Gefangene und dennoch (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
Wechseln zu: Navigation, Suche

Angaben zum Werk

Titel Gefangene und dennoch. Erinnerungen an Scheveningen, Vught und Ravensbrück
Autor Ten Boom, Corrie (1892-1983)
Genre Bericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Meiringen
Titel Gefangene und dennoch. Erinnerungen an Scheveningen, Vught und Ravensbrück

Erscheinungsort Meiringen
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1. Auflage

Publiziert von Kommissions-Verlag Walter Loepthien

Umfang 192 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

Der Bericht der niederländischen Autorin Corrie ten Boom schildert hauptsächlich ihre Haftzeit als politischer Häftling im Konzentrationslager Ravensbrück, beginnt aber bereits kurze Zeit vor der Verhaftung in Haarlem (Niederlande) und erzählt auch die anschließende Inhaftierung in den Lagern Scheveningen und Vught, bevor sie mit ihrer Schwester Betsie nach Ravensbrück deportiert wird. Der tiefe Glaube an Gott und Jesus Christus durchzieht den gesamten Text, der überwiegend im Präsens verfasst ist, sowie alle Handlungen und Deutungen der Geschehnisse durch die Autorin. Religiöse Motive werden auch wiederholt als Beweggrund dafür genannt, warum Corrie ten Boom und ihre Familie sich während des Zweiten Weltkriegs im niederländischen Widerstand engagierten und verfolgte Juden versteckten.

Im Präludium des Textes wird die trotz der gefährlichen und bedrohlichen Situation als idyllisch beschriebene Situation im Hause der tiefreligiösen Familie der Autorin in der Barteljoris-Staße in Haarlem geschildert. Die Familie, bestehend aus dem Vater der Autorin, ihrer Schwester Betsie sowie verschiedenen Helfern, ist Teil eines Netzwerks, das untergetauchte Juden versteckt. Mindestens sieben bis maximal zwölf Untertaucher können im Haus unterkommen. Trotz der lebensgefährlichen Situation, in der sich alle Beteiligten befinden, und der ständigen Angst vor Entdeckung oder Denunziation, wird die Atmosphäre im Haus und zwischen den Menschen als liebevoll und warmherzig beschrieben. Die Autorin findet es „heimelig, soviel Menschen im Hause zu haben“ (S. 11). In der Organisation und Fürsorge der Menschen geht sie völlig auf.

Nach einer Denunziation werden Corrie, ihr Vater und ihre Schwester am 28. Februar 1944 verhaftet. Die untergetauchten Juden können vorher in gut getarnten Verstecken im Haus vorerst in Sicherheit gebracht werden und werden später von weiteren Mitarbeitern des Netzwerks in andere Verstecke gebracht. Bei dem folgenden Verhör gibt die Autorin das Versteck und das Netzwerk trotz Misshandlungen nicht preis.

Im Gefängnis von Scheveningen stirbt der Vater nach zehn Tagen Haft, überzeugt davon, dass sein Handeln richtig war und erfüllt vom Glauben an Gott. Die Autorin selbst leidet inzwischen an einer nassen Brustfellentzündung und gerät zudem in Einzelhaft. Zunächst leidet sie sehr unter der Einsamkeit, zumal es ihr auch körperlich sehr schlecht geht. Auch ein weiteres Verhör übersteht sie mit Gottes Hilfe, ohne die anderen Helfer zu verraten. Große Freude bereiten ihr die Rot-Kreuz-Pakete, die für die Häftlinge im Gefängnis ankommen, sowie auch Briefe von Freunden, die jedoch auch die Nachricht vom Tode des Vaters bringen.

Auf dem Transport in das Lager Vught wird Corrie mit ihrer Schwester Betsie wiedervereint. In der „Scheveninger Baracke“ (S. 52) sind sich nun mit 150 anderen Menschen zusammen, die alle ohne Beschäftigung darauf warten, ins eigentliche Lager überstellt zu werden. Im Lager schließlich wird die Autorin dem Philipps-Kommando zugeteilt und später – als sie erzählt, dass sie Uhrmacherin ist – zum Relais-Kontrollieren zugeteilt. Die Arbeitstage sind lang und anstrengend, aber im Gegensatz zur Einzelhaft bieten sie Ablenkung und in den freien Stunden kann Corrie mit den Mitgefangen sprechen und sich draußen an der Luft aufhalten. Betsie und Corrie können außerdem Briefe senden und empfangen, einige davon sind im Bericht enthalten. Hin und wieder erhalten sie auch Pakete, die sie mit „Luxusding[en]“ (S. 65), wie Butter, Zucker und Bonbons versorgen, aber auch Hoffnung bringen und daher ein „kleines Fest mitten in der düsteren Gefangenschaft“ (S. 65) sind. Im Wissen um die Bedeutung dieser Briefe und Pakete, werden Brief- und Paketsperren als kollektive Strafe verhängt. Obwohl, so führt die Autorin aus, die äußerlichen Umstände in Vught – verglichen etwa mit der Einzelhaft und dem, was noch folgen soll- „noch ziemlich günstig erscheinen; nicht allzu schwere Arbeit, viel frische Luft und Sonne, Freundschaft und Liebe unter den Gefangenen“ (S. 74), bedrückt sie der Verlust der Freiheit sehr: „Nie kann man begreifen, was das bedeutet, als wenn man in Gefangenschaft lebt. […] Das Schmerzliche liegt nicht im Materiellen, sondern in der Tatsache, daß uns alles aufgezwungen wird von denjenigen, die unsre Feinde sind“ (S. 74f.).

Immer wieder hören sie Meldungen, die sie hoffen lassen, dass sich die Alliierten Holland nähern und sie bald befreit werden. Dann jedoch wieder – wenn sie etwa die Schüsse hören und wissen, dass Häftlinge erschossen werden – nimmt die Angst überhand. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Betsie, zu der „das Schreckliche“ (S. 85) nicht im gleich Umfang durchzudringen scheint („Weiß Betsie nicht, was geschieht? Ihr Gesicht ist so friedlich, fast glücklich. Hat Gott eine Umzäunung um sie her gemacht wie bei Hiob?“, S. 85), lässt die Gefangenschaft Corrie mitunter auch verzweifeln. Dennoch hilft der Glaube an Gott und Jesus Christus sie auch über diese Stunden hinweg. „Gott macht keine Fehler. Alles scheint eine verworrene Stickerei zu sein, sinnlos und schrecklich. Aber das ist die untere Seite. Einmal werden wir die obere Seite sehen, und dann werden wir uns verwundern und danken“ (S. 86). Sie säßen in der schweren Klasse der Lebensschule, erklärt sie ihrer Schwester, aber Jesus stehe vor der Klasse und er selbst doziere. Wenn sie sich durch ihn unterrichten lassen würden, würden sie einmal das Endexamen bestehen.

Schließlich werden sie in „einem Viehwaggon“ (S. 87) mit achtzig Menschen unter elenden Bedingungen drei Tage und drei Nächste lang nach Deutschland transportiert. In den Waggons sind Alte und Kranke, es ist zu wenig Sauerstoff vorhanden und der Zug wird unterwegs beschossen. Nur selten wird etwas Wasser in einem Eimer hineingereicht.

Als der Zug in Fürstenberg eintrifft, müssen die Häftlinge an den schauenden Dorfbewohnern vorbei ins Lager Ravensbrück marschieren. In diesem „Tal der Schatten“ (S. 91) angekommen, werden die Neuankömmlinge zunächst in einem Zelt untergebracht. Stroh bedeckt den Boden, alles ist voller Ungeziefer und Unrat, skelettartige Arme strecken sich nach ihnen aus in der Hoffnung um Brot. Bald schon wird ihnen der letzte Rest an Individualität genommen, die mitgebrachten Decken und die eigene Kleidung. Corrie, die die Nummer 66730 erhält, fleht Gott um Beistand und Kraft an.

In der Quarantäne-Baracke müssen sich die Häftlinge auf engstem Raum zusammenpferchen. Die ärztlichen ‚Untersuchungen‘, die sie über sich ergehen lassen müssen und die neuen Eindrücke, die Schreie und Anblicke der kranken und „schwachsinnig“ (S. 102) Gewordenen, die zum Tode verurteilten ‚Kaninchen‘ – Frauen an denen grausame Experimente durchgeführt werden –, machen Ravensbrück zu „einer Hölle“ (S. 101). Besonders der Zustand und die Überlebensbedingungen der Kinder im Lager erschüttern die Autorin immer wieder. Sie thematisiert auch die Aufgabe der Hebamme, die sie sehr bewundert, sowie den „Stoßtruppe“ (S. 158) der „Huren“ (ebd.). Im Gegensatz zu vielen ihrer Mithäftlinge möchte Corrie diese nicht verurteilen, sondern lädt sie ein, an den Bibelbesprechungen teilzunehmen: „Sünder sind auch wir“ (S. 159).

Nach einigen Wochen ziehen die Schwestern in die Baracke 28 und werden zunächst zum Siemens-Kommando berufen. Um den See herum „mit dem malerischen Dörfchen auf der andern Seite“ (S. 107) gehen sie zur Arbeit, bis sie – knapp einem Transport entkommen – zum Strickkommando angenommen werden. Hier können sie nun aufgrund der mangelnden Sitzgelegenheiten auf den Betten sitzend stricken. Es gelingt Corrie sogar wiederholt, einige Vitamine für sich und die Kameradinnen zu besorgen. Dennoch wird die Schwester zunehmend schwächer. Auch Corrie hat Hungerödeme an den Beinen. Trotzdem werden sie immer wieder zu schweren Arbeitseinsätzen gerufen, etwa zum Schleppen von Kartoffelsäcken oder Sand schaufeln. Da Corrie merkt, wie die Not abhärtet und die Menschen abstumpfen lässt, ist es ihr ein wichtiges Anliegen, genau dies zu verhindern, indem sie das Wort Gottes predigt und verbreitet. „Es sind Viele, die die Botschaft annehmen, aber auch Viele sind nicht erreichbar. Not lehrt beten, aber Not kann jemand auch hart machen. Die Härte ist ein Abwehrmittel; ich fühle das auch selbst auch als eine Art Versuchung“ (S. 138). Der Glaube verbindet auch die Frauen verschiedener Nationen miteinander, die zwar nicht die gleiche Sprache sprechen, aber durch Jesus Christus verbunden sind.

Ende 1944 erkrankt Betsie ernsthaft und stirbt schließlich. Corrie, die 52 Jahre lang Betsies Schwester war, ist einerseits von großer Einsamkeit und Traurigkeit erfüllt, freut sich andererseits jedoch darüber, dass das Leid ihrer Schwester nun ein Ende hat und sie bei Gott ist. Kurze Zeit nach Betsies Tod erhält Corrie plötzlich die Nachricht, dass sie entlassen werden soll. Da sie jedoch zu krank und schwach ist, muss sie sich zunächst in der Krankenbaracke erholen bis sie schließlich für tauglich befunden wird und entlassen werden kann. Sie erhält ihre Kleidung zurück sowie ihre „Effekten“ (S. 174) und die ihrer Schwester. Noch einmal muss sie zu Fuß den Weg zum Bahnhof zurücklegen, was in dem geschwächten Zustand und mit Gepäck nur langsam und mühsam geht. Drei Tage dauert die Reise nach Hause, wo sie in Groningen im Diakonissenhaus beherbergt und liebevoll umsorgt werden. Alles ist „wie ein schöner Traum“ (S. 180). Zu Hause in der Barteljoristraße schließlich ist vieles geplündert und geklaut worden. Statt wie vorher zu dritt, ist sie nun allein hier. Dennoch: „Ich darf mich freuen. Ich bekam mein Leben zurück und darf vielleicht noch Menschen trösten und ihnen helfen. […] Viel Arbeit, aber ich hoffe. Vielleicht Einsamkeit, Nein, ich will Liebe geben, und dann bleibt man nicht einsam. Unser Haus war allzeit ein gastfreies Haus, das soll so bleiben“ (S. 184).

Der Bericht ist dem „Gedächtnis meines verstorbenen Vaters gewidmet“ (o.S.).


Biografie

Cornelia Arnolda Johanna ten Boom, geb. am 15. April 1892 in Amsterdam, gest. am 15. April 1983 in Placentia, Kalifornien, wuchs in einer Großfamilie auf. Ihr Vater, Casper ten Boom, betrieb ein Uhrmachergeschäft in Haarlem. Cornelia, unter dem Spitznamen Corrie bekannt, wurde ab 1920 in Basel zur Uhrmacherin ausgebildet und war 1924 die erste Frau der Niederlande, die ein Uhrmacher-Diplom erhielt. Ihre Eltern sowie die im Haus lebenden Tanten waren in der Niederländisch-reformierten Kirche aktiv und unterhielten viele freundschaftliche Verbindungen zu Juden, die der Vater als „Gottes altes Volk“ besonders liebte. Bereits Corries Großvater hatte sich im 19. Jahrhundert für die Stärkung christlich-jüdischer Gemeinschaften engagiert. Corrie ten Boom blieb unverheiratet und arbeitete vor dem Zweiten Weltkrieg im Uhrmachergeschäft des Vaters. Außerdem war sie in der Sonntagsschule ihrer Kirchengemeinde aktiv und ließ sich zur Religionslehrerin ausbilden.

Als die Niederlade 1940 besetzt wurden und die niederländischen Juden in die Konzentrationslager verschleppt wurden, engagierten sich Corrie ten Boom und ihre Familie ab Ende 1942 im Widerstand. Sie versteckten und versorgten mehrere jüdische Familien und Kinder in ihrem Haus in einem Verschlag, organisierten unter den zunehmend schwierigeren Bedingungen Lebensmittel. Nachdem zunächst die Schwester Nollie verhaftet worden war, wurde am 28. Februar 1944 Corrie ten Boom ebenfalls denunziert und zusammen mit den anwesenden Familienmitgliedern verhaftet. Das Haus wurde durchsucht, die versteckten Menschen konnten jedoch gerettet werden. Während die übrigen Familienmitglieder wieder freigelassen wurden, wurden Corrie und ihre Schwester Elisabeth, Betsie genannt, zunächst im Juni 1944 weiter ins Lager Vught und schließlich im September ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Der Vater war zuvor in Haft in Scheveningen im Alter von 84 Jahren gestorben. Im Lager hielt Corrie heimlich Bibelstunden ab, um den Überlebenswillen ihrer Mitgefangener zu stärken. Betsie überlebte das Lager nicht. Sie starb im Dezember 1944. Corrie wurde zwei Wochen später aus dem Lager entlassen und kehrte zurück nach Haarlem, wo sie bis zur Befreiung blieb.

Nach dem Krieg gründete Corrie ten Boom Rehabilitationszentren für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und setzte sich für die Versöhnung zwischen Opfern und Tätern ein. Sie predigte nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Deutschland und in vielen anderen Ländern. Ihr zentrales Thema war Vergebung, die nur durch Gottes Hilfe möglich sei. Sie schrieb zudem einige Bücher. Ihre Autobiographie „Die Zuflucht“ (original: „De Schuilplaats“) wurde 1975 unter dem Titel „The Hiding Place“ verfilmt.

In Anerkennung ihres Einsatzes während des Zweiten Weltkriegs wurde Corrie Ten Boom von der niederländischen Königin zum Ritter geschlagen und von der Gedenkstätte Yad Vashem 1967 als Gerechte unter den Völkern geehrt. In ihrem Elternhaus ist heute das Corrie ten Boom Museum untergebracht. Das Haus wurde wieder in den Zustand von 1944 versetzt, so dass man das Versteck hinter einer falschen Wand in ihrem ehemaligen Schlafzimmer besichtigen kann, wo Juden und Mitglieder der niederländischen Untergrundbewegung beherbergt wurden.

Quellen:



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger