Ich stand nicht allein (1949)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Ich stand nicht allein
Autor Behrend-Rosenfeld, Else R.
Genre Tagebuch

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1949, Hamburg
Titel Ich stand nicht allein
Untertitel Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland 1933-1944

Erscheinungsort Hamburg
Erscheinungsjahr 1949

Verlegt von Europäische Verlagsanstalt GmbH

Publiziert von Behrend-Rosenfeld, Else R.

Umfang 301 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Zwischen dem 28. August 1939 und dem 24. April 1944 schreibt die Jüdin Else Behrend-Rosenfeld ein Brieftagebuch aus Deutschland an ihren nach London emigrierten jüdischen Mann Siegfried Rosenfeld. Da sie die ‚ungeschönten‘ Briefe nicht gefahrlos versenden kann und weiß, dass sie ihrer Familie nur selten etwas schicken können wird und „das meiste, das Wichtigste ungesagt lassen“ (S. 5) muss, will sie aufschreiben, was sie während ihrer Zeit der Trennung bewegt.

Den ersten Brief beginnt sie eine halbe Stunde nachdem sie erfahren hat, dass ihr nach London ausgereister Ehemann gut in England angekommen ist. Zwei der drei gemeinsamen Kinder waren zuvor ebenfalls schon nach London gebracht worden. Die älteste Tochter lebt in Argentinien. Zwischen den einzelnen Briefen liegen unterschiedlich lange Zeitabstände, manchmal nur wenige Tage, oft aber auch Wochen oder sogar Monate. In jedem Brief rekapituliert sie zunächst die vergangenen Ereignisse seit dem Verfassen des letzten Briefes und schildert dann ihre aktuelle Situation im Präsens. Sie nutzt es auch, um sich „Erlebnisse von der Seele zu schreiben“ (S. 183), da sie dabei das Gefühl habe, „[d]ich auf diese Weise ein wenig teilnehmen zu lassen an dem, was mich bewegt und was mich erfüllt“ (ebd.). Häufig wird auch die Schreibsituation selbst thematisiert. Hin und wieder hadert sie dann damit, dass das so ‚leicht Dahingeschriebene‘, nicht auszudrücken vermag, „wieviel Leid, Not und Angst“ (S. 191) sich dahinter verbergen. Oft benutzt sie die direkte Rede und baut Dialogszenen ein, um eine Unmittelbarkeit des Geschilderten herzustellen.

Während sie den ersten Brief mit der Anrede „Mein Lieber!“ (S. 5) an ihren Mann beginnt, verzichtet sie in allen weiteren Briefen auf eine Anrede. Das Tagebuch erweist sich so als Ersatz für die Gespräche, die nun nicht mehr möglich sind. Dennoch richtet sie sich in den Briefen immer wieder explizit an ihren Mann, referiert auf vergangene, gemeinsame Erlebnisse und drückt ihre Sehnsucht nach ihm und den gemeinsamen Kindern aus. Die ersten Schreiben nutzt sie überdies, um Erinnerungen an ein glückliches, liebevolles und zunächst nur wenig beschwerliches Familienleben vor 1933 zu rekapitulieren, in das sich jedoch zunehmend bedrohlichere Situationen mischen. Diese Erinnerungen schildern eine unbeschwerte Zeit im Häuschen am Berliner Stadtrand bis zur Abreise nach Berchtesgaden in Bayern, weil die täglichen Verfolgungen immer spürbarer werden. Mit der Abreise aus Berlin beginnt die Zerstörung des Familienglücks. Aus Menschen mit einer gesicherten bürgerlichen Existenz werden mehr und mehr heimatlose und mittellose Menschen. Symbolisiert wird dies auch durch die sich ändernden Wetterverhältnisse auf der Fahrt von Berlin nach München: „Schön war die Fahrt durch das sommerliche Land auf der prachtvollen Kunststraße in das liebe, bunte Städtchen an diesem heißen Augusttag. Doch schon türmten sich am Himmel große weiße Gewitterwolken, und als wir auf dem Weg nach München waren, tönte das erste ferne Grollen des schnell näher rückenden Wetters zu uns herüber“ (S. 12).

In Berchtesgaden nehmen Verfolgung und Angst immer weiter zu, mehrmals müssen sie den Wohnort wechseln. Das Ehepaar bemüht sich um Ausreisepermits, lediglich das ihres Mannes kommt jedoch rechtzeitig vor Kriegsbeginn. Er reist im August 1939 nach England. Behrend-Rosenfeld muss in Deutschland zurückbleiben. Auch spätere Versuche, ein Visum für Argentinien zu erhalten, scheitern.

Behrend-Rosenfeld, die bereits in Berlin für die jüdische Wohlfahrtshilfe und als Fürsorgerin in einem Frauengefängnis tätig war, übt nun eine ebensolche Position in der jüdischen Gemeinde im Isartal aus und wird schließlich Wirtschaftsleiterin der Heimanlage für Juden in Berg am Laim, einem kleinen jüdischen Übergangsheim, das die Bewohner sich mit einigen Klosterschwestern teilen. Jeder Raum trägt den Namen einer oder eines Heiligen. Sie kommt im Zimmer Nr. 38 unter, wo ihr die Schutzheilige Theresia „eine Zuflucht“ (S. 124) bietet. Mehrere Male entgeht sie nur knapp der Deportation nach Polen und Theresienstadt.

In ihren Briefen beschreibt sie ihren Alltag und die Arbeit im Heim detailliert, stolz erzählt sie etwa, wenn es ihr gelungen ist, besonders gute Mahlzeiten für die Heimbewohner zu organisieren. Ausführlich geht sie auch auf die Schicksale ihrer Bekannten, Freunde und Schutzbefohlenen ein. Vor allem Letzteren gegenüber fühlt sie eine große Verpflichtung und Verantwortung. Lange hält sie diese davon ab, eine Flucht für sich selbst auch nur in Erwägung zu ziehen. Aber ihre ständige Sorge und der zermürbende Kampf, diesen ein möglichst würdiges Leben zu erhalten, erschöpfen sie auf Dauer. Ein seit Geburt bewegungsunfähiger linker Arm schwächt sie zusätzlich. Immer häufiger berichtet sie über Erschöpfungszustände und körperliche Leiden.

Besonders schlimm setzten ihr die zunehmenden Deportationen der Bewohner des Heimes und des zugehörigen Sammellagers Milbertshofen zu. Am 26. Juli 1942 schreibt sie schließlich: „Mein Leben ist zur Hölle geworden“ (S. 193). Nun denkt sie auch erstmals ernsthaft an eine Flucht und setzt diese schließlich am 15. August 1942 in die Tat um. Ohne Ausweispapiere entkommt sie nach Berlin, wo sie einige Monate bei ihrer Cousine Erna und deren Mann Gustav unterkommt. Ihre Anwesenheit wird dort zunehmend zur Belastung, im Dezember 1942 kommt sie daher unter dem Namen Leonie Maier und später Martha Schröder als Haushaltshilfe bei dem älteren Fabrikbesitzer Herrn R., Onkel Karl genannt, unter.

Nach einer Denunziation, der sie nur knapp entkommt, gelangt sie Ende Mai 1943 über Weimar nach Freiburg, wo sie bis zu ihrer Flucht in die Schweiz im April 1944 bleibt. Den letzten Brief schreibt sie am 24. April 1944. Darin berichtet sie von ihrer dramatischen, aber gelungenen Flucht am 20. April – Hitlers Geburtstag: „Das schlimme, gefährliche und doch oft so wundersame Leben in Gesetz- und Rechtlosigkeit war zu Ende!“ (S. 301)

In den Briefen vermischt Behrend-Rosenfeld Informationen und subjektive Einschätzungen. Aus den Briefen lässt sich auch ablesen, ab wann sie genauere Kenntnisse über die Judenvernichtungen erhält. Bis Juli 1942 glaubte Behrend-Rosenfeld noch, die Deportierten hätten eine Lebensmöglichkeit. Ab Juli 1942 schreibt sie jedoch:“ Seit vierzehn Tagen fehlt jede Nachricht von unseren Deportierten aus Piaski, und wir geben uns keiner Hoffnung mehr hin, sie nach dem Kriege wiederzusehen“ (S. 191).

Behrend-Rosenfeld widmet sich in ihren Briefen vor allem den Menschen, die ihr immer wieder helfen, die ihr und anderen Juden freundlich und hilfsbereit und mit viel Empathie begegnen. Schon der Titel „Ich stand nicht allein“ macht deutlich, dass sie ihr Überleben keineswegs nur sich selbst zuschreiben will. Unter den Helfern sind neben der Jüdischen Gemeinde und Verwandten vor allem Quäker und Sozialdemokraten. Auch die Klosterschwestern in Berg am Laim, deren Güte und Wärme sie schätzt, ebenso wie die Ärztin Dr. Weiß, die sie nicht nur immer wieder pflegt und medizinisch versorgt, sondern sie auch bei ihrer Flucht unterstützt. Den Fabrikleiter ‚Onkel Karl‘ zählt sie ebenfalls zu ihren Rettern. Mehrfach drückt sie ihnen ihre Dankbarkeit und Zuneigung aus: „Solche Menschen wie Onkel Karl geben einem wieder Mut weiterzuleben“ (S. 233). Häufig nennt sie nur die Vornamen dieser Menschen, ebenso verfährt sie bei Familienmitgliedern und Freunden. Einige Personen ‚schützt‘ sie scheinbar zusätzlich, indem sie Namen abwandelt oder neu erfindet.


Biografie

Else Behrend-Rosenfeld (geb. 1891 in Berlin als Else Behrend, gest. 1970 in Birmingham) wurde als Tochter eines jüdischen Arztes und seiner christlichen Frau in Berlin geboren und evangelisch getauft. Nach einer Ausbildung zur Kindergärtnerin studierte sie Germanistik, Geschichte und Philosophie und promovierte 1919 mit einer historischen Arbeit. 1920 heiratete sie den jüdischen Berliner Juristen Siegfried Rosenfeld, der von 1921 bis 1933 SPD-Abgeordneter im Preußischen Landtag und hoher Ministerialbeamter des Preußischen Justizministeriums war. Das Paar bekam drei Kinder. Nachdem diese das Schulalter erreicht hatten, engagierte sich Else Behrend-Rosenfeld ehrenamtlich in der Gefangenenhilfe.

1933 zog die Familie nach der Zwangspensionierung von Siegfried Rosenfeld nach Bayern, wo sie sich nach seiner vorübergehenden Verhaftung 1934 um die Auswanderung bemühten. 1937 wanderte die Tochter nach Argentinien aus, 1939 die beiden Söhne nach England. Siegfried Rosenfeld folgte ihnen im August 1939. Else Behrend-Rosenfelds Plan, zu Mann und Söhnen zu emigrieren, zerschlug sich nach Kriegsbeginn.

1937 zum Judentum konvertiert, nahm sie in München eine Arbeit als Fürsorgerin bei der jüdischen Gemeinde an. Im Juni 1941 wurde sie als Wirtschafterin in das Internierungslager Berg am Laim verpflichtet, eine von zwei Münchner „Heimanlagen“ zur Zwangsunterbringung der jüdischen Bevölkerung. Hier erlebte sie den Beginn der Deportationen. Als ihr selbst die Deportation drohte, tauchte sie am 15. August 1942 unter und floh mit Hilfe einer Freundin nach Berlin.

Bei ihren Verwandten Eva und Georg Fischer konnte sie sich für knapp drei Monate verbergen. Durch Vermittlung einer Freundin lernte sie Hans Kollmorgen kennen, Besitzer einer Firma für optische Instrumente, der sie und vier weitere jüdische Verfolgte in seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg aufnahm und versorgte. Nach wiederum drei Monaten wurde sie von der befreundeten Magdalena Heilmann und deren Kindern Peter und Eva versteckt. Peter Heilmann organisierte für sie einen Postausweis auf den Namen „Martha Schröder“, mit dem sie sich freier bewegen konnte. Im Mai 1943 reiste sie zu Heilmanns Freunden Edmund und Lotte Goldschagg nach Freiburg, die sie fast ein Jahr bei sich beherbergten. Wegen einer misstrauischen Nachbarin wurde ihr Aufenthalt dort schließlich zu gefährlich.

Peter Heilmanns Freundin Hella Gorn, eine junge Quäkerin, bat die Berlinerin Luise Meier um Unterstützung, die über ortskundige Helfer bereits mehrere jüdische Flüchtlinge über die Schweizer Grenze geleitet hatte. Hella Gorn reiste im April 1944 nach Freiburg, um mit Else Behrend-Rosenfeld die Flucht vorzubereiten. Meiers Verbindungsmänner leiteten sie schließlich bis zum Grenzgebiet. Beim Überqueren der Grenze am 20. April 1944 brach sie sich ein Bein – allerdings schon auf Schweizer Boden.

Nach Kriegsende arbeitete sie als Fürsorgerin in Zürich. Dort erschien Ende 1945 ihr Tagebuch über die eigene Verfolgung. 1946 zog sie zu ihrem Mann und ihren Kindern nach England. Siegfried Rosenfeld war jedoch schwer krank und starb im Dezember 1947. Else Behrend-Rosenfeld blieb zunächst in Großbritannien bei ihren beiden Kindern Peter und Hanna, später lebte sie teils dort, teils in Icking. Nach 1952 kehrte sie nach Bayern zurück und arbeitete erneut in der Gefangenenhilfe. 1970 starb sie in Birmingham bei ihrer Familie.

Am Johann-Michael-Fischer-Platz in Berg am Laim erinnert eine Gedenktafel an Else Behrend-Rosenfeld. Sie trägt die Aufschrift: „Wieviel leichter ist es, unter denen zu sein, die Unrecht erleiden, als unter denen, die Unrecht tun. Dr. Else Behrend-Rosenfeld Wirtschaftsleiterin des Sammellagers. Als Mahnung und zur Erinnerung an das Sammellager für jüdische Bürger in den Jahren 1941 bis 1943.“ Zudem wurde eine Straße in Berg am Laim nach Else Rosenfeld benannt.

Quellen:

  • Behrend-Rosenfeld, Else und Siegfried Rosenfeld: Leben in zwei Welten. Tagebücher eines jüdischen Paares in Deutschland und im Exil. Hg. und kommentiert von Erich Kasberger und Marita Krauss. München 2011.
  • Gedenkstätte Stille Helden. Online: http://www.gedenkstaette-stille-helden.de/biografien/bio/behrend-rosenfeld-else/ (Stand: 10.09.2019).
  • Kasberger, Erich und Marita Krauss (Hg.): Leben in zwei Welten. Tagebücher eines jüdischen Paares in Deutschland und im Exil. München 2011.


Werkgeschichte

Else Rosenfelds Tagebuch erschien erstmals 1945 in Zürich (Schweiz) in der Büchergilde Gutenberg unter dem Namen Rahel Behrend und dem Titel „Verfemt und verfolgt. Erlebnisse einer Jüdin in Nazi-Deutschland 1933-1944.“ Else Rosenfeld hatte ihr Original-Tagebuch bei ihrer Flucht in die Schweiz dabei und gab es dort einem Verlag zum Druck, um Zeugnis abzulegen. Durch die Anzahlung des Verlags konnte sie auch ihre finanzielle Situation etwas verbessern, da sie völlig mittellos geflohen war. Die erste Auflage betrug 7.000 Exemplare, die zweite Auflage von 1946 4.000 Exemplare. Das Tagebuch wurde in einem Münchner Spruchkammerverfahren nach dem Krieg als Beweismittel herangezogen.

Ab 1949 wurde das Buch auch in Deutschland mehrfach aufgelegt. Durch kleine Änderungen der paratextuellen Gestaltung wurde nun der Versuch unternommen, das Werk für den deutschen Leser attraktiver zu gestalten. So wurden für die deutsche Ausgabe der Name der Verfasserin und der Titel geringfügig abgeändert. Aus Rahel Behrend wurde Else R. Behrend-Rosenfeld – der jüdisch klingende Name Rahel wurde nun nicht mehr ausgeschrieben. Im neuen Titel „Ich stand nicht allein. Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland 1933-1944“ wurden einerseits sowohl der erste Teil „Verfemt und verfolgt“ als auch der Zusatz „Nazi“ vor Deutschland gestrichen, andererseits wurde durch den Zusatz „Ich stand nicht allein“ bereits im Titel betont, dass die Autorin 1933 bis 1944 in Deutschland Hilfe fand.

Unter dem Namen Else R. Behrend-Rosenfeld und dem Titel „Ich stand nicht allein. Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland 1933-1944“ gab die Europäische Verlagsanstalt drei Auflagen heraus. Die erste Auflage erschien 1949, die zweite Auflage 1963 umfasste 3.000 Exemplare und die dritte Auflage von 1979 6.000 Exemplare.

Else Behrend-Rosenfeld gab 1963 der BBC autobiografische Interviews, die in 23 Viertelstundensendungen von April bis Mai 1963 unter dem Titel „An old lady remembers“ in England ausgestrahlt wurden. Der BBC Interviewer gab zudem 1965 im Londoner Gollancz-Verlag ein Buch unter dem Titel „The four lives of Elsbeth Rosenfeld“ heraus.

Eine weitere Ausgabe erschien 1988 im Münchner Beck Verlag. 1995 wurde das Buch zudem in Buenos Aires (Argentienien) unter dem Titel „Yo no estuve sola : vida de una judía en la Alemania nazi“ herausgegeben.

Zuletzt herausgegeben wurde das Tagebuch zusammen mit den Tagebuchaufzeichnungen ihres Mannes Siegfried Rosenfeld sowie zahlreichen Briefen und fotografischem Material in einer kommentierten Ausgabe im Münchner Volk Verlag 2011. Herausgeber sind die Historikerin Marita Kraus und Erich Kasberger, der ehemals Geschichtslehrer in Berg am Laim war. Kasbeger hatte 1985 gemeinsam mit seinen Schülern begonnen, die Geschichte des dortigen Lagers zu erforschen.

In Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Rundfunk entstand so außerdem ein Hörbuch, das die Geschichte der Familie in knappen zwei Stunden erzählt. Sprecher erzählen anhand eines von Marita Krauss erarbeiteten Textes und unter Verwendung zahlreicher im Buch veröffentlichter Dokumente die Geschichte des Ehepaares. Vor allem jedoch kommt Else Behrend-Rosenfeld selbst zu Wort: Die Originalbänder der im Jahre 1963 von der BBC erstellten Interviews standen für die Hörbuchproduktion zur Verfügung.

Das Buch weist außerdem eine lange und ausführliche Rezeptionsgeschichte auf. Anhand dieser lässt sich erkennen, dass in den ersten Jahren nach Kriegsende gerade die Zurückweisung der Kollektivschuld der Deutschen, die relative Abwesenheit von Greuelschilderungen sowie die Hervorhebung der vielen ‚guten‘ Deutschen die Popularität des Textes begünstigt haben und dieser auf das Wohlwollen der Kritiker traf. So erschienen Ende 1949 und im Frühjahr 1950 zahlreiche – nahezu ausnahmslos begeisterte und äußerst positive – Besprechungen des Werks. Immer wieder wurde darin auf die schlichte und daher – so wird suggeriert – umso überzeugendere Darstellung des Buches verwiesen. So gut wie nie wurde dem Tagebuch eine herausragende literarische Qualität zugesprochen, stattdessen wurde viel mehr hervorgehoben, dass der Text dem deutschen Volk nicht nur Versöhnung und Vergebung in Aussicht stellt, sondern vor allem werden immer wieder die vielen ‚guten‘ Deutschen thematisiert, die der Autorin unterstützend zur Seite standen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb am 09. Februar 1950 etwa: „Hier hat sich keine Schriftstellerin vorgenommen mit glänzenden Worten dramatisch Ereignisse zu beschreiben. Eine Frau gibt inmitten unsagbaren Elends seelischer Not einen einfachen Bericht an ihren Mann und an ihre Kinder. […] Eine deutsche Jüdin verliert nicht durch alle Wirrnisse ihres persönlichen Schicksals den Blick für die Schönheit der bayerischen Bergwelt und für die Hilfsbereitschaft Deutscher, die trotz der damit verbundenen Lebensgefahr, ganz auf sich selbst gestellt, ihre Menschenwürde bewahrten.“

Auch der „Aufbau“ widmete sich dem Werk im Februar und März 1950 gleich zwei Mal und stellte fest, dass der Hamburger Verlag „sich ein Verdienst mit der Veröffentlichung dieses Buches, dem man viele aufgeschlossenen Leser wünscht [erwarb].“ Der Roman schildere „lebendig […], wie sich Menschen aller Klassen in der Abwehr gegen die Nazis solidarisch fühlten und einander unter Lebensgefahr beistanden“.

Zudem dankte der „Kieler Student“ im Januar 1950 dem Verlag für die Herausgabe des Buches und stellte fest: “Die Erlebnisse der Jüdin Else Behrend-Rosenfeld in den Jahren 1933-44 gehören zu den erschütterndsten, die je geschrieben worden sind. Es ist das Verdienst der Verfasserin, ihren Leidensweg ohne Bitterkeit und Ressentiment dargestellt zu haben“.

Immer wieder wurde auf die schlichte – und daher umso überzeugender, so die Implikation – Darstellung des Buches verwiesen. In der „Genossin“, 11./12. Jhg. 1949 wurde der Europäischen Verlagsanstalt für die Veröffentlichung des Buches gedankt „denn es zeigt, daß Juden neben Deutschen (ja alle Rassen) ihren Platz haben in einer Gesellschaftsordnung, die auf Achtung echter menschlicher Werte beruht. – So ist dieses packende, schlichte Buch eine Weihnachtsgabe im tiefsten Sinne des Wortes.“

So betonte auch die „Neue Ruhr-Zeitung“ am 15. Dezember 1949 den ‚einfachen‘ und ‚kunstlosen‘ Stil des Buches im positiven Sinne und lobte die Tatsache, dass das Buch darstelle, dass es auch unter den Deutschen Menschen gab, die ihren jüdischen Mitbürgern geholfen hätten: „Ein Buch, das fehlte und das viele Juden selbst als gerecht und notwendig anerkennen werden. Es wird nichts verschwiegen und beschönigt von den Ungeheuerlichkeiten der vergangenen Jahre, aber es wird aus allgemeinem Erleben gezeigt, daß es auch im nationalsozialistischen Deutschland Menschen gab, die von dem Rassenwahn nicht angesteckt waren, die in ihren jüdischen Mitbürgern nach wie vor Menschen sahen und die halfen, wo sie helfen konnten.“ […] Das Buch ist ganz einfach und kunstlos geschrieben, aber es will und soll ja auch nicht literarisch genommen werden. […] Das Buch gehört in die Hand der heranwachsenden Jugend.“

„Christ und Welt“ wies am 16. Februar 1950 vor allem auf die Ablehnung der kollektiven Schuld Deutschlands durch das Buch hin und lobte die versöhnende Stimme einer Frau: „Es ist gar nichts spezifisches Jüdisches in diesen Blättern, nichts Alttestamentarisches oder Orthodoxes etwa, sondern einfach die warmherzig hilfsbereite Art einer Frau ohne jeden intellektuellen oder gar politischen Ehrgeiz. Gerade darum wirkt die Lektüre so gespenstisch auf den Leser, weil er sich immerfort fragen muß, wie solche Menschen eigentlich dazu gekommen sind, zu Opfern derartiger Verfolgung zu werden. Menschen, die sich doch in nichts von Millionen anderer unterscheiden. Wären viele von ihnen nun wirklich Kommunisten oder Nihilisten gewesen oder Anlagen eines fremden und abseitigen Glaubens, so sähe man wenigstens einen konkreten Anlaß zu alledem. […] Die antisemitischen Exzesse der Hitlerzeit, das bestätigt auch dieses Buch, sind nicht von ‚den Deutschen’ schlichtweg begangen worden, sondern von Hitler und von denen, die durch ihn Auftrieb und Freiheit zu diesen Exzessen bekamen, denen er die Hemmungen nahm und das gute Gewissen dazu lieferte.“

Es ist vor allem die Abwesenheit von Hassgefühlen und Rachegedanken, die viele Rezensenten beeindruckte und besonders betont wurde. Die „Fränkische Presse“ schrieb etwa am 17. Dezember 1949: „Der unbestreitbare dokumentarische Wert ist an diesem Buch nicht das Entscheidende, sondern die ethische Einstellung und sie absolute Objektivität der Verfasserin. In eine überzeugend schlichte Form, mit einer so fraulich überragenden Wärme statt der Rachegefühle und den Haßgedanken... […] Die ganze Tragödie des jüdischen Menschen breitet sich aus, ohne Greuelmalerei und ohne einseitige Verklärung. Im Gegenteil, das stärkste Moment dieses Buches ist die Dankbarkeit für alle, die sich nicht scheuten, Menschen zu sein und die immer da waren, wenn sie von der Verfasserin gebraucht wurden.“

In der „Wilhelmshavener Zeitung“ konnte man am 25. April 1950 lesen, dass das Werk „ völlig frei von billigen Haß- und Rachegefühlen“ sei: “Dankbar anerkennt die Verfasserin die rührende Fürsorge und Hilfe, die ihr durch zahlreiche Deutsche zuteil wurde, obwohl ihre Helfer schwere Nachteile zu erwarten hatten. Dieses Buch ist erneut ein glänzender Beweis gegen die nach der Kapitulation vertretene Auffassung einer Kollektivschuld aller Deutschen.“ Andere Rezensenten urteilen ähnlich. In „Die freien Berufe in Hamburg vom April 1950 wurde etwa sogar Kritik an denjenigen geübt, die das deutsche Volk ‚umerziehen‘ wollten: „Hier wurde eindeutig die Behauptung von der Kollektivschuld Deutschlands, von dem allgemeinen Rassehaß, den man uns nachsagt, ad absurdum geführt. […] Erfreulich, daß im Gegensatz zu manchen Haß-Tiraden dieses Buch seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat. Zeigt es doch durch die knappe und sachliche Darstellung, daß der deutsche Mensch nicht besser und nicht schlechter war als diejenigen, die glauben, uns in überheblich lehrhaften Ton ‚umerziehen‘ zu müssen.“

Auch die Kritiken zur Auflage 1963 betonten überwiegend die Abwesenheit von Anklage, Hass- und Rachegedanken sowie die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung. So schrieb etwa die Stuttgarter Zeitung am 22. Oktober 1963, dass Behrend-Rosenfeld alles ganz nüchtern und ohne jedes Ressentiment aufschreibe und völlig frei von Selbstmitleid und Hass sei: „Es steht kein Wort der Klage in diesem Buch. Es steht auch nichts von Auschwitz darin, nichts von der ‚Endlösung der Judenfrage‘ und nichts von den Millionen Opfern. […] Es fällt schwer, an einem solchen Buch Kritik zu üben.“ Leise kritische Töne klingen jedoch an. Einem Vergleich mit dem Tagebuch Anne Franks halte das Tagebuch Behrend-Rosenfelds nicht stand, so das Urteil: „Aber sie ist keine Frau der Feder. Es mag paradox klingen, wenn wir bei allem Respekt vor ihrem Schicksal sagen: sie hat es mit typisch deutscher Gründlichkeit aufgeschrieben, auch die unwesentlichen Details. Das ist sehr schade, vor allem im Hinblick auf junge Menschen, die dieses Buch lesen sollen und denen die oft allzu persönlichen Aufzeichnungen nicht unter die Haut gehen werden. […] Das Tagebuch von Frau Behrend-Rosenfeld wird – leider – kein so weltweites Echo haben wie die Gedanken und Gefühle des Kindes in der holländischen Dachkammer.“

In den – meist kürzeren – Besprechungen der Auflage von 1979 wurde das Buch sehr häufig jungen Lesern zur Lektüre empfohlen (siehe etwa „Der Evangelische Buchberater“. Beilage: Wir diskutieren. Heft 1/1980). Es häuften sich Formulierungen wie: „menschliches Dokument aus der Zeit der Unmenschlichkeit“ („Der Deutsche Eisenbahner“, 06/1979, „Welt der Arbeit“, 17.05.1979 und „Der Grundstein“, 06/1979 ) oder auch „menschliches Dokument aus unmenschlicher Zeit“ („Der Deutsche Beamte“, 06/1979).

Wolfgang Pohrt besprach das Werk sehr ausführlich und äußerst kritisch im „Sender Freies Berlin“, ‚Buch am Sonntagmittag‘ vom 30. September 1979. Er warf ihm vor, es sei „mitnichten, wie es der Klappentext auf der Umschlagrückseite weismachen will, ein Dokument der Menschlichkeit [...] sondern schaurige Hilflosigkeit. [...] Die Autorin verarbeitet ihre von einer Geschichtskatastrophe apokalyptischen Ausmaßes gezeichnete Lebensgeschichte zum Drehbuch für eine seichte Ufa-Schnulze, weil sie als echter deutscher Bürger die Wirklichkeit weder begreifen noch auch nur wahrnehmen will sondern sie fürs eigene Bewußtsein durch eine Scheinwelt ersetzt, in der die Produkte der Traumindustrie als Clichés und Typen herumgeistern. [...] Es kennzeichnet die Darstellungsweise des Buches, daß es keine Gelegenheit zur Idylle, zum Cliché und zu peinlicher Schönfärberei verpaßt.“ Der ganze Band lese sich wie ein Drehbuch zu einem Kassenschlager, es seien Erbauung, Trost und Spannung darin zu finden.

Er warf der Autorin außerdem vor, durch die Schilderung der Idylle zu Beginn des Texts, die wahren Tatsachen zu verschleiern: „Die herrlich reichen Jahre schließlich, von denen die Autorin spricht, waren jene, in denen wachsame Beobachter der Zeitgeschichte in Deutschland bereits ihre Koffer packten. Das entlegene Vorstadthäuschen kann nicht so hermetisch abgedichtet gewesen sein, daß die Krise von 1929 und die Vorzeichen des Faschismus dort keine Spuren hätten legen können.“ Er unterstellte der Autorin eine „gegenüber jedweder Behörde geradezu bestürzend loyale Bürgerin“ zu sein, mit einem Verhältnis zu diesen, das selbst die Verfolgung durch die Nazibehörden nicht habe abbrechen können: „Das ebenso penetrante wie überflüssige und schließlich auch vergebliche Bemühen, dem Bericht eine gefällig literarische, ja poetische Form zu geben; die peinlichen Geschmacklosigkeiten aus der deutschen Trivialliteratur, an der nichts trivial ist als das unterwürfige Aufschauen zu der vermeintlich höheren.“ Darüber hinaus spricht er ihr schließlich sogar ihre jüdische Identität ab: „,Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland’ ist das hier kritisierte Buch untertitelt. Aber die wirklichen Juden mit bestimmten Sitten und Gebräuchen, einer bestimmten Tradition und Religion sind tot, sie wurden von den Nazis vernichtet. [...] Ob die Autorin die Auszeichnung [Jüdin] verdient, darf nach dem vorgelegten Buch ebenso bezweifelt werden ...“

Quellen:

Nachfolgende Rezensionen aus: Institut für Buchwissenschaft, Mainzer Verlagsarchiv an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Archiv Europäische Verlagsanstalt (EVA), Rezensionen zu Else Behrend-Rosenfeld.

  • Süddeutsche Zeitung, 09.02.1950.
  • Aufbau, 31.02.1950.
  • Aufbau, 31.03.1950.
  • Kieler Student, 01/1950.
  • Genossin, 11./12. Jg., 1949.
  • Neue Ruhr-Zeitung, 15.12.1949.
  • Christ und Welt, 16.02.1950, S. 8.
  • Fränkische Presse, 17.12.1949.
  • Nordwestdeutsche Rundschau, 22.12.1949.
  • Wilhelmshavener Zeitung, 25.04.1950.
  • Stuttgarter Zeitung, 22.10.1963.
  • Der Evangelische Buchberater. Beilage: Wir diskutieren, Heft 1/1980.
  • Der Deutsche Eisenbahner, Juni 1979.
  • Welt der Arbeit, 17.05.1979.
  • Der Grundstein, 06/1979.
  • Der Deutsche Beamte, 06/1979.
  • Sender Freies Berlin. „Buch am Sonntagmittag“, 30.09.1979.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger