Die Todgeweihten (1949)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Todgeweihten
Autor Philipp, Berthie (1881-1960)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1949, Hamburg
Titel Die Todgeweihten

Erscheinungsort Hamburg
Erscheinungsjahr 1949

Verlegt von Morawe & Scheffelt Verlag
Gedruckt von Schünemann-Druck
Publiziert von Philipp, Berthie (1881-1960)
Umschlaggestaltung von Trolle, Gustav

Umfang 447 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

In ihrem Roman will die Autorin das „tragische Schicksal“ (Vorwort, o.S.) ihrer Leidensgenossen zeigen, die „in Theresienstadt lebten und starben“ (ebd.). Im Vorwort, das auf den Sommer 1942 datiert ist, schreibt sie weiter, das Buch wolle genauere Kenntnisse vermitteln von den dauernden Qualen und Todesängsten der verfolgten Menschen und beschreibe wahrheitsgemäß „mit welch’ satanischen Mitteln die Vernichtung des jüdischen Volkes ausgeführt wurde“ (ebd.). Es wolle Zeugnis ablegen für das tapfere Verhalten der Häftlinge inmitten einer Welt von Haß.

In das Romangeschehen selbst führt der auktoriale Erzähler den Leser über die Beschreibung einer – sehr idealisierten – Idylle. Heraufbeschworen wird ein strahlender Sommertag mit blühenden Bäumen, umherfliegenden Schmetterlingen und spielenden Kindern: „Eisschokolade, Bier, – – Tanz im Freien, – – Lampions in den Lauben“ (S. 7). Dann zerstört der Erzähler abrupt die idyllische Stimmung; er ist in Theresienstadt angekommen: „Aber plötzlich steht die Flut der brausenden Lebensströme stille. Sie hält stille in ihrem Lauf vor den Toren Theresienstadts. Sie kann nicht durch die von Stacheldraht umgebenen hohen Mauern hinein“ (S. 8). Für den Leser – so suggeriert die Erzählung – ändert sich das Szenario und der Schauplatz damit so endgültig wie für die Menschen, die aus ihren Heimen und ihrem Alltag gerissen als Gefangene das Getto betreten. Denn: „Vor Theresienstadts Mauern bleibt das wirkliche Leben stehen“ (ebd.).

Nun wendet sich der Roman der zentralen Figur des Romans zu – der deutschen Jüdin Kitty Bergner. Bei der Deportation aus Hamburg muss sie ihre Schwester Elisabeth und ihren Geliebten, den renommierten Frauenarzt Dr. Gebhard, zurücklassen. Während Kitty die Zugfahrt in Schockstarre erlebt, beginnen die mit ihr deportierten Menschen nach und nach ihre ganz eigenen dramatischen und tragischen Geschichten zu erzählen. Kitty empfindet plötzlich eine tiefe Verbundenheit mit dem Schicksal ihrer Weggefährten: „Zwar war es kein Trost zu wissen, daß es Menschen gab, die immer noch mehr zu leiden hatten als man selber, aber dennoch empfand sie das allzu Schwere ihres Schicksals nunmehr tragbar“ (S. 31). Fortan behält sie das Schicksal dieser Gruppe auch in Theresienstadt besonders im Blick – bereits nach etwa einem Jahr sind jedoch alle aus diesem Transport bis auf Kitty qualvoll zu Tode gekommen.

Erzählt werden hauptsächlich Geschichten des Sterbens, nicht des Überlebens oder der Überlebenden. Dies ist eine der Hauptbotschaften des Romans. Für kaum eine der Figuren gibt es ein Entrinnen, wie bereits der Titel „Die Todgeweihten“ und auch die Gestaltung des Schutzumschlags des Buchs andeuten, der Assoziationen weckt mit den verzweifelten und hoffnungslosen Menschen, die in Dantes „Göttlicher Komödie“ das ‚Inferno‘ betreten. Im Getto kämpfen die darin gefangenen Menschen ohne reale Aussicht auf ein Entkommen um ihr Überleben. Auch die im Anhang des Textes befindliche „Totentabelle“ (S. 444f.) verdeutlicht dies. Sie verzeichnet die vom 15. Juli 1942 bis 28. Februar 1943 in den Häusern L. 212, Zimmer 28/29, und Qu. 613-615, Zimmer 13, umgekommenen 74 Frauen und 28 Männer und die Todesursachen – in der Hauptsache Hungertyphus, Transport und Herzschwäche. In Theresienstadt teilt sich Kitty ein unmöbliertes Zimmer mit 27 Frauen, die auf dem Boden schlafen müssen. Die hygienischen Bedingungen sind ebenso katastrophal wie der Ernährungszustand; nach und nach erkranken die Häftlinge an Typhus und anderen durch den Mangel hervorgerufenen Krankheiten. Kitty kümmert sich immer wieder aufopfernd um ihre erkrankten Mithäftlinge, kann aber nur – neben ihrer wechselnden Arbeit in der Küche, als Pflegerin auf der Krankenstube und im Jugendheim – einem nach dem anderen die Zeit bis zum unweigerlich eintretenden qualvollen Tod etwas lindern. Sie selbst erkrankt ebenfalls mehrere Male schwer. In ihrem ersten Jahr in Theresienstadt stirbt sie fast an einer Blutvergiftung. Eine durch den Nahrungsmangel bedingte Herzschwäche führt immer wieder zu Ohnmachtsanfällen und schweren Erschöpfungszuständen. Häufig plagen sie auch Ängste und die Traurigkeit darüber, von den Lieben in Deutschland – vor allem von ihrer Schwester und Dr. Gebhard – einfach vergessen worden zu sein, da sie von ihrer Schwester nur sehr selten und von Dr. Gebhard überhaupt keine Nachricht erhält.

Auch wenn Kitty die Hauptfigur des Romans ist, so ist es doch ein Anliegen der Autorin, das Schicksal möglichst vieler Menschen darzustellen. Über weite Teile wird die Handlung durch Dialoge getragen, in denen die Figuren ihre Lebensgeschichte wiedergeben, aber auch ihre Hoffnungen und Ängste offenbaren, ebenso wie etwa die Empörung darüber, dass das Ausland den Häftlingen nicht zu Hilfe kommt. Stellvertretend für die vielen Stimmen im Getto fasst der Erzähler immer wieder die kollektive Stimmung und Überlegungen zusammen. Wiederholt verleiht er etwa seiner Empörung darüber Ausdruck, dass das deutsche Volk zu so etwas fähig ist. Er fragt, wie es sein könne, dass „Glieder eines solchen Volkes, die durch Schulen, Gymnasien, Universitäten gegangen waren, und dort das geistige Nationalgut der deutschen Dichter und Denker in sich aufgenommen hatten, so entarten konnten“ (S. 279). Fassungslosigkeit herrscht auch darüber, dass Deutsche ihren deutschen Mitmenschen so etwas antun: „Und das Entwürdigendste war, daß es in der Heimat niemand je erfahren würde, wie Deutsche gegen Deutsche wüteten“ (S. 253). In seiner Anklage an das deutsche Volk spricht der Erzähler vor allem die deutschen Mütter direkt an: „Oh, ihr Mütter, bedenkt ihr nicht die Riesenschuld eures Gewissens?“ (S. 280) Sie seien schuldiger als die Männer, denn sie „sollten Hüterin der höchsten Menschengüter sein. Hüterin der Familie, ihrer Kinder, ihrer Männer. Sie sollten im Geiste der Liebe wandeln“ (ebd.).

Neben dem Sterben der Figuren spielt auch die Liebe eine wesentliche Rolle im Roman. Sie ist das hoffnungsgebende und zukunftsweisende Element, das sich jedoch in den allermeisten Fällen nicht über die grausame Realität und das Sterben hinwegsetzen kann. Handlungsträger dafür sind vor allem die Jugendfreunde Peter Vargas und Hans Anthony, die beide als Ärzte im Getto tätig sind. Sie finden jeweils im Getto ihre große Liebe und schöpfen Hoffnung und Lebensmut aus dieser, können aber den Tod des geliebten Menschen dennoch nicht verhindern.

Hans verliebt sich in Kittys Freundin Helga Arnstein aus Frankfurt am Main und die beiden heiraten schließlich im Getto. Nach einer Abtreibung – Geburten sind im Getto verboten – versinkt Helga jedoch immer mehr in Apathie und stirbt letztlich. Hans Anthony ist untröstlich, sein Lebensmut gebrochen. Er kommt schließlich in den Gaskammern von Auschwitz ums Leben. Peter Vargas nimmt eine noch wesentlich zentralere Rolle im Roman ein. Der adlige Augenarzt ist seiner Mutter, der Freifrau Irene Vargas von Bargen, von Hamburg aus freiwillig in die Gefangenschaft nach Theresienstadt gefolgt. Mit seiner Mutter verbindet ihn eine enge, nahezu symbiotische Beziehung, er idealisiert und vergöttert sie. Schon als junger Mann hat er sich geschworen, nur eine Frau zu heiraten, die seiner Mutter gleicht. Als Vorbild dient ihm ein Foto der Mutter aus ihrer Jugend: „Es war sein Ideal, solange er denken konnte. Seine Jugendschwärmerei. Eine reizende Blondine mit sehr hellen, strahlenden Augen und einem Zug stolzer Würde in der Haltung“ (S. 72). Als er bei einem Konzert – die kulturellen Aktivitäten im Getto nehmen einen großen Stellenwert im Roman ein – durch einen Zufall Kitty begegnet, erscheint sie ihm wie das Ebenbild seiner Mutter in jungen Jahren, wie er es von dem Foto kennt. Er setzt alles daran, Kitty für sich zu gewinnen. Dieser Wunsch wird nur noch größer, als seine Mutter plötzlich verstirbt. Diese hatte jedoch Kitty vorher gebeten, an ihre Stelle zu treten und Peters Frau zu werden. Kitty, die die entstandene Freundschaft zu Peter sehr schätzt, weil sie sich durch ihn nicht mehr einsam, sondern wieder wie ein Mensch fühlt, trauert dennoch ihrer Liebschaft mit Dr. Gebhard nach. Sie ist unentschlossen und erteilt Peters ab Sommer 1943 immer drängenderen Eheanträgen schließlich eine Absage. Damit zerstört sie auch die Freundschaft. Kitty erkennt nun zwar zunehmend, dass sie Peter liebt, und bereut ihren Entschluss. Wiedervereinigt werden die beiden jedoch erst, als Peter Kitty nach der Befreiung des Gettos schwer krank und dem Tode nah aus dem Krankenhaus in Theresienstadt holt, um sie nach Hamburg zu bringen, wo sie – so seine Annahme – in seinem herrschaftlichen Haus wieder gesund gepflegt werden kann. Sein Anwesen ist jedoch beschlagnahmt und dient als Flüchtlingslager. Nach langem Zögern bringt Peter Kitty schließlich zu Dr. Gebhard, der inzwischen wieder glücklich mit seiner Frau zusammenlebt. Aber auch er kann nichts mehr tun. Während Peter nun selbst erschöpft und hoch fiebernd in Dr. Gebhards Klinik versorgt werden muss, stirbt Kitty.

Das einzige ‚Happy End‘ des Romans erfahren der tschechische Dichter und Journalist Josef Manez und die Krankenschwester Irina Lupiskaja, eine ehemalige russische Stimmimitatorin, die im Getto ihre einzige Tochter Sonja durch Krankheit verliert. Irina hat durch die Pflege ihrer Mitmenschen einen neuen Sinn im Leben gefunden. Manez und sie lernen sich jedoch erst nach der Befreiung des Gettos kennen und können ihr zukünftiges gemeinsames Leben in Freiheit gestalten.

Der Freundschaft zwischen Peter und Josef Manezs kommt im Text eine wichtige Rolle zu. Sie stehen für jeweils unterschiedliche Positionen und Nationalitäten, zeigen aber, dass gegenseitige Achtung und Freundschaft dennoch möglich sind. Als im Sommer 1944 die ‚Mischlinge‘ Theresienstadts für den Transport registriert werden, sind darunter auch Peters Freunde Hans Anthony und Josef Manez. Der Transport geht nach Auschwitz. Bei der Selektion an der Rampe begreift Manez schnell, dass die ankommenden Menschen in Gaskammern getötet werden. Es gelingt ihm, sich in einen leeren Güterwaggon zurück zu schleichen und so unbemerkt mit dem leeren Zug wieder nach Theresienstadt zu fahren. Dort sucht er Peter auf und berichtet ihm von den grauenvollen Entdeckungen, die er in Auschwitz machen musste. Er bittet Peter, ihn auf der Flucht nach Prag zu begleiten, um dort Hilfe zu holen: „Aber ich bin Träger eines ungeheuerlichen Geheimnisses, durch mich soll die Welt in Kenntnis gesetzt werden von einem Verbrechen, wie es der menschliche Verstand sich niemals zuvor träumen ließ“ (S. 351). Die Flucht der beiden Männer aus dem Getto gelingt und sie können den Prager Militärbehörden von den Massenmorden in Auschwitz berichten. Manez beschließt, sich den kämpfenden Truppen anzuschließen. Peter bringt er bei seiner Zeitung unter. Am 5. Mai 1945 befreien die russischen Armeen das Getto Theresienstadt. Manez – nun tschechischer Oberleutnant – begleitet Peter dorthin zurück, um Kitty abzuholen. Aus Freundschaft erklärt er sich nach der Befreiung auch bereit, zusammen mit Irina Peter und Kitty mit dem Auto nach Hamburg zu bringen.

Auf dieser Fahrt durch das verwüstete Deutschland werden die nationalen Differenzen der beiden deutlich, die stellvertretend für die Positionen der im Getto zusammengepferchten Nationen stehen. Während die deutschen Häftlinge sich den tschechischen Mithäftlingen in gewisser Weise kulturell überlegen fühlen, sind diese in der Realität im Getto oft besser durch ihre Familien von außen versorgt. Die Tschechen haben Vorbehalte gegen die deutschen Häftlinge, da sie diese mit den Tätern assoziieren. Diese Differenzen machen sich auch bei Peter und Manez bemerkbar, auch wenn Peter seine Vorurteile über das tschechische Volk revidiert und sich Manez aufrichtig verbunden fühlt. Dennoch hat Peter wenig Verständnis für Manez ausgeprägtes Misstrauen und Widerwillen gegen das deutsche Volk. Er nimmt ihm übel, dass dieser sich als Journalist künftig der Aufdeckung der „furchtbaren Untaten der deutschen Meuchelmörder“ (S. 398) widmen will. Er hält ihm vor: „Aber vergiß nicht, auch ich bin Deutscher und zwar mit Blut und Herz. In mir siehst du einen Teil des deutschen Volkes, wie ich in dir das tschechische sehe. Das deutsche Volk ist gänzlich unschuldig an allen Greueln ihrer Mordregierung“ (S. 397). Manez Zuweisung einer Kollektivschuld der Deutschen kann er nicht gut heißen. Manez seinerseits erinnert ihn an die Berge von Leichen, die Gaskammern und die Summe der unendlichen Verbrechen. Dennoch, so sind sich beide einig, soll ihre Freundschaft davon unbelastet bleiben und sich auf gegenseitige Wertschätzung gründen. Der letzte Satz des Romans kommt Kittys ehemaligen Geliebten, Dr. Gebhard, zu, der mit pathetischen Worten an das Weiterleben Kittys in der Erinnerung appelliert: „Kitty Bergner ist nicht gestorben. Für uns ist sie nicht tot. Ihre irdische Hülle liegt dort und wird zu Staub werden. Aber ihr Geist, ihre Seele, die jetzt im ewigen Licht wandelt, wird uns nie verlassen. Sie lebt in uns fort!“ (S. 443).


Biografie

Berthie Philipp, geb. Sophar, (geb. 12.12.1881 in Hamburg, gest. 15.10.1960 in Hamburg) wurde als eines von mehreren Geschwistern in eine bürgerliche Familie geboren. Der Vater galt laut der späteren Nürnberger Rassegesetze als ‚Volljude‘, die Mutter war nicht jüdisch. Am 20. August 1914 heiratete Philipp den 23 Jahre älteren angesehenen Komponisten, Musikpädagogen und -kritiker Rudolf Philipp. Er hatte in Wien und in Frankfurt am Hoch‘schen Konservatorium studiert. Welches Ansehen er in Hamburg genoss, zeigt sich unter anderem daran, dass der Hamburger Senat am 13. November 1928 ein Festkonzert aus Anlass seines 70. Geburtstages veranstaltete. Auch im November 1958 zum hundertsten Geburtstag des inzwischen verstorbenen Philipp schickte die Kulturbehörde Hamburg einen Brief an Berthie Philipp, in dem es heißt: „Es ist hier durchaus nicht vergessen, mit welcher Hingabe und welch’ fruchtbaren Einfluß Rudolf Philipp durch lange Jahrzehnte im musikalischen Leben Hamburgs gewirkt hat“ (Staatsarchiv Hamburg, Sig. 131-1 II_10625 (02), o.Bl.). Auch Berthie Philipp, die sich nach dem Krieg auf ihrem Briefkopf als ‚Schriftstellerin‘ auswies, wirkte dank seiner Unterstützung im Rundfunk als literarische Mitarbeiterin. Außerdem verfasste sie eigene literarische Arbeiten, vor allem wohl Märchenstücke für das Theater. In den zwanziger Jahren scheint sie einige Märchenspiele für Hans Bodenstedts „Funkheinzelmann“, geschrieben zu haben.

Nach dem Tod ihres Mannes im März 1936 reiste Philipp zunächst in die USA, um dort ihre Schwester zu besuchen. Da ihr offenbar die Auswirkungen der Nürnberger Gesetze noch nicht klar waren, kehrte sie aus den USA nach Deutschland zurück. Ab 1937 bewohnte sie eine 5 1/2 Zimmer Wohnung in Hamburg Saling in der sie zwei Zimmer zeitweise untervermietete. Diese Wohnung musste sie jedoch im Juni 1942 innerhalb kürzester Zeit räumen. Den „grössten und besten Teil der Möbel“ (Staatsarchiv Hamburg, Sig. 213-13_7785-19, o.Bl.), so Philipp im November 1951 vor der Wiedergutmachungskammer Hamburg, habe sie an private Ankäufer verkauft. Der Rest wurde vom Aktionhaus Elsaß versteigert. Am 13. Juli 1942 wurde ihr gesamtes Vermögen per Erlass des Reichsstatthalters in Hamburg eingezogen. Philipp zog in das sogenannte Judenhaus in der Bundesstraße 43, bis sie im Alter von 61 Jahren am 15. Juli 1942 mit dem ersten Transport Hamburger Juden nach Theresienstadt deportiert wurde. Nach den Nürnberger Rassegesetzen galt sie als Tochter eines jüdischen Vaters und einer ‚arischen‘ Mutter sowie als Ehefrau eines ‚Volljuden‘ als ‚Mischling ersten Grades‘. Sie erreichte Theresienstadt am 16. Juli 1942 und wurde dort als deutsche Jüdin geführt. Über ihre Zeit in Theresienstadt, wo sie 1945 befreit wurde, ist nichts bekannt. Nach Kriegsende gelangte Philipp von Theresienstadt nach eigenen Angaben über Umwege nach Hamburg. Durch die russische Zone reiste sie nach Berlin und von dort mit einem Flüchtlingszug in die Britische Zone. Sie erreichte Hamburg am 22. November 1945.

Aus Theresienstadt kehrte Philipp schwer krank zurück. Neben einer Wirbelverschiebung, schwerer Arthrose und fortschreitender Arteriosklerose, an der vor allem in den späteren Jahren auch das Gehirn beteiligt war, litt sie an einer Verengung des Magenausgangs, einer Zwerchfellhernie sowie einer latenten Herzschwäche. Ihr Heim war ihr weggenommen worden, weshalb sie in einer kleinen Kammer Unterschlupf gefunden zu haben scheint, wo sie ihren Theresienstadt-Roman niederschrieb. Sie bemühte sich außerdem, mit literarischen Beiträgen den Anschluss an Hamburgs Kulturleben zu finden. Berthie Philipp wollte in den ersten Nachkriegsjahren auch einen Beitrag zum Aufbau einer neuen und demokratischen Gesellschaft leisten und schrieb Beiträge für Hamburger Zeitungen.

Etwa ab 1950 begann dann ihr Kampf um Wiedergutmachung und Entschädigung. Vor der Wiedergutmachungskammer Hamburg wurde in jeweils abgetrennten Verfahren über Entschädigungszahlungen für die Wohnungseinrichtung und einen Radioapparat, die Vernichtung von ungedruckten und gedruckten Manuskripten von Rudolf und Berthie Philipp, den Verlust von drei Koffern mit Kleidung und persönlichen Gegenständen in Theresienstadt sowie eines Sparkassenguthabens verhandelt. Der verhandelte Gesamtwert belief sich auf 54.300 DM. Außerdem erkämpfte Philipp Haftentschädigung für die Zeit in Theresienstadt vom 15. Juli 1942 bis 5. Mai 1945; das Urteil wurde am 6. Juni 1950 rechtskräftig. Besonders hart traf Berthie Philipp der Verlust der musikalischen Kompositionen ihres Mannes und ihrer eigenen literarischen Arbeiten. Diese hatte sie vor der Deportation nach Theresienstadt, wie sie dem Wiedergutmachungsgericht erklärte, in einem Safe in der Hamburger Sparkasse deponiert und den Schlüssel ihrer Schwester übergeben. Nach ihrer Rückkehr habe ihr die Schwester unter Tränen gestanden, dass sämtliche Manuskripte von der Gestapo verbrannt worden seien. Unter diesen Dokumenten sei unter anderem ein Romanmanuskript mit dem Titel „Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht“ sowie drei bis vier Theaterstücke gewesen. Ein Teil der Wiedergutmachungsverfahren wurden mit einem Vergleich beendet, in anderen Fällen entschied das Urteil des Gerichts. Philipp verfügte testamentarisch im April 1960, dass ein Großteil ihres Geldes – 50.000 DM –in eine Stiftung investiert werden sollte, die den Zweck hatte, ein Wohnhaus für mittellose Künstler, vor allem Musiker, zu bauen und zu unterhalten. Nach Erbstreitigkeiten konnte die Stiftung im April 1962 gegründet werden. Heute unterhält die Stiftung vier Dauerwohnrechte für notleidende Künstler in Hamburg.

Quellen:

  • Philipp, Berthie. Die Todgeweihten. Hamburg 1949.
  • Schielzeth, Walther (Hg.): Zwei verdiente Hamburger. Berthie und Rudolf Philipp. Hamburg 1964.
  • „Dokumente zu Berthie Philipp“. In: Staatsarchiv Hamburg, Signatur 131-1 II_10625; Signatur 213-13_81 0155_53; Signatur 213-12_81 0 185_56; Signatur 213-13_7784; Signatur 213-13_7785; Signatur 213-13_7786; Signatur 213-13_7786; Signatur 213-13_7787; Ebd. Signatur 314-15_Abl. 1998 J 6_689; Signatur 213-13_Z 23318; Signatur 214-1_559.


Werkgeschichte

Berthie Philipp schrieb ihren Roman „Die Todgeweihten“ über das Getto Theresienstadt nach ihrer Rückkehr nach Hamburg ab November 1945. Die Auflagenhöhe der ersten und einzigen Ausgabe von 1949 ist nicht bekannt. In einem Schreiben der Senatskanzlei Hamburg vom 13. Mai 1959 heißt es lediglich: „Ihre [Berthie Philipps] Erlebnisse hat sie vor mehreren Jahren in dem Roman ‚Die Todgeweihten‘ niedergelegt. Die Auflageziffer hat eine stattliche Höhe erreicht“ (Staatsarchiv Hamburg: Sig. 131-1 II_10625-03, o.Bl.). Schon am 20. August 1946 hatte die „Hamburger Freie Presse“ eine sechsspaltige Leseprobe aus dem Manuskript veröffentlicht. In einer Vorbemerkung heißt es: „Frau Philipp arbeitet an diesem wichtigen Zeitdokument unter den ungünstigsten räumlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen. Es wäre zu wünschen, daß die tapfere Frau, die Namenloses durchlitten hat, seitens der maßgeblichen Stellen eine Unterstützung fände, die ihr die Vollendung ihres schriftstellerischen Werkes ohne den harten Druck der Not ermöglichen würde“ (zitiert nach Schielzeth, S. 53). Auch in der „Hamburger Freien Presse“ erschien am 4. Januar 1947 ein Auszug aus dem Roman. Der Verlag kündigte das Werk auf der Innenseite des Schutzumschlags an als einen „Schlüsselroman, der in Form eines Gesellschaftsromans das Schicksal der nach Theresienstadt verschleppten jüdischen Familien behandelt. Der Roman, der die betroffenen Familien namentlich nennt, enthält sich aller Grausamkeitsschilderungen. Die packende Darstellung, die wahrheitsgetreuen Berichte machen das Buch zu einem literarischen Ereignis“ (Philipp 1949, o.S.).

„Die Todgeweihten“ haben beim Leserpublikum offenbar kaum Interesse gefunden, wie Walther Schielzeth darlegt. Immerhin habe es jedoch bei der Presse eine gewisse Beachtung gefunden, konstatiert er. In der „Hamburger Freien Presse“ schrieb Hans Sommerhäuser: „Mancherlei menschliche Bindungen werden zu tröstlichen Bildern in dieser von Haß und Menschenverachtung bestimmten seelischen Öde. Die Tapferkeit der Frauen rührt uns an und ihre Sehnsucht nach Heim und Heimat. Ihnen hat die Verfasserin mit ihrer Arbeit ein Denkmal gesetzt“ (zitiert nach Schielzeth, S. 17). Nicht immer fand das Werk in literarischer Hinsicht uneingeschränktes Lob bei den Rezensenten. So urteilte ein Kritiker in der „Welt“: „Die Verfasserin, selbst durch die Hölle des Nazireiches gegangen, hat sich bemüht, das Erleben der Gefangenen von Theresienstadt in einem Roman zu schildern. – Dieser Versuch ist fehlgeschlagen. Was ihr jedoch gelang – und das ist hier wichtiger und größer als die Erreichung eines formvollendeten Stils –, ist die Überwindung des persönlichen Hasses. Die Autorin enthält sich jeder Darstellung der grausamen Straf- und Foltermethoden; die Objektivität und nüchterne Sachlichkeit ihrer Schilderung ist angesichts ihres furchtbaren Erlebens nahezu unfaßbar. […] Daß es ihr aber trotz allem gelingt, sich noch als Deutsche zu fühlen, offenbart eine menschliche Größe, die vielen beispielhaft sein müßte“ (zitiert nach Schielzeth, S. 17).

Auch im „Argentinischen Tageblatt“ vom 2. Juni 1950 wurde das Buch von Berthie Philipp gewürdigt: „In Romanform die Hölle von Theresienstadt schildern zu wollen, ist ein gewagter Versuch. Man kann dabei leicht ins Kitschige verfallen, zu Beschönigungen oder Übertreibungen geneigt sein und verleitet werden, die nackten Tatsachen hinter den Eingebungen der Phantasie zurücktreten zu lassen. Frau Berthie Philipp […] hat trotzdem dieses Wagnis unternommen und sich sicherlich bemüht, ein möglichst getreues Bild von dem Grauen zu geben, das der Aufenthalt für sie und alle andern dort Eingeschlossenen bedeutete. Eine gewisse Naivität der Erzählung und die zu schwungvolle Ausdrucksweise stören aber nicht einmal zu sehr, da der Leser von der Schilderung der Zustände in dieser ‚Konzentrationsstadt‘ außerordentlich gepackt wird. […] Der Roman setzt den Zehntausenden, die Theresienstadt zum Opfer fielen, ein würdiges Denkmal. Nicht nur deswegen, sondern auch als Zeitdokument, wird er seinen Wert behalten“ (zitiert nach Schielzeth, S. 18f.).

Berthie Philipp hat selbst einige sehr wohlwollende und lobende Stimmen zu ihrem Werk in einer Art Presseschau zusammengestellt, so etwa aus der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ von 1950: „Hier ist nichts geschmeichelt und romantisiert, aber alles ist Herz und Mitgefühl. Philipps Roman ist nicht nur eine Anklage; man möchte sagen er sei vielmehr eine Mahnung zur Verständigung, zur Menschlichkeit und vor allem zu Ehren der Schuldlosermordeten, der Opfer einer Bestialität, der wir noch heute fassungslos gegenüberstehen. Der Roman unterscheidet sich von den Berichten und Beschreibungen des Kzs, weil hier nicht nur das menschliche ‚Du sollst nicht töten‘ ausgesprochen wird; ‚Die Todgeweihten‘ dringt tief in das Herz und Seele eines Menschen, durchwühlt und spendet ein ganz anderes neues Gefühl, größer als Mitleid und Trauer, edler als Verlangen nach Rache“ (Staatsarchiv Hamburg: Sig. 213-12_7786-15, o.Bl.). Die Leserin Frau A.L. aus Brüssel schrieb – offenbar an den Verlag: „Ich möchte nicht versäumen, Ihnen mitzuteilen, wie wunderschön ich das Buch ‚Die Todgeweihten‘ von Berthie Philipp gefunden habe. Es ist ein aussergewöhnlich spannendes und menschliches Buch. Ich wünsche nur, dass es den verdienten Erfolg hat, denn es gehört bestimmt zu den besten Büchern der letzten Zeit“ (Staatsarchiv Hamburg, Sig. 213-13_7786-14, o.Bl.).

Quellen:

  • „Dokumente zu Berthie Philipp“. In: Staatsarchiv Hamburg, Signatur 131-1 II_10625, o.Bl.
  • „Dokumente zu Berthie Philipp“. In: Staatsarchiv Hamburg, Signatur 213-13_7786 (14-15).
  • Philipp, Berthie. Die Todgeweihten. Hamburg 1949.
  • Schielzeth, Walther (Hg.): Zwei verdiente Hamburger. Berthie und Rudolf Philipp. Hamburg 1964.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger