Gefangener der Gestapo (1948)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Gefangener der Gestapo
Autor Poiesz, P. Wilhelm (S.A.C.) (1904-1992)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1948, Limburg an der Lahn
Titel Gefangener der Gestapo

Erscheinungsort Limburg an der Lahn
Erscheinungsjahr 1948
Auflage Erstauflage

Auflagenhöhe Erstauflage 1.-4. Tausend

Verlegt von Lahn-Verlag
Gedruckt von Druckerei der Pallottiner
Publiziert von Poiesz, P. Wilhelm (S.A.C.) (1904-1992)

Umfang 172 Seiten

Lizenz Lizenz-Nr. US-W-2027 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Ausgabe von 1949, Limburg an der Lahn
Titel Gefangener der Gestapo

Erscheinungsort Limburg an der Lahn
Erscheinungsjahr 1949
Auflage 2. Aufl.
Auflagen insgesamt 4.-8. Tausend

Verlegt von Lahn-Verlag
Gedruckt von Druckerei der Pallottiner
Publiziert von Poiesz, P. Wilhelm (S.A.C.) (1904-1992)

Umfang 176 Seiten

Zusammenfassung

„Ein persönlicher Erlebnisbericht ist dies, keine Chronik“ (S. 5), schreibt Pallotinerpater Wilhelm Poiesz zu Beginn des Vorwortes zu seinem 1948 erschienenen Bericht, in dem er die Eindrücke seiner Haftzeit in Frankfurt und dem Konzentrationslager Dachau sowie des Todesmarsches und der Zeit nach seiner Befreiung im Mai 1945 verarbeitet. Somit unterstreicht er umgehend die Subjektivität seines Textes, der folglich nicht darauf abzielt, die Ereignisse möglichst objektiv und exakt wiederzugeben. Vielmehr handelt es sich um einen „Ausschnitt, ein Einzelschicksal“, das „die andern nur von dieser Sicht her [nennt]“ (ebd.) und nur einzelne, aber für ihn „bezeichnende“ (S. 102) Episoden herausgreift. Um den Leser eng an seine Schilderungen zu binden, bedient sich Poiesz eines szenischen Erzählstils, gekennzeichnet durch zahlreiche Dialoge und einem häufigen Wechsel des Erzähltempus vom Präteritum ins Präsens, wodurch die Distanz zwischen erlebendem und erzählendem Ich in weiten Teilen des Textes nahezu nivelliert wird. Durch spannungsaufbauende Mittel, wie beispielsweise der Zeitdehnung, gestaltet er seinen Bericht auch literarisch zu einer packenden Erzählung.

Seine Erinnerungen gliedert er in drei Teile, die wiederum durch kleinere, typografisch durch Sperrsetzung hervorgehobene Phrasen in Abschnitte unterteilt sind. Der erste Teil, der den Titel „Meine Gefängniszeit“ trägt und etwa die Hälfte des Textes ausmacht, umspannt die ersten achtzehn Monate seiner Haft. Der Bericht beginnt unmittelbar mit seiner kafkaesken Verhaftung am 22. Dezember 1942. Ohne konkretes Vergehen oder einen Haftgrund wird Poiesz von zwei Beamten der Geheimen Staatspolizei abgeführt und in das Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt am Main verbracht. Von vornherein machen die Wachmannschaften keinen Hehl aus ihrem Vorhaben und fordern, dass man „kurzen Prozeß“ mit ihm machen solle: „ins Arbeitslager mit ihm und fertig“ (beide Zitate S. 9). Er wird mehrmals zu Verhören einbestellt, in denen ihm verschiedene fadenscheinige Verstöße gegen die staatliche Verordnung angedichtet werden. Durch Schikanen und Erpressungen versuchen die Beamten, ihn zu einem falschen Geständnis zu zwingen. Als er sich vehement einem solchen entzieht, stellt ihm „Obersekretär Th.“ Dachau oder Buchenwald in Aussicht und droht ihm, dass er „in diesem Krieg das Lager [nicht] wieder verlassen werde[]“ (S. 13).

Poiesz Bemühungen, den tatsächlichen Grund für seine Inhaftierung – sofern überhaupt vorhanden – zu ergründen, bleiben erfolglos. So wird letztlich sein Glaube zu einem bedeutenden Sinnstifter für das erlebte Unrecht: Die Annahme, dass sein Schicksal von Gottes Hand gelenkt wird, gibt ihm die nötige Kraft, den eintönigen Gefängnisalltag im Klapperfeld zu ertragen, der von Hunger, Enge, Kälte und fehlender Beschäftigung geprägt ist. Dabei stellt er sich immer wieder, nachgerade leitmotivisch, die aristotelische Frage „Zufall oder Fügung?“ (S. 24, Sperrung im Original; vgl. auch S. 53). Die Häufung vieler positiver Wendungen, wie die Begegnung mit anderen Pallottinern oder die Freundschaft mit dem Mitgefangenen „Fritz“ – seien sie auch nur von kurzer Dauer –, veranlassen ihn, „an die Fügung [zu] glauben“ (S. 24, Sperrung im Original).

Nach einigen Monaten wird Poiesz in die Untersuchungshaftanstalt Hammelgasse verbracht. Als ‚Gefangener der Gestapo‘ wird er zwar im Vergleich zu den Polizeihäftlingen nachteilig behandelt, insgesamt aber ist die Übersiedlung für ihn „eine große Erleichterung“ (S. 26, Sperrung im Original): Er darf täglich spazieren gehen – Zeit, die er zum Dichten nutzt (Poiesz streut einige seiner Verse in die Erzählung ein). Der Hauptwachmeister Z., den er „Hausvater“ oder liebevoll „Engel“ nennt, verschafft ihm etliche Vergünstigungen und Poiesz kommt durch seine „Papierarbeit“ (S. 35) in den Besitz von Schreibmaterialien. So ist es ihm möglich, Übersetzungen und Predigten anzufertigen sowie einen ersten Entwurf für eine Schönstatt-Homiletik zu verfassen. Die Gestapo versucht ihn jedoch weiterhin durch Verhöre zu einem Geständnis zu drängen. Als dann die Staatsanwaltschaft entscheidet, dass kein Prozess gegen ihn anberaumt werden soll, wird ihm eine Freilassung zugesichert; doch diese Hoffnung bleibt unerfüllt. Stattdessen wird er „[o]hne weitere Begründung“ (S. 47) nach Klapperfeld zurückverlegt. Dort kann er zum ersten Mal heimlich Kontakt zur Außenwelt aufnehmen. Besondere Dienste erweisen dabei seine Nachbarn aus Eschhofen, die Eheleute Gustl und Johann-Ernst Fluck, die ihm nicht nur Lebensmittelpakete zustellen, sondern auch wöchentlich seine Wäsche zur Reinigung abholen und so die sorgfältig darin eingenähten Kassiber an seine Verwandten weiterleiten, wodurch Informationen über seine Haftzeit zu ihnen gelangen. Anschließend bringt man ihn aber erneut für kurze Zeit in die Untersuchungshaftanstalt in die Hammelgasse und nach mehreren ärztlichen Untersuchungen auf seine „Lagerfähigkeit“ (S. 78) steht schließlich fest: Poiesz wird nach Dachau überstellt.

Seiner Zeit im Konzentrationslager Dachau widmet Poiesz ein eigenes Kapitel. Eindrücklich schildert er die entindividualisierende Aufnahmeprozedur: „Der Mensch“, schreibt er, „war ausgelöscht. Nur eine Nummer war ich fortan“ (S. 89). Das Anlegen der Häftlingskleidung habe die Gefangenen schließlich „auch äußerlich zum Sklaven“ gemacht (ebd.). Den knapp einmonatigen Aufenthalt im Zugangsblock 15 für die sogenannte Seuchenquarantäne beschreibt er als eine äußerst „häßliche Zeit“, die durch „fürchterliche Enge“ (beide Zitate S. 91), stundenlange Appelle, einer Abstinenz von geistigen Reizen und Gewalt gekennzeichnet gewesen sei. Diese Erfahrung habe ihm bereits ein „rechtes Bild von der Lagerhölle“ (S. 99, Sperrung im Original) Dachaus geboten, die er im weiteren Verlauf – mit den Worten des Spiritus rectus der Schönstatt-Bewegung, Pater Josef Kentenich, – als „eine Sklavenstadt, eine Narrenstadt, eine Hungerstadt, eine Todesstadt“ (S. 102, Sperrung im Original) charakterisiert.

Im Priesterblock (Block 26), in den er anschließend verbracht wird, verlebt er trotz der grassierenden Krankheiten und der Enge, die er als „schlimmste Tortur“ (S. 103, Sperrung im Original) sowie „ständige Peinigung aller“ (S. 112, Sperrung im Original) beschreibt, verhältnismäßig erträgliche Zeiten. Dass er wie auch die anderen katholischen Priester zu den Vorzugshäftlingen in der perfiden Häftlingshierarchie gehört, ist ihm dabei durchaus bewusst: Zwar bleiben den Geistlichen die Erniedrigungen seitens der SS sowie das Misstrauen und die Missgunst der Mithäftlinge gegenüber den „Pfaffen“ (S. 116; vgl. auch S. 86) nicht erspart, den sonst allgegenwärtigen Hunger aber erfahren sie etwa „nur zu Zeiten“ (S. 115), als Paketlieferungen noch unerlaubt sind. Auch herrscht unter den geistlichen Gefangenen eine Kultur der Solidarität, der vernetzten Hilfe und intensiver Kommunikation, so dass sich Poiesz inmitten des unermesslichen Leids im Lager immer wieder auf vielfältige Weise auch „viel verborgenes Heldentum“ (S. 118, Sperrung im Original) offenbart. Außerdem befindet sich im Block 26 eine Lagerkapelle, in der die inhaftierten Geistlichen regelmäßig Gottesdienste, Predigten und sogar ein Pontifikalamt abhalten. Diese Ereignisse, wie auch die kirchengeschichtlich einmalige Priesterweihe und Primiz von Karl L. (gemeint ist Karl Leisner) im KZ Dachau, sind für ihn „geistige Höhepunkte“ im „graue[n] Alltag“ (beide Zitate S. 112) und in ihrer Wirkung für das psychische wie physische Überleben der geistlichen Gefangenen kaum zu überschätzen, denn: „Diese unsere geistige Arbeit hielt uns aufrecht, ja, ließ uns die Strapazen und unangenehmen Begebnisse des Lagers nicht nur tragen, sondern innerlich verarbeiten und auswerten.“ (S. 106)

Poiesz gibt zudem eine Vielzahl an Erlebnissen wieder, die er als froh und schön bezeichnet, auch wenn er mehrfach betont, dass derart „Freudiges“ lediglich vor dem „dunklen Hintergrund“ (beide Zitate S.103) der Lagerhölle und der „gespenstische[n] Silhouette des Kz.“ (S. 134) erkenntlich werde. Sie beziehen sich zumeist auf Bekanntschaften, die er dank seiner pastoralen Kommunikationsfähigkeit schnell schließt. Kurz nach seiner Ankunft im „Priesterblock“ gehört er so bereits den Schönstattpriestern rund um Pater Kentenich an. Die konspirativ arbeitende Schönstattgruppe beginnt im KZ ihr Werk strukturell und personell auszubauen, und das obwohl das Lagerleben „nervenzerrüttend und einer Gemeinschaftsarbeit garnicht [sic!] förderlich“ sei (S. 126). Dieses geistliche Miteinander veranlasst ihn, christliche Werte zu verkünden und auch vorzuleben: Er übernimmt die Arbeit für seinen durch eine Lungenentzündung geschwächten Freund oder steht seinen jugendlichen „Pflegesöhnen Iwan und Fedor“ (S. 124) priesterlich bei. Wenigen seiner engsten Wegbegleiter aber kann er nicht helfen: Zwei der insgesamt zwölf inhaftierten Pallottiner der Limburger Provinz, Pater Albert Eise und Pater Richard Henkes, verlieren in Dachau ihr Leben. Als sich in den letzten Wochen seiner Lagerhaft die Luftangriffe durch die anrückende Front verstärken, blickt er dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft: Einerseits sei ihm bewusst gewesen, „daß das Lager von feindlichen Fliegern genau gekannt und unbehelligt gelassen war“ (S. 138), so dass ein zerstörerischer Fliegerangriff auch künftig ausgeschlossen werden könne; andererseits spendet ihm der Gedanke, dass die Hand der Schönstatt-Mutter ihn beschützen werde, die notwendige Antriebskraft, um die letzten Tage bis zu seiner Befreiung zu be- und überstehen.

Der letzte Teil seines Berichts trägt den Titel „Der Todesmarsch“ und nimmt – obwohl er im Kern gerade einmal etwa einen Monat umspannt – fast ein Viertel der Gesamtlänge des Berichts ein. Als am 26. April 1945 die Evakuierung des Lagers angesichts der vorrückenden amerikanischen Truppen beginnt, sind sich die Häftlinge sicher, dass ihnen der „gewisse Tod“ (S. 141) bevorsteht. Während einige Leidensgenossen im Lager zurückbleiben (müssen), schließt sich Poiesz gemeinsam mit P. Heinrich Schulte und etwa 8.000 anderen Häftlingen dem Evakuierungsmarsch nach Tirol ins Ötztal an.

Ausführlich beschreibt er die Etappen des „Elendzug[s]“ (S. 146), der sich für die ausgemergelten Häftlinge als harte Probe erweist: Da die Marschroute teils durch die anrückenden Alliierten versperrt ist, werden sie nächtelang ohne ausreichende Verpflegung und bei nasskaltem Wetter umhergetrieben. Mit zunehmender Dauer des Marsches steigt die Zahl der Toten rapide. Doch „man ist so erschöpft“, schreibt Poiesz, „daß man das nur stumpf zur Notiz nimmt“ (S. 144). Nicht nur die Verrohung und Aggressivität der Häftlinge nimmt zu, die etwa Diebstähle untereinander teils mit brutaler Härte ahnden, sondern auch „die SS werden mit jeder Minute rasender“ (S. 155). Zwar gelingt es wenigen, sich von den stark bewachten Kolonnen abzusetzen, doch immer mehr brechen geschwächt zusammen und werden von den SS-Wachmannschaften erschossen. Und die Bevölkerung, so beobachtet Poiesz, schaut den durch die Ortschaften streifenden Kolonnen teilnahmslos zu: „Stumm standen die Leute und starrten uns mit schreckerfüllten Augen an. Man sah ihnen das Mitleid an, doch wagte keiner für uns einzutreten.“ (S. 157) Die Gefangenen verlieren ihre letzte Hoffnung und können „nicht anders glauben, als daß es ein düsteres Ende würde“ (S. 160).

Wider Erwarten werden die Geistlichen nach fünf kräftezehrenden Tagen am Abend des 1. Mai 1945 auf einen gesonderten Marsch nach Waakirchen gesetzt. Die Wachposten ergreifen die Flucht noch bevor sie das nächstgelegene Dorf erreichen und Poiesz notiert: „Da wußten wir: Jetzt geht es in die Freiheit“(S. 161, Sperrung im Original). Sie finden für zwei Tage Asyl in einer Kirche und werden am 3. Mai durch amerikanische Streitkräfte befreit. Nach einem Aufenthalt bei einem Gestütsbesitzer und einer mehrtägigen „abenteuerliche[n] Heimfahrt“ (S. 167, Sperrung im Original) kommt Poiesz schließlich Ende Mai zu Hause in Schönstatt an und wird festlich empfangen. Er schließt seinen Bericht hoffnungsvoll mit einer Frage, deren Beantwortung er bewusst dem Leser überlässt: „Habe ich nach allem das Recht an dem Satz zu zweifeln, der mich von Kindheit an begleitet hat, und der so eigentlich unsere Schönstätter Parole ist: MATER HABEBIT CURAM [Die Mutter trägt Sorge, Übersetzung aus der Ausgabe von 1949]?“ (S. 172; Sperrung im Original)

Der Autor widmet sein Buch ebendieser „Dreimal wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt“ (S. 6) sowie drei seiner Helfer während der Haft in Frankfurt: dem Ehepaar Johann-Ernst und Gustl Fluck, seinen Nachbarn aus Eschhofen, die sich als „gute Schutzengel“ (S. 34) erwiesen, sowie dem Hauptwachtmeister Zick („Engel“) aus der UHA Hammelgasse.

Biografie

Wilhelm Poiesz (geb. 12.01.1904 in Herne in Westfalen, gest. 03.11.1992 in Limburg an der Lahn) wuchs als eines von sieben Geschwistern in einer katholisch geprägten Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet auf. Das Rüstzeug für seine kirchliche Laufbahn erwarb er während seiner humanistischen Studien im Studienheim der Pallottiner in Ehrenbreitstein, die er am 9. April 1918 begann. Nach seinem Abitur im Jahr 1925 am Gymnasium in Freising trat er in die Gesellschaft vom Katholischen Apostolat Vinzenz Pallottis (lat. Societas Apostolatus Catholici, Ordenskürzel S.A.C) ein; seine Einkleidung erfolgte am 1. Mai 1925. Poiesz bestritt sein Noviziat in Hofstetten und legte nach dessen Verlegung nach Olpe am 25. April 1927 dort seine erste Profess ab. Sein Studium der Theologie und Philosophie absolvierte er an der Hochschule der Pallottiner in Limburg an der Lahn. Die Priesterweihe empfing er am 12. Juli 1931 im Limburger Dom durch Bischof Dr. Antonius Hilfrich. Anschließend nahm er für zwei Semester ein Studium der Germanistik und klassischen Philologie an der Universität Münster/Westfalen auf, das er später in Fribourg fortsetzte. Während seiner Zeit in der Schweiz war er von 1932 bis 1934 als Spiritual aktiv. Ab Ostern 1934 wirkte er als Jugenderzieher und Lehrer im Studienheim der Pallottiner, ein Jungeninternat in Schönstatt bei Vallendar am Rhein. Als dieses 1938 vom nationalsozialistischen Regime zwangsgeschlossen wurde, trat er eine Stelle an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Pallottiner in Limburg an, wo er von 1939 bis 1941 Homiletik (Predigtlehre) unterrichtete. In dieser Zeit war er zudem als Prediger im Dom sowie als diözesaner Jugendseelsorger im Dekanat Dietkirchen tätig. Von Juni 1941 bis Ende 1942 bekleidete er das Amt des Kaplans in der St. Antonius Pfarrei in Eschhofen.

Wegen angeblicher staatsfeindlicher Äußerungen wurde der damals 38-jährige Pfarrkurat am 22. Dezember 1942 nach einer Haussuchung des Pfarrhauses in Eschhofen von der Gestapo verhaftet und ohne Gerichtsverfahren oder Verurteilung sofort im Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt am Main festgesetzt. Seine dortige, rund vierzehnmonatige Haftstrafe wurde durch einen ersten Aufenthalt im Gerichtsgefängnis in der Hammelsgasse (Frankfurt am Main) vom 5. März 1943 bis Herbst 1943 unterbrochen. Am Morgen des 21. Januar 1944 wurde er dann zum zweiten Mal von Klapperfeld in die Untersuchungshaftanstalt Hammelsgasse überführt und blieb dort bis zur seiner Verlegung in das KZ Dachau wegen angeblicher Verbreitung von „Feindnachrichten“ am 11. Mai 1944 (ITS/DocID: 90423071). Während der achtzehn Monate, die er insgesamt in beiden Gefängnissen verbrachte, verlor er beide Eltern (Josef und Julie) und seinen Onkel. Auch sein jüngster Bruder Werner, der sich nach Wilhelms Vorbild ebenfalls den Pallottinern angeschlossen hatte, erlag seinen schweren Kriegsverletzungen.

Nach einem zweitägigen Transport von Frankfurt über Nürnberg traf er am 13. Mai 1944 im Konzentrationslager Dachau ein und erhielt die Sträflingsnummer 67959. In den Akten der KZ-Gedenkstätte Dachau ist er mit dem Vermerk „Sch DR.“ für „Schutzhäftling“ geführt. Nach einer einmonatigen Quarantäne in Zugangsblock 15 wurde er in den Priesterblock 26 eingewiesen, in dem zunächst nur deutsche Priester und Pfarrer, später aber Geistliche aus verschiedenen Nationen inhaftiert waren. Nach eigener Aussage wurde er einem Sonderarbeitskommando, das in der an das Häftlingslager grenzenden Gärtnerei tätig war, und anschließend dem „Unkraut-Kommando Liebhof“ (Poiesz 1948, S. 105) zugeteilt. In der „Schutzhaft“ schloss er sich zudem der Gruppe um Pater Joseph Kentenich (1885-1968), Gründer der in der Nazi-Zeit verbotenen internationalen geistlichen Erneuerungsbewegung Schönstatt, an und unterstütze fortan die Schönstattgruppen sowie deren Bemühungen um den Aufbau eines „Schönstatt-Offiziums“. Außerdem übersetzte er im Lager die deutsche Fassung von Kentenichs Horarium „Tagzeiten“ ins Lateinische, die lingua franca unter den aus verschiedenen Ländern inhaftierten katholischen Priestern.

Nach knapp elfmonatiger Haft wurde Poiesz am 26. April 1945 auf einen Evakuierungsmarsch aus dem KZ Dachau geschickt, auf dem er nach tagelangen Strapazen am 3. Mai 1945 im oberbayerischen Waakirchen von amerikanischen Truppen befreit wurde. Er kehrte Ende Mai 1945 nach Schönstatt zurück und versah dort ab Herbst desselben Jahres bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Homiletik und Katechetik (Praktische Theologie) an der von Limburg nach Vallendar verlegten Philosophisch-Theologische Hochschule. Nach dem Krieg war er zudem Mitherausgeber der Monatsschrift „Der Rosenkranz“ für marianisch-apostolische Lebensgestaltung und begründete gemeinsam mit Patres Bange, Patres Schützeichel und Patres Danko die Informationszeitschrift „Pallottis Werk – daheim und draußen“. Seine Texte wurden teils vertont oder kamen auch als Lieder zum Vortrag. Schon bald machte er sich einen Ruf als „Meister des Wortes“ (Fluck 2019, 12). Eine weitere Leidenschaft von Poiesz war die Bühnenkunst. So übernahm er von 1945 bis in die 1960er-Jahre gemeinsam mit seinem vier Jahre älteren Bruder Bernd Poiesz, dem „Sprecherzieher von Schönstatt“ (o. A. 1957, S. 17) mit NSDAP-Vergangenheit, die Leitung der Theaterspiele im Studienheim Schönstatt. Im Ruhestand unterrichtete er Deutsch für ausländische Studierende. Im Jahr 1992 kehrte er dann in sein Mutterhaus nach Limburg zurück, wo er am 3. November 1992 im Alter von 88 Jahren starb.

Quellen:


Werkgeschichte

Aus dem Vorwort geht hervor, dass Poiesz bereits 1945, kurz nach seiner Befreiung, mit der Niederschrift seines Leidensweges durch verschiedene Gefängnisse, dem KZ Dachau und den Todesmarsch für das Provinz-Archiv begann (S. 5). Sein Anliegen sei es gewesen, so Poiesz, einen Beitrag zur „Geschichte [der] Provinz im Dritten Reich“ (ebd.) zu leisten. Er betont, dass der Bericht zunächst gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei und auch nicht „die übliche Kz.-Literatur vermehren“ sollte (ebd.). Nachdem aber „gute Freunde ihn im Ausland“ verbreitet hatten, beschloss er, seinen Erlebnisbericht auch „im Innenland dem engeren Freundes- und Bekanntenkreises“ (alle Zitate ebd.) zugänglich zu machen.

Das Werk wurde erstmals 1948 in einer Gesamtauflage von 3.000 Exemplaren im Lahn-Verlag verlegt. Von der amerikanischen Besatzungsbehörde lizenziert, wurde der Bericht, wie bei Buchveröffentlichungen von Ordensangehörigen üblich, einer Unbedenklichkeitsprüfung hinsichtlich der katholischen Glaubens- und Sittenlehre unterzogen, und H. Schulte SAC (vermutlich Pater Heinrich Schulte, der ebenfalls in Dachau inhaftiert war) erteilte daraufhin laut nihil obstat-Druckvermerk am 1. September 1947 das Imprimi potest. Das Werk erhielt zudem das notwendige kirchliche Imprimatur, wie der Zusatz „Mit kirchlicher Druckerlaubnis“ auf der Rückseite des Titelblatts zeigt.

1949 erschien ebenfalls im Lahn-Verlag eine zweite Ausgabe mit erhöhter Auflage. Neben einem von der Erstausgabe abweichenden Festeinband wurden umfangreiche Änderungen vorgenommen, so dass die Seitenanzahl trotz der Reduzierung des Sperrsatzes auf 176 Seiten gestiegen ist. Dies ist zum einen auf kleinere Änderungen in der Seitengestaltung sowie auf stilistische Überarbeitungen zurückzuführen. Zum anderen nahm Poiesz größere inhaltliche Eingriffe vor, indem er nachträglich einige Klarstellungen hinzufügte, um sich einer stärkeren Adressatenorientierung und Kohärenzherstellung zu bemühen, möglicherweise weil die Leserschaft größer geworden war: Er aktualisierte und korrigierte fehlerhafte Vitas der von ihm vorgestellten Personen und fügte zum Teil Übersetzungen für lateinische Verse hinzu. Auch kommentierte, relativierte oder präzisierte er getroffene Aussagen und legte seine Handlungsmotive expliziter dar. Einige Episoden wurden ergänzt, manche gestrichen und nicht wenige Passagen gänzlich umgeschrieben. In der Widmung etwa heißt es nun deutlich verallgemeinert: „Gewidmet sei das Büchlein allen Gottesboten, die den Weg des Gestapo-Häftlings kreuzten: all den guten Menschen nämlich, deren selbstlose und wagemutigen Taten ihm immer wieder und oft ganz unverhofft Hilfe und Freude brachten. Und neben diesen lieben Menschen: Der Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt.“ (1949, S. 6)

Quellen:

  • Poiesz, Wilhelm: Gefangener der Gestapo. Limburg-Lahn 1948.
  • Poiess, Wilhelm: Gefangener der Gestapo. Limburg-Lahn 1949.



Bearbeitet von: Jennifer Ehrhardt