Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland (1934)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland
Autor Körber, Lili (1897-1982)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1934, Wien
Titel Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1934

Verlegt von Verlag der Buchhandlung Richard Lányi

Publiziert von Körber, Lili (1897-1982)

Umfang 313 Seitem

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Roman erzählt die Anfänge des Nationalsozialismus anhand der Geschichte der fiktiven jüdischen Theaterschauspielerin Ruth Gompertz zwischen Sommer 1932 bis April 1933, wenige Wochen nach den Reichstagswahlen. Er beruhe, so verbürgt sich die Autorin eingangs, auf „durchaus authentisch und quellenmäßig belegbar[em] [...] Tatsachenmaterial“ (S. 6). Körber montiert zeitgenössische Quellen in die fiktionale Erzählung und streut Buchtitel der damaligen Zeit ein; sie zitiert aus der Presse und übernimmt Texte aus amtlichen Bekanntmachungen. Mit der Charakterisierung der Romanfiguren entwirft Körber ein kleines Panorama der Gesellschaft, die den Aufstieg der Nationalsozialisten ermöglichte. Neben den Hauptfiguren mit ihren fiktiven Namen werden eine Vielzahl an realen Künstlern, historischen und zeitgenössischen Persönlichkeiten sowie literarischen Figuren benannt. Der Leser erhält außerdem einen Überblick über die politischen und kulturellen Ereignisse der erzählten Zeit. Grundlegendes Thema des Romans ist die Auseinandersetzung der Protagonistin mit den Möglichkeiten von Selbstbestimmung als Jüdin und Frau im nationalsozialistischen Staat, die für sie zum existentiellen Problem werden. Die assimilierte Jüdin Ruth, die weder politische Ideen noch religiöse oder traditionelle Bindungen hat, scheitert an der Unmöglichkeit, eine Lebensalternative zu finden.

Der Roman wird häufig der ‚Neuen Sachlichkeit‘ zugeordnet. Bereits der Titel „Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland“ weist auf den nüchternen und berichtenden Stil der Erzählung hin. Er wird durch eine personal und auktorial gemischte Erzählhaltung vermittelt und über weite Strecken durch Gespräche, die Ruth führt, getragen. Direkte und erlebte Rede sowie innere Monologe prägen den Erzählstil und bringen Ruths innere Haltung zum Ausdruck. Mit dem engen Figurenkreis sowie den wenigen, immer wiederkehrenden Handlungsorten erinnert der Roman vor allem zu Beginn oft an ein Theaterstück. So treten im ersten Kapitel mit dem Titel ‚Vorspiel‘, das in einer Studentenpension in Jena im Sommer 1932 spielt, viele der für den Roman relevanten Figuren erstmals kurz auf. Die Szenen zeigen, wie das „vielstimmige Deutschland an der Schwelle des dritten Reichs [...] lebte, liebte, starb und stritt“ (S. 33). Einige Passagen erinnern an Regieanweisungen aus einem Drehbuch: „Frau Lemke hat sich todmüde hingelegt ... Rabinowitsch sitzt noch immer im Salon, unbeweglich wie eine Holzpuppe, hager, mit eingefallenen Backenknochen, qualmt und qualmt und schaut in die verblassenden Sterne ... die kleine Annemie lächelt im Schlaf“ (S. 33).

In Jena lernt die Jüdin Ruth Gompertz ihren zukünftigen ‚arischen‘ Mann Arnold Borchardt kennen. Von Anfang an steht die Sorge Ruths im Raum, dass ihre jüdische Herkunft Arnolds Liebe zu ihr gefährden könne. Sie fragt ihn, ob es ihn nicht störe, dass sie Jüdin sei. Arnold will jedoch schlafen und fordert sie auf: „Also sei schon endlich still. Komm her. So. Und nun schlaf“ (S. 33).

Die Tragödie dieser ‚Mischehe’, die mit Ruths Selbstmord endet, beginnt wenige Monate später in Berlin mit der ‚Beinaheverweigerung‘ eines völkisch gesinnten Standesbeamten, die Eheschließung von Ruth Gompertz und Arnold Borchardt vorzunehmen. Ruths Alltag, die Arbeit am Theater und ihre Ehe mit dem ehrgeizigen Arnold sind dem zunehmenden Terror des NS-Regimes ausgesetzt. Ihre Nachbarin Klara wird wegen ihres ‚jüdischen Aussehens‘ entlassen. Ihr Schwager Walter verliert seine Anstellung als Arzt. Ruth selbst erhält wenig später Auftrittsverbot. Selbst aus Deutschland emigrierte Juden haben Angst, öffentlich auf die Missstände hinzuweisen, aus Angst die in Deutschland verbliebenen Familienmitglieder könnten wegen der sogenannten ‚Gräuelpropaganda im Ausland‘ Repressalien ausgesetzt sein.

Die Vernichtung ihrer eigenen beruflichen Existenz, die Gleichgültigkeit ihres Mannes und die Unfähigkeit, dem wachsenden Grauen Widerstand entgegenzusetzen, lassen Ruth zunehmend verzweifeln. Sie wird jedoch auch aus ihrer bisherigen politischen Lethargie gerissen. Der Denkprozess wird vornehmlich durch Ruths Bekannte und Verwandte ausgelöst. So erscheint es ihrer Schwägerin Trude nur gerecht, dass Juden die Benutzung öffentlicher Tennisplätze und Schwimmbäder nun verboten ist. Auch Arnold findet solche Maßnahmen durchaus gerechtfertigt. Sie beträfen ja nur die ‚schlechten‘ Juden und nicht die assimilierten Juden wie seine Frau. Sowohl Arnold als auch die Schwägerin geben stereotype und von der nationalsozialistischen Rassentheorie geprägte Bilder des Juden unreflektiert wieder. Ruth erscheinen diese Haltungen zunehmend naiv und trügerisch, zumal sich das ganze Rassekonzept schon am Beispiel ihrer Ehe als nicht tragfähig erweist: „Die Arier von heute sind ein Amalgam aus hundert Rassen, deren besondere Züge sich längst verwischt haben. [...] Die heutigen Juden sind aber keine reinen Semiten mehr. Sie haben durch Ehen mit Nichtjuden [...] kräftige Zuschüsse von sogenanntem arischen Blut erhalten“ (S. 202f.).

Ruths Kritik am Nationalsozialismus bleibt jedoch passiv und handlungsleer. Alternative Reaktionen und mögliche Auswege bietet der Roman dennoch auch. So kommt Ruth in Kontakt mit Sozialdemokraten und Marxisten, die den Kampf gegen Hitler noch nicht aufgegeben haben. Besonders beeindruckt sie ihre Schauspielerkollegin Irma Fink und deren Mann Georg Fink, ein bekannter Marxist, der wenig später auf der Flucht erschossen wird. Irma setzt den aktiven Widerstand aus dem Exil in den Niederlanden fort. Ruths Schwester Hanna entscheidet sich für eine Übersiedlung nach Palästina. Beide Handlungsmöglichkeiten – Widerstand oder Emigration – sind für Ruth keine Alternativen. Als eine an die deutsche Sprache gebundene Künstlerin lehnt sie ein Exil ab – selbst dann, als sich ihr ein konkretes Angebot bietet.

An der Beziehung zu Arnold kann man den Grad des Bewusstwerdens ihrer Lage erkennen. Auch das Eheleben bietet zunehmend keinen schützenden Raum mehr. Zwischen den Eheleuten Gompertz nimmt das Unverständnis füreinander ständig zu, eine Kommunikation findet kaum noch statt. Arnold, der zwar mit den Nationalsozialisten sympathisiert, aber im Grunde ein unpolitischer Mensch, Opportunist und Mitläufer ist, möchte politische Auseinandersetzungen mit seiner Frau jedoch lieber meiden. Die Situation eskaliert, als Arnold zunächst auf den Posten eines entlassenen Juden befördert werden soll. Als herauskommt, dass er eine Jüdin zur Frau hat, scheitert die Beförderung jedoch.

Ruth isoliert sich nun immer mehr von ihrer Umwelt. Die zunehmende Verwirrung und Verzweiflung der Protagonistin werden auch sprachlich sichtbar gemacht durch abgerissene Fragen, Ausrufe und Satzfragmente: „Die Fahnen, die aus den Fenstern wehen und jetzt schwarz aussehen, sind Hakenkreuzfahnen oder bestenfalls schwarz-weiß-rot … Welche ist meine Fahne? Ich habe keine! Warum quält man mich so … ach, warum quält man mich so …?“ (S. 173) Sie muss sich eingestehen, dass sie den Veränderungen ihres Alltags beruflich und privat nicht entgehen kann. Schließlich bleibt ihr als letzter Ausweg nur noch der Selbstmord mit einer Waffe, die sie ihrem nationalsozialistischen Schwager entwendet hat.


Quellen:

  • Bender, Daniela: Antifaschistische Frauenromane. Unveröffentlichte Wissenschaftliche Arbeit für die Zulassung zur wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasium. Universität Stuttgart 1991.
  • Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Nachlass Lili Körber.
  • Seo, Yun Jung: Frauendarstellungen bei Adrienne Thomas und Lili Körber. Marburg 2002, S. 162-184.


Biografie

Lili Körber, Pseudonym Agnes Muth (geb. 25.02.1897 in Moskau, gest. 11.10.1982 in New York City), wurde als Tochter einer polnischen Mutter und des österreichischen Exportkaufmanns Ignaz Körber geboren. Die Familie war wohlhabend und konnte sich für die Tochter französische Erzieherinnen leisten. Körber wuchs dreisprachig mit Deutsch, Russisch und Französisch auf. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde ihr Vater als Ausländer in Russland verhaftet, im Kriminalgefängnis Butyrki inhaftiert und nach einigen Tagen nach Zarizeno (Wolgograd) deportiert. Man verdächtigte ihn der Spionage. Nach seiner Freilassung musste die Familie 1915 das Land verlassen. Zunächst fuhr sie nach Berlin, die Eltern beschlossen jedoch, nach Zürich zu ziehen, um dort die Rückkehr nach Moskau abzuwarten. Nach der Abdankung des Zaren und der Oktoberrevolution beschloss der Vater in Wien zu leben. Körber blieb noch für ein Jahr in der Schweiz, legte ihr Abitur ab und studierte zwei Semester Literaturgeschichte in Genf, bevor auch sie nach Wien zog und dort ihr Studium fortsetzte. An der sehr konservativen Universität fühlte sie sich jedoch fremd. Sie wechselte nach Frankfurt am Main, wo sie 1923 mit einer Arbeit über die Lyrik Franz Werfels den Doktorgrad erwarb. Anschließend kehrte sie nach Wien zurück. Hier war sie journalistisch für die ‚Arbeiter-Zeitung‘ tätig. 1930 schloss sie sich einer Schriftstellerdelegation an, die vom Staatsverlag in Moskau eingeladen worden war. Körber war angetan von den Visionen und Einstellungen der russischen Arbeiterschaft. Sie fuhr nach Leningrad und ließ sich als Bohrerin in einer Traktorfabrik anstellen. Aus ihren Erlebnissen entstand der Tagebuch-Roman „Eine Frau erlebt den roten Alltag“. Der Roman, der 1932 im Rowohlt-Verlag erschien, wurde ein Erfolg und war schnell ausverkauft. In England wurde er unter dem Titel „Life in a Soviet Factory“ veröffentlicht. Im Januar 1933 besuchte Körber Berlin und schrieb unter dem Eindruck der heraufziehenden Herrschaft der Nationalsozialisten den Roman „Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland“. 1935 unternahm sie Reisen nach China und Japan, über die sie in ihren Büchern „Begegnungen im fernen Osten“ und „Sato-san, ein japanischer Held“ (eine Parodie auf den Faschismus) berichtete. Im März 1938 emigrierte Körber nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten über die Schweiz nach Frankreich. Hier schrieb sie ihren Roman „Eine Österreicherin erlebt den Anschluss“, ein Tagebuch eines Arbeitermädchens, deren Freund Jude ist. Diesmal benutzte sie das Pseudonym Agnes Muth, um ihre Familie in Österreich nicht zu gefährden. In Paris arbeitete Körber auch für das ‚Pariser Tagblatt‘. Ihr Freund, der Soziologe Eric Grave, eigentlich Eric Goldschmidt, konnte ihr im Juli 1938 illegal nach Paris folgen. Beide bekamen eine zweijährige Aufenthaltsbewilligung für Lyon. Als der Krieg ausbrach wurde Eric Grave interniert, im Sommer 1940 nach der deutschen Invasion jedoch wieder freigelassen. Lili Körber und er heirateten. Über das ‚International Rescue Committee‘ erhielten sie zwei der Visa, die Präsident Roosevelt den Kämpfern gegen den Faschismus bewilligt hatte. Im Juni 1941 trafen sie in New York ein. Der Neubeginn war ausgesprochen schwierig und massive finanzielle Nöte belasteten sie. Körber war zwar dreisprachig aufgewachsen, aber Englisch zählte nicht zu ihren Sprachen. So schlug sie sich anfangs hauptsächlich mit Russischunterricht und Fabrikarbeit durch. Körber nahm eine Stelle in einer Büstenhalterwerkstatt an und trat der ‚International Ladies Garment Workers Union‘ bei. Ihr literarisches Schaffen setzte sie fort. Sie schrieb zahlreiche Artikel, unter anderem für die New Yorker ‚Volkszeitung‘, das Zürcher ‚Volksrecht‘, die ‚Wiener Arbeiter-Zeitung‘ sowie den Pariser ‚Gavroche‘. Sie schrieb den Roman „Ein Amerikaner in Rußland“, in dem sie ihre Erfahrungen mit dem Stalinismus thematisiert. Eine schwere Operation ihres Mannes regte sie dazu an, 1949 eine Ausbildung zur Krankenschwester zu machen. Viele Jahre arbeitete sie dann in diesem Beruf. Auch verarbeitete sie ihre Erfahrungen schriftlich. Ihr autobiografischer Roman „Call me nurse“ blieb jedoch unveröffentlicht. Wenige Jahre vor ihrem Tod entdeckte Viktoria Hertling, eine US-Germanistin, Lili Körbers Werk und machte einige Interviews mit ihr, sodass sie nicht vollends in Vergessenheit geriet und entsprechend ihr Nachlass gesichtet wurde. Allerdings verbrannte Lili Körber kurz vor ihrem Tod ihr Tagebuch.

In einem Nachruf von Franzi Ascher-Nash schreibt diese über ihre Freundin Lili Körber: „[…] sie war bis zum letzten Atemzug ein pikantes ‚Enfant terrible. Ihr Geist war scharf und traf ins Schwarze, zutreffend, vielleicht zu treffend – und so mancher Unbeschwingte war leicht verletzt. […] [H]eute mag ihr Lebenswerk mehr oder minder im Dunkel sein. Es wird auferstehen, wie alles, was gekonnt und echt ist“ (DNB Frankfurt, Exilarchiv, Nachlass L. Körber).

Quellen:

  • „Abschied von meiner Freundin Lili Körber - von Franzi Ascher-Nash“. In: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv, Nachlass Lili Körber, Signatur EB 2005/029, o.S.
  • Gürtler, Christa und Sigrid Schmid-Bortenschlager: Erfolg und Verfolgung. Österreichische Schriftstellerinnen 1918-1945, S. 247-255.
  • Lemke, Ute: Lili Körber: Von Moskau nach Wien. Eine österreichische Autorin in den Wirren der Zeit (1915-1938), Siegen 1999.
  • „Lili Körbers Biographie“. In: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv, Nachlass Lili Körber, Signatur EB 2005/029, o.S.
  • „Meine Biografie / Lili Körber“. In: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv, Nachlass Lili Körber, Signatur EB 2005/029, o.S.
  • Seo, Yun Jung: Frauendarstellungen bei Adrienne Thomas und Lili Körber. Marburg 2002, S. 129-134.
  • Wolf, Herta: „Lili Körber – Eine Emigration in die Vergessenheit“. In: Holzner, Johann/Scheichl, Sigurd Paul und Wolfgang Wiesmüller (Hg.): Eine schwierige Heimkehr. Österreichische Literatur im Exil 1938-1945. Innsbruck 1991, S. 285-298.


Werkgeschichte

Anfang 1933 erhielt Körber, die zu dieser Zeit in Leningrad lebte, eine Einladung nach Amsterdam. Als Zwischenstation hielt sie sich kurz vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einige Zeit in Berlin auf. Die Atmosphäre erschütterte sie. Unter diesen Eindrücken schrieb sie in Wien den Roman „Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland“. Es war eines der ersten Bücher, das in Österreich gegen Hitler geschrieben wurde. Körber wurde geraten, es unter einem Pseudonym herauszugeben, da sie sonst den deutschen Markt verlieren würde. Körber entgegnete jedoch, die russischen Revolutionäre hätten nicht nur den Markt, sondern ihr Leben verloren und sie wolle nicht anonym kämpfen.

Körber schrieb sehr schnell. Das im Sommer 1933 begonnene Manuskript gab sie bereits im September beim Verlag ab. Im Dezember 1933 lag die gedruckte Buchfassung im Wiener Verlag Richard Lányi vor. Gedruckt wurden etwa 3.300 Exemplare. Bereits kurz nach der Veröffentlichung war der Roman ausverkauft. Er wurde danach in einem Zensurprozess wegen Blasphemie verboten. An einer Stelle, so die Urteilsbegründung vom 27. August 1935, werde unter anderem dadurch Gott gelästert, „als von Christus gesagt wird, daß er zum Verräter an seinem Volk geworden ist, daß er vielleicht von den Römern bestochen worden sei und daß er von Pilatus in der Art gekreuzigt worden sei, wie Göring van der Lübbe den Prozess gemacht habe. Weiters wird die Lehre Jesus als demoralisierend bezeichnet“ (Nachlass L. Körber, DNB Frankfurt, Exilarchiv). Lili Körber legte – vergeblich – Widerspruch gegen das Urteil ein, mit der Begründung, sie sei zum einen nicht vom Verfahren verständigt worden. Zum anderen müsse eine auch nur flüchtige Lektüre ihres Werks den Leser davon überzeugen, dass „es sich um ein ernstes auf sorgfältiger Sammlung und Prüfung von zeithistorischen Vorkommnissen im heutigen Deutschland beruhendes Buch handelt“ (ebd.). Die in der Urteilsbegründung angegebenen Stellen seien der Figur Willi Schütz in den Mund gelegt worden, die als „Karikatur eines jüdischen Faschisten“ (ebd.) gezeichnet sei. „Kein urteilsfähiger Leser, und seinem ganzen Stil und Inhalt nach ist mein Buch nur für urteilsfähige Leser bestimmt und nicht auf Sensation berechnet, wird einen Augenblick zweifeln, dass die von Willy Schütz gebrauchten Wendungen dazu dienen sollen, seine verbohrte und abwegige Geistesrichtung zu kennzeichnen und dass deren Wahrheitsgehalt von der Verfasserin unbedingt abgelehnt werde“ (ebd.). Die erhabene Person Jesu Christi werde auf keine Weise berührt, wenn ein fanatischer jüdischer Nationalist den welterlösenden Pazifismus Christi als Verrat an dem jüdischen Volke bezeichne. Die Genossenschaftsbuchhandlung in Zürich druckte den Roman dennoch nach und veröffentlichte ihn noch im selben Jahr unter dem Titel „Geschichte einer Mischehe“. Ungarische und polnische Ausgaben folgten unter dem Titel „Die Ehe der Ruth Gompertz“. Die erste Veröffentlichung in Deutschland unternahm der Persona Verlag 1984 unter dem gleichen Titel. 1988 erfolgte eine weitere Veröffentlichung.

Die Resonanz in der deutschsprachigen Presse außerhalb Deutschlands scheint eher schwach gewesen zu sein. In Österreich wurde das Buch im Dezember 1933 in einer Sammelrezension im „Wiener Tag“ und der „Arbeiter-Zeitung“ vorgestellt, ein halbes Jahr später in einer weiteren Sammelrezension im „Zürcher Volksrecht“. Eine kurze Erwähnung bekam es im „Schweizer Gewerkschaftsblatt“. 1934 gab es in Österreich scheinbar keine Rezensionen mehr, in der Schweiz erschienen sie erst im Juni 1934. Auch in der Exilpresse fand Lili Körber kaum Beachtung. Die „Neuen Deutschen Blätter“ erwähnten den Titel in einer Liste „zur Besprechung eingesandter Bücher“, Bruno Bandy besprach den Roman im Januar 1934 in einer Sammelbesprechung und im „Neuen Tagebuch“ wurde es im März 1934 ebenfalls kurz vorgestellt.

Quellen:

  • Brandy, Bruno (d.i. R. Groetzsch): „Wahn oder Vernunft?“ In: Neuer Vorwärts vom 21.01.1934, o.S.
  • Galanda, Brigitte: „Frühes literarisches Dokument gegen den deutschen Faschismus.“ In: Aufbau vom 21.06.1985, o.S.
  • Gebi: „Ein Schicksal als Beispiel für viele“. In: Mannheimer Morgen vom 20.11.1984, o.S.
  • Haslinger, Josef: „Buchbesprechungen“. In: Wespennest (1985), Nr. 58, o.S..
  • Holl, Hildemar: „Schritte aus dem Schatten“. In: Salzburger Nachrichten vom 19.10.1985.
  • K(önig), O(tto): „Zwischen Pogromen“. In: Arbeiter-Zeitung vom 21.12.1933, o.S.
  • Lasch, Hanna: „Drei Bücher über Hitlerdeutschland“. In: Volkrecht vom 23.06.1934, o.S.
  • Lemke, Ute: Lili Körber: Von Moskau nach Wien. Eine österreichischer Autorin in den Wirren der Zeit (1915-1938). Siegen 1998.
  • Lewy, Hermann: „Als das Dritte Reich die ersten Schatten warf“. In: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 28.02.1986, o.S.
  • Lichtenberger-Fenz, Brigitte: „Lili Körber, Anna Gmeyner und andere Frauen im Exil“. In: Wiener Tagebuch (1985), Nr. 12, o.S.
  • Marguiles, Hans: „Das tragische Deutschland“. In: Der Wiener Tag vom 30.12.1933, o.S.
  • „Nichtigkeitsbeschwerde Lili Körbers gegen das Urteil des Landgerichts“, 30.10.1935. In: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv, Nachlass Lili Körber, Signatur EB 2005/029, o.Bl.
  • N.N.: „Literatur“. In: Neues Tage-Buch vom 03.03.1934, S. 213.
  • o.A.: „Lili Körber. Die Ehe der Ruth Gompertz“. Online: http://www.personaverlag.de/seiten/titel/koerber_ruthGompertz.htm (Stand: 16.09.2019).
  • Patsch, Sylvia: „Verlag für Exilliteratur in Mannheim gegründet“. In: Illustrierte Neue Welt (1985), o.S.
  • Pitzer, Herbert: „Signale gegen das Vergessen“. In: Tribüne (1986), S. 212-216.
  • Rieger, Manfred: „Frauenbücher aus dem Exil. Ein kleiner Mannheimer Verlag setzt sich für vergessene Literatur ein“. In: Kölner Stadt Anzeiger vom 14.06.1985, o.S.
  • Schulz, Sabine: „Antifaschistischer Roman für uns wiederentdeckt“. In: Neues Deutschland, Berlin vom 24/25.12.1988, o.S.
  • Seifert, Heribert: „Eine Jüdin im nationalsozialistischen Deutschland“. In: Neue Zürcher Zeitung vom 13.05.1985, o.S.
  • Strobel, Ingrid: „Ohne die Gnade der späten Geburt“. In: Tageszeitung vom 31.10.1986, o.S.
  • Strobel, Ingrid: „‚Lausige Hündin!‘ – Es ist draußen. Es geht vorbei“. In: Emma (11/1985), o.S.
  • „Urteilsbegründung, 27.08.1935“. In: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv, Nachlass Lili Körber, Signatur EB 2005/029, o.S.
  • Wolf, Herta: „Lili Körber – Eine Emigration in die Vergessenheit“. In: Holzner, Johann/Scheichl, Sigurd Paul und Wolfgang Wiesmüller (Hg.): Eine schwierige Heimkehr. Österreichische Literatur im Exil 1938-1945. Innsbruck 1991, S. 285-298.
  • Wolf, Herta: „Frauen im Exil – Der Blick auf NS-Deutschland“. In: Falter vom 27.06.1985, Nr. 13, S. 19.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger