Frauen im Konzentrationslager (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Frauen im Konzentrationslager
Autor Buchmann, Erika (1902-1971)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1946, Stuttgart
Titel Frauen im Konzentrationslager

Erscheinungsort Stuttgart
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Das Neue Wort GmbH
Gedruckt von Gebr. Knöller
Publiziert von Buchmann, Erika (1902-1971)

Umfang 40 Seiten

Lizenz Veröffentlicht unter der Zulassung Nr. US-W-1054 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung


Zusammenfassung

Erika Buchmann berichtet basierend auf ihren eigenen Erlebnisse über das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. In jeweils kurzen Abschnitten gibt die Autorin einen Überblick über verschiedene Aspekte des Leidens der Frauen im Lager. Ihre Ausführungen, so betont sie, „erheben nicht den Anspruch, ein abgerundetes und lückenloses Bild der Verhältnisse des Frauenlagers Ravensbrück zu geben“ (S. 38). Vielmehr wolle sie von dem erzählen, was sie als politischer Häftling und Blockälteste des Krankenblocks 10 selbst erlebt, gesehen und gehört habe.

Wann genau Erika Buchmann ins Konzentrationslager gebracht wird, geht aus dem Text nicht klar hervor. Sie beginnt ihre Schilderungen mit der Einrichtung der ersten Lager für Frauen in Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd, in Mohringen bei Hannover und auf der Lichtenburg in Torgau nach den ersten massenweisen Verhaftungen ab dem Frühjahr 1933. Schließlich werden im Mai 1939 die ersten Frauen in das neue Frauenlager Ravensbrück verbracht. Buchmann berichtet wie Lagerkommandant Koegel im Winter/Frühjahr 1940 die zunächst nur deutschen politischen Häftlinge und Bibelforscherinnen in Sommerkleidung Straßen planieren und Ausschachtungen für den Zellenbau durchführen lässt. Zahlreiche Frauen sterben an Erfrierungen. Im April kommen polnische Häftlinge, später auch Tschechinnen, Französinnen, Belgierinnen, Holländerinnen, Norwegerinnen, Schwedinnen, Däninnen, Jugoslawinnen, Ukrainerinnen und Russinnen hinzu. Anerkennend lobt Buchmann vor allem den starken Zusammenhalt unter den polnischen Frauen.

Buchmann stellt eine gewisse Distanz zwischen dem Berichteten und ihrem persönlichen Schicksal her. Sie schildert weniger ihre persönlichen Erlebnisse, sondern häufiger die allgemeinen Zustände im Lager und die Schicksale ihrer Leidensgenossinnen. Diesen Eindruck verstärken die Vergangenheitsform und der häufig eher nüchterne und berichtende Stil noch, das Erzählte wirkt abgeschlossen und nicht mehr unmittelbar. Hin und wieder dringen jedoch das Entsetzen und die Trauer über das Erlebte und Gesehene durch, etwa wenn Buchmann über die vielen Sterbenden und Toten oder das Schicksal der Kinder spricht. An diesen Stellen wechselt sie in das Präsens und lässt den Leser an ihren Empfindungen teilhaben: “Ich habe meinen zehnjährigen französischen Freund Alex Allouche an der Hand und kann es nicht vermeiden, mit ihm an einer Fuhre Frauenleichen vorüberzugehen. Groß gehen seine schwarzen Augen über die schauerliche Fracht, fest pressen sich die Lippen aufeinander. Und dann kommt es wie ein Aufschrei aus seinem gepreßten Herzen: ‚Ich kann das nie, nie vergessen. Vielleicht werde ich hier auch sterben müssen – weil ich ein Jude bin!‘ Ich schäme mich – dies Kind steht als Ankläger vor meinem Volk“ (S. 25).

Demütigungen und Prügelstrafen sowie der Mangel an Nahrung, Kleidung und Medizin sind im Lager ständige Begleiter. In den Lagerbetrieben herrschen unmenschliche Arbeitsbedingungen. Aber auch grausame medizinische Experimente und gewaltsam herbeigeführte Entbindungen sowie das Töten von Säuglingen sind von 1942 bis 1945 Alltag in Ravensbrück. Besonders gutaussehende Frauen werden für Bordelle ausgesucht. Vor allem Jüdinnen haben unter der Grausamkeit des Lagerkommandanten Koegel zu leiden.

Im Winter 1944/45 ist Ravensbrück endgültig „zu einem wahren Inferno geworden“ (S. 20). Überfüllte Barracken, katastrophale hygienische Verhältnisse, Läuse, Flöhe, Tuberkulose, Hautkrankheiten, Typhus, kaputte Toiletten und Wasserleitungen prägen den Alltag der Frauen. Immer mehr Kinder kommen ins Lager, darunter Sinti und Roma sowie polnische Kinder deren Mütter in Auschwitz geblieben sind, ebenso französische Kinder. Elendig und allein sterben sie dort massenweise: „Mitten zwischen den Frauen leben sie unbeaufsichtigt, unkontrolliert, mit raschen Augen alles sehend. Asoziale ziehen 12- und 14-jährige Jungens in eine dunkle Ecke, auf den dreckigen Strohsäcken bekommen diese Kinder ihr Wissen von Dingen, die noch auf Jahre von ihnen fern bleiben müßten“ (S. 24).

Wiederholt berichtet Buchmann von Konflikten zwischen den politischen Gefangenen und den sogenannten Asozialen oder Berufsverbrechern: „In allen Lagern waren die meisten Asozialen willfährige Werkzeuge in der Hand der Lagerleitung und wurden nach allen Regeln der Kunst gegen die Politischen ausgespielt“ (S. 5). Gerade die politischen Häftlinge hätten, so Buchmann, auch im Konzentrationslager ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus weitergeführt: „Über alle Tagesstreitigkeiten hinweg haben wir in einer Front gegen Lagerleitung und SS gestanden. Wir haben ihre Befehle sabotiert, wo wir konnten, in den Kriegsbetrieben, in denen man uns zur Arbeit zwang, alles getan, was in unseren Kräften stand, um den wahnsinnigen, verbrecherischen Krieg zu beenden“ (S. 39). Buchmann selbst weigert sich im Frühjahr 1945 zusammen mit einigen Kameradinnen weitere Transportlisten zusammenzustellen, nachdem ihnen klar wird, dass diese in den sicheren Tod gehen. Unterstützt werden sie dabei von dem SS-Arzt Dr. Lukas, der bei den Häftlingen für seine Menschlichkeit bekannt ist. Er wird schließlich von einem Kollegen wegen ‚Feigheit und Sabotage‘ beim Ehrengericht angezeigt und strafversetzt. Viele Transporte von Ravensbrück gehen in das Jugendlager Uckermarck ab, wo die Häftlinge meistens den Tod finden. Buchmann fügt daher den Bericht der Überlebende Gisela Krüger aus Karlsruhe an. Als politischer Häftling hat sie das Jugendlager Uckermack überlebt und spricht in ihrem Bericht über die Tötungen der aus Ravensbrück als arbeitsunfähig überstellten Frauen.

Buchmann schließt ihren Bericht mit der Betonung, dass nicht Rache, sondern das Bewusstsein, die Verantwortung für die Zukunft zu tragen, Leitgedanke sein müsse: „Wir ehemaligen Häftlinge der Konzentrationslager haben die ungeheure Kraft erkennen gelernt, die aus gemeinsamem Handeln erwachsen kann“ (S. 40).

Dem Text ist das Gedicht „Die Toten an die Lebenden“ von Josef Eberle vorangestellt.


Biografie

Erika Buchmann (geb. als Erika Schollenbruch am 19.11.1902 in München, gest. am 20.11.1971 in Ost-Berlin) besuchte zunächst die Volksschule und das Lyzeum in München, später die Handelsschule. 1918/1919 wurde sie Mitglied der sozialistischen Jugendbewegung KJVD und 1920 Mitglied der KPD, für die KPD-Fraktion war sie ab 1923 als Sekretärin im Bayerischen Landtag tätig. 1925 heiratete sie Albert Buchmann, zwei Jahre später kam die Tochter Ingeborg zur Welt. 1932 zog die Familie nach Stuttgart. Im November 1933 wurde Buchmann bis Januar 1934 in sogenannter Schutzhaft im Gefängnis Gotteszell festgesetzt. Im Dezember 1935 folgte bis Juli 1937 eine weitere Untersuchungshaft in Stuttgart. Sie wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt und ab August 1937 bis November 1940 im Zuchthaus Aichach und im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Nach ihrer Entlassung kehrte sie nach Stuttgart zurück, wo sie als Sekretärin bei der Firma Paul Jaeger & Co. arbeitete. Im Januar 1942 wurde sie erneut im Lager Ravensbrück inhaftiert, wo sie im April 1945 befreit wurde. Zurück in Stuttgart war sie ab Oktober 1945 bis Ende 1946 für die KPD Mitglied im Gemeinderat. Im Jahr darauf wurde die Tochter Bärbel geboren. 1948 sagte sie als Zeugin beim 4. Ravensbrück-Prozess in Hamburg aus. Als KPD-Abgeordnete der Verfassungsgebenden Landesversammlung und des ersten Landtags von Baden-Württemberg war sie von 1952 bis 1956 tätig. Danach siedelte sie in die DDR über, wo sie ab 1956 als Organisatorin und Kuratorin der ersten Ausstellung in der neu gegründeten Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück fungierte. 1959 erschien ihr Buch "Frauen von Ravensbrück". 1960 bis 1961 arbeitete sie außerdem gemeinsam mit Hedda Zinner am Theaterstück „Ravensbrücker Ballade“. Im Januar 1971 beging die Tochter Bärbel Selbstmord.

Quelle:

  • „Antrag auf Wiedergutmachung Erika Buchmann“. In: Bundesarchiv Berlin, Nachlass Albert und Erika Buchmann, NY 4178/40, o. Bl.
  • „Fragebogen Military Government of Germany“. In: Bundesarchiv Berlin, Nachlass Albert und Erika Buchmann, NY 4178/40, Bl. 8-9.
  • „Fragebogen 1 Landesausschuß Württemberg-Baden der vom Naziregime politisch Verfolgten“. In: Bundesarchiv Berlin, Nachlass Albert und Erika Buchmann, NY 4178/40, Bl. 8-9.
  • „Politischer Lebenslauf Erika Buchmann“. In: Bundesarchiv Berlin, Nachlass Albert und Erika Buchmann, NY 4178/39, Bl. 1-2.
  • „Fragebogen Erika Buchmann“. In: Landesarchiv Berlin. C Rep. 118-01, Nr. 24828, o.S.
  • „Kurzer Lebenslauf Erika Buchmann“. In: Landesarchiv Berlin. C Rep. 118-01, Nr. 24828, o.S.
  • Peitsch, Helmut: Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945 bis 1949. Berlin: Edition Sigmar Bohn 1990, S. 452.
  • Philipp, Grit: Erika Buchmann (1902-1971). Kommunistin, Politikerin, KZ-Überlebende. Berlin 2013.




Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger