Giordano, Ralph (1923-2014)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
Wechseln zu: Navigation, Suche
Autor von: Morris (1948)
Die Karte wird geladen …
Name Giordano, Ralph

Geschlecht männlich
Geburtsdatum 20. März 1923
Geburtsort Hamburg
Sterbedatum 10. Dezember 2014
Sterbeort Köln
Tätigkeit Publizist, Journalist, Schriftsteller
Externe Referenzen Deutsche Nationalbibliothek Virtual International Authority File Deutsche Biographie Wikidata

Biografie

Ralph Giordano (geb. 20.03.1923 in Hamburg, gest. 10.12.2014 in Köln) wurde als Sohn eines Pianisten und einer jüdischen Klavierlehrerin geboren und wuchs mit zwei Geschwistern auf. Sein Großvater väterlicherseits, ein Orchesterleiter, war als junger Mann von Sizilien nach Deutschland immigriert. Giordano besuchte zunächst nach der Machtübernahme Adolf Hitlers die Volksschule und später das renommierte humanistische Gymnasium Johanneum. Zunehmend sah er sich jedoch antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Als Siebzehnjähriger musste er 1940 aufgrund der ‚Nürnberger Rassegesetze‘ die Schule schließlich ohne Abitur in der Obersekunda (11. Klasse) verlassen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mehrfach von der Gestapo verhört und schwer misshandelt worden, das erste Mal gerade 16-jährig im September 1939. Im Sommer 1943 verlor die Familie infolge eines Bombenangriffs ihre Wohnung und zog vorübergehend nach Bösdorf in die Altmark, kehrte jedoch ein Jahr später nach Hamburg zurück. Als die Deportation der Mutter drohte, tauchte die Familie unter. Ähnlich wie der Jude Morris in Giordanos 1948 veröffentlichter Kurzgeschichte „Morris. Die Geschichte einer Freundschaft“ lebte Giordano zusammen mit seinen Eltern und den beiden Brüdern den Krieg versteckt im Keller einer Freundin in Hamburg-Alsterdorf bis zur Befreiung durch die britische Armee am 4. Mai 1945.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Giordano seine journalistische Tätigkeit bei der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“. Am Deutschen Literaturinstitut Leipzig absolvierte er eine journalistische Ausbildung. Zudem trat er der sich neu konstituierenden Jüdischen Gemeinde in Hamburg bei. 1946 wurde er außerdem Mitglied der Hamburger Kommunistischen Partei (KPD) und schrieb in den folgenden zehn Jahren auch für kommunistische Zeitungen. In Westdeutschland gab er unter dem Pseudonym Jan Rolfs beim Verlag Neues Leben 1953 ein „Westdeutsches Tagebuch“ heraus, das von Aktionen der KPD in Hamburg berichtete und seine Verehrung für Stalin zeigte. 1955 siedelte Giordano in die DDR über, kehrte jedoch nach zwei Jahren wieder nach Hamburg zurück. 1957 trat er wegen seiner zunehmend kritischen Haltung zum Stalinismus wieder aus der KPD aus.

Im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland beobachtete er ab 1958 die beginnenden Prozesse gegen führende Nationalsozialisten. 1961 folgte dann mit seinem Buch „Die Partei hat immer recht“ eine Abrechnung mit dem Stalinismus und seinem eigenen Engagement in der KPD. Außerdem arbeitete er ab 1961 als Fernsehjournalist und produzierte zahlreiche Dokumentationen für verschiedene Sender, zunächst für den Norddeutschen Rundfunk (NDR) und ab 1964 bis zu seiner Pensionierung 1988 für den Westdeutschen Rundfunk (WDR). Wiederkehrende Themen waren etwa der deutsche Kolonialismus oder der Völkermord an den Armeniern.

1982 veröffentlichte er das teilweise autobiographische Werk „Die Bertinis“. An der Lebensgeschichte einer jüdischen Familie in der Zeit des Nationalsozialismus hatte er fast vierzig Jahre gearbeitet. Das Werk wurde ein deutscher und internationaler Bucherfolg und wurde 1988 für das ZDF verfilmt. Im Dezember 1984 starb seine erste Ehefrau Helga. 1987 erschien sein Buch „Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein“, in dem Giordano sich mit der Verdrängung und dem Fortbestand des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzte. Darin thematisierte er den Unwillen breiter Teile der deutschen Öffentlichkeit zu einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und zur Entschädigung der Opfer. Ebenso kritisierte er die politischen Entscheidungen, die es Mittätern ermöglichten, auch in der Demokratie wieder in Amt und Würden zu gelangen. Dieses Verhalten bezeichnet er als ‚zweite Schuld‘.

Am 22. Juli 1994 heiratete Giordano seine zweite Frau Roswitha Everhan, die nach fünfeinhalbjähriger schwerer Krebserkrankung am 16. Sept. 2002 verstarb. Wegen mangelnder Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit der ostdeutschen PEN-Mitglieder im Zuge der Fusion mit dem westdeutschen PEN trat Giordano im Frühjahr 1997 aus der Vereinigung aus. Aus Sorge um den neu aufkeimenden Rechtsextremismus unter Jugendlichen wandte sich Giordano in den 1990ern auch wiederholt mahnend an die Öffentlichkeit. 1992 schrieb er etwa einen offenen und viel diskutierten Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem er der Regierung vorwarf, nicht bereit zu sein, Minderheiten den notwendigen Schutz zu gewähren. 2000 setzte er sich in der Publikation „Die Traditionslüge“ mit den undemokratischen Wurzeln der Bundeswehr auseinander. Im Mai 2002 protestierte er zudem in einem offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den Schriftsteller Martin Walser gegen die seiner Ansicht nach geschichtsverfälschenden Äußerungen Walsers, der zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges auf Einladung Schröders in der Berliner SPD-Zentrale offizieller Redner war. Außerdem positionierte sich Giordano 2003 für den Irak-Krieg, kritisierte 2007 den Bau der Großmoschee in Köln-Ehrenfeld und warnte vor einem Erstarken des fundamentalistischen Islam. Vor allem für letzteres erhielt er viel öffentliche Kritik. Er war auch immer wieder Morddrohungen durch Neonazis ausgesetzt.

Für seine publizistische Arbeit erhielt Giordano zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen. Er wurde etwa 1968/69 mit dem Grimme-Fernsehpreis geehrt, 1990 erhielt er den Heinz-Galinski-Preis und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Ebenfalls seit 1990 ist er Ehrendoktor der Universität Kassel und seit 1992 Träger des Nordrhein-Westfälischen Verdienstordens. 2001 wurde Giordano mit dem Hermann-Sinsheimer-Preis für Literatur und Publizistik ausgezeichnet, im September 2003 erhielt er den Leo-Baeck-Preis. Am 18. Juni 2009 wurde Giordano mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Quellen: