Juda verrecke (1934)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Juda verrecke
Autor Abraham, Max (1904-1977)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1934, Teplitz-Schönau
Titel Juda verrecke
Untertitel Ein Rabbiner im Konzentrations-Lager

Erscheinungsort Teplice
Erscheinungsjahr 1934

Verlegt von Druck- und Verlagsanstalt Teplitz-Schönau
Gedruckt von Druck- und Verlagsanstalt Teplitz-Schönau
Publiziert von Abraham, Max (1904-1977)
Umschlaggestaltung von Trapp, G.H.

Umfang 38 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der 1934 veröffentlichte Erinnerungsbericht von Max Abraham ist ein Zeugnis von der besonderen Gewalt und Demütigung, denen Juden in den Gefängnissen und Lagern des NS-Regimes ausgesetzt waren. Es ist, wie auch K.L. Reiner in seinem Vorwort anmerkt, nach etlichen Berichten politischer Gefangener der erste selbstständig publizierte Erfahrungsbericht eines jüdischen KZ-Häftlings. Ausdrucksstark und plastisch schildert Abraham den Weg von seiner Verhaftung im Juli 1933 durch verschiedene Gefängnisse und Lager bis zu seiner Flucht Anfang 1934.

Abraham, der jüdischer Prediger in Rathenow war und sich dort frühzeitig dem aufstrebenden Nationalsozialismus entgegenstellte, wird im Juni 1933 auf dem Heimweg überfallen, kann sich aber zur Wehr setzen und die Polizei alarmieren. Diese jedoch verhaftet ihn und sieht den anschließenden Misshandlungen durch SA-Leute tatenlos zu: „Als ich hier zum ersten Male vor den Augen der Polizei mißhandelt wurde, empfand ich eigentlich nicht die körperlichen Schmerzen, sondern es schnürte sich mir vor Ekel die Kehle zu. Das also war in Deutschland möglich! Ich hatte keine Angst um mein Leben – es verlor in diesem Augenblick für mich seinen Wert“ (S. 9). In den folgenden Stunden und Tagen setzen die SA- und SS-Männer ihr Treiben fort. Sie haben ein besonderes Augenmerk auf Abraham, da sie an ihm Rache dafür nehmen, dass er bereits 1930 den SA-Mann Jackzentis wegen Überfalls angezeigt hatte und dieser zu drei Monaten Haft verurteilt worden war.

Gemeinsam mit weiteren Gefangenen wird Abraham in das Konzentrationslager Oranienburg gebracht. Dort erhält er wiederum einen herausgehobenen Status für die Wachmannschaften und muss daher besondere Brutalität und Demütigungen über sich ergehen lassen. Er verrichtet Arbeit in der sogenannten Judenkompagnie und muss beispielsweise die Latrinen mit bloßen Händen reinigen. Abraham schildert ausführlich auch die Ankunft und das Schicksal weiterer prominenter, vor allem politischer Gefangener wie des Sohnes von Friedrich Ebert und anderer Sozialdemokraten.

Im September wird Abraham gemeinsam mit Friedrich Ebert und anderen über Papenburg in das KZ Börgermoor gebracht. Sie sind unterwegs immer wieder neuen Demütigungen und sinnloser Gewalt ausgesetzt. Häftlinge werden beispielsweise gezwungen, sich gegenseitig mit Knüppeln zu verprügeln und müssen knietief im Morast stehend im Moor arbeiten: „Glaubten wir schon, Oranienburg sei die Grenze des Erträglichen – hier ging es uns noch schlechter“ (S. 24).

Auch in Börgermoor leiden die jüdischen Häftlinge besonders stark unter der Bestialität der Wachleute. Vornehmlich an jüdischen Feiertagen ersinnen die Wachmänner besondere Schikanen. Am jüdischen Neujahrsfest etwa wird Abraham zur Dunggrube geführt, muss hineinsteigen und soll einen Gottesdienst abhalten: „Alles in mir sträubte sich dagegen, unsern Glauben so – buchstäblich – in den Schmutz zerren zu lassen. Ich schwieg“ (S. 29). Seine Weigerung bringt ihm heftige Prügel ein; nachmittags wiederholt sich das Ganze, erneut wird er geschlagen und muss anschließend zwei Wochen in die Krankenstation.

Kurz nachdem ihn die Anklageschrift erreicht, wird Abraham in das KZ Lichtenburg verlegt. Anfang November 1933 schließlich findet in Rathenow der Prozess gegen ihn statt. Er wird zu sechs Monaten Haft verurteilt wird, die er allerdings im Gefängnis absitzen darf. Ende Dezember 1933 wird Abraham entlassen. Da jedoch ein erneuter Prozess und Haft drohen, entschließt er sich mit seiner Frau zur Flucht. Mittellos und zu Fuß gelangen sie über die Grenze in die Tschechoslowakei: „Wir waren in einem Staat, an dessen Spitze – ein Mensch steht“ (S. 38).

Abraham nennt in seinem Bericht sehr viele Namen von Mithäftlingen, aber auch von den Peinigern aus den Reihen der SA und SS. Er bemüht sich sehr um eine sachliche Schilderung, gestaltet diese aber auch literarisch zu einer packenden Erzählung, indem er Spannung aufbaut, sehr plastisch erzählt und viel wörtliche Rede verwendet.

Verbunden mit dem Zeugnis vom verbrecherischen Charakter des NS-Regimes ist es ein Appell an die Welt, das Unrecht zur Kenntnis zu nehmen und es zu bekämpfen. Abraham endet seinen Bericht mit dem Aufruf: „Wir, die wir das wahre Gesicht des Dritten Reiches erkannt haben, dürfen nicht schweigen. […] Menschheit erwache! Dieser Schlachtruf muß hineindringen bis in das kleinste Dorf, damit man es auch dort vernehme, mit seiner ganzen Kraft, mit seiner ganzen Seele und mit seinem ganzen Herzen zu kämpfen für die Befreiung der Unterdrückten und Geknechteten aus Deutschlands Kerkern“ (S. 38).


Biografie

Max Abraham (geb. 27.04.1904 in Samter, gest. 23.06.1977 in London) wuchs in einem religiösen Elternhaus in Posen auf. Nach Ende des Ersten Weltkriegs zog die Familie nach Berlin. Nachdem Abraham das Gymnasium abgeschlossen hatte, absolvierte er in Würzburg eine Ausbildung zum Prediger und arbeitete anschließend als Lehrer und Kantor in Vacha und in Swinemünde. 1929 wechselte er nach Rathenow, von wo aus er weitere Gemeinden in der Region betreute. Neben seiner Arbeit engagierte sich Abraham auch politisch vor allem gegen die erstarkende NSDAP und trat der SPD bei. Bereits 1930 kam es zu einem gewaltsamen Zusammenstoß mit der SA: Abraham wurde von SA-Sturmführer Jackzentis überfallen, der daraufhin zu fünf Monaten Haft verurteilt wurde. Gut drei Jahre später, im Juni 1933, wurde Abraham kurz vor seiner geplanten Ausreise nach Brüssel auf dem Heimweg erneut Opfer eines Angriffs. Er setzte sich zur Wehr und rief die Polizei, die ihn jedoch verhaftete. Vom ersten Tag seiner Haft an war er im Gefängnis und später in den Konzentrationslagern Oranienburg, Börgermoor und Lichtenburg schweren Misshandlungen ausgesetzt. Vom 27. Juni bis zum 7. September 1933 war er Häftling des Lagers Oranienburg und erhielt die Häftlingsnummer 352. Anschließend war er kurzzeitig im Lager Börgermoor, bevor er bis zum 30. Oktober 1933 im Konzentrationslager Lichtenburg inhaftiert war.

Am 6. November 1933 fand in Rathenow wegen des Überfalls im Juni ein Prozess gegen Abraham statt. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. Nach kurzer Haft im Amtsgefängnis Rathenow wurde Abraham entlassen und lebte in Berlin bei seinem Bruder. Dort heiratete er im April 1934. Im Mai 1934 sollte er seine Haftstrafe antreten, er floh jedoch gemeinsam mit seiner Frau in die Tschechoslowakei. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte er seinen Bericht über seine Leidenszeit in den Gefängnissen und Lagern in NS-Deutschland, weswegen er im Juni 1935 ausgebürgert wurde. Ab 1937 arbeitete Abraham als Prediger und Lehrer in Kutná Hora östlich von Prag. Nach dem Einmarsch der Deutschen im März 1939 floh er über Deutschland nach Frankreich und von dort schließlich weiter nach Großbritannien, wo er am 24. August 1939 ankam.

In London war er zunächst wieder auf Unterstützung des jüdischen Hilfskomitees angewiesen, absolvierte eine Umschulung zum Metallarbeiter und arbeitete ab 1941 in einer Rüstungsfabrik. 1949 machte er sich mit einem Metallgeschäft selbstständig und erhielt überdies mit seiner Frau die englische Staatsbürgerschaft. In London war er aktives und engagiertes Mitglied einer jüdischen Gemeinde.

Quelle:


Werkgeschichte

Max Abraham schrieb seinen Bericht im Jahr seiner Flucht aus Deutschland und reagierte damit auch auf die Darstellung des Kommandanten des Konzentrationslagers Oranienburg, Werner Schäfer, der im gleichen Jahr das Buch „Konzentrationslager Oranienburg. Anti-Braunbuch über das erste deutsche Konzentrationslager“ in Reaktion auf Berichte von Gerhart Seger und anderen veröffentlicht hatte. Abraham wollte mit seiner Publikation der verharmlosenden Darstellung Schäfers eine wahrheitsgetreue Schilderung aus erster Hand entgegenstellen.

Der „Neue Vorwärts“ hob in seiner Besprechung vor allem auf das Schicksal verschiedener bekannter Häftlinge ab, das Abraham schildert.

Quellen:

  • o.A.: „Der Rabbiner im K.Z. Heilmann und A.T. Wegners Martyrium“. In: Neuer Vorwärts vom 02.12.1934.



Bearbeitet von: Markus Roth