Gestapoterror in Luxemburg (1949)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Gestapoterror in Luxemburg
Autor Stumper, Robert (1895-1977)
Genre Sonstige

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1949
Titel Gestapoterror in Luxemburg

Erscheinungsort
Erscheinungsjahr 1949
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Gedruckt von Buchdruckerei-Buchbinderei H. Ney-Eicher
Publiziert von Stumper, Robert (1895-1977)

Illustriert von Elvinger, Paul (1907-1982)

Umfang 40 Seiten
Abbildungen 2 (Fotografien des SS-Sonderlagers Hinzert im Winter 1942)


Zusammenfassung

Robert Stumper beschreibt in seiner chronikähnlichen Aufarbeitung der historischen Geschehnisse die Verfolgungsmaßnahmen der Gestapo nach der Besetzung Luxemburgs. Er thematisiert dabei besonders die symbolischen Widerstandshandlungen patriotischer Luxemburger. Am Ende der Broschüre widmet er sich der „Psychologie des KZ.-Häftlings“ (S. 29) und stellt dar, welche Folgen Angst, Hunger und Rachegefühle für die Seele intellektueller Häftlinge haben.

Im ersten Teil, der denselben Titel wie das Buch trägt, stehen die öffentlichen Widerstandshandlungen der Luxemburger und die verschiedenen Verhaftungswellen im Land durch die Gestapo im Zentrum. So schildert Stumper beispielweise, wie in Ettelbrück zahlreiche Hakenkreuzfahnen nachts abgehängt und in den Fluss geworfen werden, damit diese symbolisch „Heim ins Reich“ (S. 6) schwimmen. Als Strafe werden 21 Bürger verhaftet, im Luxemburger Gestapo-Gefängnis in der Villa Pauly verhört und später zu hohen Bußgeldzahlungen verurteilt. Generell haben Widerstandsmaßnahmen immer wieder direkte Folgen für die Bevölkerung: Mehrere Terrorwellen erschüttern das Land, Massenverhaftungen werden durchgeführt, die Verdächtigen verhört, man legt ihnen hohe Geldzahlungen auf oder deportiert sie in das SS-Sonderlager Hinzert. Die Gestapo geht brutal vor, so wird eine ihrer Aussagen in den Bericht aufgenommen: „Wir sind mit den Separatisten im Rheinland fertig geworden, wir haben bei uns den Kommunismus ausgerottet, wir werden auch mit einer Handvoll Luxemburger fertig werden! Wer sich uns entgegenstellt, wird erbarmungslos vernichtet!“ (S. 7). Dennoch, so betont Stumper, zeigt sich „bei […] mannigfaltigen Gelegenheiten der Widerstandswille des luxemburger Volkes“ (S. 4). Die Luxemburger werden dabei als mutig, gewitzt, freiheitsliebend und patriotisch charakterisiert; die beschriebenen Aktionen aus den Jahren 1940 bis 1942 haben zudem oft einen humoristischen Beigeschmack. Ein besonderer Fokus des Berichts liegt auf der großen Verhaftungswelle vom 4. bis 6. November 1941, bei der über 1.000 Menschen – unter anderem auch der Autor – festgenommen werden. Stumper schildert Gründe für die Verhaftung sowie den Ablauf, kommentiert die Pläne und Arbeitsweisen der Gestapo und nennt die persönlichen Daten von Verhafteten. Die Gestapo-Verhöre beschreibt er in einem eigenen Kapitel als „Methode der Einschüchterung, der seelischen Zermürbung, der Vernichtung seelischer Spannkraft“ (S. 20). Dabei gibt er auch die Gedanken der Häftlinge und somit eine Innensicht der Gefolterten wieder.

Stumper geht in seiner Analyse sehr differenziert vor und thematisiert auch den Widerstandswillen innerhalb des luxemburgischen Volks im Einzelnen. So heiße es zwar, dass vor allem Arbeiter darin involviert gewesen seien, jedoch möchte Stumper gezielt die Diskussionen im Land um „eine Monopolstellung des Patriotismus“ (ebd.) beilegen; Vertreter alle Schichten seien im Widerstand aktiv gewesen. Mit der Schilderung des SS-Sonderlagers Hinzert, in dem Stumper mit vielen anderen Luxemburgern inhaftiert ist, wird der erste Teil des Buches abgeschlossen. Stumper ist sich bewusst, dass schon vieles über das Lager geschrieben worden sei, dennoch möchte er „allerhand, weniger Bekanntes“ (S. 23) beschreiben. „Einige wenige Streiflichter und Erinnerungen“ (S. 24) thematisieren die unmenschlichen Schikanen, die das Lagerpersonal ausübt, und deren niederträchtigen Charakter, der durch Alkohol und „erotische Exzesse“ (S. 28) beeinflusst werde. Dabei tritt erstmals die eigene Geschichte des Autors in den Fokus und er erzählt seine Verfolgungsgeschichte nun in der Ich-Form: Seiner Ehefrau gelingt es, die Verlegung nach Dachau zu verhindern, und nach einer Operation wird er im Krankenhaus Hermeskeil von Nonnen gepflegt.

Der zweite Teil des Buches, „Zur Psychologie des KZ.-Häftlings“ (S. 29), ist aus der Beschäftigung mit den nach dem Krieg publizierten Tatsachenberichten entstanden, die oft die äußeren Ereignisse der Haft schildern. Darauf aufbauend möchte Stumper in seinem Text die psychologischen Effekte der KZ-Haft auf den intellektuellen Häftling beschreiben. Den Fokus auf die Intellektuellen begründet er damit, dass „Menschen mit einfacherer, robusterer geistiger Struktur […] sich naturgemäss eher und besser in die anormalen Verhältnisse“ (S. 38) finden. Stumper macht drei wichtige Aspekte aus, welche die „wirklich dominierenden Komponenten im Seelenleben des KZ.-Häftlings“ sind: „Angst, Hunger und Hass-Rache“ (beide Zitate S. 31, Hervorhebungen im Original). Die Angst werde in den Häftlingen gezielt durch die Gestapo geschürt, die ihnen das Gefühl gibt, „in dauernder Lebensgefahr“ (S. 33) zu sein. Die Unsicherheit über das eigene Schicksal und die Todesangst stumpfe die Menschen ab, so dass sie „gleichgültiger gegenüber eigenen oder fremden Schicksalsschlägen“ (ebd.) werden und sich in eine „Einsamkeit inmitten wimmelnder Menschenmassen“ (S. 34) zurückziehen. Nur die Unterstützung der Mithäftlinge könne diese Entwicklung unterbrechen. Den luxemburgischen Häftlingen ergeht es allerdings in der Haft besser als manch anderen, räumt Stumper ein, da sie über vielfältige Sprachkenntnisse verfügen und als kleine Gruppe zusammenhalten. An dieser Stelle geht der Autor das einzige Mal auf nicht-luxemburgische Häftlinge ein und fragt: „Wenn Angst und Furcht schon die Dominanten im Seelenleben der ‚besseren‘ Häftlinge waren, wie war es erst damit bei den Juden und Polen bestellt, für die die Gleichung: Leben ist Tod offiziell zugunsten des letzteren gelöst war? Diese Unglücklichen lebten, wenn man so sagen darf, in dauerndem Coma“ (S. 34f.). Stumper geht im zweiten Teil des Buches zudem auf die Sexualität im Lager ein. Die Häftlinge seien durch den fehlenden Geschlechtsverkehr „streitsüchtig, kleinlich, argwöhnisch“ geworden und „in sexuelle Perversitäten“ (beide Zitate S. 32) verfallen. Er bezieht sich bei seinen Schilderungen auf die psychologischen Theorien Freuds und Vischers. Er hält fest: „Es besteht kein Zweifel: kein Mensch hat das KZ. verlassen, wie er hineingekommen war und das KZ.-Erlebnis stempelt seinen Träger bis zum Ende seiner Tage“ (ebd.).

Eines der Ziele des Autors ist es, zwischen zurückgekehrten Häftlingen und ihren Landsleuten zu vermitteln. Er appelliert daher abschließend zum einen an den luxemburgischen Staat und seine Bürger, für die zurückgekehrten Häftlinge eine heilende Normalität zu schaffen. Zum anderen ruft er aber auch die Häftlinge dazu auf, die Realität zu akzeptieren und die KZ-Haft nicht als Argumentationsmittel zur Umsetzung eigener Vorstellungen zu nutzen. Nur die Einigkeit aller Luxemburger könne der Garant für eine glückliche Zukunft sein.

Stumper, der seinen Text abschließend mit seiner Häftlingsnummer „H. 2344“ (S. 40) zeichnet, arbeitet mit grafischen Hervorhebungen, um einzelne Begriffe in den an sich meist kurzen Kapiteln optisch zu betonen. Er bedient sich zudem einer deutlichen und emotionalen Sprache, so heißt es zum Beispiel direkt zu Beginn des Textes: „Auch Luxemburg musste die dumpfe und verpestete Atmosphäre eines schleichenden und allgegenwärtigen Nazi-Terrors kennenlernen“ (S. 3). Der Text ist als Sammlung oder Chronik angelegt, in der die wichtigsten Ereignisse und Personen geschildert werden. Stumper geht dabei sehr detailliert vor, nennt Listen mit Namen und Geburtsdaten von Verhafteten und die Geldsummen, die sie als Strafe für Widerstandsaktionen bezahlen müssen. An einigen Stellen schreibt Stumper zynisch und voller Spott, wenn er etwa die Haft in Hinzert als „Kur“ (S. 24) bezeichnet. Um den dokumentarischen Charakter des Berichts zu unterstreichen, zitiert er aus geheimen Schriften und Plakaten der Gestapo, aus Zeitschriften ebenso wie aus Erinnerungstexten anderer Überlebender wie dem Norweger Waldemar Brøgger alias Carsten Frogner. Er setzt dabei bei seinen Lesern ein Vorwissen voraus, wenn er Abkürzungen beispielsweise nicht aufschlüsselt oder französische Sätze einfließen lässt und den Text so besonders an ein luxemburgisches Lesepublikum richtet.


Biografie

Robert Stumper (geb. 21.01.1895 in Grevenmacher, gest. 15.04.1977 in Luxemburg) arbeitete nach seinem Chemiestudium ab 1922 als Ingenieur für verschiedene Firmen, unter anderem ab 1925 als Chef der Laboratorien bei einem luxemburgischen Stahlhersteller. Er publizierte zudem wissenschaftliche Bücher zu chemischen und biologischen Themen: In weit über hundert Texten beschäftigte er sich mit Ameisen, Orchideen und der angewandten Chemie. Seine Forschungen wurden unter anderem mit der Benennung einer Ameisenart nach ihm gewürdigt.

Während der deutschen Okkupation Luxemburgs wurde Stumper festgenommen, da er im Verdacht stand, für Russland Propaganda betrieben zu haben. Am 5. November 1941 wurde er mit anderen luxemburgischen Häftlingen in das SS-Sonderlager Hinzert eingeliefert, wo er unter der Nummer 2344 geführt wurde. Am 11. Februar 1942 wurde er von Hinzert aus an das Einsatzkommando Luxemburg zurücküberstellt, das ihn schließlich am 10. März 1942 entließ. Nach dem Krieg beantragte er zwar keine offizielle Anerkennung als Widerstandskämpfer, berichtete aber in verschiedenen Medien über seine KZ-Erfahrungen, so zunächst in seinem Bericht „Gestapo-Terror in Luxemburg“ (1949), aber auch in Zeitungen wie „Rappel“ (1951), dem „Livre d’Or de la Résistance luxembourgeoise“ (1952) und der „Obermoselzeitung“ (1945). Als Gründungspräsident der „Liga der Luxemburgischen politischen Gefangenen und Deportierten“ (LPPD) setzte er sich aktiv für die Rückkehr ehemaliger luxemburgischer Häftlinge ein.

Stumper gelang die soziale und berufliche Reintegration und er arbeitete nach seiner Heimkehr zunächst wieder bei dem Stahlhersteller ARBED, 1948 wechselte er zu einem Zementhersteller. Er widmete sich erneut auch wieder seinen Ameisenforschungen. Ab den 1950er Jahren scheint er nicht mehr aktiv in der Erinnerungsarbeit der ehemaligen luxemburgischen Häftlinge mitgewirkt zu haben.

Quellen:

  • Dokumentations- und Forschungszentrum zum Widerstand in Luxemburg (Villa Pauly), schriftliche Auskunft vom 22.12.2014.
  • National Archives at College Park, Maryland, NARA A 3355, Film 5, Teil I,II (weitergeleitet durch die Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert).


Werkgeschichte

Die Motivation für die Niederschrift der Erinnerungen legt Stumper bereits zu Anfang seines Buches dar: „[E]s ist die Aufgabe unserer Generation, die alles das mit- und durchmachen musste, das Schicksal Luxemburgs unter der Naziknute ausführlich niederzulegen, damit die kommenden Geschlechter sich ein genaues Bild von der […] Kriegszeit machen können“ (S. 3). Einen ersten Bericht über die „Gestapomethoden“ in Luxemburg, so auch der Titel, legte Stumper 1945 für die Obermoselzeitung vor. Dieser erschien auch als Separatdruck. Die eigenständige Publikation „Gestapo-Terror in Luxemburg“, in der seine Haftzeit und die eigenen Ergebnisse nur am Rande thematisiert werden, legte er in einer einmaligen Ausgabe 1949 vor.

Quellen:

  • Dokumentations- und Forschungszentrum zum Widerstand in Luxemburg (Villa Pauly), schriftliche Auskunft vom 22.12.2014.
  • Stumper, Robert: Gestapoterror in Luxemburg. o.O. 1949.



Bearbeitet von: Christiane Weber