Kette der Tage (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Kette der Tage
Autor Kupfer-Koberwitz, Edgar (1906-1991)
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Digitalisat in DIGISAM öffnen
Ausgabe von 1947, Calw,Stuttgart
Titel Kette der Tage
Untertitel Gedichte aus Dachau

Erscheinungsort Calw,Stuttgart
Erscheinungsjahr 1947

Verlegt von Verlag Gerd Hatje
Gedruckt von Stähle & Friedrich
Publiziert von Kupfer-Koberwitz, Edgar (1906-1991)

Umfang 40 Seiten

Lizenz Lizenz-Nr. US-W-1010 der Nachrichtenkontrolle der Amerikanischen Militärregierung
Preise 1,50 RM
Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In meist einfachen Reimschemata thematisieren zwanzig Gedichte Lagerleben und Häftlingsdasein im Konzentrationslager Dachau. Diese beinhalten sowohl Aspekte des Häftlingsalltags, wie in „Appell“ (S. 7), „Hunger“ (S. 19), „Typhus“ (S. 23) und „Transport“ (S. 33), als auch seelische Vorgänge und gedankliche Auseinandersetzungen, wie in „Erinnerung“ (S. 11) oder „Kamerad sein“ (S. 28). Die Gedichte zeichnen sich überwiegend durch Endreime aus, es finden sich darunter viele Paar- und Kreuzreime sowie umarmende Reimen. Die Struktur der meisten Gedichte wird durch Wiederholungen und Refrains bestimmt, viele Verse enthalten etwa das rhetorische Stilmittel der Anapher. So beginnt im Gedicht „Appell“ jede Strophe mit dem Vers „Zwölftausend Mann zum Appelle da stehn“ (S.7f.). Danach wird beschrieben, wie die Häftlinge mit ihren geschorenen Köpfen und ihrer einheitlichen Kleidung bei Tag und Nacht stundenlang schweigend und stramm auf dem Platz stehen müssen, ihre körperlichen und seelischen Qualen ertragen sie stumm.

Auch im Gedicht „Kamerad sein“ beginnt jede Strophe mit dem Wort „Kamerad“ und beschreibt dann, was idealerweise einen guten Kameraden auszeichnet: „[E]in Freund, der stützt, der hilft und der trägt“ (S. 28). Demgegenüber steht die Lagerrealität: „[W]er sich hier Kamerad nennt, ist nicht dein Freund, / ist einer, der schreit und der schlägt –“ (ebd.). Das Gedicht endet mit der Erkenntnis, dass es unmöglich ist, im Lager ein Kamerad zu sein: „Sie nennen sich Kamerad, / doch – – – sie können’s nicht sein. / Kamerad sein heißt: Mensch sein. / Die alles verloren, verloren das Menschsein auch“ (ebd.). In einigen Gedichten spricht ein lyrisches Ich oder kollektives Wir, auch der Leser wird hin und wieder vertraut mit ‚Du‘ angesprochen. Immer wieder werden auch einzelne Häftlinge exemplarisch aus der Masse herausgegriffen und dem Leser vorgestellt, wie etwa im Gedicht „Einer“ (S. 9): „Siehst du den Mann dort schwankend stehn? – / so bleich sein Gesicht, / er schleppt sich hin, er kann kaum gehn – / und elend ein Gesicht. – / Wir stehen stramm, die Mützen ab, die Augen rechts gericht‘, / da seh ich ihn – wie aus dem Grab / erscheint mir sein Gesicht“ (S. 9f).

Im Gedicht „Erinnerung“ (S. 11) werden zum einen die Verzweiflung, Empörung und Demütigung eines Häftlings deutlich, als dieser vom Tod seiner Ehefrau erfährt. Zum anderen erfährt der Leser auch vom Mitgefühl und Mitleid des lyrischen Ichs: „Man gab ihm das Bild seiner toten Frau – / stumm hat er es angeschaut – / er schwankte, sein Antlitz wurde fahl und grau, / […] und weil ich ganz dicht und ganz neben ihm steh‘, / hat es mir die Seele verzehrt - “ (S.11). Im Gedicht „Typhus“ (S. 23) wird die immer wieder in Dachau grassierende Krankheit personifiziert und als durch das Lager schleichendes todbringendes Unheil beschrieben: „Er schleicht durch das Lager und haucht dich an, / Sein Kuß läßt die Stirne erglühn –“ (S. 23). In zwei Strophen werden die Jahre 1943 und 1945 einander gegenübergestellt. Sie sind identisch bis auf den jeweils letzten Satz der beiden Strophen. Für 1943 lauten die letzten beiden Verse: “Und als der Typhus wieder ging, / waren 200 Betten - - - leer“ (ebd.). Für 1945 heißt es: „Und als der Typhus wieder ging, / waren 12000 Betten - - - leer“ (s.o.).

Das letzte Gedicht trägt den Titel „Kette der Tage“ (S. 39), mit dem auch der gesamte Gedichtband betitelt ist. Thematisiert wird darin, dass kein Mensch außerhalb des Konzentrationslagers die Häftlinge verstehen wird, da das Erlebte die Inhaftierten für immer verändert und von der Welt entfremdet hat: „Denn draußen wird keiner uns ganz verstehn, / erkennen wird niemand, warum / wir so ganz verändert die Welt ansehn, / warum so andere Schritt wir gehn: / unsre Seele wurde lahm und krumm –“ (S. 40).


Biografie

Edgar Kupfer (geboren 24.04.1906 in Koberwitz/Breslau, Polen, gestorben 07.07.1991 bei Stuttgart) wurde als Sohn eines Gutsverwalters geboren und war nach dem Abschluss seiner Realschulzeit zunächst in der Landwirtschaft und später als Büroangestellter tätig. Nebenberuflich schrieb er Gedichte und verfasste Zeitungsartikel. Später nahm er den Künstlernamen Kupfer-Koberwitz an.

1934 floh er vor der Gestapo nach Paris. Im Auftrag eines deutschen Reiseunternehmens zog er 1937 auf die italienische Insel Ischia und arbeitete als Touristenführer. Dort wurde er 1940 denunziert, weil er sich angeblich abfällig über das deutsche Regime geäußert habe. Am 11. November 1940 wurde er in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Ab November 1942 war er als Schreiber in einem Dachauer Außenlager, der Schraubenfabrik Präzifix, tätig. Während dieser Zeit verfasste er sein später als „Dachauer Tagebücher“ bekannt gewordenes Manuskript, das er zunächst an seinem Arbeitsplatz versteckte und später vergrub.

Seine Zeit im KZ Dachau war unterbrochen von einer einjährigen Haftzeit im KZ Neuengamme, wo er unter noch menschenunwürdigeren Bedingungen als in Dachau ausharren musste und beinahe starb. Im April 1945 wurde er durch die amerikanischen Streitkräfte befreit.

Nach dem Krieg lebte er sieben Jahre in den USA, wo er jedoch keine adäquate Arbeit fand. Schließlich zog er auf die Insel Sardinien, wo er in Armut und Einsamkeit lebte. 1984 kehrte er aufgrund gesundheitlicher Probleme nach Deutschland zurück, wo er 85-jährig in einem anthroposophischen Pflegeheim starb.

Kupfer-Koberwitz war Autor mehrerer Bücher: Neben Publikationen zum KZ Dachau und zur Insel Ischia verfasste er auch als überzeugter Vegetarier mit dem Text „Die Tierbrüder − eine Betrachtung zum ethischen Leben“ (1947) einen Appell gegen den gleichgültigen und grausamen Umgang mit Tieren.

Quellen:


Werkgeschichte

Die Gedichte von Edgar Kupfer-Kopferwitz entstanden in der Zeit nach November 1942, nach seiner Rückkehr aus dem KZ Neuengamme nach Dachau und einer mehrmonatigen Rekonvaleszenszeit. In Dachau versteckte er 1800 Manuskriptseiten mit Hilfe eines Freundes und konnte sie nach der Befreiung bergen. Zwanzig Gedichte davon publizierte er 1946 in Stuttgart unter amerikanischer Besatzung unter dem Titel „Kette der Tage“.

In einer Rezension in „Welt und Wort“ von 1947 führt Hermann Sendelbach aus, die Gedichte seien „Zeitballaden von erschütternder Wirkung, man möchte fast sagen Moritaten, wenn das Ausgesagte nicht zu bitter, zu entsetzlich wäre.“ Der Versuch, einen tröstenden Ausblick zu geben, werde nicht gemacht: „Wie denn auch? Womit denn auch?“ (beide Zitate Welt und Wort 2 (1947), S. 359).

Quelle:

  • Sendelbach, Hermann: „[Rezension]“. In: Welt und Wort 2 (1947), S. 359.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger