Ich war in Deutschland gefangen (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Ich war in Deutschland gefangen
Autor Trofimenko, Grigorij
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Zürich
Titel Ich war in Deutschland gefangen

Erscheinungsort Zürich
Erscheinungsjahr 1945

Verlegt von Verlag der Partei der Arbeit
Gedruckt von Bühler Buchdruck
Publiziert von Trofimenko, Grigorij

Illustriert von Pilnik, W.

Umfang 85 Seiten
Abbildungen 5 Zeichnungen

Preise 1,20 Schweizer Franken (Fr.)
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Ukrainer Grigorij Trofimenko wird als Offizier der Roten Armee während des Vormarschs der Deutschen in Weißrussland gefangen genommen. In seinem Bericht schildert er die Inhaftierung in verschiedenen Lagern und wie ihm schließlich die Flucht in die Schweiz gelingt, wo er seine Erlebnisse 1944 niederschreibt. Seine Aufzeichnungen haben den Charakter eines Briefs, der an seine Frau und seinen kleinen Sohn gerichtet ist.

Der Autor wendet sich in seinem Buch zunächst an seine Ehefrau Linotschka und das gemeinsame Kind, die er zum Zeitpunkt der Niederschrift seit drei Jahren nicht mehr gesehen hat und über deren Verbleib er nichts weiß: „Ich will Dir in Kürze erzählen, was ich und so viele andere Menschen aus vielen Nationen und Ländern in der deutschen Gefangenschaft erleben und durchmachen mußten. Weine nicht, meine Goldige, wenn du diesen Bericht liesest“ (S. 6). Die Motivation des Autors für die Niederschrift ist der Wunsch nach Entlastung. Dem Autor ist es, „als ob die Wunde, die das Erlebte meinem Herzen zugefügt hat, sich leichter schließen könne, wenn ich wenigstens hinterher Eure Teilnahme fühle, Euren Abscheu, und in Gedanken nicht mehr so ganz verlassen an die Stätte meiner trostlosen Gefangenschaft zurückkehren muß“ (S. 7). Zudem fühle er sich verpflichtet, darüber Zeugnis abzulegen, was seinen Mitgefangenen zugestoßen ist und „was für ein unerhörtes Leiden die Menschen heraufbeschwören, die das Böse gutheißen und den ihrer Macht Verfallenen alle Hemmungen nehmen, es zu tun“ (ebd.).

Trofimenko ruft die zu dritt als Familie in der Heimat verbrachte Zeit der Geborgenheit in Erinnerung, welche durch das Einsetzen des Kriegs ein jähes Ende findet. Am 18. Juni 1941 rückt er als Offizier in die Armee ein, da er es als seine heilige Pflicht begreift, seine Familie und sein Vaterland vor dem Einmarsch der Deutschen zu schützen. Seine Zeit als Soldat wird in seinem Buch ausgespart. Er beginnt stattdessen mit der Schilderung davon, wie er nach einer Schlacht in deutsche Gefangenschaft gerät und über Warschau, Erfurt und Frankfurt nach Frankreich verbracht wird. Mit zweitausend anderen Gefangenen kommt er schließlich am 7. August 1941 in ein Lager auf der Insel Alderney. Der gesamten persönlichen Habe beraubt, sind die Häftlinge entsetzt über die Enge der unhygienischen und mit Ungeziefer verseuchten Baracken. Der Autor zieht sich in solchen Momenten immer wieder in Tagträume über glücklichere Zeiten in der Heimat zurück und hält Zwiegespräche mit seiner Frau: „In solchen Momenten, Linotschka, in denen alles in Frage steht und wir aus eigenem Willen nichts mehr über unser eigenes Schicksal vermögen, geht das ganze Leben an den inneren Augen vorbei“ (S. 9). Die Lebensbedingungen der Gefangenen auf der Insel sind hart: So ist nicht nur das Essen völlig unzureichend und wird in verrosteten Konservenbüchsen verteilt, auch die Wachmannschaften führen ein strenges Regiment und misshandeln die Häftlinge, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Zudem stellen die Luftangriffe der britischen Alliierten eine große Bedrohung dar. Die Häftlinge sind diesen schutzlos ausgeliefert, wohingegen ihre Bewacher sich in bombensichere Unterstände zurückziehen. Trofimenko skizziert knapp den Tagesablauf im Lager Alderney, das Wecken unter Knüppelschlägen morgens um sechs sowie die Arbeitskommandos, in denen in der prallen Hitze bis zu 16 Stunden lang ohne Pausen schwere körperliche Bauarbeiten verrichtet werden müssen: „[A]us Menschen sind wir Arbeitstiere geworden, nur daß wir schlechter behandelt werden und weniger Wert haben als diese“ (S. 15f.). Jedes kleinste Vergehen wird geahndet, die Häftlinge sind im Karzer schweren körperlichen Misshandlungen ausgesetzt und werden durch sogenannte Leibesübungen erniedrigt. Den Karzer schildert der Autor, der selbst dort eingesperrt ist, nachdem er beim Pflücken von Beeren erwischt wurde, sehr detailliert.

Am 28. Dezember 1942 kann sich Trofimenko zusammen mit einigen anderen Häftlingen unter eine Lungenkrankenkolonne mischen, die auf das Festland gebracht werden soll. Auf dem Schiff harren die Schwerkranken völlig unzureichend versorgt sieben Tage lang aus. Nach einer Kollision mit einem anderen Schiff kann ihres zwar vor dem Untergang bewahrt werden, doch alle Inhaftierten werden zurück auf die Insel Alderney gebracht und die Flucht ist gescheitert.

Einen Monat später, am 1. Februar 1943, werden einige Gefangene, darunter auch Trofimenko, erneut auf ein Schiff verladen, welches am nächsten Tag in Cherbourg anlegt. Die Bevölkerung der Stadt ist von dem Anblick der ausgemergelten Menschen entsetzt, lässt sich nicht von den Begleitmannschaften verjagen und versucht, den Häftlingen Nahrungsmittel und Zigaretten zukommen zu lassen. Die Häftlinge sind gerührt: „Flinke Buben dringen bis zu uns vor und streicheln die Schwerverwundeten; Tränen stehen in den erschrockenen Kinderaugen. Nie werden wir das Mitgefühl der Bevölkerung von Cherbourg vergessen“ (S. 41)! Die Gefangenen werden mit dem Zug nach Pirmasens gebracht und in ein Lager außerhalb der Stadt geführt, wo sie gezwungen werden, die Leichen ihrer Mitgefangenen zu beerdigen.

Am 23. Februar 1943 werden sie nochmals verlegt und gelangen in ein kleines Lager in der Nähe von Metz, das der Autor unweit der Eisenbahnstation Pelters verortet. Auch hier sind die Lebensumstände ebenso menschenunwürdig wie in den anderen Konzentrationslagern. Der Autor widmet sich zum ersten Mal auch einer genaueren Beschreibung der Täter. So sei nicht jeder Deutsche, dem er begegnete, „von Haus aus schlecht“ (S. 51f.) gewesen und unter ihnen habe es genug Männer gegeben, die „unter dem Krieg und der Tyrannei litten, gegen die sie machtlos waren“ (S. 52). Es sei jedoch eine starke Persönlichkeit vonnöten, um der Verführung des Machtmissbrauchs nicht zu unterliegen: „Denn wie wenig Charakter, welchen Mangel an höheren Interessen und Freuden muß einer haben, bis er sie darin findet, andere Menschen zu quälen und sie zu erniedrigen“ (ebd.). Trofimenko nennt die Täter und Verantwortlichen des Lagers bei Namen und Dienstrang und schildert die von ihnen begangenen Taten im Detail. In der Nacht des 24. Juli 1943 gelingt ihm schließlich die Flucht mit einer kleinen Gruppe. Auf dem Weg werden sie durch die hilfsbereite französische Bevölkerung versteckt und mit Essen und Kartenmaterial versorgt. Die Männer erreichen trotz einiger Rückschläge am Abend des 15. August 1943 die Schweizer Ortschaft Pruntrut.

Grigorij Trofimenko macht von verschiedenen literarischen Stilmitteln Gebrauch. So finden sich Passagen, in denen die Grausamkeit des Lagers Alderney in poetischer Weise beschrieben wird, etwa der Tod der Mithäftlinge auf einem Transport per Schiff: „Nach kurzer Zeit hatten auch sie den Styx überquert und wanderten in eine andere Welt, wo es keinen Hunger, keine Qualen und keine bösen Menschen gibt. Der kalte, stürmische Ozean wurde ihr Grab“ (S. 32).

Der Text ist überwiegend in der Vergangenheitsform geschrieben, doch der Autor wechselt immer wieder in die Gegenwartsform, um von Episoden zu berichten, die ihn in besonderem Maße erschüttern. Auf diese Weise wird Unmittelbarkeit erzeugt und auch die dialogische Form des Berichts, deren Adressatin die Ehefrau des Verfassers ist, aufrechterhalten. Die geglückte Flucht wird sehr detailliert erzählt. Vor allem an der Stelle, an der den Flüchtigen die Entdeckung durch Wachmannschaften droht, entsteht hierdurch ein hohes Maß an Spannung. Der Leser erfährt von den existenzbedrohenden Gedanken und Fragen, die Trofimenko sich immer wieder stellt, und erhält so Einblick in die Gedankenwelt des Autors.

Der Bericht ist durch abstrakte Zeichnungen von W. Pilnik illustriert, denen einzelne Sätze aus der Verfolgungsgeschichte Trofimenkos zugeordnet sind. Das Buch wurde von Th. Granowsky aus dem Russischen ins Deutsche übertragen.



Bearbeitet von: Julia Richter