiedene Arbeitslager für Jüdinnen in Posen berichtet eine Ärztin aus Berlin. Die Ich-Erzählerin wird im Juni 1942 als jüdische Ärztin zur Deutschen Arbeitsfront in Posen befohlen. Zunächst muss sie dort im Lager Fort Radziwill, einer mittelalterlichen Festung, arbeiten. Ausführlich beschreibt sie vor allem den schlechten hygienischen Zustand sowie die gesundheitlichen Auswirkungen auf die etwa 350 weiblichen Häftlinge. Diese leiden unter anderem an Krätze, Flecktyphus, Lungenentzündung, Scharlach und Ruhr. Später wird sie in das Lager Antonienhof, einen ehemaligen polnischen Gutshof, versetzt. Hier sind 500 Mädchen, überwiegend aus dem Getto Litzmannstadt, untergebracht. Der Gesundheitszustand der Frauen ist hier noch schlechter als im Fort Radziwill. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, den täglichen Krankenstand, der nicht höher als fünf Prozent sein darf, zu melden. Verboten sind jedoch Diagnosen wie Hungerödem oder Schwäche. Eingesetzt werden die Häftlinge zu Erd- und Straßenarbeiten außerhalb des Lagers. Die Mädchen müssen dabei die gleichen Arbeiten verrichten wie die Männer. Selbst im kalten Winter 1942/43 müssen sie ohne Handschuhe arbeiten, sodass die Ärztin häufig Fingeramputationen vornehmen muss. Das dritte Frauenlager in Posen, das sie zu betreuen hat, ist das Lager Sedan, hierzu bemerkt sie jedoch lediglich, dass die Verhältnisse den beiden anderen Lagern gleichen. Zu den Männerlagern in Posen schreibt sie, dass die Verhältnisse im Frauenlager „noch paradiesisch gegenüber denen der Männer“ (S. 16) gewesen seien, denn dort seien die Arbeitsanforderungen größer und das Strafmaß härter. Im Juli 1943 wird sie zurück nach Berlin ins Polizeigefängnis gebracht, von wo täglich Transporte nach Ravensbrück abgehen. Zu ihrer großen Überraschung wird sie jedoch entlassen und in ein jüdisches Sammellager gebracht. Einer Registrierung für den Polentransport entgeht sie durch den Transport nach Theresienstadt.

Aus dem Arbeitslager Kratzau im Sudetenland sowie aus Auschwitz berichten im November 1944 zwei Zeuginnen. Die erste ist Agrikultur-Ingenieurin und wurde 1913 geboren. Sie wurde in Paris verhaftet und über das Lager Drancy nach Auschwitz deportiert. Die zweite ist zahnärztliche Assistentin und 1909 geboren. Sie gelangte ebenfalls über Drancy nach Auschwitz. Kratzau gehört wie eine Anzahl weiterer Lager zum Konzentrationslager Groß-Rosen. 500 Jüdinnen aus Holland, Ungarn und Frankreich sind Ende 1944 in einer alten Textilfabrik in Weisskirchen untergebracht. Die Frauen arbeiten im Werk Kratzau, einer von der SS requirierten Munitionsfabrik. Einer detaillierten Aufstellung des Arbeitstages der Häftlinge fügen die Autorinnen Informationen zu den Arbeitsbedingungen, den hygienischen Verhältnissen und der Überwachung hinzu.

Ihr weitaus längerer Bericht über die Lager in Auschwitz betrifft den Zeitraum von August bis Oktober 1944. Erwähnt werden die Lager Birkenau, Wischkowitz, die Bunawerke, und „anscheinend ein Lager Waldsee“ (S. 24) sowie die verschiedenen Sektoren Frauenlager, Juden- und ‚Zigeunerlager‘. Sie listen die verschiedenen Nationalitäten der Häftlinge im Lager auf, beschreiben die Unterbringung, die Kleidung der Häftlinge, Ernährung, Hygiene sowie Lagerkrankheiten. Zum Thema Gas schreiben sie: „Die Frage des Gases ist schwer zu klären. Es steht fest, dass alle alten Leute und Kinder, die man von den anderen getrennt hat, nie wieder gesehen wurden. […] Es kann kein Zweifel bestehen, dass sie alle vergast wurden“ (S. 31).

Der Bericht über Bergen-Belsen ist aus drei Einzelberichten von Personen zusammengestellt, die durch einen Austausch nach Philippeville (Algerien) gelangt waren. Ergänzt wurden diese von Mitgliedern einer ungarischen Gruppe, die in die Schweiz entkommen konnte. Auch hier werden vor allem die Einteilung des Lagers, die Unterbringung, die Arbeit, die Strafen sowie das Essen thematisiert.

Die Grundlage für den ausführlichen Bericht aus dem Getto Theresienstadt bildet eine umfangreiche Darstellung von holländischen Augenzeugen sowie zwei weitere Berichte eines österreichischen Elektroingenieurs, der mit seiner Familie am 1. Oktober 1942 nach Theresienstadt gekommen war, und eines aus Breslau stammenden Ehepaars, einem Architekten und einer Sozialfürsorgerin in Theresienstadt. Der Bericht beginnt mit einer Beschreibung der geographischen Lage und der Geschichte der Stadt Theresienstadt. Auch der Ausbau zur ‚Judenstadt‘ im Dezember 1941 und die ankommenden Transporte sowie die unterschiedlichen Nationalitäten der neuen ‚Bewohner‘ werden detailliert aufgeführt. Weitere Abschnitte behandeln den Gesundheitszustand der Bevölkerung, die Lebensmittelversorgung, die verschiedenen Einrichtungen im Getto und das Bestattungswesen. Die Mitarbeiter der SS-Dienststelle und die jüdische Selbstverwaltung werden namentlich und mit zeitlicher Zuordnung aufgeführt. Besonders widmet sich der Bericht den Schwierigkeiten der Betreuung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen, da es „aufs strengste verboten [war], die Kinder zu unterrichten“ (S. 68). Lobend hervorgehoben werden die Bemühungen der Begründer der Jugendbetreuung, Fredi Hirsch und Gonda Redlich, den Kindern in den Heimen und Waisenhäusern „ein halbwegs erträgliches Dasein zu schaffen“ (S. 68). Auch der Besuch der Kontrollkommission des Internationalen Roten Kreuzes Anfang August 1944 wird thematisiert: „Es ist besonders wichtig, dass man den folgenden Abschnitt genauestens beachtet. […] Mitteilungen von sehr vertrauenswürdiger Seite […] lassen mit Sicherheit darauf schliessen, dass der Rote-Kreuz-Bericht auf einer grossangelegten Mystifikation beruht“ (S. 74). Das „Rätsel Theresienstadt“ (S. 78), also der Grund, warum das Getto Theresienstadt so lange erhalten wurde, löst der Bericht so: „[M]an [kommt] zu dem Schluss, dass das Ghetto Theresienstadt das ‚Alibi‘ der Deutschen für eventuelle spätere politische Verhandlungen mit dem Ausland sein sollte“ (S. 79).



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger