Die Rassen (1934)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Rassen
Autor Bruckner, Ferdinand (1891-1958)
Genre Drama

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1934, Zürich
Titel Die Rassen
Untertitel Schauspiel

Erscheinungsort Zürich
Erscheinungsjahr 1934

Verlegt von Verlag Oprecht & Helbling
Gedruckt von Editions et Imprimerie Rapide de la Presse
Publiziert von Bruckner, Ferdinand (1891-1958)

Umfang 100 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Ferdinand Bruckners zeitkritisches Drama bringt die Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft des Frühjahrs 1933 auf die Bühne. Im Zentrum der Handlung steht eine Gruppe Studenten, deren Beziehungen untereinander durch den rassistischen Antisemitismus umgewälzt werden.

Der Medizinstudent Karlanner ist seit einiger Zeit mit Helene Marx, der Tochter eines jüdischen Industriellen, liiert. Sein Freund Tessow hat sich dem Nationalsozialismus angeschlossen und versucht nun, Karlanner von seinen Ansichten zu überzeugen, zum Mitmachen in der ‚Bewegung‘ und zur Trennung von Helene zu überreden, die einen schlechten Einfluss auf Karlanner ausübe. Während Tessow ganz in der NS-Ideologie aufgeht und ihre Parolen wiedergibt, begegnet Karlanner den Werbeversuchen zunächst mit Spott: „Tessow: Wenn die heutigen Wahlen den Sieg bringen, kommt alles ganz anders, pass auf. Karlanner: Dann verhungern wir noch rascher? Tessow: Dann verhungern wir überhaupt nicht mehr“ (S. 8). Tessow hat innerhalb kurzer Zeit die Rassenideologie der Nationalsozialisten vollständig angenommen und propagiert diese den anderen gegenüber lautstark. Karlanner hält er vor: „Wenn Du, ein Deutscher, eine Jüdin heiratest, vergrösserst Du den Sumpf der biologischen Erbmischung. In diesem Sumpf der Mischungen ist der deutsche Geist beinah ersoffen. Mag sie ein patenter Kerl sein: ihre Substanz kann sie schliesslich nicht ändern. Ein Apfel sieht rosig aus, und dabei sitzt drin der Wurm“ (S. 9).

Die Parolen wirken nach und nach auf Karlanner und schließlich wählt er die Nationalsozialisten. Infolgedessen entfremdet er sich von Helene, deren Argumenten er nicht mehr zugänglich ist. Die beiden trennen sich. Karlanner geht immer mehr auf in der ‚Bewegung‘ und er beteiligt sich, wie Tessow auch, sogar an Verhaftungen. Zeitweise gehen sie, wie in einem Rausch, im Terror auf. So sagt Tessow an einer Stelle lachend: „Mir macht es sogar immer mehr Spass, wie sie vor mir zittern. Wie sie sich aufdrängen, gerade wenn ich meine Macht spielen lasse, [...] und was es einträgt?“ (S. 95)

Als Ende März 1933 der Tag des Boykotts der jüdischen Geschäfte herannaht, bekommt Karlanner den Auftrag, Helene zu verhaften. Er warnt sie jedoch bevor es dazu kommen kann und Helene kann fliehen. Vergeblich versucht Tessow am Ende des Dramas den inzwischen wieder zur Besinnung gekommenen Karlanner zur Flucht zu bewegen. Nach dem Abgang Tessows wird Karlanner verhaftet.

Bruckner versucht, anhand der Figuren viele verschiedene Facetten sowohl auf Seiten der Nationalsozialisten als auch auf Seiten der verfolgten Juden darzustellen. Der Anführer der Nationalsozialisten an der Universtität, Rosloh, zum Beispiel steht für den bedingungslosen Karrieristen, Tessow und Karlanner für vorübergehend berauschte Intellektuelle.


Biografie

Ferdinand Bruckner (geb. 26.08.1891 in Wien als Theodor Tagger, gest. 05.12.1958 in Berlin) wuchs in Graz auf und studierte nach der Schule zwei Semester Germanistik in Wien. Anschließend ging Bruckner nach Paris, wo er das Konservatorium besuchte. Danach arbeitete er als Journalist, während des Ersten Weltkriegs unter anderem als Herausgeber der Zeitschrift „Marsyas“.

1917 debütierte Bruckner, damals noch unter seinem Geburtsnamen, mit einem Lyrikband, dem 1919 ein weiterer Gedichtband folgte. Nach mehreren weiteren, weitgehend erfolglosen Romanen, Novellen und Dramen leitete er von 1923 bis 1927 das von ihm gegründete Renaissance-Theater in Berlin. Erst ab 1929 erreichte er mit mehreren Dramen, die er unter dem Pseudonym Ferdinand Bruckner veröffentlichte, seinen Durchbruch. Ende Februar oder Anfang März 1933 verließ Bruckner Deutschland Richtung Frankreich und emigrierte von dort 1936 in die USA. Er war unter anderem Mitglied des deutschen P.E.N-Clubs in London und publizierte in verschiedenen Zeitschriften. Überdies lehrte Bruckner in New York am Brooklyn und am Queens College. Während des Exils veröffentlichte er zahlreiche Dramen, die mit großem Erfolg vielfach in zahlreichen Ländern aufgeführt und in viele Sprachen übersetzt wurden.

Ab 1951 lebte Bruckner wieder in Deutschland, wo er erneut als erfolgreicher Dramatiker wahrgenommen wurde. Er war in Berlin an den Städtischen Schauspielbühnen sowie am Schiller- und Schlossparktheater tätig und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Quellen:


Werkgeschichte

Bruckner schrieb „Die Rassen“ von Mai bis November 1933 im Exil in Frankreich. Das Drama wurde am 30. November 1933 am Schauspielhaus in Zürich unter der Regie von Gustav Hartung uraufgeführt. 1934 folgten Aufführungen in Paris, Buenos Aires, Rotterdam, Lodz, Brünn sowie den USA. Geplante Inszenierungen in London, Wien und Prag wurden von den dort jeweils zuständigen Behörden untersagt, wohl in Sorge vor diplomatischen Verwicklungen mit NS-Deutschland. Auszüge des Stücks veröffentlichte die sozialdemokratische Exilzeitung „Neuer Vorwärts“ im Januar 1934, wo lobend hervorgehoben wurde: „Die beklemmende Umwelt ist so scharf gezeichnet, daß die starke reine Menschlichkeit des Stückes auf jeder Bühne wirken muß“ (Neuer Vorwärts, Nr. 30, 07.01.1934, Beilage, o.S.). Die deutsche Erstaufführung 1948 nach dem Krieg in Berlin fiel in der Kritik weitgehend durch. Fritz Erpenbeck resümiert im „Vorwärts“: „Es war eine Niederlage“ (zitiert nach Labroisse 1992, S. 157); Walther Karschs Urteil im „Tagesspiegel“ war noch harscher: „Es wurde ein Begräbnis erster Klasse“ (ebd., S. 158).

Die veröffentlichte Version des Dramas fand in zahlreichen weiteren Rezensionen in der Schweiz, in Österreich, Spanien, Rumänien, Frankreich, der Tschechoslowakei und anderen Ländern eine überwiegend positive Resonanz. „Bruckners Stück wird in Prag und in Wien, in Paris, in London und in New York anschauliches Zeugnis ablegen von dem, was bereits alle wissen“, schreibt Ludwig Marcuse im „Neuen Tage-Buch“. „Aber“, so Marcuse weiter, „Sehen ist für die meisten Menschen viel mehr als Wissen. Das aufklärende Theater soll das Wissen sichtbar machen. Bruckners Drama ist ein wichtiger Anfang“ (Marcuse 1934, S. 44).

Ein Auszug aus „Die Rassen“ wurde in einer Anthologie mit Texten anderer verfolgter und geflohener Autoren wie Lion Feuchtwanger, Willi Bredel, Wolfgang Langhoff und anderen in der Tarnschrift „Deutsch für Deutsche“ 1935 in das Deutsche Reich geschmuggelt.

Noch im Erscheinungsjahr der Erstausgabe erschien eine Übersetzung ins Englische und eine ins Französische.

Nach dem Krieg wurde „Die Rassen“ mehrfach in Sammelbänden mit Bruckners Dramen abgedruckt. Überdies wurde es auch auf deutschsprachigen Bühnen aufgeführt, in der Spielzeit 1987/88 beispielsweise im Wiener Theater in der Josefstadt.

Quellen:

  • Brandt, Bruno: Dichter im Kampf. Deutsche Wahrheit in drei Büchern. In: Neuer Vorwärts, Nr. 30, 07.01.1934, Beilage, o.S.
  • Labroisse, Gerd: Rezeption von Exilliteratur im Horizontwandel: Ferdinand Bruckners Die Rassen und Friedrich Wolfs Professor Mamlock in Zürich (1933 bzw. 1934) und Berlin (1948 bzw. 1946). In: Sevin, Dieter (Hg.): Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Amsterdam 1992. S. 154-163.
  • Lehfeldt, Christiane: Der Dramatiker Ferdinand Bruckner. Göppingen 1975.
  • Marcuse, Ludwig: Die Rassen. In: Neues Tage-Buch, 13.01.1934, S. 43f.
  • o.A.: Deutsch für Deutsche (Tarnschrift 0397). In: Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945. Online-Datenbank. De Gruyter. Online unter: http://db.saur.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentID=BTS-0387 (Stand: 02.10.2019).

Zahlreiche Rezensionen finden sich gesammelt in der Zentralbibliothek Zürich im Verlagsarchiv Oprecht/Europa Verlag unter der Signatur Ms. Oprecht R. 78.



Bearbeitet von: Markus Roth