Im Mörderlager Dachau (1933)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Im Mörderlager Dachau
Autor Beimler, Hans (1895-1936)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1933, Leningrad,Moskau
Titel Im Mörderlager Dachau
Untertitel Vier Wochen in den Händen der braunen Banditen

Erscheinungsort Leningrad,Moskau
Erscheinungsjahr 1933

Auflagenhöhe Erstauflage 5500

Verlegt von Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR
Gedruckt von Iskra Revoluzii
Publiziert von Beimler, Hans (1895-1936)
Umschlaggestaltung von Heartfield, John (1891-1968)

Umfang 69 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Kommunist Hans Beimler schildert in seinem Erinnerungsbericht seine 28 Tage währende Haft im Polizeigefängnis München und Konzentrationslager Dachau bis zu seiner Flucht aus dem Lager. Er konzentriert sich vor allem auf Selbsterlebtes und die fortwährenden brutalen Prügelorgien der SS-Leute. All dies erzählt Beimler eindringlich mit Lakonie und sehr plastischen Beschreibungen.

Eingangs betont Beimler die Authentizität des Dargestellten und die Brutalität der NS-Verfolgung: „Und die Wahrheit ist noch schlimmer, als sie schon bekannt ist“ (S. 12). Diese Wahrheit wolle er mit seinem Bericht ans Licht bringen, um die Arbeiter zum Kampf aufzurufen „für die Errichtung der Herrschaft der Arbeiterklasse und aller Werktätigen und Ausgebeuteten“ (ebd.).

Die Erzählung seiner Leidenszeit setzt mit seiner Verhaftung bei einem konspirativen Treffen ein, mit der Freude der Polizisten darüber, den Schmähungen und den unmittelbar einsetzenden brutalen Verhören. Beimler betont hier vor allem die Kaltblütigkeit und den Zynismus der Polizisten, von denen ihn einer nach erlittener Folter mit den Worten begrüßt: „Ja, Herr Beimler, was fehlt Ihnen denn? Ist Ihnen nicht gut oder was haben Sie denn?“ (S. 21). Dies unterstreicht er durch sarkastische Kapitelüberschriften wie „Die ‚standesgemässe‘ Behandlung der Gefangenen“ oder „‚Der Kerl lebt noch‘“.

Seine kurze Haftzeit im Gefängnis und in Dachau erlebt und schildert er als eine ununterbrochene Kette von Folter und Gewalt. Als er in Dachau ankommt, wird ihm ein Plakat mit der Aufschrift ‚Herzlich Willkommen‘ umgehängt, er muss Spott und Demütigungen über sich ergehen lassen.

Beimler kommt in Arrest, wo er und seine Mitgefangenen in den Nachbarzellen fortwährend gefoltert und geprügelt werden. Ihm und anderen wird ein Strick in die Zelle gelegt, er aber nimmt sich fest vor: „Auf jeden Fall hatte ich mir in den Kopf gesetzt, daß der Strick für mich nicht in Frage kommt“ (S. 37). Immer wieder suchen ihn die SS-Leute heim, er muss zudem die Qualen der Kameraden in den anderen Zellen mit anhören: „Am Abend wie täglich, die Quälerei“ (S. 60). Er lebt ständig in der Angst, dass er bei sich bietender Gelegenheit getötet werden soll.

Schließlich wird ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er umgebracht würde, wenn er nicht die Gelegenheit nutze, sich vorher selbst das Leben zu nehmen: „Die Tatsache, daß ich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit das Lager nicht mehr lebendig verlassen werde, ließ mir auch nur die Wahl, wie ich sterben wollte“ (S. 61, Hervorhebung im Original). Er fasst den Entschluss zu fliehen, um wenigstens auf der Flucht erschossen zu werden und keine Möglichkeit für einen fingierten Selbstmord zu bieten. Seine schließlich erfolgreiche Flucht schildert Beimler jedoch nicht mehr.

Am Schluss betont er erneut die Authentizität des Erlebten: „Das hier Niedergeschriebene ist nicht nur die Wahrheit, sondern nur ein Bruchteil der Wahrheit, ein Bruchteil von dem, was heute in Deutschland die 60000 ‚Schutz‘haftgefangenen ertragen und heldenhaft erdulden“ (S. 62f.). Schließlich kommt er auf seine eingangs formulierte Motivation für seinen Bericht zurück, indem er sagt, es gelte nicht nur, über die Verbrechen in den Lagern aufzuklären: „Es gilt die Werktätigen und Ausgebeuteten der ganzen Welt, es gilt vor allem, das deutsche werktätige Volk selbst gegen dieses Mordsystem aufzurufen, es gilt in erster Linie, die ganze Arbeiterklasse Deutschlands zum entschlossenen und mutigen Kampf gegen den Mordfaschismus und für die Freilassung aller politischen Gefangenen zu motivieren“ (S. 63).

Ergänzt wird der Bericht Beimlers durch eine Auflistung einer Auswahl der Todesfälle in Dachau, die auf Grundlage der Veröffentlichungen in der NS-Presse erstellt wurde. Überdies wird ein Auszug aus der „Coburger Zeitung“ über Dachau abgedruckt. Eingeleitet wird der Text durch ein Vorwort von Fritz Heckert, in dem dieser vor allem die kommunistische Lesart des Nationalsozialismus als Steigerung und Büttel des Kapitalismus darlegt und gegen die Sozialdemokraten wettert.


Biografie

Hans Beimler (geb. 02.07.1895 in München, gest. 01.12.1936 in Madrid) wurde 1895 als uneheliches Kind geboren und wuchs bei seinen Großeltern auf dem Land auf. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er eine Schlosserlehre, war anschließend auf Wanderschaft und arbeitete in vielen Betrieben, bevor er 1913 bei einem Rüstungsbetrieb in München tätig war. 1914 wechselte er zu Blohm und Voß nach Hamburg, wo er im Oktober 1915 als Matrose eingezogen wurde. Im November 1918 war Beimler eventuell an der Revolution in Cuxhaven beteiligt; im Februar 1919 wurde er aus der Marine entlassen und kehrte nach München zurück.

Dort war er Soldat bei der Räteregierung und an den siegreichen Kämpfen gegen Freikorps bei Dachau beteiligt. 1919 heiratete Beimler, wenig später wurde seine Tochter geboren. Im gleichen Jahr trat er wahrscheinlich der KPD bei. Im April 1921 wurde er verhaftet, im Juli wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines Hochverrats zu mehr als zwei Jahren Festungshaft verurteilt, die er bis April 1923 verbüßte. Anschließend arbeitete er wieder als Schlosser und widmete sich für die KPD vor allem der Betriebsarbeit, durch die er im Laufe der Zeit immer bekannter wurde. Nach einer Russlandreise im Sommer 1925 wurde er in der Gewerkschaftsarbeit der KPD aktiv und als Bezirksleiter der KPD Südbayerns Berufspolitiker. Im Dezember 1929 wurde Beimler Leiter der KPD-Fraktion im Augsburger Stadtrat, im April 1932 schließlich Landtagsabgeordneter in Bayern und Politischer Leiter des Bezirks Südbayern. Kurz darauf, am 31. Juli 1932, zog er in den Reichstag ein und wurde im November 1932 wiedergewählt.

Nach Machtantritt der Nationalsozialisten trat Beimler zuletzt am 12. Februar 1933 öffentlich im Wahlkampf im Zirkus Krone auf, wo er in Anspielung auf die Kämpfe 1919 in Richtung der Nationalsozialisten sagte: „Wenn sie den Krieg haben wollen, wir sind gerüstet. Wir haben die Erfahrung der bayerischen Räterepublik für uns. Bei Dachau sehen wir uns wieder“ (Münchner Neueste Nachrichten, 13. Februar 1933, zitiert nach Mühldorfer, S. 116). Nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 lebte Beimler versteckt. Am 11. April aber wurde er bei einem Treffen, das wahrscheinlich verraten worden war, verhaftet und ins Polizeigefängnis gebracht. Am 25. April schließlich wurde er Häftling des Konzentrationslagers Dachau, wo er in Bunkerhaft kam und fortwährend Folter und Prügel erleiden und die Misshandlungen und den Tod von Mithäftlingen miterleben musste. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1933 gelang ihm die Flucht aus dem KZ. Trotz groß angelegter Fahndung konnte er einige Wochen in München in Verstecken leben, bevor er am 9. Juni von dort über Umwege nach Moskau gelangte, wo er am 26. Juli 1933 ankam.

Im Moskauer Exil sprach Beimler vielfach öffentlich von seinen Erfahrungen im Konzentrationslager und verfasste innerhalb kurzer Zeit seinen Erinnerungsbericht, der bereits im August erschien. Im Dezember 1933 verließ er Moskau wieder und wurde Mitarbeiter der Roten Hilfe in Paris. Im September 1934 wechselte er nach Prag, wo er Leiter der Außenstelle der KPD wurde, Flüchtlinge betreute, Leute nach Deutschland schleuste und Meldungen aus Deutschland empfing. Anfang November 1934 wurde Beimler ausgebürgert. Von Frühjahr 1935 bis Frühjahr 1936 schließlich leitete er die Rote Hilfe Deutschland in Zürich.

Nachdem seine Arbeit in Zürich durch einen Spitzel verraten worden war, ging Beimler im August 1936 nach Spanien, um dort aus deutschen Emigranten Militärformationen zu bilden und diese politisch zu betreuen. Bei der Verteidigung Madrids gegen die faschistischen Truppen kam Beimler am 1. Dezember 1936 ums Leben. Sein Tod fand weltweit ein großes Medienecho, bald schon wurde er zum Symbol der heldenhaften Freiheitskämpfer für die Sache der Arbeiter stilisiert. Nach dem Krieg war er in der DDR eine Ikone in der Verklärung des antifaschistischen Kampfes; zahlreiche Schulen und Straßen wurden nach ihm benannt, von denen die meisten allerdings nach der Vereinigung 1990 wieder umbenannt wurden.

Quelle:

  • Mühldorfer, Friedbert: „Hans Beimler. Eine biographische Skizze“. In: Hans Beimler. Im Mörderlager Dachau. Herausgegeben, kommentiert und um eine biographische Skizze ergänzt von Friedbert Mühldorfer. Köln 2012, S. 74-186.


Werkgeschichte

Hans Beimler kam Ende Juli 1933 in Moskau an und berichtete dort vielfach auf Versammlungen über seine Erfahrungen im Konzentrationslager Dachau. Innerhalb weniger Tage schrieb er Ende Juli/Anfang August 1933 seinen Text nieder, der am 14. August „in Arbeit“ (so im Impressum) und am 19. August in den Druck ging. Die erste Auflage von 5.500 Exemplaren war rasch vergriffen, so dass noch im gleichen Jahr eine zweite gedruckt wurde. Beimlers Erinnerungsbericht fand weite Verbreitung. 1934 brachte der Literaturvertrieb der KPD des Saarlands eine weitere Ausgabe heraus. Bereits 1933 erschienen mit englischen, russischen, dänischen und jiddischen Ausgaben die ersten Übersetzungen, 1935 folgte eine französische, 1937 eine spanische Übersetzung. Überdies gelangte Beimlers Bericht auch als Tarnschrift nach Deutschland. Nach 1945 wurden in vielen Zeitungen Auszüge aus Beimlers Erinnerungstext abgedruckt. 1976 erschien in der DDR eine Neuausgabe mit kleineren stilistischen Korrekturen und erweitert um Erinnerungen von Zeitgenossen. Zudem erhielt Beimlers Text ein neues Vorwort. 1980 gab es von der Neuausgabe eine zweite Auflage. Die Umschlagillustration von John Heartfield wurde, darauf wird in der Broschüre hingewiesen, dem 1933 in Paris erschienenen „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ entnommen, wo sie auf dem Buchrücken abgebildet war. 2012 erschien, herausgegeben von Friedbert Mühldorfer, eine kommentierte Neuausgabe mit umfangreichen Informationen zur Geschichte des Textes und zur Biographie Hans Beimlers.

Quelle:

  • Mühldorfer, Friedbert: „Einführung in Hans Beimlers Text“. In: Hans Beimler. Im Mörderlager Dachau. Herausgegeben, kommentiert und um eine biographische Skizze ergänzt von Friedbert Mühldorfer. Köln 2012, S. 13-24.



Bearbeitet von: Anna Kiniorska-Michel