Die unsichtbare Front (1944)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die unsichtbare Front
Autor Brøgger, Waldermar (1911-1991)
Genre Tatsachenbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1944, New York,Zürich
Titel Die unsichtbare Front

Erscheinungsort New York,Zürich
Erscheinungsjahr 1944

Verlegt von Europa Verlag
Gedruckt von Genossenschaftsdruckerei Zürich
Publiziert von Brøgger, Waldermar (1911-1991)
Umschlaggestaltung von Troyer, Johannes (1902-1969)

Umfang 200 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Unter dem Pseudonym Carsten Frogner veröffentlicht der Norweger Waldemar Brøgger 1944 noch während der Besetzung Norwegens durch die Nationalsozialisten seine Aufzeichnungen. In seiner politischen Kampschrift stellt er zwei Antagonisten gegenüber: Die norwegische Freiheitsfront, die gleich nach der Besetzung im April 1940 entstand, auf der einen Seite, und die geheime Polizei der deutschen Besatzungsmacht auf der anderen. Jeweils kontrastierend beschreibt er deren gegenläufigen Ziele, Grundsätze und Methoden.

Grundlage des Berichts sind die eigenen Erfahrungen Brøggers im Widerstand und seiner Haftzeit im norwegischen Konzentrationslager Grini, die der Autor jedoch verallgemeinert und generalisiert. Anhand von exemplarisch ausgewählten Vorfällen und Handlungen schildert er die Strukturen und Mechanismen des Widerstands sowie der Besatzermacht. Einzelne Geheimorganisationen und Personen bleiben dabei anonym oder erhalten einen fiktiven Vornamen. Diese Maßnahme sei notwendig, führt er im Vorwort aus, da er schwere Repressalien gegen die Betroffenen und die Organisationen befürchten müsse. Wiederholt betont Brøgger, dass das, was er schreibe, kein Roman sei, sondern Wirklichkeit, auch wenn er Umschreibungen benutze. Nach dem Krieg plane er jedoch, alles so zu beschreiben, wie es war, „und alle bei ihrem richtigen Namen nennen [zu] können“ (S. 13). Er habe jedoch mit der Veröffentlichung nicht bis Kriegsende warten wollen, da es sein Ziel sei, anderen Völkern die Erfahrungen des okkupierten Norwegens mitzuteilen.

Während der Autor im Vorwort persönlich in Erscheinung tritt und auch den Leser direkt anspricht, verweist er im eigentlichen Text nur an wenigen Stellen auf seine „persönliche Erinnerung“ (S. 82). So schildert er seine Angst bei einem Verhör: „Die Wahrheit ist – ich sehe es jetzt ganz deutlich –, daß ich Angst hatte. Nach außen war ich beherrscht, ich spielte mechanisch meine Rolle, aber im Innern war meine Seele durch eine tödliche Angst gelähmt“ (S. 83). Bei der Schilderung seiner Rekrutierung für den Freiheitskampf sowie der einige Monate später erfolgenden Verhaftung und Inhaftierung im Konzentrationslager vermeidet der Autor es dagegen, direkt in Erscheinung zu treten, und verwendet das distanzierende und verallgemeinernde ‚man‘: „Aber dann erwacht man eines Morgens, weil es an der Türe heftig läutet. Man zündet die Nachttischlampe an und sieht auf die Uhr. […] Zwei Männer stehen draußen, beide in Regenmänteln und weichen Hüten. ‚Geheime Polizei‘, sagen sie. ‚Kleiden Sie sich an und kommen Sie mit‘“ (S. 50). Er fährt fort: „Neunundsechzig Tage später (während des ersten halben Jahres berechnet ein Gefangener immer die Tage) wurde man ins Konzentrationslager übergeführt“ (S. 55).

Die Grundsätze von Freiheitsfront und geheimer Polizei werden als sich diametral gegenüberstehend beschrieben. Die geheime Polizei auf der einen Seite wolle ohne Rücksicht auf geltende Gesetze die eigenen Interessen sichern. Sie verfahre dabei nach den Grundsätzen, dass jeder, der nicht mitmache, dagegen und damit rechtlos sei. Er könne sogar mit dem Tode bestraft werden. Kein Gegner solle außerdem damit rechnen können, milder davonzukommen als andere: „Das große Zaubermittel heißt also Terror“ (S. 81), stellt Brøgger fest. Dabei seien die Errichtung eines Terror- und Misstrauenssystems durch Denunziationen und Willkür das wichtigste Glied. Die Besatzungsmächte bedienten sich dazu verschiedener Strategien, wie etwa der Etablierung eines Machtapparats, in dem der „Einzelne jedoch gewissermassen völlig machtlos ist“ (S. 38) und „keinen entscheidenden Einfluß auf eine Sache hat, sondern jeder besondere Fall immer von mehreren Funktionären, Büros und Abteilungen behandelt wird. Auch auf diese Weise wird der Apparat automatisch und menschlicher Beeinflussung entzogen“ (ebd.).

Das Ziel der Freiheitsfront sei es dagegen, unter strengster Berücksichtigung der unvergänglichen Gebote und Moral, den passiven Widerstand zu organisieren und die geheime Polizei in ihrer Arbeit zu behindern. Grundsätze dabei seien, dass jeder, der nicht dagegen sei, aktiv mitmachen solle, wer allerdings dagegen sei, das Recht verwirkt habe, sich nach dem Ende der Besatzung am freien politischen Leben zu beteiligen. Dennoch gelten die Gesetze des freien Staatswesens auch für diese Menschen, sodass sie nur nach Gesetz und Richtspruch verurteilt werden könnten. Die Freiheitsfront baue auf gegenseitigem Vertrauen auf: „Die Freiheitsfront ist ein Beispiel dafür, daß ein reifes und selbstbewußtes Volk unter besonderen Umständen imstande ist, sich selbst ohne Vertreter und gemeinsame Leitung zu regieren, einzig und allein auf Grund von Solidarität, Einigkeit und freiwilliger Disziplin“ (S. 174f., Hervorhebung im Original).

Darüber hinaus beschreibt Brøgger auch unterschiedliche Verhörsituationen und gibt Tipps zum Verhalten in solchen, ebenso wie zum möglichst unauffälligen Auftreten bei der Arbeit im Untergrund. Der Leser erfährt, wie man geheime Organisationen aufbaut und Widerstandstätigkeiten, etwa Sabotagehandlungen, ausübt. Er beschreibt auch die „Psychologie der Polizeifunktionäre“ (S. 149) und teilt diese in die drei Typen ein: den Idealisten, den „Arbeitsautomaten“ (ebd.) und den Zyniker. Der Idealist, der sich hauptsächlich unter den neueren Polizeifunktionären fände, wolle sich für die Sache, an die er glaube, opfern. Diejenigen unter ihnen, die im Laufe der Zeit geistig aufgegeben hätten und den großen Schwindel eigentlich nie durchschauten, würden zu ‚Arbeitsautomaten‘. Der Zyniker hingegen habe „Kraft seiner Intelligenz“ (S. 153) das Diktatursystem und die Ideologie durchschaut: „Er kann in einem geheimen Flugblatt nüchterne und wahrhafte Darstellungen lesen, die die Absichten der Machthaber und der geheimen Polizei betreffen; er weiß, daß jedes Wort wahr ist, und verspürt gleichzeitig einen eiskalten, unversöhnlichen Haß gegen ‚diese lügenhaften Propagandisten‘“ (S. 153f.).

Der deutschen Ausgabe des Buchs ist sowohl ein Vorwort zur schweizer als auch zur schwedischen Ausgabe vorangestellt. Karl Meyer hebt im Vorwort der schweizer Publikation hervor, dass das Buch den ersten Versuch bedeute, die Vorgänge in Brøggers besetzter Heimat in einem größeren Zusammenhang aufzuzeigen. Auch für die Schweizer sei das Buch von hoher Aktualität. Meyer ruft dazu auf, die Erkenntnisse des Buches zu beherzigen sowie als Warnung und Ansporn wahrzunehmen. Im Vorwort zur schwedischen Ausgabe erläutert Gustaf Stridsberg, dass „Die unsichtbare Front“ nicht nur Verhältnisse und Ereignisse in Norwegen beleuchte, sondern „in allen okkupierten Ländern während des jetzigen Krieges“ (S. 8). Der Verfasser wolle den Schweden sagen, dass sie sich diese Erfahrungen aneignen und nutzbar machen sollten.


Biografie

Waldemar Brøgger (geb. am 05.12.1911 in Stavanger/ Norwegen, gest. am 14.08.1991 auf Tjøme/ Norwegen) wurde als Sohn des Archäologen Anton Wilhelm Brøgger geboren. Sein Bruder war der in Norwegen bekannte Schriftsteller und Übersetzer Niels Christian Brøgger.

Brøgger war in seinem Heimatland als Schriftsteller, Journalist und Verleger tätig. Er schrieb Kriminalromane, historische Romane, historische und philosophische Bücher sowie Sachbücher.

Während der nationalsozialistischen Besatzungszeit in Norwegen wurde er verhaftet und von September 1941 bis März 1942 im Konzentrationslager Grini inhaftiert. 1943 konnte er nach Schweden flüchten. Dort entstanden einige Werke in schwedischer Sprache, etwa der Kriminalroman „Inom tolv timmar“ („Innerhalb von zwölf Stunden“), der die Liquidierung eines Gestapo-Offiziers in Stockholm thematisiert und mit Ingmar Bergman verfilmt wurde. Auch „Die unsichtbare Front“ verfasste und veröffentlichte er zunächst in schwedischer Sprache unter dem Pseudonym Carsten Frogner. Die Schrift diente Widerstandsbewegungen in weiteren von den Nationalsozialisten besetzten Ländern als Vorbild.

Ende der 1950er Jahre war Brøgger sehr erfolgreich mit einer Serie von Kriminalromanen zu einer Zeit, als der norwegische Kriminalroman eine Seltenheit war. Er schrieb außerdem Hörspiele für das norwegische Radio und war ein anerkannter Übersetzer. Seine bekannteste Übersetzung war die vollständige Übertragung von „Tausend und eine Nacht“ ins Norwegische.

Quelle:


Werkgeschichte

Zunächst wurde das Werk 1943 unter dem Pseudonym Carsten Frogner in schwedischer Sprache („Den osynliga fronten“) im Ljus Verlag publiziert. Eine weitere schwedische Ausgabe erschien in Dänemark. Noch im selben Jahr folgten Ausgaben in dänischer Übersetzung („Den usynlige front“) sowie in deutscher Übersetzung von Benedict Christ unter dem Titel „Die unsichtbare Front“ im Schweizer Europa Verlag. Die Schweizer Ausgabe wurde nach Angaben aus dem Text durch Benedict Christ gekürzt. 1944 erschien außerdem eine französische Übersetzung („Le front invisible“).



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger