Häftling X. in der Hölle auf Erden (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Häftling X. in der Hölle auf Erden
Autor Dietmar, Udo (1910-1974)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1946, Mainz
Titel Häftling X. in der Hölle auf Erden

Erscheinungsort Mainz
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Rheinischer Volksverlag
Gedruckt von Mainzer Verlagsanstalt und Druckerei Will und Rothe KG
Publiziert von Dietmar, Udo (1910-1974)

Umfang 152 Seiten

Lizenz Visa NR. 1.-565/P de la Direction de l’Education Publique Autorisation Nr. 1.412, Französische Zone
Preise 3.50 RM
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
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Ausgabe von 1946, Weimar
Titel Häftling ... X ... in der Hölle auf Erden!

Erscheinungsort Weimar
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Thüringer Volksverlag

Publiziert von Dietmar, Udo (1910-1974)

Umfang 149 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Zusammenfassung

Unter dem Pseudonym Udo Dietmar erzählt der Autor in seinem Erinnerungsbericht von seiner mehrjährigen Haftzeit als politischer Häftling im Polizeigefängnis Köln und in den Konzentrationslagern Natzweiler, Dachau und Buchenwald. Seinen Bericht beginnt er wenige Wochen nach der Befreiung aus dem KZ Buchenwald. Die Schrecken der Lagerhaft sind noch sehr frisch, die Freiheit noch lange nicht selbstverständlich: „Die Brust droht zu zerspringen in diesem unendlich beseeligenden Gefühl“ (S. 13). Noch lebt er jedoch mit der Ungewissheit, ob seine Familie noch am Leben ist, vor allem sein inzwischen zwölfjähriger Sohn, den er zum letzten Mal sah, als dieser vier Jahre alt war. Dietmars Wunsch ist es, „als Zeugnis der Wahrheit“ (S. 11) für alle gestorbenen und getöteten Kameraden aus den Konzentrationslagern zu sprechen. Er will von ihren Leiden und Qualen erzählen, damit ihr Tod nicht umsonst war: „Ich werde reden vor aller Welt, wie ihr gelitten habt, wie qualvoll ihr hingemordet worden seid und werde nicht müde werden, zu erzählen, bis auch dem letzten noch Geblendeten das Licht der Erkenntnis aufgeht“ (S. 15). Seinen Bericht und den Reinerlös des Buches widmet er den Opfern des Faschismus.

Das Werk ist in drei große Kapitel unterteilt, welche die Titel „Natzweiler“, „Dachau“ und „Buchenwald“ tragen. Über die Zeit in diesen drei Konzentrationslagern erzählt Dietmar in oft chronologisch und thematisch unabhängigen Episoden. Dietmar mischt seine eigenen Erlebnisse mit den Berichten über das Schicksal zahlreicher Lagerkameraden sowie allgemeinen Schilderungen über die Zustände in den Konzentrationslagern. Dialoge und Bewusstseinsströme vermitteln unmittelbare Einblicke. Dietmar hebt einzelne Wörter und Textstellen hervor, indem er sie gesperrt setzt. Sehr häufig verwendet er Gedankenstriche, um einzelne Aussagen hervorzuheben, aber auch um Erschöpfungszustände deutlich zu machen und Stellen zu markieren, an denen Worte nicht ausreichen, um das Empfundene zu vermitteln. Überwiegend berichtet er in chronologischer Reihenfolge in Vergangenheitsform.

Bereits 1934 wird Dietmar als „verkappter Kommunist“ (S. 91) festgenommen, dann jedoch zunächst wieder entlassen. Seinen Bericht beginnt er jedoch erst mit seiner Überstellung vom Polizeigefängnis Köln in das KZ Natzweiler 1941. Detailliert und ausführlich beschreibt er seine Ankunft und die ersten Tage im Lager, sein Entsetzen und das Grauen angesichts der menschenunwürdigen Zustände und Behandlung. Es erinnert ihn an Dantes „Inferno“. Hunger, Durst, harte Zwangsarbeit und Entkräftung zermürben ihn und lassen ihn abstumpfen.

Durch eine Denunziation seitens der SS wird Dietmar vom Kommandanten Kramer zum Tod durch den Strang verurteilt. 53 Tage verbringt er in Einzelhaft und wartet jeden Morgen auf die Vollstreckung des Urteils. Während die Front jedoch immer näher rückt, wird das Lager aufgelöst und die überlebenden Häftlinge im Juni 1944 nach Dachau verlegt. Auch Dietmar ist darunter. Als Kapo muss er die menschenunwürdigen Arbeitseinsätze überwachen und erlebt einen alliierten Bombenabwurf auf das Lager. Der Aufforderung sich ‚freiwillig‘ zur Front zu melden, verweigert er sich und wird wenig später seiner Funktion enthoben und „für den Transport abgestellt“ (S. 94). Er wird nach Buchenwald in das „Golgatha in Thüringen“ (S. 99) verlegt. Das Lager streift er nur kurz: „Was ich von Buchenwald erzählen kann, ist nicht viel, dafür aber schrecklich genug“ (S. 99). Schon bald lässt er sich einem Außenkommando in der Rhön, nahe Eisenach, zuteilen. In einem Salz- und Kalibergwerk leitet er als Kapo sein inzwischen fünftes Kommando. Dietmar betont jedoch wiederholt, dass er trotz seiner Kapo-Tätigkeiten in erster Linie Häftling gewesen sei und sich an Grausamkeiten gegen die Gefangenen nicht beteiligt, sondern versucht habe, diese zu schützen und zu schonen, wo es ihm möglich war. Beim Nahen der Front wird das Lager evakuiert und die Häftlinge auf einen Marsch zurück nach Buchenwald geschickt. Ihre Erschöpfung, das Grauen und die Verzweiflung werden durch die Häufung von Bindestrichen zwischen den Wörtern verdeutlicht. Am 11. April 1945 wird der Autor in Buchenwald von der amerikanischen Armee befreit. Sein Bericht endet mit den Feierlichkeiten im Lager zum 1. Mai, die der Autor mit Dankbarkeit, dem Gefühl der Völkergemeinschaft und des Beginns eines Weltfriedens wahrnimmt: „Dieser Tag hatte mir die schönste und eindrucksvollste Maifeier meines Lebens geschenkt“ (S. 148).

Dietmar zitiert neben Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“ auch das bekannte „O Buchenwald“, das Ende 1938 in Buchenwald von den Häftlingen Fritz Löhner-Beda, Schlagertexter und Schriftsteller, sowie dem Komponisten Hermann Leopoldi verfasst wurde. Außerdem fügt er seinem Bericht die deutsche Nachdichtung des russischen Arbeiterlieds „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ sowie einen Zeitungartikel aus der „Hessischen Post“ vom 19. Mai 1945 zum alliierten Bombenabwurf auf Dachau hinzu. Er nutzt seinen Text zudem für einen Aufruf an die Braut des Mithäftlings und Freundes Hermann, sich doch an den Verlag oder an die nächste „Betreuungsstelle für die Opfer des Faschismus“ (S. 144) zu wenden, damit er ihr die letzten Grüße des verstorbenen Kameraden ausrichten könne. Dietmar beendet seine Aufzeichnungen mit einem Text von Paul Baumann zum Gedenken an Fritz Ohlhof. Der Kamerad und Kampfgenosse von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatte das KZ Buchenwald überlebt und war am 18. Februar 1946 durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen. Aus dessen literarischen Nachlass aus dem KZ Buchenwald fügt Dietmar den kurzen Text „Jaszu“ (S. 150) über einen zweieinhalbjährigen Knaben bei, der im Lager Buchenwald geboren wurde und durch die Fürsorge der Häftlinge überlebte.


Biografie

Der Name Udo Dietmar ist ein Pseudonym. Es handelt sich dabei um Walter Paul (geb. 04.02.1910 in Gelsenkirchen, gest. 03.05.1974 in Gelsenkirchen), wie Dennis Bock 2015 anhand schriftlicher Auskunft des Archivs der KZ-Gedenkstätte Buchenwald vom 20.02.2015 sowie des Archivs der KZ-Gedenkstätte Dachau vom 26.02.2015 herausgefunden hat. Die Entscheidung für das Pseudonym, so mutmaßt er, könnte auf seine Verfolgungsgeschichte als Homosexueller und die anhaltende Stigmatisierung in der Nachkriegsgesellschaft zurückzuführen sein. Dietmar, dessen Eltern aus dem Arbeiterstand kamen, zählte zu den kommunistischen Widerstandskämpfern. 1934 wurde er – nachdem er bei einer Todesfeier Marx und Engels zitiert hatte – erstmalig verhaftet und in das Straflager Emsländer Moor verbracht, später jedoch zunächst wieder entlassen. Nach seiner erneuten Verhaftung 1940 war er im Polizeigefängnis Köln inhaftiert. Im August 1943 wurde er in das Konzentrationslager Natzweiler deportiert. Hier fungierte er als Kapo im Arbeitskommando Steinbruch. Im September 1944 wurde er in das KZ Dachau und im Dezember 1944 schließlich nach Buchenwald überstellt, wo er im April 1945 befreit wurde. Er verstarb 1974 in Gelsenkirchen.

Quelle:

  • Bock, Dennis: „Rezension zu A. Barboric: Der Holocaust in der literarischen Erinnerung“. In: H-Soz-Kult vom 01.03.2016. Online: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25132 (Stand: 22.01.2019).
  • Holm, Kirsten (Hg.): Stimmen aus Buchenwald. Ein Lesebuch. Im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Göttingen 2002.


Werkgeschichte

Die Erstausgabe wurde 1946 im Rheinischen Volksverlag publiziert. Eine weitere Ausgabe erschien 1946 in Weimar im Thüringer Volksverlag mit Genehmigung der Sowjet-Militär Administration Weimar. Der Ladenpreis betrug 2 RM zuzüglich 1 RM als Spende für die Opfer des Faschismus. In der Weimarer Ausgabe fehlt das Nachwort „Fritz Ohlhof zum Gedenken!“, das in der Ausgabe des Rheinischen Volksverlags enthalten ist. Eine zweite Auflage erschien im selben Verlag 1948, veröffentlicht unter der Lizenznummer 220 (1214/47-4616/47) der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland. Das Cover zeigt nun jedoch statt des weißen Totenkopfs auf rotem Hintergrund ein neutrales schwarz-rotes Cover von Zilmann, Weimar. Die Seitenanzahl der Ausgabe von 1948 ist von 148 auf 128 Seiten reduziert worden. Dies liegt zum einen an der geänderten Seitengestaltung, aber auch am fehlenden Nachwort.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger