Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager
Autor Frankl, Viktor E. (1905-1997)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1946, Wien
Titel Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Verlag für Jugend und Volk
Gedruckt von Druckerei Paul Gerin
Publiziert von Frankl, Viktor E. (1905-1997)
Umschlaggestaltung von Leo Friedrich

Herausgegeben von Tesarek, Anton (1896-1977)
Umfang 130 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Viktor E. Frankls autobiographisch geprägte Abhandlung entstand Ende 1945, ein Jahr nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager. Er beschreibt darin drei Phasen der Entmenschlichung, die Häftlinge nach der Aufnahme in ein KZ durchleben mussten. Frankl hat damit als erster Psychiater und Neurologe die Lager aus einer psychologischen Perspektive betrachtet und gehört mit Primo Levi zudem zu den ersten Überlebenden, die den ‚Verfall‘ der Humanität unter den Gefangenen beschreiben.

Mit ärztlichen und psychotherapeutischen Vorerfahrungen war Frankl 37-jährig zunächst in das Getto von Theresienstadt, 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz und anschließend in einige Außenlager des KZ Dachau gelangt. Seinem Bericht möchte er nur wenige autobiographische Details geben und beschränkt seine Schilderungen zudem auf die Erfahrungen im Konzentrationslager. Sie sollen vor allem eine beinahe wissenschaftliche Abhandlung und ein Beitrag zur medizinischen Anthropologie anhand einer Extremsituation sein, so stellt er zu Beginn fest. Tatsachenberichte über die KZ seien ja schon in genügender Zahl erschienen. Er wolle einerseits versuchen, für die Leser, die eigene KZ-Erlebnisse haben, diese mit wissenschaftlichen Methoden zu erklären, andererseits für diejenigen, die keine eigenen Erfahrungen hätten, diese verstehbar machen. Sein Anliegen sei es daher, eine „t e n d e n z i ö s e   F ä r b u n g“ (S. 14, Hervorhebung im Original) zu vermeiden und „aus dem hier dargebotenen Extrakt subjektiver Erlebnisse objektive Theorien herauskristallisieren zu lassen“ (ebd.). Da Psychologie wissenschaftliche Distanz erfordere, müsse es daher „darauf ankommen, zu versuchen, das sozusagen Private aus der Darstellung wo möglich auszuschließen, wo aber nötig – auch den Mut zu einer persönlichen Darstellung des Erlebens aufzubringen“ (S. 16f.).

Die – zumeist unpathetisch und nüchterne – Beschreibung der inneren psychologischen Vorgänge der Häftlinge nimmt folglich einen viel größeren Raum ein als die Schilderung der äußeren Umstände und Begebenheiten im Lager. Auch die Täter – die SS und die Lagerverwaltung – finden nur nebenbei und anonym Erwähnung. Es geht dem Autor um das Leiden der „u n b e k a n n t e n   L a g e r i n s a s s e n“ (S. 7, Hervorhebung im Original), zu denen er sich selbst zählt, da er im KZ nicht als Psychologe oder Arzt tätig gewesen sei: „Und ich sage nicht ohne Stolz, daß ich nicht mehr als solch ein ‚gewöhnlicher‘ Häftling – eben nichts als die bloße Nr. 119.104“ (S. 11) war. Frankl identifiziert drei Phasen der seelischen Reaktion des Häftlings auf das Lagerleben: die Aufnahme in das KZ, das eigentliche Lagerleben und das Seelenleben nach der Befreiung. Er analysiert dabei sowohl die seelische Veränderung der Häftlinge als auch die sich etablierenden sozialen Schichten und den Überlebenskampf der Einzelnen und Gruppen. Die Veränderungen der Häftlinge beschreibt er als nahezu zwangsläufige Abläufe.

Die erste Phase, die er als Aufnahmeschock bezeichnet, wird durch den menschenunwürdigen Transport in das Lager eingeleitet. Der Häftling ist gezwungen, einen Strich unter sein bisheriges Leben zu ziehen. Allmählich tritt eine gewisse Abstumpfung ein, der Tod verliert seinen Schrecken: „In Auschwitz fürchtet der Häftling, der noch im Schockstadium steht, den Tod ganz und gar nicht; ihm ist in den ersten Tagen seines Aufenthaltes die G a s k a m m e r längst kein Schrecken mehr, in seinen Augen stellt sie   l e d i g l i c h   e t w a s   d a r ,  w a s   d e n   S e l b s t m o r d   e r s p a r t“ (S. 28, Hervorhebung im Original). Nach dem ersten Stadium des Schocks folgt die Phase der „relativen Apathie“ (S. 30) mit einer großen Sehnsucht nach den Lieben Zuhause und einem Ekel vor allem, was den Häftling umgibt. Das Absterben der Gefühlsregungen schreitet immer weiter voran. Diese Apathie, so Frankl, sei ein notwendiger Selbstschutzmechanismus der Psyche. Die einzige Aufgabe sei nur noch die Lebenserhaltung und damit verbunden der Nahrungstrieb. Daher sei das „ganze Seelenleben auf eine gewisse primitive Stufe hinuntergeschraubt“ (S. 41). Ebenso seien geistige und kulturelle Fragen weitestgehend irrrelevant. Ausgenommen davon sieht er religiöse und politische Interessen, die gerade eine besondere Bedeutung erhalten könnten. Neben der Apathie sei vor allem Gereiztheit das hervorstechendste Merkmal der Häftlingspsyche, maßgeblich bedingt durch Hunger und Schlafmangel. Auch der Verzicht auf Nikotin und Coffein förderten diesen Zustand noch.

Manchem empfindsamen Häftling könne eine„Flucht nach innen helfen, das Lagerleben zu überstehen. Die Liebe könne ebenfalls ein solcher Anker sein. Frankl etwa führt imaginäre Gespräche mit seiner Frau, obwohl er nicht einmal weiß, ob sie noch lebt. Er stellt fest, „daß Liebe irgendwie das Letzte und das Höchste ist, zu dem sich menschliches Dasein aufzuschwingen vermag“ (S. 53). Frankl spricht auch von einer „gewisse[n] Relativität allen Leidens“ (S. 62). So fülle das Leid die Seele des Menschen zwar aus – unabhängig davon, ob dieses Leid nun groß oder klein sei. Daraus ergebe sich jedoch auch, dass auch kleine Dinge die größte Freude bereiten könnten. Als Beispiel führt er die Begeisterung der Häftlinge auf einem Transport an, als sie merken, dass die Fahrt „,nur‘ n a c h   D a c h a u“ (S. 63, Hervorhebung im Original) geht: „Es gab im Lager eben keinen ‚Kamin‘, und Auschwitz war weit ...“ (S. 64).

Kunst und Spaß helfen kurzfristig zu vergessen: „Auch der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung“ (S. 61), stellt Frankl fest. Denn Humor schaffe Distanz und die Möglichkeit, sich über die Situation zu stellen. Der Versuch, in der Masse unterzugehen und nicht aufzufallen – ein gewisses Herdendasein also – , sei ein weiterer Selbstrettungsversuch. Wesentliches Merkmal dieser zweiten Phase sei auch der Verlust des Gefühls, ein Subjekt zu sein, stattdessen empfinde der Häftling sich als Objekt des Schicksals. Während die Mehrheit der Häftlinge daher von einer Art Minderwertigkeitskomplex geplagt sei, entwickelten die ‚Prominenten‘, die Kapos und Köche, die Magazinverwalter und ‚Lagerpolizisten‘ dagegen jedoch „mitunter geradezu einen C ä s a r e n w a h n   e n   m i n i a t u r e“ (S. 88, Sperrung im Original).

Trotz alledem, so betont Frankl, müsse der Häftling nicht zwangsläufig diesen Einflüssen vollständig unterliegen: „Es gäbe Beispiele genug, oft heroische, welche bewiesen haben, […] daß also ein Rest von geistiger F r e i h e i t,   v o n   f r e i e r   E i n s t e l l u n g   d e s   I c h   z u r   U m w e l t   a u c h   n o c h   i n   d i e s e r   s c h e i n b a r   a b s o l u t e n   Z w a n g s l a g e   ä u ß e r e n   w i e   i n n e r e n,   n o c h   f o r t b e s t e h t“ (S. 92, Hervorhebung im Original). Was das Lager seelisch aus dem Menschen mache, sei schließlich also auch das Ergebnis einer inneren Entscheidung, der geistigen Freiheit des Menschen. Diese gebe dem Menschen die Möglichkeit, dem Leben Sinn zu geben. Anderen Menschen dabei zu helfen, sieht Frankl als seinen persönlichen Sinn im Leben.

Der letztliche Grund für die Deformierung des Menschen im KZ sei also, so schließt er, das Fehlen eines inneren Halts. Dieser werde erschwert durch die Tatsache, dass der Häftling keinen Entlassungstermin kenne, dass der Mensch also nicht auf die Zukunft hin existieren könne und das gesamte Zeiterleben paradox erfahre: „I m   L a g e r   d a u e r t   e i n   T a g   l ä n g e r   a l s   e i n e   W o c h e“   (S. 100, Hervorhebung im Original). Wer jedoch im Lager an eine Zukunft nicht mehr glaube, sei verloren. Jeder Versuch, Menschen im KZ innerlich wieder aufzurichten, setze voraus, dass es gelinge, sie wieder auf ein Ziel in der Zukunft auszurichten.

Die dritte Phase befasst sich mit der Psychologie des aus dem Lager entlassenen Häftlings. Der seelischen Anspannung im KZ folge nach der Befreiung „nun eine totale innere Entspannung“ (S. 122). Der Häftling könne die Freiheit jedoch noch nicht wirklich gefühlsmäßig erfassen. Frankl nennt diesen Zustand „Depersonalisation“ (S. 124). Aus den Objekten von Macht, Gewalt und Willkür würden nun wieder Subjekte. Wegen der plötzlichen „Druckentlastung“ (S. 126) drohen dem entlassenen Häftling auch hier Gefahren in seelischer Hinsicht. Verbitterung und Enttäuschung könnten die Folge sein.

Frankl befasst sich in seinem Text auch wiederholt mit der Psychologie der Kapos und Lagerwachen. Er führt aus, dass darunter besonders viele Sadisten im klinischen Sinne zu finden seien. Hinzu käme, dass gerade oft die brutalsten und egoistischsten Individuen überlebten: „Psychologisch, charakterologisch sind diese Capo-Typen daher auch so zu beurteilen wie die SS bzw. die Lagerwache“ (S. 8). Im Durchschnitt haben sich diejenigen am Leben erhalten können, die im Kampf um die Lebenserhaltung skrupellos waren und vor unredlichen Mitteln nicht zurückgeschreckt haben. Man könne also ruhig sagen: „[D]ie Besten sind nicht zurückgekommen“ (S. 10), so Frankls Fazit. Dennoch, so betont er am Ende der Abhandlung, dürfe man auch hier keine pauschalen Urteile fällen: „D a s   L e b e n   i m   K o n z e n t r a t i o n s l a g e r   ließ zweifelsohne e i n e n   A b g r u n d   in die äußersten Tiefen des Menschen aufbrechen. Soll es uns da wundern, daß i n   d i e s e n   T i e f e n   a u c h   w i e d e r   n u r   d a s   M e n s c h l i c h e   sichtbar wird? Das Menschliche als das, was es ist, – als eine Legierung von gut und böse!“ (S. 122, Hervorhebung im Original)


Biografie

Viktor E. Frankl (geboren am 26.03.1905 in Wien, gestorben am 02.09.1997 in Wien) wurde als zweites von drei Kindern in eine fromme jüdische Familie geboren, die über Generationen viele Rabbiner hervorgebracht hat. Die Mutter stammte aus Prag, der Vater – Direktor im Ministerium für soziale Verwaltung – aus Südmähren. Frankl besuchte das Wiener Sperlgymansium und beschäftigte sich bereits früh mit Philosophie und Psychologie. Er korrespondierte mit Sigmund Freud und schrieb seine Abiturarbeit über „Die Psychologie des philosophischen Denkens“. Nach dem Abitur studierte er Medizin und nebenbei auch Philosophie und Psychologie. Seine anfängliche Begeisterung für Sigmund Freud ging zunächst auf den Individualpsychologen Alfred Adler, später auf Max Scheler über. Bereits als 21-Jähriger publizierte er erste Fachartikel und hielt Vorträge. 1926 sprach er bereits über Logotherapie als sinnzentrierte Psychotherapie, die den Menschen helfen sollte, ihren individuellen Lebenssinn zu entdecken und ihre ureigene Aufgabe in der Welt zu übernehmen. Wesentliches Merkmal des Ansatzes ist die Freiheit des menschlichen Geistes, die Welt zu gestalten und mitzuformen.

Schon als Medizinstudent arbeitete er in den von Alfred Adler initierten Erziehungs- und Jugendberatungsstellen mit. Sein Anliegen war es insbesondere, Selbstmorde unter Jugendlichen zu verhindern. Nach Abschluss des Studiums spezialisierte sich Frankl zum Psychiater und Neurologen und arbeitete ab 1933 in der psychiatrischen Klinik am Steinhof, wo er die Abteilung für suizidgefährdete Patientinnen leitete. 1937 ließ er sich mit einer eigenen Praxis nieder.

Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs wurde ihm 1938 aufgrund seiner jüdischen Herkunft untersagt, arische Patienten zu behandeln. 1940 übernahm er die Leitung der neurologischen Abteilung des Rothschild-Spitals, des einzigen Krankenhauses, in dem in Wien noch jüdische Patienten behandelt werden konnten. Auch hier stand die Suizidfrage im Zentrum von Frankls Tätigkeit. Einige seiner Gutachten aus dieser Zeit sollen Patienten davor bewahrt haben, dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm zum Opfer zu fallen.

Viktor Frankl hoffte auf eine Emigration in die USA. Im November 1941 erhielt er das ersehnte Visum, zögerte jedoch aus Sorge um seine Eltern die Abreise hinaus bis dieser Weg versperrt war. Im Dezember 1941 heiratete er seine Freundin Tilly Grosser, eine Stationsschwester des Rotschild-Spitals, die vierzehn Jahre jünger war als er. Er begann mit der Niederschrift seines Buches „Ärtzliche Seelsorge“.

Er selbst, seine Frau sowie seine Eltern wurden am 25. September 1942 in das Getto Theresienstadt deportiert. Seine Schwester war zuvor nach Australien entkommen und sein Bruder Walter befand sich mit seiner Frau auf der Flucht in Italien.

Frankl arbeitete – getrennt von seiner Familie – in Theresienstadt als Arzt und war daher besser gestellt als die meisten anderen Häftlinge. Er wohnte zusammen mit Ärzten und war Leiter eines psychologischen Beratungsdienstes, des ‚Referats für psychische Hygiene‘. Er baute eine Interventionsgruppe zur Verhinderung von Suiziden auf und hielt zahlreiche Vorträge. Diese Zeit bezog er jedoch nicht in seinen Bericht über die Konzentrationslager mit ein.

Sein Vater starb 82-jährig am 13. Februar 1943 im Getto. Frankl und seine Frau erhielten Mitte Oktober 1944 die Aufforderung zum Osttransport. Frankl nähte einen Durchschlag des Manuskripts in das Futter seines Mantels ein. Das Manuskript ging jedoch verloren. Am 19. Oktober 1944 wurden sie von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht, vier Tage später folgte seine Mutter, die dort sofort getötet wurde. An der Rampe wurde er von seiner Frau getrennt, sie starb später in Bergen-Belsen nach der Befreiung durch die britischen Truppen.

Seine Erinnerungen an die Ankunft in Auschwitz schrieb Frankl erstmal in seinen 1995 publizierten Lebenserinnerungen „Was nicht in meinen Büchern steht“ auf. Der Grund sei, so legt er dar, dass er sich nicht sicher sei, ob er es sich nicht „vielleicht nur einrede“ (Frankl 1995, S. 71). In seiner Erinnerung sei er von Mengele bei der Selektion am Bahnhof von Auschwitz zunächst für die Vergasung selektiert worden. Er sei jedoch hinter dem Rücken von Mengele nach rechts gegangen.

Wahrscheinlich war Viktor Frankl nur zwei Tage in Auschwitz, bevor er nach Kaufering, einem Außenlager des KZ Dachau, transportiert wurde. Hier musste er fünf Monate lang auszehrende Erdarbeiten verrichten. Am 8. März 1945 kam er in das ebenfalls zu Dachau gehörende Lager Türkheim. Hier starb er beinahe an einer Fleckfieberinfektion und versuchte, sein Buch „Ärztliche Seelsorge“ stenografisch zu rekonstruieren. Am 27. April 1945 wurde er dort von der US-Armee befreit. Im August kehrte er nach Wien zurück. Innerhalb weniger Tage erfuhr er dort vom Tod seiner Frau, seiner Mutter und seines Bruders, die in Auschwitz und dessen Nebenlagern ums Leben kamen. Ende 1945 erschien sein Buch „Ärztliche Seelsorge“ in Wien, 1946 der Bericht „Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager“.

1947 heiratete er Eleonore Schwindt, im Dezember wurde die Tochter Gabriele geboren. Außerdem veröffentlichte er sein Werk „Psychotherapie in der Praxis“ sowie zwei weitere Bücher. Er wurde 1948 mit einer philosophischen Dissertation über das Thema „Der unbewusste Gott“ promoviert und war als Privatdozent für Neurologie und Psychiatrie an der Wiener Universität tätig. 1950 gründete er die „Österreichische Ärztegesellschaft für Psychotherapie“, deren erster Präsident er wurde. Sein Buch „Logos und Existenz“ erschien 1951 im Amandus Verlag und rundete die Grundlage der Logotherapie ab. Diese wird auch die ‚Dritte Wiener Richtung‘ nach der Psychoanalyse von Freud und der Individualpsychologie von Alfred Adler genannt.

1955 wurde er Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, hatte aber auch Gastprofessuren in Harvard, Dallas und Pittsburgh inne. Von Universitäten in aller Welt wurden ihm 29 Ehrendoktorate verliehen. Neben zahlreichen Würdigungen und Auszeichnungen wurden ihm 1995 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien sowie das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. 1992 wurde in Wien das „Viktor-Frankl-Institut“ gegründet, dessen Vorstand sich aus akademischen Freunden und Familienmitgliedern Frankls zusammensetzt. 1995 veröffentlichte er seine Autobiographie „Was nicht in meinen Büchern steht“, die englische Übersetzung erschien 1997 unter dem Titel „Viktor Frankl-Recollections“. Insgesamt hat er mehr als 30 Bücher geschrieben, die in weit über 20 Sprachen übersetzt wurden. „Man's search for meaning“ ist sein erfolgreichstes Buch und wurde weltweit 12 Millionen Mal verkauft. Das letzte Buch Frankls erschien 1997. Viktor Frankl war in seiner Freizeit begeisterter Bergsteiger und Alpinist. Mit 67 Jahren machte er auch den Pilotenschein.

Quellen:


Werkgeschichte

Ende 1945 erschien Viktor Frankls Buch „Ärztliche Seelsorge“ in Wien und war innerhalb weniger Tage ausverkauft. Es umfasste auch ein Kapitel, in dem er auf seine Erfahrungen im Konzentrationslager und die Psychologie der KZ einging. Dieses Kapitel weitete er aus und diktierte den Bericht „Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager“ in Wien innerhalb von neun Tagen, mit der Intention, ihn ohne Name des Verfassers, sondern nur mit der Häftlingsnummer zu veröffentlichen. Auf dem Umschlag der ersten Auflage fehlt daher der Name des Verfassers. Seine Freunde überredeten ihn jedoch, „für seinen Inhalt mit meinem Namen einzustehen“ (Frankl 1995, S. 84). Diesem Argument und ihrem Appell an seinen Mut habe er sich dann schließlich nicht entziehen können, führt Frankl aus. Er fährt fort: „Ist es nicht eigenartig, daß jenes unter meinen Büchern, das ich garantiert in dem Bewußtsein schrieb, es würde anonym herauskommen und könnte mir zu keiner Zeit persönlichen Erfolg einbringen – daß gerade dieses Buch zu einem Bestseller avancierte, Bestseller auch für amerikanische Begriffe?“ (ebd., S. 85) Er widmete die Publikation seiner ermordeten Mutter. Die folgenden Ausgaben ab 1947 wurden dann unter dem Titel „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ in Deutschland bis 2010 in zahlreichen Auflagen und insgesamt über 110.000 Exemplaren vor allem im Münchner dtv-Verlag sowie im Münchner Kösel-Verlag aufgelegt.

Der Bericht wurde 1953 auf Englisch unter dem Titel „Man‘s Search for Meaning“ publiziert. Bis 1997 wurden mehr als 9 Millionen Exemplare in mehr als 24 Sprachen verkauft. In einer Umfrage der „Library of Congress“ in Washington und dem „Book of the Month Club“ von 1991 wurde das Buch zu einem der einflußreichsten Bücher in Amerika gewählt. In den USA wurde es mehrmals „Buch des Jahres‘ und gehörte zur Pflichtlektüre an Colleges, wie auch Frankl in seinen Erinnerungen hervorhebt. Er berichtet weiter von einem Besuch bei dem Philosophen Karl Jaspers, der ihm gesagt habe, dass sein ‚KZ-Buch‘ zu den wenigen großen Büchern der Menschheit gehöre (ebd., S. 92). In Österreich erschien ein Auszug aus „Ein Psycholg erlebt das Konzentrationslager“ in einem Sammelband unter dem Titel „Wir schweigen nicht. Dokumentarische und literarische Aussagen zur Zeitgeschichte“, des Wiener Verlags für Jugend und Volk. Der Klappentext des Buches weist darauf hin, dass der Band vom Bundesministerium für Unterricht vom 31.Dezember 1964 als „Lehrbehelf zum Unterrichtsgebrauch in den 8. Klassen der Mittelschulen, in den 4. und 5. Jahrgängen der Lehrer(innen)bildungsanstalten, in den Aufbaurealgymnasien, in den Gymnasien und Realgymnasien für Berufstätige, den 4. und 5. Jahrgängen der berufsbildenden höheren Schulen, in den Bildungsanstalten für Kindergärtnerinnen sowie in berufspädagogischen Lehranstalten“ zugelassen sei (Gross, Schnell 1965, o.S.).

Frankls Text, der ein Beitrag zur medizinischen Anthropologie anhand einer Extremsituation sein soll, ist jedoch auch immer wieder kritisiert worden. Problematisiert wird Frankls Tendenz zur Generalisierung individueller Erfahrung und die vor allem zu Beginn des Berichts vorgenommenen Stereotypisierungen von Häftlingskategorien. Frankl wurde seit Mitte der 1980er Jahre auch vorgeworfen, er habe die Erfahrung ‚Auschwitz‘ für sich in Anspruch genommen, obwohl seine Auschwitz-Erfahrungen ja tatsächlich begrenzt gewesen seien, da er nur wenige Tage dort verbracht habe. Kritisiert wurde ebenfalls, dass er die Entscheidungsmöglichkeit des einzelnen Häftlings überzeichnet habe.


Quellen:



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger